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Veröffentlicht am 11.03.2017

Was hätte Mademoiselle gesagt

Madame Cléo und das große kleine Glück
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Madame Cleo lebt in Berlin in recht „beengten“ Umständen. Ihre Tage als gefeiertes Model für Coco Chanel sind Jahrzehnte vorbei, aber die Eleganz und den Stil hat sie sich bewahrt. Wobei sich ihre Eleganz ...

Madame Cleo lebt in Berlin in recht „beengten“ Umständen. Ihre Tage als gefeiertes Model für Coco Chanel sind Jahrzehnte vorbei, aber die Eleganz und den Stil hat sie sich bewahrt. Wobei sich ihre Eleganz und ihr Stil sich nicht allein in der Kleidung spiegelt, sondern in ihrem Charakter Sie gibt Französischstunden um einigermaßen über die Runden zu kommen. Nachdem eine grundlegende Sanierung des Altbaus ansteht, droht auch eine gewaltige Mieterhöhung, die für Madame Cleo nur durch die Aufnahme von einem Untermieter zu stemmen ist.
Das Schicksal schickt ihr Adamo mit seiner kleinen Tochter Mimi ins Haus. Adamo, ein Süditaliener wie er im Buch steht und die altkluge und liebenswerte kleine Mimi wirbeln Cleos Leben durcheinander. Vor allem als Mimi im Park einen Rucksack mit sehr viel Geld findet. Blutgeld, wie sie bald erfahren, sollen sie das Geld wirklich zur Polizei bringen um dem Eigentümer noch den Gewinn aus seinen üblen Geschäften zu sichern? Oder doch etwas Gutes damit tun?
Mimi und Madame Cleo haben eine wunderbare Idee und daraus erwächst ihnen ein Glück, an das sie nicht zu glauben wagten.
Eine zauberhafte Geschichte, deren Charme ich mich nicht entziehen konnte. Die Lektüre zauberte mir ein Lächeln auf’s Gesicht, ich habe mich über Stunden in diesem Zauber verloren. Mit Esprit wird die Vergangenheit zum Leben erweckt und Madame Cleo findet in jedem neuen Tag ein neues Glück. Die Wohngemeinschaft der Drei erweckte in mir fast den Wunsch ein Teil davon zu werden. Die Autorin verwebt in ihrem leichten, liebenswerten Ton ein modernes Märchen mit den heutigen Alltagsproblemen. Es ist meist Mimi, das kleine Mädchen, das sich mit ihren einfachen kindlichen Ideen über alle Probleme und Bedenken hinwegsetzt und der betagten Madame Cleo Lebensfreude zurückbringt und ihr das Gefühl einer kleinen Familie gibt.
Der Ausflug der Drei nach Paris um noch einmal Cleos Spuren ihrer Zeit als Mannequin der großen Coco Chanel folgen, bringt eine Wende, die Madame Cleo nicht erwarten konnte.
Natürlich darf in einem Märchen die gute Fee nicht fehlen, auch wenn Mimi und Cleo sie beinahe verpasst hätten. Mit dieser Fee findet die Geschichte auch ein zauberhaftes Happy End.
Ich habe diesen liebenswerten Roman sehr gern gelesen, er hat mich auf Stunden in eine andere Welt entführt. Ein Gute-Laune-Buch, das ich gern weiter empfehle.

Veröffentlicht am 06.03.2017

Ungesühnt

Der Mordfall Franziska Spiegel
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Franziska Spiegel, geborene Goldschmidt, eine Jüdin, lebt zurückgezogen mit Mann Gottfried und Sohn Rolf in Westfalen. Es ist der Familie bisher gelungen, die Mutter vor dem Zugriff der Nazis zu beschützen. ...

Franziska Spiegel, geborene Goldschmidt, eine Jüdin, lebt zurückgezogen mit Mann Gottfried und Sohn Rolf in Westfalen. Es ist der Familie bisher gelungen, die Mutter vor dem Zugriff der Nazis zu beschützen. Bis ein übereifriger Ortsgruppenleiter Franziska bei der SS denunziert und ihr Schicksal besiegelt. Am 4. November 1944 wird sie von SS - Leuten in einem nahegelegenen Waldstück erschossen.
Der Dorfpfarrer verweigert dem verzweifelten Witwer eine Beerdigung, mit Hilfe eines Bauern bekommt Franziska ein vorläufiges Grab am Waldrand.
Nach Kriegsende versucht Gottfried Spiegel die Mörder zur Verantwortung zu ziehen, allein Kriminalpolizist Zöllner ist an einer echten Aufklärung interessiert, aber er stößt auf eine Mauer des Schweigens und Desinteresse. Zöllner selbst hatte unter dem Regime zu leiden und erst nach dem Krieg wieder als Polizist arbeiten können, er geht allen Spuren nach, auch wenn er von seinen Vorgesetzten ausgebremst wird. Zeugen schweigen, werden eingeschüchtert und verschwinden, die Verantwortlichen leben längst wieder in gesicherten Verhältnissen und haben schon kurz nach der Entnazifizierung ihren Einfluss wieder gewonnen.
Man kann dieses Buch, das auf einer wahren, dokumentierten Begebenheit basiert nicht lesen ohne in einen Gefühlsstrudel gezogen zu werden. Entsetzen wechselt sich mit Wut ab.
Wütend wurde ich auf die Gleichgültigkeit der amtlichen Stellen, bei denen schon längst wieder die alten Seilschaften der Nazis das Sagen haben. Kaum jemand ist bereit sich der Vergangenheit zu stellen, es wird abgewiegelt und gebremst. Die karge, emotionslose Sprache, die Norbert Sahrhage für diesen wichtigen Roman gewählt hat, macht die Ungeheuerlichkeit der Vorgänge noch schockierender. Die Form bringt mir die Unmenschlichkeit des Nazi-Regimes und vor allem das willfährige Verhalten der Bevölkerung näher, als es eine trockene Dokumentation oder ein Geschichtsbuch könnte.
Ich halte das Buch für eine Pflichtlektüre vor allem auch für jüngere Leser, die keine Gelegenheit mehr haben, mit Augenzeugen oder Betroffenen zu sprechen.
Heute steht ein Gedenkstein an der Stelle, wo Franziska Spiegel ermordet wurde und die Gemeinde gedenkt ihr mit einem Straßennamen, eine kleine Geste der jetzigen Generation, wo die vorherige so bitter versagt hat.

Veröffentlicht am 05.03.2017

Ein Platz in der Welt

Der Mann, der Luft zum Frühstück aß
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Was passiert, wenn ein Mensch entwurzelt wird? Genau damit muss Walerian klarkommen. Benannt nach einem Beruhigungsmittel, hat sich seine Mutter in seinem ersten Lebensjahrzehnt nicht groß um ihn gekümmert. ...

Was passiert, wenn ein Mensch entwurzelt wird? Genau damit muss Walerian klarkommen. Benannt nach einem Beruhigungsmittel, hat sich seine Mutter in seinem ersten Lebensjahrzehnt nicht groß um ihn gekümmert. Er wächst im ländlichen Polen auf, doch dann entreißt ihn seine Mutter seinem bisherigen Leben. Sie nimmt den 12jähren mit nach Wien, wo er auch wieder auf sich selbst gestellt ist. In einem fremden Land, mit einer unverständlichen Sprache und fremder Mentalität.
Doch nach unentschlossenen Schulschwänzerjahren, wieder allein gelassen von der Mutter sucht er seinen Weg in ein eigentlich kleinbürgerliches Leben. Dabei meistert er viele skurrile Situation, die mich manchmal von weitem an einen modernen Schwejk erinnerten. Sicher auch durch die ganz besondere Wiener Mentalität, mit der Walerian sich erst anfreunden muss.
Wie immer gelingt es Radek Knapp mit wenigen, aber pointierten Worten eine ganze Welt zu erschaffen. Wie ein Wurzelloser eine neue Heimat findet, das erzählt er mit einer ironischen, augenzwinkernden Distanz. Der Autor tritt ganz hinter seinen Protagonisten zurück und hat lässt Walerian schnell ganz lebendig und echt werden.
Natürlich kann man das Buch auch ganz aktuell und zeitkritisch lesen, aber da die Geschichte schon einige Jahrzehnte früher angesiedelt ist, bleibt es jedem selbst überlassen, was er zwischen den Zeilen liest und aus diesem schmalen Bändchen mitnimmt.
Seit „Herrn Kukas Empfehlungen“ lese ich Radek gern und bin auch dieses Mal wieder begeistert.

Veröffentlicht am 04.03.2017

Lügengespinst

Tod in den Karawanken
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Andrea Nageles Bücher sind keine Krimis, deren Handlung sich in Mord – Spurensuche – Aufklärung erschöpfen. Sie schreibt psychologisch fein abgestimmte Dramen, die Menschen in Situationen zeigen, in denen ...

Andrea Nageles Bücher sind keine Krimis, deren Handlung sich in Mord – Spurensuche – Aufklärung erschöpfen. Sie schreibt psychologisch fein abgestimmte Dramen, die Menschen in Situationen zeigen, in denen der Alltag ins Wanken gerät.
Lilo, Gymnasiallehrerin hat ein Sabbatjahr genommen, sie braucht eine Auszeit, ihre Ehe scheint brüchig, die heftig pubertierende Tochter raubt ihr die Nerven, dazu kommt eine Bedrohung, die direkt aus der Vergangenheit aufgetaucht ist.
Als Lena, ihre Tochter, nicht wie vereinbart, mit dem Bus ankommt, macht sich Lilo erst noch keine Gedanken, es ist nicht das erste Mal, das Lena einfach nicht auftaucht. Aber ihr Mann Hanno reagiert panisch und bittet den gemeinsamen Schulfreund Simon Rosner, die Suche nach Lena zu starten. Rosner, ein Kriminalbeamter ist wegen seiner Alkoholsucht in einer Entzugsklinik und hat nur wenig Lust sich einzumischen. Lilo konnte er schon zur gemeinsamen Schulzeit nicht recht leiden, aber Hanno zuliebe, lässt er sich überreden. Aber Lena ist schon wieder da, sie hat einfach eine Nacht bei ihrem neuen Freund verbracht.
Aber damit beginnt der eigentliche Nervenkrieg, alle haben mit ihrer Vergangenheit zu kämpfen und nur sehr langsam kommt Licht ins Dunkel.
Das ist die Kunst der Autorin, sie lässt ihren Figuren tief in die Seele blicken. Dadurch erreicht sie eine Spannung, die keine vordergründigen Aktionen mehr braucht. Es ist der leise Schrecken alter Geheimnisse und unausgesprochener Lügen, die den Sog des Buches ausmachen. Die Autorin arbeitet auch als Psychotherapeutin, das spürt man in der Beschreibung der Charaktere, tiefgründige, vielschichte Personen, deren Handlungen nicht einfach in „Gut“ und „Böse“ einzuordnen sind.
Ein tolles Buch, spannend bis zur letzten Seite, wirkt es noch lange nach.

Veröffentlicht am 27.02.2017

Zauberhaftes Lesevergnügen

Hotel du Barry oder das Findelkind in der Suppenschüssel
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Inmitten von aufgehängten Bettlaken entdeckt das Zimmermädchen Mary ein Bündel auf der Wäscheleine. Darin ist sicher eingekuschelt und festgeklammert ein Säugling der ausgesetzt wurde. Mary ist sich sicher: ...

Inmitten von aufgehängten Bettlaken entdeckt das Zimmermädchen Mary ein Bündel auf der Wäscheleine. Darin ist sicher eingekuschelt und festgeklammert ein Säugling der ausgesetzt wurde. Mary ist sich sicher: niemals wird sie dieses kleine Mädchen mit den großen veilchenblauen Augen den Behörden übergeben und ihr ein Schicksal im Waisenhaus ersparen. Auch die Hausdame des berühmten Hotels du Barry ist der gleichen Ansicht, das Baby verzaubert bald die komplette Belegschaft und wird in den Personalräumen des Hotels liebevoll gepflegt. Aber irgendwann lässt sich das Geheimnis nicht länger verbergen und Daniel du Barry will wissen, das da vor sich geht. Aber es wendet sich zum Guten, Daniel adoptiert die Kleine, inzwischen auf den Namen Catarina getauft, die Hoteldetektiv Jim mit falschen Papieren ausgestattet hat. Nicht umsonst pflegt er informelle Kontakte zur Londoner Unterwelt.
Im Märchen würden sie nun glücklich bis ans Ende der Tage leben – wenn da nicht die böse Fee wäre. Hier ist Edwina du Barry die böse Fee, die nicht nur ihrem Mann Daniel das Leben zur Hölle macht.
Der Roman ist wie ein Märchen, mit überbordender Phantasie entführt die Autorin den Leser in den Kosmos eines Hotels, das wie aus der Zeit gefallen wirkt. Gefährliche Abenteuer und Herausforderungen warten auf Cat und ihre Freunde und Beschützer, Liebeswirren, Intrigen und Mordanschläge inclusive. Ich mochte gar nicht mehr aufhören zu lesen. Ein Wechselbad der Gefühle erwartet den Leser, es ist traurig und komisch zugleich, aber zu keiner Sekunde langweilig.
Ich war überrascht und erstaunt, wie komplett das Debüt der australischen Autorin Lesley Truffle ist. Virtuos spielt sie mit der Sprache und den Genres. Liebenswerte und skurrile Charaktere bevölkern den Roman und ich habe sie alle – bis auf die Bösen – sofort ins Herz geschlossen. Trotz vieler Details und kleinen Nebenhandlungen geht nie der rote Faden verloren und die Geschichte steuert temporeich auf den Höhepunkt zu. Ich wollte einfach immer nur weiterlesen und habe wirklich mit Bedauern die letzte Seite umgeblättert.
Wer sich gern mit Literatur verzaubern lassen möchte, ist bei diesem Buch bestens bedient.