Tschabua Amiredschibis Roman im Stil eines Volksbuchs erzählt die Geschichte des georgischen Volkshelden und Gesetzlosen Data Tutaschchia. Von dessen Leben ist der Chef der Kaukasischen Gendarmerie, Graf Szegedy, von Amts wegen Datas Feind und Verfolger, so beeindruckt, dass er ein Buch über ihn schreibt. Dieses – später aufgefundene – Manuskript bildet das Rückgrat der Konstruktion des Romans, der in vier Bücher aufgeteilt ist. Das erste Buch führt in die Geschichte des ehrbaren Räubers Tutaschchia ein. Graf Szegedys Manuskript wird ergänzt von den Stimmen jener Menschen, die Tutaschchia eine Zeitlang begleitet haben. So entstehen viele authentisch klingende Episoden und Abenteuer, in denen stets Tutaschchia im Mittelpunkt steht. Ihm gegenübergestellt ist sein Alter Ego aufseiten der Strafverfolgung, nämlich sein Vetter Muschni Sarandia, der von ähnlicher Verstandesbegabung ist wie Tutaschchia, aber in den Staatsdienst geht. Es soll sich darin womöglich zeigen, dass es nicht nur ausreicht, persönlich integer zu sein, sondern dass man auch sorgsam auswählen muss, in welcher Sache Dienst man sich stellt.
Das zweite Buch folgt dem Muster, nun aber geht es vermehrt um das Thema „Moral“, so dass manche Episode den Charakter eines „Exempels“ trägt, eines Lehrstückes. Tutaschchia ist ein durch und durch moralischer Mensch, eine „edler Räuber“ und erinnert manchmal an Robin Hood oder Kara ben Nemsi. Was ein „Abrage“, ein Gesetzloser, ist, wird unmittelbar zu Beginn des zweiten Buchs erklärt: Er wird vom Volk sowohl gefürchtet wie verehrt, vielleicht weil er sich die Freiheit nimmt und den Autoritäten trotzt (S. 147). Tutaschchia allerdings ist bisweilen von den Menschen enttäuscht und von der Wirkung seiner guten Taten erschreckt, die nämlich häufig zur Katastrophe führen. Das führt zur Vereinzelung Tutaschchias, der an seinem Dasein als Gesetzloser auch schätzt, mit keinem Menschen verbunden zu sein und gleichzeitig allen – dem Volk. Überhaupt geht es im zweiten Buch sehr viel um das Volk Georgiens und seiner historischen Herkunft sowie seinem von den Geschicken bestimmten Wesen. Den Stimmen des zweiten Buches ist gemeinsam, dass sie den Zustand Georgiens in der Klammer des Zarenreiches beklagen. Dem Volk sei die Liebe entzogen worden: „Die Liebe zur Freiheit, zur Heimat, zum Staat.“ (S. 225) Ausgerechnet in einem Abragen wie Tutaschchia aber scheint sich diese Dreifaltigkeit zu manifestieren. In einem zentralen Gespräch beim Gesetzlosen und Wirt Gogi werden diese Ansichten eines nationalen Aufbruchs thematisiert: „Wohl keine zwei Dinge bedingen einander so sehr wie die Moral des Einzelnen und die Geschicke seines Volkes.“ (S. 231). Wer ist dieser einzelne? Jedermann? Tutaschchia?
Im dritten Buch verlegt sich der Schwerpunkt der Handlung auf Tutaschchias Vetter Sarandia und dessen Karriere im Staatapparat. Es wird verdeutlicht, wie der Weg nach oben den Mann mit denselben edlen Anlagen letztlich korrumpiert. Seine Kniffe und Tricks entbehren dabei nicht der Heimtücke. Sarandia allerdings meint, man müsse der Moral mit „Hinterlist und Böswilligkeit“ auf die Sprünge helfen (S. 462) und verkennt dabei, dass die Moral auf diesem Weg bereits auf der Strecke geblieben ist. Angesichts von Sarandias moralischem Offenbarungseid ringt auch Graf Szegedy um die richtige Position eines gerechten Menschen gegenüber dem Staat und dem Zaren auf der einen und dem edlen Gesetzlosen, der dem Volk dient, auf der anderen Seite. Es ist deutlich, dass Tutaschchia mit seiner Haltung zwar ein Ende finden muss, aber aufrecht stirbt, wohingegen Sarandia buchstäblich dahinsiecht. Wer die Wahrheit verdreht um der Wahrheit willen, dient ihr schlecht. So lobt er: „Ich glaube, dass Dienste zur Verbreitung von Gerüchten eine großem Zukunft haben, sie werden die mannigfaltigsten Formen annehmen; ich sehe es schon kommen, das Zeitalter der massenhaft betriebenen geistigen Sabotage.“ (S. 417) Auch wenn sich diese Feststellung auf den Kalten Krieg bezieht, erweist sich der Autor Amiredschibi geradezu höchstaktuell.
Das vierte und letzte Buch beginnt mit einem Fremdkörper innerhalb des abenteuerlichen Heldenbuches, denn es widmet sich der Zeit Tutaschchias im Gefängnis. Hier nimmt die Geschichte unmittelbares Zeitgeschehen auf, nämlich die unruhigen Jahre vor der Oktoberrevolution. Schon ab 1905 recken sich die Roten Fahnen in die Höge, weshalb ihre Träger als politische Gefangene reihenweise in die zaristischen Gefängnisse wandern. Tutaschchia flankiert hier einen Gefängnisaufstand und die Selbstorganisation der Gefangenen, ohne sich einer Gruppe richtig anzuschließen – das wäre nicht seine Art als heldenmütiger Einzelgänger. Mag dem Autoren diese Episode besonders wichtig gewesen sein – immerhin saß Amiredschibi als politischer Häftling hinter Gittern –, das Politische scheint nicht zum archaischen Helden Tutaschchia zu gehören. Zum Ende des vierten Buches kehrt der Roman zu seinen Anfängen zurück und findet seinen Ton wieder.
Nur Data Tutaschchia betrachtend, dient das erste Buch dazu, ihn als edel und menschlich zu charakterisieren und seine lebenslange Flucht zu begründen. Im zweiten Buch zieht er aus dem Übel, das aus seinen guten Taten entwächst, den Schluss, sich lieber völlig herauszuhalten und gar nichts zu unternehmen, wobei dies seinem Ruf erheblich schadet. Im dritten Buch sieht sich Tutaschchia uneinig darüber, wo er sich in der Gesellschaft verorten soll, und gerät auf der Suche nach „dem bürgerlichen Georgier“ in einer Reihe philosophischer Gespräche, um im vierten Buch letztlich zu erkennen, dass man das Schlechte in der Welt nur bekämpfen kann, indem man Gutes tut.
Fazit
Das episodenhafte Erzählen sorgt dafür, dass die Gesamthandlung immer wieder Pirouetten dreht und nur Langsam vorankommt. Das ruft den leisen Verdacht hervor, dass das Buch eigentlich zu lang ist. Verwirrend sind freilich die vielen Namen, insbesondere wenn Vor- und Nachname die Zehn-Silben-Grenze durchschlagen. Dabei sind manche der auftauchenden Figuren auch in späteren Episoden bedeutsam: Die starken Episoden um Data Tutaschchia nämlich spielen immer eine Rolle, werden aus anderer Sicht neu erzählt und fortgeschrieben. Das verleiht der Handlung einen roten Faden.
Der Roman ist lang und besitzt Längen. „Kürze vermag das Wesentliche zu entstellen“, heißt es aus Seite 450; Länge aber auch. Im vierten Buch scheint auch die Entstehungszeit der Geschichte hindurch – konzipiert in den 1960er Jahren, veröffentlicht 1975. Dem Autoren Amiredschibi ist es darum gelegen, die Stellung des Einzelnen im Kollektivstaat darzulegen sowie Georgiens innerhalb des Sowjetreichs. Da er schon zuvor bei den sowjetischen Autoritäten angeeckt ist, drückt er sich klausuliert aus, bisweilen sogar in der Sprache des Kommunismus. Das ist ermüdend und nicht mehr aktuell. Die Geschichte des Helden hingegen, der sein Schicksal annimmt und ihm trotzt, ist überzeitlich und unbedingt lesbar. Lob hier an die Übersetzerin Kristiane Lichtenfeld, sie hat ein ansprechendes Deutsch gefunden. Ein Namensverzeichnis wäre hilfreich gewesen.
Kurzum: eine Leseempfehlung für alle, die Heldengschichten lieben und das Wesen der kaukasischen Völker verstehen wollen.