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Batyr

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 08.09.2018

Berlin in den 60ern

Die Tote im Wannsee
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Eine schöne Gemengelage: die demonstrierenden Studenten, der noch nicht lange zurückliegende Mauerbau, der konstante Schlagaustausch zwischen Ost und West, die Infiltration von DDR-Agenten in die westdeutsche ...

Eine schöne Gemengelage: die demonstrierenden Studenten, der noch nicht lange zurückliegende Mauerbau, der konstante Schlagaustausch zwischen Ost und West, die Infiltration von DDR-Agenten in die westdeutsche Gesellschaft, die muffigen Moralvorstellungen der Nachkriegszeit, ein Kommissar in unklarer Lebenssituation - und eine Frauenleiche im Wannsee. Wer sich an diese Zeit tatsächlich selbst erinnern kann, kommt aus dem zustimmenden Nicken gar nicht mehr heraus: genau so war?s! Raffiniert, wie die drei Autoren, die sich hinter dem Pseudonym Lutz Wilhelm Kellerhoff verbergen, authentische Details, Personen und Ereignisse in die Handlung einflechten. Das Personal des Romans repräsentiert die unterschiedlichsten Bevölkerungsschichten: die Transe Rita bildet da nur ein Sahnehäubchen. Ditt is Berlin!

Veröffentlicht am 30.08.2018

Neuer 'Deutscher Herbst'

Die letzte Terroristin
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Welch ein Kontrast: in unserer Erinnerung die angespannte Atmosphäre der RAF-Vergangenheit, als die zunehmende Frequenz und der steigende Grad von Brutalität der verübten Verbrechen die Öffentlichkeit ...

Welch ein Kontrast: in unserer Erinnerung die angespannte Atmosphäre der RAF-Vergangenheit, als die zunehmende Frequenz und der steigende Grad von Brutalität der verübten Verbrechen die Öffentlichkeit zunehmend verunsicherten - und hier in unserer Gegenwart der wunderbar schnoddrige Tonfall des Autors - eine Lektüreverheißung!
Es ist Frühling im wiedervereinten Deutschland, und die Schlagwörter des Tages lauten Stasi und Dunkeldeutschland. Da kommt Georgi und setzt die RAF als Kontrapunkt. Zwei Gravitationszentren hat der Roman. Einmal die Treuhand, die‘s richten soll, die versprochenen blühenden Landschaften zu erschaffen. Dann das BKA, die gegenüber der neu aufgestellten RAF einen Tiefschlag nach dem anderen einstecken muss.
Und es gelingt dem Autor, ein faszinierendes Dreiergestirn der Protagonisten zu schaffen: Bettina, die eiskalte Aktivistin im Untergrund, Sandra, willig-unwillig in Hinblick auf ihre Rolle - und Kawert, frustriert aber zäh, nicht aufgebend.

Veröffentlicht am 21.08.2018

Mühsam dahinplätschernde Geschichte

Kampfsterne
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Helikoptereltern, Tigermütter, grausige Einfamilienhaus-Idyllen, Männer in den Varianten Waschlappen oder Prügel-Macho: es geht hoch her in Alexa von Hennig-Langes neuem Roman. Der flapsig-treffsicher-witzige ...

Helikoptereltern, Tigermütter, grausige Einfamilienhaus-Idyllen, Männer in den Varianten Waschlappen oder Prügel-Macho: es geht hoch her in Alexa von Hennig-Langes neuem Roman. Der flapsig-treffsicher-witzige Tonfall täuscht nicht darüber hinweg, dass diese Siedlung ein Inferno darstellt!
Doch mit fortschreitender Lektüre tritt ein gewisser Übersättigungseffekt ein: es sind halt immer die gleichen Schläge, die die Autorin austeilt. Um dem angestrebten Flair der Achtziger Jahre Genüge zu tun, dienen die weiblichen Protagonistinnen als Sprachrohr feministischer Parolen. Aber mehr als ein mildes Lächeln vermögen diese Passagen beim Leser nicht hervorzurufen. Weitgehend erschöpft sich die Atmosphäre der Epoche auf die Erwähnung solcher Kinkerlitzchen wie Hotpants oder weißen Ikea-Möbeln. Schade, die Thematik hätte eine substantiellere geistige Durchdringung verdient als diese mühsam dahinplätschernde Geschichte!

Veröffentlicht am 31.07.2018

Kaleidoskop

Der Sprengmeister
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So klar und eindeutig der Titel des Romans formuliert ist, als so verwirrend offenbart sich das gesamte Bildnis des Individuums, das sich hinter der bloßen Berufsbezeichnung verbirgt. Aus mehreren Perspektiven ...

So klar und eindeutig der Titel des Romans formuliert ist, als so verwirrend offenbart sich das gesamte Bildnis des Individuums, das sich hinter der bloßen Berufsbezeichnung verbirgt. Aus mehreren Perspektiven wird der Mann betrachtet, unterschiedliche Aspekte seiner Existenz kommen zum Tragen. Das einschneidende Ereignis, das Oskars Dasein für immer und unwiderruflich verändert, bilden den Erzählauftakt. Sein Leben, ja der Mann selbst wird in einer missglückten Sprengung zerrissen. In einer Art Kaleidoskop ordnen sich die Bruchstücke neu. Trennung von der Verlobten, Erringen einer neuen Beziehung, Bewusstwerdung der eigenen Position innerhalb der Gesellschaft, das Ausprägen einer dezidiert politischen Lebenseinstellung: das alles wird erst möglich durch Oskars übermächtigen Lebenswillen, der ihn seine schweren Verletzungen überhaupt erst überstehen lässt.

Veröffentlicht am 23.07.2018

Lektüre mit Distanz

Wenn wir wieder leben
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Der Einstieg in den Roman ist durchaus vielversprechend, war es doch eine Zeit in Deutschland, die wir heut nur noch durch den Nebel der Erinnerung heraufbeschwören können. Ja, ja, die Sechziger, als Studenten ...

Der Einstieg in den Roman ist durchaus vielversprechend, war es doch eine Zeit in Deutschland, die wir heut nur noch durch den Nebel der Erinnerung heraufbeschwören können. Ja, ja, die Sechziger, als Studenten sich siezten und der erste Hauch des Aufruhrs durch die Republik wehte. Arbeiterkinder an der Uni waren Exoten, und die Medien sprachen von ‚Heimatvertriebenen und Flüchtlingen‘ - gemeint waren die Zuwanderer aus dem Osten des untergegangenen Nazi-Reichs.
Aber je weiter die Lektüre voranschreitet, desto mehr Distanz baut der Leser insbesondere gegenüber den Protagonisten auf: es sind weitgehend Pappkameraden, die für etwas stehen, was die Autorin sie behaupten lässt, die aber keinesfalls ein Eigenleben entwickeln.
Geht es dann rückwärts mit der historischen Perspektive, entwickelt sich Charlotte Roths Roman zu einem Volkshochschulkurs: vielerlei Kenntnisse über Danzig während der Nazizeit werden ausgebreitet, ohne dass die erzählte Geschichte der Menschen und der historische Hintergrund wirklich zu einer unauflöslichen Einheit verschmelzen.
Schade - denn die deutsch-polnische Vergangenheit ist doch bestimmt noch eine terra incognita für die meisten von uns!