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Veröffentlicht am 16.08.2017

Alle treiben in unterschiedliche Richtungen davon

Als wir unbesiegbar waren
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Das Ende des Studiums, die schier unbegrenzte Zahl an Möglichkeiten und die eine, die ergriffen wird und mit der man aus seinem Leben etwas machen möchte - das ist die Zeit, „Als wir unbesiegbar waren“. ...

Das Ende des Studiums, die schier unbegrenzte Zahl an Möglichkeiten und die eine, die ergriffen wird und mit der man aus seinem Leben etwas machen möchte - das ist die Zeit, „Als wir unbesiegbar waren“. Ein treffender Titel für den Aufbruch am Ende der Kindheit und am Rande des Erwachsenenlebens, wo noch alles unscharf ist, alles Verheißung und erreichbar.

Alice Adams‘ Debütroman begleitet vier Briten aus der Generation X (geboren in den 1970ern) von diesem magischen Moment an in die Welt: das gutaussehende Geschwisterpaar Lucien und Sylvie, denen die Leichtigkeit gegeben ist, die ihrer vaterlosen Kindheit fehlte, Benedict, der handfest weiterstudiert und seine bodenständigen Wissenschaftstraum des promovierten Physikers verfolgt, und schließlich die zurückhaltende Eva, die dem sozialistischen Elternhaus entflieht und in der City of London als Brokerin das große Geld machen möchte. Alle vier sind zudem durch ein Geflecht der Gefühle miteinander verbunden, insbesondere Eva mit Benedict und Lucien. Die Lebensläufe der vier erleben von 1995 bis 2015 zum Teil dramatische, zum Teil vorhersehbare Wendungen, wobei die Autorin offensichtlich zeigen möchte, „wie das Leben so spielt“.

Der Roman springt von Kapitel zu Kapitel in der Zeit, mal wenige Tage, meist Monate, bisweilen Jahre. Der erzählerische Mittelpunkt liegt bei Eva, die eine grundlegende Wandlung von der eher grauen Maus zum erfolgreichen Finanzhai und zurück in ein soziales Leben durchmacht. Die Erlebnisse der vier sind kaum überraschend und ernüchternd: Lucien fällt mit seinem Partydasein ganz tief, Sylvie gelingt es erst spät, sich von ihrem Traum als gefeierte Künstlerin zu lösen, Eva vermisst in ihrem Lebend das Menschliche und eine Familie und Benedict, der es von allen am besten schafft, beruflich ans Ziel zu kommen, gerät privat in eine ungeliebte Ehe. Die Autorin scheint gewillt zu zeigen, dass man auf sein Herz hören, aber dennoch einen anständigen Beruf ergreifen sollte.

Die Stärken des Romans

In der ersten Hälfte lernt man die vier Protagonisten kennen und wiedererkennt auch die eigenen Lebensentscheidungen, die jedem Menschen in bestimmten Jahren seines Lebens auferlegt werden. Gespannt verfolgt man die Entwicklungen, wobei klar ist, dass die Autorin mehr möchte, als nur die lapidare Erkenntnis zu transportieren: „So ist das wohl, wenn man erwachsen wird. Alle treiben in unterschiedliche Richtungen davon.“ (S. 100)

Die Figuren und die Handlungsstränge tragen, weil man eine große Sympathie für die vier entwickeln kann - vor allem für Eva und Sylvie, selbst wenn die Persönlichkeiten nicht in allen Bereichen Nähe zulassen. Der Erzählduktus ist flott, die Sprache gefällig.

Die Schwächen des Romans

Die abrupten Zeitsprünge zwingen den Leser fast immer, zum letzten Kapitel zurückzublättern und zu überprüfen, wie viel Zweit diesmal vergangen sein soll. Die Perspektivwechsel zwischen den vier Charakteren sind nicht immer gelungen: Statt jede Entscheidung bis ins letzte Detail in den wechselnden inneren Monologen vorgekaut zu bekommen, wäre eine auktorial erzählte Handlung bisweilen eleganter, weil sie bei der Lektüre das Mitdenken, Mitentdecken und Mitfiebern erleichtern würde. Der Stil gerade der inneren Monologe ist alles andere als subtil: Alles liegt offen da und verhindert Interpretationen und alternative Lesarten.

Fazit

Dass die Handlungen auf ein Happy End gebürstet werden, stört kaum, sondern erfüllt die Erwartungen, die durch die Sympathie geweckt wurden. Nicht übermäßig lang, ist „Als wir unbesiegbar waren“ eine empfehlenswerte Sommerlektüre über das Sehnen, Hoffen und Leben der Generation X.

Veröffentlicht am 16.08.2017

„Unterschiedlich ist nur die Größe der Blase“ - oder wie man anspruchsvoll scheitert

Swing Time
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Alles beginnt mit dem Ende: Die Erzählerin, deren Namen nie genannt wird, verliert publikumswirksam ihren Job als persönliche Assistentin eines Superstars der Musikindustrie und steht kurz im Rampenlicht ...

Alles beginnt mit dem Ende: Die Erzählerin, deren Namen nie genannt wird, verliert publikumswirksam ihren Job als persönliche Assistentin eines Superstars der Musikindustrie und steht kurz im Rampenlicht öffentlicher Schaulust. Der Druck durch die Gaffer erhöht sich durch ein Video aus Kindertagen, das die Erzählerin und ihre beste Freundin Tracey veröffentlicht: „Jetzt weiß endlich jeder, wer du wirklich bist“, ist der gehässige Kommentar. Nach diesem Prolog entwickelt sich die Erzählung, die genau der Frage nachgeht: Wer ist sie denn eigentlich wirklich? Wie wurde sie, was sie ist? Und wie sind die anderen? Es geht um die jeweilige Wahrnehmung, um die „Blase“, in der sich der Einzelne befindet, jeder in seiner. „Unterschiedlich ist nur die Größe der Blase“, in der man seine Welt einrichtet und die so verletzlich schimmert: „Die dünne Außenhaut der Blase.“ (S. 620)

Sieben Kapitel in kurzen Szenen geben die zwei Geschichten der Erzählerin in sich abwechselnden Episoden wieder: die Kindheit und ihr Verhältnis zu Tracey sowie die zehn Jahre vor dem Eklat, die sie bei der Sängerin Aimee verbringt und in ihrem Weltverbesserungsprojekt in Afrika. Die Erzählerin entstammt der Ehe einer engagierten Schwarzen aus Jamaika und einem passiven Weißen aus London, gilt also in der Schule und dem Studium als Schwarze, als Migrantin. In Afrika hingegen wechselt ihre Identität: Sie wird als weiße wahrgenommen. Die Zeiten und Personen sind verbunden durch Tanz: Swing Time ist ein Roman über tänzerischen Ausdruck und Körperlichkeit. Seinen Namen hat sich der Roman aus dem Tanzmusical „Swing Time“ von 1936 mit Fred Astair entliehen, über den die namenlose Erzählerin nachdenkt und die Autorin Zadie Smith zu Wort kommt, indem sie Programm des Romans liefert, das einen großen Bogen aufmacht:

„Ging es in allen Freundschaften - in allen Beziehungen - um einen (…) Austausch von Qualitäten, einen Austausch von Macht? Ließ sich das auch auf Völker und Nationen ausdehnen, oder war es etwas, das nur zwischen Einzelpersonen stattfand? Was gab mein Vater meiner Mutter - und umgekehrt? (…) Was gab ich Tracey? Was gab Tracey mir?“ (S. 171)

Die gefeierte englische Autorin Zadie Smith wird oft als „Stimme der Migranten“ wahrgenommen, weil sie mit viel Gefühl, Sachverstand und Erfahrung das Thema „fremd daheim“ immer wieder ins Zentrum ihrer Texte stellt. Selbst Tochter einer Jamaikanerin und eines weißen Engländers aus dem armen Norden Londons, erzählt sie immer wieder auch ihre Geschichte als Kind zweier Hautfarben. In „Swing Time“ spricht Smith große Themen an: Identität, Freundschaft, Rassenproblematik, Armut, Einfluss von Reichtum und/oder Geld, Emanzipation, Bildung, Schaden und Nutzten von Entwicklungshilfe etc. Wem die Aufzählung zu lang vorkommt, hat das Problem erfasst, das ich mit „Swing Time“ hatte: Zadie Smith wollte zu viel, erklärte zu viel, redet zu viel.

Der Eindruck der Geschwätzigkeit wird durch die Ich-Perspektive verursacht: Die Erzählerin berichtet nicht nur chronologisch über ihr Leben, sie reflektiert auch andauernd die Episoden, Momente und Erlebnisse, die sie referiert. Oft werden sie in größere Kontexte gestellt, Gedanken ausgeführt, das Übergeordnete angesprochen oder das Vergleichbare angeführt. Beim Lesen entsteht immer wieder das Gefühl, eigentlich noch über einen Satz nachdenken zu wollen, eigentlich noch verstehen zu wollen, während der Erzählfluss weiterströmt und die ganze Reflexion mit sich reißt. Im Erzählpogramm zu „Swing Time“ führt die Erzählerin angesichts der Darstellkunst Fred Astairs und seiner Selbstreflexion aus:

„(…) dass es nämlich vor allem darauf ankam, sich selbst wie jemand Fremdes zu behandeln, unabhängig und unvoreingenommen in Bezug auf sich selbst zu bleiben.“ (S. 171)

Das versucht die Erzählerin fortwährend, und man möchte ergänzen: leider. Obwohl sie ständig präsent ist, bleibt die Hauptperson unfassbar und unpersönlich, Sie ist bis zum Ende „jemand Fremdes“, und deshalb stellt sich unaufgefordert ständig die Frage: Warum soll ich das lesen? Was interessiert mich das Schicksal der Erzählerin ohne Namen oder das Traceys mit ihrer kaputten Persönlichkeit oder ihrem kaputten Hintergrund? Warum?

Am Ende enttäuscht das Buch, obgleich es flüssig geschrieben ist, weil es hinter seiner Geschwätzigkeit vermuten lässt, dass es an seinem großen Anspruch gescheitert ist.

Veröffentlicht am 16.08.2017

Fair-trade Drogen?

Die Lieferantin
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London im Jahre 2019: Nach dem Brexit ist das englische Wirtschaftsystem in Schieflage geraten, die Stimmung schlägt in Richtung „England den Engländern“ aus, und rassistische Extremisten in den rotweiblauen ...

London im Jahre 2019: Nach dem Brexit ist das englische Wirtschaftsystem in Schieflage geraten, die Stimmung schlägt in Richtung „England den Engländern“ aus, und rassistische Extremisten in den rotweiblauen Farben des Union Jacks tragen die Gewalt auf die Straße und gehen gegen „Ausländer“ vor. In dieser leicht dystopischen Zukunft entwickelt Ellie ein herausragendes Geschäftsmodell im Drogenhandel: Sie liefert im Darknet bestellten feinsten Stoff per Drohne - schnell, sauber und zu fairen Preisen. Das kann der alteingesessenen Rauschgiftkamarilla nicht genehm sein: Sie macht Jagd auf „die Neue“ und kreist Ellie langsam ein. Auslöser der Jagd ist der Tod Gonzos, eines Laufburschen einer der Mafiafamilien: Eher aus Versehen wird er, als er wieder auf eigene Rechnung seine Kühe melken will, von einem Gastronomen getötet und stilecht einbetoniert, der einfach nicht mehr zahlen kann.

Die Stärke des Romans ist der ausgeklügelte Was-passiert-dann-Aufbau der Handlung: Ausgehend von Gonzos Good-bye-Vorstellung entwickelt sich eine Kaskade von Folgehandlungen, die in einem politisch heißen Straßenkampf und einer Regierungskrise mündet. Auf der Ebene der handelnden Personen spitzt sich die Konkurrenz zwischen Ellie und den Mafiaclans zu, Ellies Kontakte werden eingeschüchtert und sogar ermordet, die Mafiosi ergreifen immer härtere Methoden, die sogar vor der Bedrohung von Kindern nicht halt macht.

Ebenfalls gelungen ist das politische Panorama, das die Autorin für die Zeit nach dem Brexit entwirft: Die aufgeladene Atmosphäre, die sozialen Spannungen, der aufgestaute Rassismus, die hektischen Politmanöver der herrschenden Nomenklatura können so oder so ähnlich erwartet werden. In einem solchen „Conservative Turn“ ist eine Kampagne zur absoluten Verdrängung von Drogen aus der Legalität, d.h. eine harsche Law-and-Order-Repression sehr gut denkbar. Der „Druxit“, der Streetworker wie Mafiosi gleichermaßen umtreibt, ist ein gelungenes Instrument, einerseits die Handlung zu motivieren, andererseits das dystopische Panorama zu dynamisieren.

Was heißt eigentlich Druxit? Dass ich erst nach etwa einhundert Seiten auf die Lösung kam, hat nicht nur mit meiner Begriffsstutzigkeit zu tun, sondern auch mit der Tendenz der Autorin, vieles im Unausgesprochenen zu lassen. Der Leser kann nicht ahnen, dass Ellie nicht nur ein geldgeiler Drogenboss ist, die mittels überlegener Technik die archaischen Schlägertypen der Mafia aus dem Geschäft drängen will, sondern vor allem handelt, um den Streetworkern ihre Arbeit zu finanzieren, der Anti-Druxit-Kampagne Geldmittel zu verschaffen und schließlich ihr Gewissen zu beruhigen, auf dem der Drogentod ihre Bruders lastet.

Langsam schält ich die Motivation hinter „der Lieferantin“ heraus, und siehe da: Der tote Bruder ist unschuldig in Not geraten, auf die schiefe Bahn gekommen und schließlich an schlechtem Zeug verreckt. Auch bei anderen Sympathieträgern des Romans ist der Tenor „unschuldig in Not geraten“; oder der Lieferant der Lieferantin ist ein Polizeispitzel, der an Leute, die er sympathisch findet, astreinen Stoff liefert, ohne die Behörde zu informieren. Das ist so platt wie fragwürdig. Denn es scheint, dass diese Hintergründe notwendig sind, um Ellies illegales Geschäft zu einer Art „Fair-trade-Drogenhandel“ zu gestalten, der irgendwie nicht so schlimm ist. Wie Robin Hood trägt Ellie ihre Gewinne ja auch in gemeinnützige Kampagnen und bereichert sich nicht selbst (ihre Zwischenhändler tun es allerdings). Über allem schwebt der politische Grundgedanke, es sei „nicht Sache der Regierung, erwachsenen Menschen vorzuschreiben, was sie mit ihren eigenen Körpern anstellten.“ (S. 56) Ellie versteigt sich sogar zu der agitatorischen Phrase, es gehe nicht ums dicke Geld, sondern „um die Sache. Um die Freiheit. Darum, dass erwachsene Menschen zugestanden werde, Entscheidungen für sich zu treffen, nachdem sie sich informiert hatten und wussten, welche Risiken sie eingingen.“ (S. 56)

Das ist freilich eine politische Gretchenfrage, mit der auch steht und fällt, ob man die Protagonistin des Romans annimmt oder ablehnt. Wenn man nicht für die Legalisierung von Drogen ist, hat man seine Schwierigkeiten, mit Ellie mitzufiebern.

Diese Grundfrage schwächt meinen Leseeindruck erheblich, hinzu kommen die oben erwähnten verkürzten Darstellungen oder verspäteten Erläuterungen, die einem die Annäherung an andere Figuren erschweren, weil sie blass oder schablonenhaft bleiben, um nicht das böse Wort Klischee zu verwenden.

Alles in allem also ordentliche Unterhaltung mit Brexitwürze und einer tollen Handlungskaskade, aber gewiss nicht jedermanns Sache.

Ach ja: „Druxit“ = Drugs + Exit.

Veröffentlicht am 16.08.2017

treffen sich zwei Gottesmörder

Und Marx stand still in Darwins Garten
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Ilona Jerger ist es gelungen, uns hinter Darwins Stirn blicken zu lassen und Marx husten zu hören – in einem feinsinnigen, humorvollen und hintergründigen Roman über zwei Ikonen der Geisteswelt des 19. ...

Ilona Jerger ist es gelungen, uns hinter Darwins Stirn blicken zu lassen und Marx husten zu hören – in einem feinsinnigen, humorvollen und hintergründigen Roman über zwei Ikonen der Geisteswelt des 19. Jahrhunderts. Darwin und Marx waren zwei wirkungsmächtige Denker und stehen am Anfang einer wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung der Moderne. Und sie lebten zur gleichen Zeit nur wenige Kilometer entfernt in London und wussten vom jeweils anderen.

„Und Marx stand still in Darwins Garten“ ist zwar erst eine Szene der Seite 191, doch man sehnt sich ihr vom ersten Moment entgegen. Es ist vor allem Darwin, den der Roman begleitet. Der Naturforscher ist alt, seine Gebrechen sind zahlreich, und der Tod kündigt seine baldige Visite an. Doch der rastlose Forscher kann nichts außer arbeiten, beobachten, dokumentieren und experimentieren: So viel zu tun, so viel zu entdecken und so wenig Zeit! Darwins letztes Jahr legt sein Wesen in Dialogen mit seiner Frau Emma dar, in Darwins Begegnungen mit seinen Bediensteten und vor allem mit seinem Arzt Dr. Beckett. Diese Figur ist – als gebildeter und aufgeklärter Geist – womöglich mehr als nur das Bindeglied zwischen Darwin und Marx; vielleicht geben seine Gedankengänge, Vergleiche und Schlussfolgerungen auch die Persönlichkeit der Autorin wieder. Wenn Darwin im Gespräch mit Beckett die Erkenntnisse aufschlüsselt, die ihm die Rankenfüßer über die Evolution und die Entstehung der Arten entdeckten, dann zeigt sich die Stärke Jergers, die komplexen Theoreme Darwins in romantaugliche Dialoge zu gießen. Und wenn Beckett seinerseits die darwinsche Methode des exakten wissenschaftlichen Vergleichs von Ähnlichkeiten und Unterschieden auf die Werke Darwins und Marx‘ anwendet, sie auf die Gemeinsamkeiten bringt, dann erschließt sich die thematische Auswahl des Romanthemas fast zwingend: Natürlich – so denkt man beim Lesen – muss man sich ein Zusammentreffen der beiden Geistesgrößen vorstellen! Man will es!

Eine der Gemeinsamkeiten ist zugleich ein Urthema des Menschen, die Gretchenfrage schlechthin: Wie halten sie’s mit Gott? Darwin und Marx galten beide als Gottesmörder: Die Evolution machte einen Schöpfer überflüssig; Marx‘ Kommunismus stempelte die Religion zum Opium fürs Volk. Die denkwürdige Tischgesellschaft, zu der Marx und Darwin aufeinandertreffen, umkreist den Atheismus, doch packt sie ihn nicht. Oder um es mit dem Augenzwinkern Darwins zu sagen: „Die einen konnten schlecht Englisch. Die anderen schlecht Deutsch. Schließlich ist unser Priester vom Stuhl gekippt.“ (S. 210)

Darwins Charakter, seine Eigenheiten, seine Dünkel und sein Humor sind liebevoll und feinsinnig gezeichnet. Die Persönlichkeit hinter der historischen Figur wird in ihrer Abgeklärtheit und Weisheit zum großen Sympathieträger des Romans, in dem lediglich der Exkurs ins Chile des Jahres 1835, als Darwin mit der Beagle einem Vulkanausbruch beiwohnt, etwas störend wirkt.

Die anderen Sympathieträger sind die Rankenfüßer, die Bohnenpflanzen und vor allem die Regenwürmer, die in Darwins kindlichem Forscherdrang zu possierlichen Wegbereitern großer Ideen wachsen.

Stilsicher und humorvoll ist dieser Roman gelungen. Die Schwere der Werke der beiden vermeintlich monumentalen Säulenheiligen wird in leichten Szenen, instruktiven Gedanken und lesenswerten Dialogen aufgelöst.