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Veröffentlicht am 26.09.2019

Manche Erbschaften sind Käse

Erben auf Italienisch
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Italienische Familienkomödien im Film sind oft laut, turbulent, übertrieben. So ging es mir auch bei diesem Buch. Alle Personen sind überzeichnet, ob es nun der exzentrische Vater ist, der ...


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Italienische Familienkomödien im Film sind oft laut, turbulent, übertrieben. So ging es mir auch bei diesem Buch. Alle Personen sind überzeichnet, ob es nun der exzentrische Vater ist, der fiese Bruder, die leidensfähige Schwester Carla oder ihre Freundin Paola Ottolina, die außer unter diversen Schimpfnamen, meist nur beim Nachnamen genannt wird.
Alberto Pampaloni ist mit Schmierkäse (!) reich geworden, aus einem einfachen Fabrikarbeiter wird so in wenigen Jahren ein Millionär mit Villa und Hang zu weißen Hosen und Lederslippern, so wie man sich den italienischen Playboy der 70iger vorzustellen hat.
Er versammelt nun seine beiden Kinder im Ferienhaus in den Bergen um über die anstehende Erbschaft zu sprechen. Seine Exzentrik ist ausgeprägt, wie eh und je, seine Streiche sind bösartig bis justiziabel und jeder leidet unter diesem Dinosaurier, der durchaus auch tragische und ehrliche Momente zeigt.
Carla erzählt in der Ichform von diesen Besuch und den Monaten die sich daran anschließen, dazwischen in Rückblenden auch von ihrer Kindheit und dem schwierigen Erwachsenwerden.
Carla ist für mich das Rückgrat dieses Romans, unbeirrbar hält sie an ihrer Rolle fest, für die Familie da zu sein. Sie ist es von klein an gewöhnt, eigene Bedürfnisse zurückzustellen, denn Frauen sind im Weltbild ihres Vaters zweitrangig. Egal wie klug und erfolgreich sie ist, sie wird von Entscheidungen ausgeschlossen und selbst ihr Ehemann und Bruder handeln über ihren Kopf hinweg. Ab und zu darf ihr aufgestauter Frust ausbrechen, dann wehrt sie sich mit Kaufgummi oder ihrem Reisegepäck gegen Machogehabe. Aber meist bricht ihr nur der Schweiß aus, denn sie leidet - und das walzt der Autor viel zu breit und zu oft aus - unter Hitzewallungen und anderen Folgen der Menopause. Fast scheint mir Pallavicini da ein Trauma zu haben, denn ob Carla, Paola oder Erica, alle seine Frauengestalten klammern sich an Remifemin.
Zum Schluss beweist Carla, dass sie doch mal über ihren Schatten springen kann und ihre eigenen Bedürfnisse und Vorteile zu schützen weiß, aber bis dahin hat sie in mir fast Wut ausgelöst.
Da Ende bringt dann noch eine handfeste Überraschung für den Leser und mein Vergleich mit einem italienischen Film passt dann dazu.
Aber auf eine Erklärung des schlittschuhlaufenden Butlers des Covers habe ich vergeblich gewartet.

Mein Fazit: Etwas für Freunde des derberen Humors.


Veröffentlicht am 26.09.2019

Der Tote im Eis

Der Tote am Gletscher
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Ein roter Punkt auf dem Titelbild signalisiert „Südtirol Krimi“. Aber diesen Debütroman von Lenz Koppelstätter als Regionalkrimi einzuordnen ist zu wenig.
Commissario Grauner ist selbst so ein echter Charakter. ...

Ein roter Punkt auf dem Titelbild signalisiert „Südtirol Krimi“. Aber diesen Debütroman von Lenz Koppelstätter als Regionalkrimi einzuordnen ist zu wenig.
Commissario Grauner ist selbst so ein echter Charakter. Südtiroler von Geburt, fühlt er sich dem heimischen Bauernhof und seinen Kühen oft näher als seinem Beruf. Er liebt seine Heimat, die Berge, die Täler und den ganz besonderen, schweigsamen Menschenschlag. Das macht Polizeiarbeit nicht immer einfach, aber mit Beharrungsvermögen sind ihm schon viele Ermittlungserfolge gelungen. Ihm zur Seite gestellt ist Claudio Saltapepe aus Sizilien. Nun gibt es häufig in Südtirol den alten Konflikt zwischen Einheimischen und italienischer Verwaltung und Amtsträgern. Aber das allein ist es nicht, was die Zusammenarbeit der Beiden schwierig macht. Es sind die konträren Charaktere, die sich an einander reiben. Allerdings haben beide wohl mehr gemeinsam, als sie sich eingestehen wollen. Aus dieser Reibung entsteht eine Spannung im Ermittlungsablauf, die den Reiz für den Leser noch erhöht.
Ein Sonderling wird ermordet auf einem Gletscher gefunden. Fast Augenzeuge des Delikts ist der Skipistentoni, auch ein Sonderling, der abends und nachts mit seinem Raupenfahrzeug die Skipisten präpariert. Die Nächte verbringt er oft mit seiner Brotzeit in einer der Lifthütten, so fallen ihm in dieser Sturmnacht auch Lichter auf und in der Annahme ein verirrter Skitourengeher sei in Not, setzt er seine Pistenraupe in Bewegung. Dabei stört er den Mörder, kommt aber mit einer Kopfverletzung davon. Grauner und sein Inspektor machen sich auf die Tätersuche, wohl wissend, dass ohne diesen Zufall die Leiche auf Nimmerwiedersehen in einer Gletscherspalte verschwunden wäre und niemand den Toten, der wie ein Waldmensch allein in einer Höhle hauste, vermisst hätte. Das Opfer ist durch einen Pfeil ums Leben gekommen, seine Kleidung scheint selbst gefertigt zu sein, ein steinzeitlich anmutendes Tattoo findet sich auf seinem Knöchel und die Ähnlichkeiten zur Gletscherleiche „Ötzi“ drängen sich dem Leser auf. Erst recht, als der Pfeil als Steinzeitpfeil aus dem Ötzimuseum identifiziert wird.
Der Roman bleibt von der ersten bis zur letzten Seite spannend, obwohl viele Spuren gelegt sind, bleibt der Leser lange bis zur überraschenden Aufklärung über die Motive im Dunkeln. Es ist ein spannender komplexer Kriminalroman mit vielschichtigen Figuren und echten Charakteren.
Auf dem Cover steht als Untertitel „Ein Fall für Commissario Grauner“, das lässt hoffen, dass Lenz Koppelstätter schon bald an einem neuen Kriminalfall schreibt.

Veröffentlicht am 25.09.2019

Die Friesen Detektei

Nordseenebel
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Raphael Freersen ist das schwarze Schaf in der Familie der Kaffeedynastie. Sein Interesse gilt in erster Linie Frauen und schnellen Autos. Das Geld wirft er mit beiden Händen zum Fenster raus. Doch damit ...

Raphael Freersen ist das schwarze Schaf in der Familie der Kaffeedynastie. Sein Interesse gilt in erster Linie Frauen und schnellen Autos. Das Geld wirft er mit beiden Händen zum Fenster raus. Doch damit ist jetzt Schluss – sein Vater hat ihm endgültig den Geldhahn zugedreht. Da kommt das Erbe von Onkel Georg gerade zur richtigen Zeit, auch wenn das Haus auf Föhr ziemlich spießig ist, dazu erbt er eine Privatdetektei und einen ungelösten Fall. Man liebsten würde er auf der Stelle abhauen, aber dann fühlt er sich doch in seiner Ehre gepackt.

Selten war mir ein Schnösel so schnell sympathisch wie Raphael. Das liegt auch an der augenzwinkernden Charakterisierung. Bald wird klar, dass er zwar bellt, aber nicht beißt. Ganz im Gegenteil, dafür sorgen dann auch seine zwei Assistentinnen, die er zusammen mit der Detektei „geerbt“ hat. Ein ungelöster Fall liegt noch auf dem Schreibtisch, die Auftraggeberin möchte wissen, ob ihre Tochter wirklich bei einem Badeunfall ums Leben kam, denn ihre Leiche wurde nie gefunden. Für sie ist ihr Schwiegersohn verdächtig.

Die Recherche beginnt recht mühselig, Raphael hat es eben nicht so sehr mit subtilen Befragungen oder Observierungen. Da macht er schon bald einige unliebsame Erfahrungen. Das hat Heike Denzau wirklich mit viel Humor und Freude an skurrilen Szenen aufs Papier gebracht. Dabei ist die Geschichte kein Schmunzelkrimi, im Gegenteil. Die Recherchen führen Raphael schon bald zu einem schrecklichen Verdacht.

Es macht wirklich viel Freude sich von Raphaels Detektivspiel anstecken zu lassen und mitzurätseln. Der Krimi ist spannend und humorvoll und die Mischung ist dabei perfekt. Der kurzweilige Stil von Heike Denzau hat mir sehr gut gefallen und Föhr ist der perfekte Hintergrund.

Die Figuren dieses Krimis haben mir, bis hin zu kleinen Nebenfiguren sehr gut gefallen. Sie wirken frisch und lebendig und brachten sofort das Kopfkino in Schwung.

Das Buch soll der Auftakt einer Serie mit Raphael werden, da darf man schon gespannt auf die weiteren Entwicklungen sein.

Veröffentlicht am 24.09.2019

Loretta kann's nicht lassen

Darf`s ein bisschen Mord sein?
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Für die Krimis von Lotte Minck gibt es verdientermaßen ein eigenes Genre: die Ruhrpott-Krimödie.

Loretta Luchs ist ein Kind des Ruhrpotts: das Herz auf dem rechten Fleck, gradlinig und direkt. Als Gitti ...

Für die Krimis von Lotte Minck gibt es verdientermaßen ein eigenes Genre: die Ruhrpott-Krimödie.

Loretta Luchs ist ein Kind des Ruhrpotts: das Herz auf dem rechten Fleck, gradlinig und direkt. Als Gitti Scheffer, die Inhaberin des kleinen Tante-Emma-Ladens in Lorettas Viertel sich das Schlüsselbein gebrochen hat, ist klar, dass Loretta ihre Hilfe anbietet. Zwei Wochen Urlaub im Call-Center sind schnell mit Chef Dennis abgesprochen, denn er kann Loretta keinen Wunsch abschlagen. So steht nun Loretta hinter der Theke und verkauft „Rosenköhler“ und Leberwurst. Aber was sind das für zwei zwielichtige Männer, die immer um das Haus schleichen und als Manni vom Großmarkt grade eine Lieferung ablädt und Loretta in kurz darauf tot vor der Eingangstür findet, ist klar: Loretta hat wieder eine Leiche an der Backe.

Ich bin ein Loretta Fan fast der ersten Stunde. Die Figur ist mir richtig ans Herz gewachsen. Mir machen diese umwerfend komischen Krimis auch richtig Spaß. Zwar weiß der Leser ziemlich bald, wie der Hase läuft, aber das tut weder der Spannung, noch der Unterhaltung einen Abbruch.

Lotte Minck hat mit den Figuren, die fast immer wiederkehren, oder zumindest einen Kurzauftritt haben dürfen, einen eigenen Kosmos geschaffen. Man freut sich bei jedem Roman immer auf ein „Wiederlesen“. Ob mit Dennis, dem 70iger Jahre Fan, mit Frank uns seiner Klümpkesbude oder der patenten Doris, Lorettas Kollegin. Vertrauten Lesern muss man ja nicht mehr verraten, welch spezielle Wünsche dieses Call-Center erfüllt.

Aber nicht nur mit den Figuren, auch mit den schlagfertigen Dialogen und witzig-geerdeten Schreibstil erfreuen mich die Krimödien jedes Mal auf’s Neue.

Ganz besonders möchte ich noch die Umschlagbilder von Ommo Wille erwähnen. Liebevoll gezeichnete Wimmelbilder, die die Bände unverwechselbar machen.

Loretta-Luchs-Krimis haben nur einen Nachteil – man hat sie immer viel zu schnell ausgelesen.

Veröffentlicht am 20.09.2019

Martha Westphal

Die Hafenschwester (1)
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Trotz aller Armut wächst die junge Martha mit Bruder und Schwester in einer behüteten Familie auf. Der Vater verdient im Hafen zwar nicht allzu viel, aber mit Näharbeiten hält die Mutter die Familie über ...

Trotz aller Armut wächst die junge Martha mit Bruder und Schwester in einer behüteten Familie auf. Der Vater verdient im Hafen zwar nicht allzu viel, aber mit Näharbeiten hält die Mutter die Familie über Wasser. Aber es ist das Jahr 1892 und in Hamburg beginnt die Cholera zu wüten. Trotz liebevoller Pflege stirbt die Schwester und als auch noch die Mutter erkrankt, lastet auf Marthas Schultern die Krankenpflege und die Sorge um die kleine Familie. Auch die Mutter überlebt nicht und Martha ergattert durch die Fürsprache des Hausarztes eine Stelle als Krankenwärterin. Doch sie muss mit ansehen, wie die Familie auseinanderfällt. Der Vater ertränkt seinen Kummer in Schnaps und verliert seine Stelle, der Bruder geht als Schiffsjunge zur See. Aber Marthas Tatkraft scheint unerschöpflich. Sie bekommt eine der begehrten Lehrstellen zur Krankenschwester um Eppendorfer Krankenhaus und erkennt in der Krankenpflege ihre wahre Berufung.


Doch in Hamburg gärt es, die lang verschwiegene Cholera Epidemie, die immer länger werdenden Arbeitszeiten bei sinkenden Löhnen führen zum großen Hafenarbeiterstreik. In Martha erwacht auch ein politisches Bewusstsein und sie engagiert sich nicht nur in der Frauenbewegung. Aber dann begegnet sie dem jungen sozialdemokratischen Ingenieur Paul Studt. Doch die strengen Regeln der Erika-Schwesternschaft verbieten eine Verbindung.

Geschichte wird so viel lebendiger und anschaulicher wenn sie sich um persönliche Schicksale ranken. Zwar hatte ich schon vom großen Ausbruch der Cholera in Hamburg gelesen und auch von den sozialen Missstände im sogenannten Gängeviertel, die die Verbreitung beschleunigten, aber in dieser Geschichte bekommen die Ereignisse plötzlich ein Gesicht. Man spürt beim Lesen mit welcher Detailtreue und Geschichtskenntnis die historischen Begebenheiten in die Lebensgeschichte der jungen Frau einfließen.
Die Protagonistin Martha und ihre Entwicklung vom behüteten Kind bis zur starken jungen Frau, die sich für Berufung und ihre Liebe einsetzt, fand ich mitreißend erzählt. Ich habe mit Martha gelitten und gefiebert und mich für sie gefreut. Bei keiner der gut 450 Seiten kam auch nur die Spur einer Länge auf, der Roman fesselt von der ersten Seite an. Mir gefiel der Erzählton den die Autorin gefunden hat, er ist unterhaltsam und spannend und vermittelt eine große Empathie zu den Figuren dieser Geschichte.

Davon profitieren auch die Nebenfiguren, die im Gedächtnis bleiben weil ihre Charaktere so farbig und lebendig gezeichnet sind. Das Hamburg der des ausgehenden 19. Jahrhunderts ist so bildhaft geschildert, wie ich es selten zuvor gelesen habe.

Das Buch ist der Beginn einer Saga und ich bin sehr gespannt auf die Fortgang der Geschichte und bin sicher, dass es auch anderen Leserinnen so gehen wird.