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Veröffentlicht am 30.04.2024

Eine lockere Liebesgeschichte zweier besonderer Menschen. Ein kluges Buch.

The Happiness Blueprint
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The Happiness Blueprint von Ally Zetterberg

Ein amüsantes, kluges, lockeres Buch in dem wir viel über das Innenleben zweier Menschen erfahren, die in ihrem Empfinden und Verhalten nicht der gesellschaftlichen ...

The Happiness Blueprint von Ally Zetterberg

Ein amüsantes, kluges, lockeres Buch in dem wir viel über das Innenleben zweier Menschen erfahren, die in ihrem Empfinden und Verhalten nicht der gesellschaftlichen Norm entsprechen.

Die 26-jährige Schwedin Klara lebt in London, ist eine neurodivergente Chaotin und Diabetikerin und muß nun ohne Fachkenntnisse dafür sorgen, daß die kleine Baufirma ihres Vaters Peter, während seiner Krebsbehandlung, nicht den Bach runtergeht.

Währenddessen versucht der 29-jährige gutaussehende Schwede Alex den Unfalltod seines Bruders zu verarbeiten, an dem er sich mitschuldig fühlt.

Um aus seiner Depression zu kommen, bewirbt sich Alex in Peters Firma um die Stelle als Tischler und Klara stellt ihn ein, ohne zu ahnen, daß der Ring an seinem Finger nicht sein Ehering ist, sondern der seines verstorbenen Bruders.

Schon bei der ersten Begegnung funkt es zwischen den beiden Sonderlingen, doch Klara geht auf Abstand, da sie meint er sei verheiratet. Und Alex deutet ihre Zurückhaltung als Desinteresse.

So sind sie wie zwei gleichpolige Magnete die durch den Ehering wie durch eine unsichtbare Kraft auf Abstand gehalten werden und finden erst sehr spät im Roman zueinander, als sich das Missverständnis aufklärt.

Dann sind da noch Klaras Mutter und ihre Schwester Saga, mit denen der familiäre Austausch primär über Zoom-Konferenzen stattfindet.

Moderne Medien nehmen in diesem Roman eine Schlüsselrolle ein. Es wird beispielhaft gezeigt wie auch die Mitglieder einer weitverstreuten Familie durch Internet und Smart Phone in Kontakt bleiben können. Zudem googelt Klara quasi alles und der Austausch mit Alex findet vornehmlich über einen gemeinsamen digitalen Terminkalender statt.

Ally Zetterberg hat einen wundervoll lockeren Schreibstil, natürlich und sehr humorvoll, ohne flapsig oder beliebig zu werden und sie versteht es dennoch die Ernsthaftigkeit der Probleme aller Beteiligten zu thematisieren.

In sich abwechselnden Kapiteln beschreiben Alex und Klara die Entwicklung jeweils aus ihrer Sicht. Auch das macht das Buch interessant und amüsant.

Als Leser ist man sofort drin in der Geschichte, die Charaktere tauchen binnen kürzester Zeit lebensecht auf. Dies erreicht die Autorin mit dem Stilmittel, das am besten dafür geeignet ist, sie läßt ihre Figuren sprechen. Und wenn die Protagonisten etwas sagen, dann genau so, wie es ihrem Charakter entspricht.

Das Buch ist voller kluger Erkenntnisse, die locker und wie nebenbei rübergebracht werden.

Ich habe die fast 400 Seiten in einem Rutsch durchgelesen und auch das mir persönlich etwas zu schmonzettige Happy End, hat das Leseerlebnis nicht geschmälert.

Es gibt Buchtitel, die lassen sich kaum übersetzen ohne zu verlieren, doch was hätte eigentlich gegen „Blaupause für‘s Glück“ gesprochen ?

Die Covergestaltung hat mir nicht besonders gefallen und bringt den Character des Buches, in meinen Augen, nicht gut rüber. Da reißt es dann auch nicht der poolblaue Farbschnitt raus. Auf den Untertitel Liebe und andere Baustellen hätte man ruhig verzichten können.

Ich würde sagen, das Buch ist für alle von 16 bis 116 Jahre ein Gewinn.
Dieses unterhaltsame, humorvolle, ehrliche und kluge Buch erhält von mir 4 Sterne.
Ich hätte gerne alle 5 Sterne vergeben, da mir das Buch in Bezug auf Neurodivergenz die Augen geöffnet hat. Doch der Fünfte Stern geht leider für die, zwar sehr amüsante, doch letztendlich doch zu kritisierende (weiblich-)chauvinistische Tendenz des Buches drauf.

Ally Zetterberg, „The Happiness Blueprint – Liebe und andere Baustellen“ ist 2024 erschienen bei rohwolt Polaris und
kostet 16,-


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Veröffentlicht am 24.04.2024

Liebe in Zeiten der Familie

Wir bleiben noch
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Von der ersten Zeile an hat mich dieses Buch mitgenommen. Der Schreibstil ist gut. Es liest sich flüssig. Die Charaktere sind glaubhaft und lebensnah, genauso wie auch die Dialoge. Gewürzt mit trokenem ...


Von der ersten Zeile an hat mich dieses Buch mitgenommen. Der Schreibstil ist gut. Es liest sich flüssig. Die Charaktere sind glaubhaft und lebensnah, genauso wie auch die Dialoge. Gewürzt mit trokenem englischen Witz mußte oft schmunzeln oder lachen.

Im Zentrum steht das Leben des Mittvierzigers Victor in den Jahren 2018 bis 2019. Ich sah immer Hugh Grant vor mir. Er ist im Begriff, sich nach 8 Jahren von seiner Frau Iris zu trennen, da der nicht erfüllte Kinderwunsch die Beziehung zersetzt hat. Noch bevor die Trennung sauber vollzogen ist, gestehen sich er und seine Cousine Karoline gegenseitig ihre Liebe ein. Bis zum Ende handelt dann das Buch vom Lieben und Leben der beiden und ihrem Sich-Abfinden damit, daß der Zug in Sachen eigene Kinder abgefahren ist und ihren Schwierigkeiten mit dem Rest der Familie, also mit seinen Eltern und mit ihren Eltern und ihrer Schwester, die ihre Beziehung aufgrund der verwandtschaftlichen Nähe als "abartig" bezeichnen.

Urli, die Großmutter von Viktor ist standhafte Sozialdemokratin und gibt den beiden noch ihren Segen, bevor sie stirbt. Das Verhältnis der beiden zum Rest der Familie wird zusätzlich dadurch belastet, daß Urli im Testament ihrem Enkel Victor alleine ihr Haus vermacht. Ein älteres kleines Haus auf dem Lande.

Das Buch ist eine schöne angenehm zu lesende Paar- und Familienstudie und zudem gibt es einen Einblick in die Verfasstheit der österreichischen Gesellschaft 2018/2019.

Wie in vielen Ländern ist auch in Österreich die Gesellschaft nach rechts gerückt. Aufhänger dafür sind die Flüchtlinge. Tatsächlich ist es aber die Sattheit einer ganzen Generation, die, in jungen Jahren, als sie noch nichts hatten, links waren und nun im Renten- und Vorrentenalter um ihre Pfründe und ihre Bequemlichkeit fürchtend ins konservative Lager gewechselt sind.

Mich hat die Liebesgeschichte der beiden leicht traurig gestimmt, da sie nur sich haben, keine Freunde und die ganze Familie gegen sich. Ein Buch, das ich nur empfehlen kann und ich bin froh, es im Tauschregal entdeckt zu haben, nachdem ich in der Ketten-Buchhandlung eine Stunde lang vergeblich nach einem guten Buch gesucht habe.

Für einen 5. Stern hat es bei mir nicht ganz gereicht, aber beinahe.

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Veröffentlicht am 08.08.2024

Toxische Mütter ermatten im Tanz um das goldene Kalb

Die Perserinnen
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Meine schwierige Aufgabe besteht darin, Ihnen den Roman „Die Perserinnen“ von Sanam Mahloudji schmackhaft zu machen, denn er ist lesenswert, ohne sie gleichzeitig abzuschrecken, denn er hat seine Schwächen.

„Die ...

Meine schwierige Aufgabe besteht darin, Ihnen den Roman „Die Perserinnen“ von Sanam Mahloudji schmackhaft zu machen, denn er ist lesenswert, ohne sie gleichzeitig abzuschrecken, denn er hat seine Schwächen.

„Die Woche war eine einzige Cartoon- und Drogenparty gewesen, bis vor einer Stunde, als ich meine Tante Shirin gegen Kaution aus dem Gefängnis von Aspen holen musste, wo sie wegen versuchter Prostitution festgehalten wurde“

So beginnt der Roman und dies ist die umgreifende Klammer in der Ist-Zeit im Jahr 2009. Ich kann Ihnen aber schon verraten, die Autorin schildert uns am Ende des Buches zwar noch den Prozeß, den Richterspruch allerdings enthält sie uns vor und überlässt Shirins letztendliches Schicksal der Phantasie der Lesenden.

Um diesem Buch gerecht zu werden, sollte man es nicht vom Ende her rezensieren und so beziehe ich mich nachfolgend zunächst nur auf den ersten von drei Teilen, , also auf die ersten 110 Seiten, dieses Romans:

Die Iranerin SHIRIN Valiat verläßt mit ihrem Mann HOUMAN, ihrem Sohn MOHAMMED, ihrem Bruder NADER, sowie ihrer Schwester SIMA und deren Säugling BITA in den Revolutionswirren 1978 in letzter Minute den Iran in Richtung USA. Ihre sechsjährige Tochter NIAZ läßt sie, mehr ungewollt, als gewollt, bei ihrer Mutter ELIZABETH, der Großmutter der kleinen Niaz, zurück, ging man doch davon aus, daß man bald zurückkehrt, sobald sich die Lage im Heimatland wieder beruhigt hat. Zur Sicherheit hat jede der Exilantinnen etliche Millionen auf Schweizer Konten gebunkert und noch eine Handvoll Diamanten im Gepäck.

Nun aber schreiben wir bereits das Jahr 2009, Shirin ist mittlerweile 54 Jahre alt und wird im US-amerikanischen Nobelskiort Aspen der Anbahnung zur Prostitution verdächtigt. In 25 sich abwechselnden Kapiteln kommen nun Elizabeth, Shirin, Bita, Niaz und Sima zu Wort und schildern Kindheit, Jugend, Ist-Zeit und die Familienverhältnisse aus ihrer Sicht.

Abgestoßen hat mich weniger die teils explizite Sprache, sondern vielmehr die Dekadenz und die verstörende Empathie- und Lieblosigkeit, die bei den Frauen dieser Familie vorherrscht. Der grenzenlose Dünkel dieser Familie, die unter dem Schah zu den reichsten Irans gehörte, beruht nicht nur auf ihrem jahrhundertealten Reichtum, sondern auch auf ihrer Abstammung von einem großen persischen Kriegshelden. In der Diaspora allerdings wird hemmungslos gekokst, gesoffen, fremdgegangen, das Geld verschleudert und das Gastland Amerika und die Amerikaner zutiefst verachtet. Es schockierte mich, mit welcher Selbstverständlichkeit sich Shirin vor ihrem Sohn Mohammed, der mittlerweile auch schon Mitte 30 ist, nackt auszieht und von diesem ihren noch sehr gut erhaltenen Körper bewundern läßt, um dann den Augenblick seiner Geburt zu schildern: „..Eines Tages bin ich aufs Klo, um zu kacken, und zack, da warst du.“

Diesen Frauen geht es in einer derart penetranten Art und Weise ausschließlich um das Aussehen und Äußerlichkeiten, daß nichts anderes mehr Thema ist. Ohne jeglichen Esprit, Geist oder Gefühl, von Mitgefühl ganz zu schweigen. Lesende werden gequält mit ständigen Beschreibungen des Aussehens, der Gesichtsgestaltung, Kosmetik, Kleidung, Accessoires, Schmuck, Modemarken etc. Natürlich, man kann als Autorin die ständige Beschäftigung der Protagonistinnen mit der Oberfläche des Körpers auch als Metapher für die Oberflächlichkeit ihres Wesens verwenden, doch die Intensität, mit der dies hier betrieben wird, deutet für mich darauf hin, daß es die Autorin nicht schafft, die nötige Distanz zu ihren Figuren einzulegen, was die Begeisterung für Äußerlichkeiten anbelangt. Die Männer werden in diesem Roman fast durchgehend als Witzfiguren dargestellt, Karikaturen ihrer selbst, meist tumbe übergroße Playmobil-Männchen und kaum der Erwähnung wert. Willkommen im Matriarchat der schlechten Art.

Selten hat mich Gelesenes so wenig berührt. Die Autorin ist teilweise sehr um Metaphern bemüht, die aber sehr gewollt und seltsam substanzlos ins Leere laufen, nur wenige treffen ins Schwarze. Überwiegend werden kurze Sätze oder Fragen bezugslos hintereinander gereiht. Ich befürchtete schon, daß sich sowohl der anspruchslose Schreibstil, als auch der belanglose Inhalt über die nächsten gut 300 Seiten von Teil II und Teil III fortsetzten.

Mir kam schon der Gedanke, ob die Autorin womöglich von den iranischen Mullahs bezahlt wurde, um die Kaste des Geldadels unter dem Schah Regime im schlechtest möglichen Licht erscheinen zu lassen. Dieser Abschnitt wäre auch durchaus geeignet, Fremdenhass auf die Orientalen zu schüren oder entstehen zu lassen.

Wir Menschen gewöhnen uns ja erstaunlich schnell an einen Umstand und so kann ich nun nicht mit Sicherheit sagen, ob es darauf zurückzuführen ist oder ob nun im II. und III. Abschnitt tatsächlich der Stil des Buches anspruchsvoller geworden ist.

Auch im II. Teil wird wieder in den Zeiten hin und hergesprungen, was dem Roman aber in keinster Weise Abbruch tut. Diese sich abwechselnden Kapitel aus verschiedener Sicht lesen sich sehr gut. Alle weiblichen Mitglieder der Familie erzählen in der Ich-Form, lediglich in den Kapiteln über Elisabeth weicht die Autorin davon ab. Warum, erschließt sich mir nicht. Obwohl dramatische und ihrem Wesen nach herzzerreißende Geschehnisse geschildert werden, bleibe ich von diesen auch im Rest des Buches seltsam unberührt.

Gegen Ende dieses II. Teils hält die Autorin für die Lesenden aber noch einen absoluten Knaller bereit, diesen werde ich aber nicht einmal andeuten, nur so viel sei verraten, es geht um familiäre Verhältnisse, es platzt quasi die Bombe.

Im III. Teil kommt dann die ganze Familie in der Ist-Zeit, etwa im Jahre 2009, in Amerika zusammen, um Shirin bei ihrem Prozeß zu unterstützen: Oma Elisabeth kommt aus Iran angeflogen mit der mittlerweile 30-jährigen Enkelin Niaz, die Shirin’s Tochter ist. Bita, die Tochter der im Jahre 2006 verstorbenen Sima, die Elisabeths zweite Tochter war. Und, was für eine blöde Frage, selbstverständlich sind keine männlichen Familienmitglieder anwesend. Es gibt noch einen Sohn von Elisabeth, NADER, also den Bruder von Shirin und der verstorbenen Sima, der mit ihnen in die USA gekommen ist. Dieser lebt irgendwo im Süden der USA ein einfaches Leben als Monteur von Klimaanlagen. Ich vermute, daß das Vermögen der Familie sich ausschließlich auf den Konten der weiblichen Mitglieder befindet. Genauer erläutert wird das von der Autorin aber nicht. Allgemein bemerke ich bei zeitgenössischen Belletristen eine zunehmende Vorliebe für die Lücke und eine Neigung dazu, Fragen aufzuwerfen, aber diese unbeantwortet zu lassen. Stilmittel die, dezent eingesetzt, durchaus ihre Berechtigung haben, in Masse auftretend aber lediglich der Bequemlichkeit der Autorinnen und Autoren geschuldet zu sein scheinen. Wurde mir doch tatsächlich erst jüngst von einem deutschen Autor empfohlen, die kommentarlos fehlenden zwei Jahrzehnte im Roman mit meiner eigenen Phantasie auszufüllen, sofern ich darüber verfüge. Wir können also durchaus damit rechnen, daß wir in Bälde im Restaurant die von uns bestellten Speisen selbst aus der Küche zu unserem Tisch tragen oder, falls wir zu den letzten Gästen gehören, nach dem Bezahlen noch schnell durchwischen müssen.

Shirin, die Hauptfigur, ist das perfekte Stereotyp der reichen, verwöhnten, arroganten, geist- und empathielosen Orientalin. Natürlich gibt es diese auch in der US-amerikanischen und europäischen Ausführung, dann eher in blond, doch zu finden sind sie alle an ähnlichen Orten wie Aspen, St. Moritz, Gstaad, St. Tropez, Acapulco oder auf Sylt. Würde man ihnen ihr Geld nehmen, hätte man vermutlich stinknormale Proleten vor sich. Umgekehrt funktioniert das natürlich auch.

Die Kapitel in denen NIAZ aus Iran berichtet oder SIMA aus dem Jenseits, zeugen von mehr Tiefe und Reflexion. Doch emotional berührt oder mit Erkenntnissen in Erstaunen versetzt wurde ich in diesem Roman nur an ganz wenigen Stellen.

Doch, eine Stelle hat mich zutiefst berührt, und zwar, als Elisabeth ihrer Enkelin Niaz gesteht, daß deren Mutter Shirin sie sehr wohl mit in die USA nehmen wollte. Ich wünschte die Autorin hätte auch an anderer Stelle des Romans mit derartiger Verve erzählt.

Gerade die Szenen und Beschreibungen des teils grotesken Verhaltens der Exilantinnen in der Diaspora hätte der Autorin breiten Raum geboten, die Lesenden wenigstens zum Lachen zu bringen. Hier hat die Autorin eindeutig eine Chance vertan. Die Finger meiner beiden Hände reichen leider aus, um die Stellen aufzuzählen, an denen ich spontan lachen mußte.

Was mich anbelangt, so kann und werde ich mich nicht dem derzeitigen Trend anschließen, eine Frau die sich verhält wie ein Mann, den jeder aufgrund seines Verhaltens als Arsch bezeichnen würde, als „Starke Frau“ zu bezeichnen.

Interessante Einblicke in das Alltagsleben in Iran unter dem totalitären Mullah-Regime erhalten wir, wenn in einem Kapitel Niaz, die bei der Oma geblieben ist, zu Wort kommt. Mich wunderte z.B., daß Elizabeth Valiat immer noch Eigentümerin riesiger Ländereien in Iran ist und diese nicht schon längst vom Regime dem Volk übertragen wurden. Die Antwort liegt darin, daß sich nur so der einzelne Funktionär des Regimes, unter Vorwand einer fadenscheinigen Anklage, bereichern kann.

Ich hätte mir als Leser noch mehr Einblicke in die Lebenswelt der Menschen unter dem Terrorregime der Mullahs gewünscht, aber ich denke, daß auch die Autorin sicher noch Familie in Iran hat und es daher lieber nicht auf die Spitze treiben wollte.

Eine Sternebewertung fällt mir bei diesem Roman besonders schwer. Genau genommen glaubte ich beim Lesen eine Adventsbeleuchtung neben mir zu haben, die abwechselnd ein bis vier von fünf Sternen aufblinken ließ.

Ich komme zu keinem Schluß, ob die mangelnde emotionale Tiefe und relative Humorfreiheit von der Autorin bewußt so gestaltet wurde oder ob sie es schlichtweg nicht besser kann. Der nächste Roman von Sanam Mahloudji wird mir hoffentlich in diesem Punkt Klarheit verschaffen. Gemäß dem Grundsatz „In dubio pro reo“ bleibt mir also nichts anderes übrig, als 4 Sterne zu vergeben, obwohl es gefühlt eigentlich nur dreieinhalb sind.

Das Cover ist sehr schön gestaltet in gemalter Weise, wie ich es liebe. Im Klappentext einen Rechtschreibfehler zu übersehen ist eigentlich eines großen Verlages wie Piper nicht würdig. Auch der Text beschenkt uns mit einigen Rechtschreibfehlern, die ihrem Wesen nach von keiner noch so intelligenten KI entdeckt werden können. Hier sollten Verlage vielleicht doch wieder dazu übergehen, ein wenig Geld in die Hand zu nehmen, um ein Buch vor der letztendlichen Drucklegung noch einmal von einem befähigten Menschen durchlesen zu lassen.

Ich empfehle Ihnen, diesen Roman trotz eventuell auftretender innerer Widerstände zu Ende zu lesen und sich diesen dann ein zweites Mal vorzunehmen oder sich die Kapitel einzeln zu Gemüte zu führen. Davon, dieses Buch zu verschenken, ohne den Inhalt zu kennen, würde ich allerdings abraten, denn das Wort „Kacke“ wird inflationär gebraucht. Ich vermute allerdings, daß dies auf einem kulturellen Missverständnis beruht. Im Orient ist der Sprachgebrauch ein sehr blumiger und so finden Körperausscheidungen bei Flüchen, Beschimpfungen oder wenn man einer Aussage eine besondere Intensität verleihen will, mannigfaltige Anwendung. Diese eins zu eins ins Deutsche zu übersetzen wäre aber unangebracht. Doch ist dies in diesem Roman offensichtlich geschehen.

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Veröffentlicht am 01.05.2024

Kaleidoskopartige Eindrücke vom Ringen um und Leben mit der Kunst

Das Gewicht eines Vogels beim Fliegen
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Flotter Ritt durch das New York der Zwanziger Jahre und die Kunstszene verwoben mit kreativem Schaffen im Spannungsfeld zwischen Kunst und Alltag

In ihrem Roman Das Gewicht eines Vogels beim Fliegen ...

Flotter Ritt durch das New York der Zwanziger Jahre und die Kunstszene verwoben mit kreativem Schaffen im Spannungsfeld zwischen Kunst und Alltag

In ihrem Roman Das Gewicht eines Vogels beim Fliegen läßt sich die rumänisch-schweizerische Schriftstellerin Dana Grigorcea von Fragen zum Thema Kunst leiten und versucht den künstlerischen Schaffensprozeß zu ergründen.

Der 222 Seiten umfassende Roman spielt zeitlich und örtlich an zwei verschiedenen Settings, die in reizvoller Weise miteinander verbunden werden.

Im Hier und Jetzt erleben wir die Schriftstellerin Dora, die im Rahmen eines Literaten-Stipendiums in einem Hotel in Italien versucht, die Amerikareise des Bildhauers Constantin Avis im New York der 20er Jahre literarisch festzuhalten. Als Vorbild für die Romanfigur dient ihr hierfür der rumänische Bildhauer Constantin Brâncuși.

Das zweite Setting ist der Aufenthalt von Constantin Avis in New York etwa 100 Jahre vor unserer Zeit. Eines seiner Hauptwerke „Vogel“ hat er mitgebracht, da er hoffte, diesen im Rahmen einer Einzelausstellung präsentieren zu können. Doch kurz vor seiner Ankunft ist sein Mäzen und Galerist verstorben.

Beide Schauplätze wechseln sich in den einzelnen Kapiteln fast regelmäßig ab.

In temporeichen irisierenden Sequenzen dürfen wir daran teilhaben, wie Constantin das New York der 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts erlebt. Dann kehren wir wieder in die Gegenwart zurück und beobachten Dora beim Schreiben des nächsten Kapitels und im kreativen Schaffen im Spannungsfeld zwischen den Anforderungen des Alltags und den Ansprüchen ihre Kunst betreffend.

Mit Dora in Italien ist Loris, ihr 8 -jähriger Sohn und sein Kindermädchen Macedonia. Später kommt Regis hinzu, mit dem Dora eine toxische Beziehung zu führen scheint.

Dora hält sich in ihrer eigenen Scheinwelt auf und erschreibt sich in Constantin und Lidy die Traumbeziehung, die sie eigentlich leben möchte, während alle anderen Protagonisten der Gegenwart die Realität nicht verdrängen.

Das Buch schließt ab mit einem Epilog in dem der Prozess beschrieben wird, den Constantin mit der Zollbehörde führt, in dem es im Kern um die Frage geht Was ist Kunst ? Dieser beruht auf dem entsprechenden historischen Ereignis in dem die Frage geklärt wurde, ob es sich beim Werk „Vogel“ des Bildhauers Constantin Brâncuși um Kunst handelt oder nicht. Es ist amüsant zu lesen, doch mit 13 Seiten empfand ich dieses Kapitel, im Vergleich zu anderen nur wenige Seiten umfassenden, überbetont, denn die Frage Was ist Kunst ist für den Künstler und den kreativen Schaffensprozess unerheblich und nur in Fragen der Besteuerung von Relevanz.

Ich bin dankbar dafür, daß mir die Autorin den Künstler Constantin Brâncuși und sein, vermutlich ein wenig vergessenes Werk, nahegebracht hat.

Der Schreibstil ist ein kaleidoskop- bis stroboskopartiger und nicht nur für den Durchschnittsleser gewöhnungsbedürftig und ein wenig anstrengend.

Die Autorin versteht es, sich in die Charaktere ihrer Figuren hineinzuversetzen. Ich vermute, daß sie in diesen Roman auch viele Aspekte ihres eigenen Lebens hat einfließen lassen.

Dieser manche Aspekte der Kunst betrachtende Roman ist kein Buch durch das sich Lesende bequem tragen lassen können, man muß schon selbst kräftig strampeln, um mitzukommen. Zwischendurch abzudriften, ohne etwas zu verpassen, kann man sich bei diesem Buch nicht leisten und das spricht in meinen Augen eindeutig für dieses literarische Werk.

Ich kann mich aber dennoch nicht des Eindrucks erwehren, daß dem Werk etwas Provisorisches anhaftet, etwas Unfertiges. Wie eine Art Skelett, das man erst noch in eine gesättigte Lösung halten muß, damit sich an ihm viele interessante Kristalle ausbilden und die Form vollenden können.

Ich hätte mir gewünscht, daß bei Fragen der Kunst mehr in die Tiefe gegangen wird, so wird vieles nur angesprochen und bleibt dann an der Oberfläche. Auch andere angerissene Fragen bleiben unbeantwortet, manch Schilderung ohne Erklärung oder nur mit sehr verstecktem Bezug.
Doch wer sagt, daß ein Roman immer eine abgerundete Sache sein muß ? Natürlich wäre das uns als Lesende lieber, doch das Leben an und für sich ist ja auch weit davon entfernt, eine abgerundete Sache zu sein.

Das Gewicht eines Vogels beim Fliegen von Dana Grigorcea ist 2024 bei Penguin Random-House in München mit der ISBN 978-3-328-60154-8 als Hardcover erschienen und kostet 24,- Euro.

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Veröffentlicht am 24.04.2024

Bewegender Einblick in die Traumatisierung durch Krieg.

Und dann sind wir gerettet
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Und dann sind wir gerettet
von Alessandra Carati

Bewertet mit 3 Sternen

Flucht vor dem Angriff der Serben. Schicksal einer Vertriebenenfamilie in Italien. Bewegende und interessante Beschreibung des ...

Und dann sind wir gerettet
von Alessandra Carati

Bewertet mit 3 Sternen

Flucht vor dem Angriff der Serben. Schicksal einer Vertriebenenfamilie in Italien. Bewegende und interessante Beschreibung des Lebens einer Flüchtlingsfamilie


Beschrieben wird in diesem Roman das Leben der Ich-Erzählerin Aida die im Alter von 6 Jahren mit ihrer schwangeren Mutter in letzter Minute vor den „ethnischen Säuberungen“ der Mörderbanden der serbischen Nationalisten, zunächst zur Grenze und dann mit dem dort wartenden Vater, nach Italien flieht.

Dort angekommen ähnelt die weitere Familiengeschichte von außen betrachtet derjenigen von Millionen Migranten. Ankommen, Arbeit finden, malochen, Geld nach Hause schicken und den Traum einer Rückkehr erst nach Jahrzehnten aufgeben.

Doch diese Familie ist durch die Flucht traumatisiert und die Traumatisierung dauert an, da sie von der Ferne hilflos erfahren müssen, wie ihre Verwandten, Freunde und Bekannten nach und nach verschwinden, vergewaltigt und ermordet werden.

Die Mutter zieht sich in sich zurück, der Vater in den Rhytmus von schuften und schlafen.

Kaum gerettet und in Italien in Sicherheit angekommen wird ein Schaf gekauft und nachdem man es eine Weile versorgt hat, wird ihm im Rahmen eines stumpfsinnigen und dummen „Ritus“ anläßlich des muslimischen „Opferfestes“ die Kehle durchgeschnitten. Was für ein fragwürdiges Opfer wird da erbracht, wenn man das Leben eines anderen Lebewesens opfert.

Für mich persönlich war das eine der aufschlußreichsten Szenen in diesem Roman, obwohl ich mir ziemlich sicher bin, daß sich die Autorin dessen gar nicht bewußt ist. Es war eine mögliche Antwort auf die Frage, warum Gott all die Grausamkeiten zuläßt , die Menschen sich gegenseitig antun. Vielleicht ist es ja tatsächlich so, daß Gott alle Lebewesen, die er erschafft, gleichermaßen liebt und, daß mit jedem Menschen der zu Tode kommt, die Leben all der Tiere gerettet werden, die dieser Mensch im weiteren Verlauf seines Lebens noch getötet hätte oder töten hätte lassen.

Aida erlebt das Schicksal vieler Mädchen in muslimischen Familien. Obwohl die Familie liberal ist, hat Schulbildung keine Wichtigkeit, erst recht nicht für ein Mädchen und man geht ja eh bald zurück.

Einziger Sonnenstrahl in diesem von Tristesse und Lieblosigkeit geprägten Familienleben ist der kurz nach der Ankunft in Italien geborene Bruder Ibro. Doch auch dessen Existenz kann ihre ganz normalen emotionalen Bedürfnisse nicht ausgleichen.

So rettet sich Aida zunehmend zu einem zu Freunden gewordenen kinderlosen italienischen Ehepaar, welches der Familie seit ihrer Ankunft im Rahmen ihrer Möglichkeiten hilft. Diese haben Aidas Potenzial erkannt und unterstützen sie bei ihrem Medizinstudium.

Aida hat es mit Fleiß am Ende bis zur Fachärztin geschafft und das Buch schildert beispielhaft, wie mangelnde Aufmerksamkeit, wie sie Mädchen in muslimischen Familien oft entgegengebracht wird, zu Auslöser und Triebfeder für beruflichen Ehrgeiz und Erfolg werden kann, da es die einzige Möglichkeit ist, der Familienstruktur zu entfliehen.

Auch der brüchige Frieden, der nach all dem Grauen und Gemetzel des als Jugoslawienkrieg bezeichneten Krieges, erreicht wurde, hat nicht zur vollständigen Rückkehr der Familie in die Heimat geführt.

Diesem Bildungsroman per definitionem gab die Autorin eine interessante Struktur.

Beschrieben werden in 4 Abschnitten jeweils 1-2 Jahre. Dann noch ein Epilog. Zwischen den Abschnitten macht die Autorin einen Zeitsprung von jeweils 10 Jahren. Aida ist in den jeweiligen Abschnitten also etwa 6 Jahre alt, dann 16, 26 und 36.

Diese Konstruktion ermöglicht es der Autorin die wesentlichen Lebensabschnitte der Protagonisten zu beschreiben und den Roman nicht zu sehr ausufern zu lassen.

Ich hätte mir aber gewünscht, daß dies den Lesenden in einem Vorwort kurz erklärt wird.

Das Buch ist in viele kleine, teilweise nur eine Seite umfassende Kapitelchen gestückelt und so empfand ich den Erzählstrang weniger wie einen Film, sondern eher wie ein Fotoalbum mit vielen Polaroidfotos.

Der Stil ist mehr ein beschreibender, als ein poetischer und wenn die Autorin immer wieder mal ein oder zwei philosophische Erkenntnisse einstreut, dann klangen diese für mich meist ein wenig deplatziert.

Dennoch haben mich einige ihrer Formulierungen und Feststellungen zu Tränen gerührt oder mit offenem Mund (entsetzt) sein lassen.

Vielleicht liegt mein etwas kritischer Ansatz den Stil betreffend auch daran, daß ich vor diesem Buch die Suite Française von Irène Némirovsky gelesen habe. Ein literarisches Meisterwerk, das im Prinzip ein ähnliches Thema hat. Auch Flucht und Vertreibung, aber in Frankreich zur Zeit des Überfalles der deutschen Nationalsozialisten auf das Land. Nemirovsky’s Buch ist ein Meisterwerk und der Stil der Autorin zieht den Leser mit sich, wie ein reißender Strom.

Im vorliegenden Buch dagegen hatte ich mehr das Gefühl mich auf einem Kiesweg selbst voranbringen zu müssen.

Die direkte Rede in diesem Buch war für mich problematisch, denn bis auf Ibro, den Bruder der Hauptfigur Aida, läßt die Autorin alle Figuren in der gleichen Weise sprechen und selbst die Mutter, die weder lesen noch schreiben gelernt hat, drückt sich, wenn sie mal etwas sagt, gebildet aus. Da hätte ich mir mehr Mühe der Autorin gewünscht, die Sprache der Figuren ihrer Beschreibung anzupassen.

Ich liebe Bücher in denen die direkte Rede überhaupt nicht vorkommt, wie z.B. bei Zeruya Shalev.

Wenn man als Autor die direkte Rede verwendet, dann muß man aber auch jeweils dazu schreiben, wer jetzt diesen bestimmten Satz geäußert hat, wenn das nicht klar zu erkennen ist. Ansonsten ist der Leser ständig mit unnötiger Zuordnung beschäftigt und erstmal verwirrt.

Das ist zum Beispiel einer der Gründe, warum ich mich als Leser dieses Buches stellenweise wie ein ungebetener Gast gefühlt habe, dem man es nicht allzu bequem machen will, damit er sich nicht bei einem festsetzt.

Ein weiteres Beispiel für dieses Gefühl als Leser ist, daß zwar die erste pubertäre zaghafte Annäherung an einen Jungen im Teenageralter ausführlich beschrieben wird, dann aber nichts mehr kommt und einem kurz vor Schluß dann ein Ehemann präsentiert wird, mit dem man schon Jahre zusammen ist. Damit fühlt man sich als Leser vom Geschehen ausgeschlossen und vor den Kopf gestoßen.

So sind die ersten beiden Drittel des Buches zwar interessant, aber ein wenig holprig, doch dann, als es um die Problematik mit ihrem Bruder Ibro geht, zeigt die Autorin mehr Talent und man fühlt sich einbezogen und mitgenommen.

Ein wenig mehr Recherche hätte dem Buch auch gut getan. Entsetzt war ich zu lesen, daß die Flüchtlingsfamilie das stehengelassene Abendessen ins Klo geschüttet haben soll. Derartiges würde eine muslimische Familie wie diese niemals tun.

Ein durchaus lesenswerter Roman, wenn man nicht allzu große stilistische Ansprüche stellt, mit einer geradezu beklemmenden Aktualität, da die serbischen Nationalisten in den Jahren 2023/2024 durch den Angriffskrieg des Diktators des russischen „Brudervolkes“ wieder Auftrieb verspüren Ihre großserbischen Machtphantasien mit Gewalt durchzusetzen.

Auf jeden Fall hätte das Buch eine weniger fade und nichtssagende Covergestaltung durchaus verdient.

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