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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 26.03.2018

Transromania

Abgefahren
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17 Jahre alt, fett, ohne Freunde oder Vertraute. Was macht so ein Junge, wenn die Mutter stirbt?

Viorel packt seine Mutter in einen alten Schlafsack und will ihren letzten Wunsch erfüllen. Sie möchte ...

17 Jahre alt, fett, ohne Freunde oder Vertraute. Was macht so ein Junge, wenn die Mutter stirbt?

Viorel packt seine Mutter in einen alten Schlafsack und will ihren letzten Wunsch erfüllen. Sie möchte in ihrer Heimat Rumänien beerdigt werden. Für Viorel eine fremde Welt, er war nie dort, weiß nicht einmal, woher die Mutter stammte und spricht kein einziges Wort Rumänisch. Zwar hat er keinen Führerschein, aber fahren kann er und so geht es einfach los.
Unterwegs gabelt er noch einen merkwürdigen Anhalter auf, bleich und wortkarg, aber kein unangenehmer Begleiter, nur dass er unterwegs bei einem Unfall stirbt und Viorel jetzt zwei Leichen im Auto transportiert.

„Abgefahren“ heißt dieses Buch und abgefahren ist es auch. Es ist ein wirklich schräger Roman, der meine Lesegewohnheiten richtig durchgerüttelt hat. Mit Logik bin ich nicht recht weiter gekommen, aber die Sprache, Viorels Gedankenmonologe in den langen Stunden der nächtlichen Fahrt (es ist fast immer Nacht, denn es ist Ende Dezember und auch tagsüber beherrscht trübes, graues Licht die Szene) haben mich fasziniert. Es ist ein Mix aus Mythen, Ängsten und seltsamen Begegnungen. Viorel, der bisher antriebslos und lethargisch das Leben über sich ergehen ließ, muss plötzlich agieren, sich auf Situationen einstellen, die ihn an seinem Verstand zweifeln lassen. Ein erstaunlicher Protagonist, dieser Junge, der auf Anhieb nicht sonderlich sympathisch wirkt, eher ein diffuses Mitleid erweckt, aber sich im Lauf der Geschichte verändert. Wohin – das bleibt offen. Wie auch das Ende des Roadtrips offen ist.

Auch die Ausstattung der Klappenbroschur hat mir gefallen. Die Karte, auf der man Viorels Reiseweg verfolgen kann, hat mir gut gefallen. Sie gibt der Fahrt einen handfesten Bezug, an der ich mich orientieren konnte.





Veröffentlicht am 24.03.2018

Todesengel

Schweigegelübde (Ein Emma-Vaughan-Krimi 2)
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Die Irin Emma Vaughan ist in den USA aufgewachsen, arbeitet nun schon seit Jahren bei der Polizei in Sligo. Sie hat es nicht leicht in der männerdominierten Gesellschaft. Von ihrem Mann hat sie sich getrennt, ...

Die Irin Emma Vaughan ist in den USA aufgewachsen, arbeitet nun schon seit Jahren bei der Polizei in Sligo. Sie hat es nicht leicht in der männerdominierten Gesellschaft. Von ihrem Mann hat sie sich getrennt, seine Gewaltausbrüche und seine Schläge hat sie nicht länger hinnehmen wollen. Nun ist ihr Ex als IRA Terrorist angeklagt und nur um ihrem Sohn sein Vaterbild zu erhalten, engagiert sie einen teuren Anwalt zu seiner Verteidigung.


Auch beruflich läuft es nicht rund. Erst kürzlich wurde sie aus der Mordkommission zum Abteilung Häusliche Gewalt versetzt, eine deutliche Degradierung für sie und ein Hinweis ihrer Vorgesetzten endlich ihre Tablettensucht in Griff zu bekommen. Nach einem Unfall leidet sie unter Dauerschmerzen und der Griff zu Opiaten ist viel zu selbstverständlich für sie geworden. Kurz, Emma hat mehr Probleme als sie bewältigen kann. In der Klinik von Sligo, die sie eigentlich aufsuchte, weil sie zu einem Drogenscreening verdonnert wurde, wird sie von Stationsarzt auf einen unerklärlichen Anstieg von Todesfällen angesprochen. Patienten, die auf dem Weg der Besserung waren, verstarben plötzlich an Herzversagen. Der Arzt ist nicht nur der Ehemann ihrer Freundin, er hat ihr schon das eine oder andere Rezept für ihre Opiate ausgestellt und erhofft sich im Gegenzug unauffällige Ermittlungen.
Damit ist Emma wieder beruflich gefordert, ein Todesengel in einem Krankenhaus – ein Fall, der schnell auch für Wirbel in der Presse sorgt.


Der Krimi spielt im Jahre 2005, der Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten ist noch sehr gegenwärtig. Die Machenschaften der katholischen Kirche und ihrer gefürchteten Kinderheime sind grade ans Licht gekommen und auch die Auseinandersetzung mit IRA ist noch Alltag. All diese irischen Konflikte vereinen sich in diesem Krimi und sorgen für einen spannenden, auch gesellschaftlich relevanten Hintergrund. Emma ist als sympathische Frau geschildert, die trotz ihrer persönlichen und beruflichen Überlastung sich ihre Empathie bewahrt hat.


Obwohl ich schon sehr früh einen Täter für die Krankenhausmorde im Blick hatte und ich Handlung auch etwas vorhersehbar fand, hat mich dieser Irlandkrimi gefesselt. Es liegt sicher daran, dass es der Autorin gelungen ist, den zeitgeschichtlichen Hintergrund perfekt in den Krimi einzubauen und damit die ganz besondere Atmosphäre Irlands einzufangen. Die Autorin hat einen sehr flüssigen, bildhaften Erzählstil, der mir ganz gut gefallen hat. Durch die Rückblicke, die immer wieder auf den Vorgängerband verweisen, kann man der Handlung gut folgen, auch ohne das erste Buch zu kennen.
Der Hauptfigur Emma stehe ich etwas gespalten gegenüber. Obwohl sie mir als Figur nicht unsympathisch ist, sind mir ihre Handlungsweisen manchmal nicht nachvollziehbar.


Insgesamt ein spannender Krimi, der mich gut unterhalten hat.

Veröffentlicht am 14.03.2018

Neuanfang

Im Angesicht der Wahrheit
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Nach einer traumatischen Erfahrung – sie wurde nach dem Schulabschlussball von mehreren Mitschülern vergewaltigt – hat Estelle ihre Heimat Argelès-sur-mer verlassen und in Deutschland ein neues Leben begonnen. ...

Nach einer traumatischen Erfahrung – sie wurde nach dem Schulabschlussball von mehreren Mitschülern vergewaltigt – hat Estelle ihre Heimat Argelès-sur-mer verlassen und in Deutschland ein neues Leben begonnen. Die Erbschaft ihrer Großmutter bringt sie zurück nach Südfrankreich. Sie will die alte Auberge, die ihr nun gehört, aufmöbeln und einen Neuanfang machen. Aber trotzdem will sie wissen, was aus ihren Peinigern geworden ist und beauftragt einen Privatdetektiv mit Nachforschungen.
Während sie das Hotel renoviert, mit tatkräftiger Hilfe eines überaus attraktiven Nachbars, der leider verheiratet ist, wie es den Anschein hat, kommt es zu den ersten Begegnungen mit ihrer Familie. Die verlaufen allerdings nicht sehr harmonisch und auch die erste Begegnung mit einem Täter von damals bringt Estelle in Wallung. Sie streitet lautstark und wirft ihn aus ihrem Haus.
Als er am nächsten Tag erstochen in seiner Wohnung aufgefunden wird, hat er ein Datum in die Stirn geritzt, das Datum, das Estelle nur allzu vertraut ist. Da es auch Zeugen für ihren Streit mit dem Mann gibt, gerät sie unter Tatverdacht.
Das Buch ist wirklich flott geschrieben und richtige Urlaubslektüre. Dafür sorgen schon die schönen Landschaftsbeschreibungen und das Hotel, in dem man am liebsten gleichen Urlaub machen möchte.
Estelle als Hauptfigur ist sympathisch, mir hat gefallen, wie tatkräftig sie sich ihrem Hotel widmet und ihre Vergangenheit aufarbeitet. Dabei hilft ihr das Tagebuch ihrer Großmutter, damit bekommt der Roman auch noch einen Erzählstrang in die Vergangenheit. Ich habe einen Krimi, einen Familienroman und eine Liebesgeschichte gelesen. Alle drei Themen fließen ineinander und ergänzen sich zu einer wirklich unterhaltsam-fesselnden Geschichte, wobei das Krimimotiv für meinen Geschmack etwas zu kurz gekommen ist.

Veröffentlicht am 04.03.2018

Tote Nonnen

Madame le Commissaire und die tote Nonne
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Isabelle war bis vor kurzem eine erfolgreiche Leiterin eines Sonderkommandos. Bei einem Einsatz schwer verletzt, lässt sie sich nach der Reha als einfache Kommissarin in ihren Heimatort Fragolin in der ...

Isabelle war bis vor kurzem eine erfolgreiche Leiterin eines Sonderkommandos. Bei einem Einsatz schwer verletzt, lässt sie sich nach der Reha als einfache Kommissarin in ihren Heimatort Fragolin in der Provence versetzen. Geschützt von „ganz oben“ wird ein Sonderkommissariat für sie eingerichtet, so dass sie ohne Weisung oder Vorgesetzte die Fälle bearbeiten kann, die ihr zusagen.
Seit dem übt sie sich im „ Vivre le moment présent“. Ausgerechnet sie und ihre Freundin werden Zeugin eines Unfalls. Eine junge Nonne ist beim Kräutersammeln an der Steilküste abgestürzt und tödlich verunglückt. Neugierig geworden, gibt sie sich den Gendarmen zu erkennen und meldet ihre Zweifel am Unfalltod an.
Nun kommt ihr der Sonderstatus zu Gute. Sie zieht die Ermittlungen an sich und zusammen mit ihrem unkonventionellen Assistenten Appolinaire begibt sie sich auf Spurensuche. Appolinaire ist immer für einen Lacher gut, sei es sein Kleidungsstil oder sein ganz besonders geschraubte Ausdrucksweise.
Eins macht die Krimis um Madame le commissaire so besonders. Isabelle sind keine Grenzen gesetzt, sie braucht sich nicht an Regeln zu halten und um an Ergebnisse zu kommen, schlüpft sie nur allzu gern in verschiedene Rollen. Ob Nonne oder Flittchen, beides führt zu den gewünschten Ergebnissen. Außerdem pflegt sie auch privat einen recht pikanten Lebensstil, in Fragolin pflegt sie ihre Liaison mit dem Bürgermeister Thierry, aber auch die mit ihren Liebhaber Rouven, ein reicher Kunsthändler, den sie auf seiner Yacht in der Karibik trifft, oder mal schnell nach Paris zu einer Vernissage jettet. Daraus macht sie kein Geheimnis, Ehrlichkeit in ihrer Menage mit beiden Männern ist ihr wichtig.
Jede Seite in diesem unterhaltsamen Urlaubskrimi strömt Frankreich-Atmosphäre aus. Da hätte es die unglaubliche Ballung an Gallizismen gar nicht gebraucht, die der Autor für nötig hält. Gutes Essen, noch besserer Wein und abends eine Partie Boule auf dem Dorfplatz. Dabei kommt die Krimihandlung nicht unter die Räder. Es ist spannend wie Isabelle im strengen Frauenkloster die ersten Ungereimtheiten entdeckt und Indizien aufspürt und ihnen unbeirrt nachgeht.
Ich finde, es ist ein typischer Urlaubskrimi: witzig, flott und unangestrengte Unterhaltung.

Veröffentlicht am 26.02.2018

Die Frau hinter Einstein

Frau Einstein
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Mileva Marić hat schon seit frühester Kindheit in Serbien ein Ziel. Sie will Physik studieren. Vom Vater erfährt sie jede Unterstützung, vielleicht auch deshalb, weil sie seit ihr Geburt eine leichte Körperbehinderung ...

Mileva Marić hat schon seit frühester Kindheit in Serbien ein Ziel. Sie will Physik studieren. Vom Vater erfährt sie jede Unterstützung, vielleicht auch deshalb, weil sie seit ihr Geburt eine leichte Körperbehinderung hat und er ihr mit einer guten Ausbildung ein selbstständiges Leben ermöglichen will. Denn eine Heirat scheint mit diesem Manko unmöglich.
So kommt Mileva nach Zürich, 1896 der einzige Ort, an dem Frauen zum Studium am Polytechnikum zugelassen sind. Dort findet Mileva zum ersten Mal Freundinnen, Frauen, die auch wie sie studieren wollen. Im Seminar schlägt ihr eher Ablehnung und Missachtung entgegen. Lediglich ein Student begegnet ihr auf Augenhöhe, nimmt sie und ihren Studienwunsch ernst. Es ist der junge Albert Einstein. Mileva erliegt seinem bohemienhaften Charme und vor allem seiner Anerkennung ihrer Begabung und ihres Intellekts.
Doch dann wird Mileva schwanger und ihre Mitarbeit an Alberts Versuchen zur Relativitätstheorie gerät in den Hintergrund. Die Beziehung wird, auch nach der Heirat und weiterer Kinder, immer schwieriger, plötzlich scheint Albert ihre wissenschaftliche Begabung eher als Hindernis anzusehen.

Die tatsächliche Mitwirkung von Mileva Marić an Einsteins Arbeiten ist unumstritten, umstritten ist lediglich die Intensität. In diesem Roman mit biografischem Hintergrund bezieht die Autorin einen klaren Standpunkt und rückt die fast vergessene erste Frau Einsteins in den Vordergrund.

Ich war, besonders in der ersten Hälfte fasziniert von dieser Frau und ihrem Werdegang. Im weiteren Verlauf verlagert sich der Schwerpunkt immer mehr auf die Liebes- und Ehetragödie. Einstein ist selbstsüchtig, nicht treu und Mileva verliert sich immer mehr. Marie Benedict gibt dieser Geschichte einen besonderen Ton, man spürt auf jeder Seite ihre Sympathie mit ihrer Protagonistin, die sie in der Ich-Form ihr Leben erzählen lässt. Ihre Träume und Wünsche, ihre Hoffnungen, die immer wieder von Einstein enttäuscht werden und schließlich ihre Resignation teilen sich dem Leser ganz unmittelbar und persönlich mit. Ganz hervorragend gelingt der Autorin die Darstellung des noch jungen Frauenstudiums, dieser historische Hintergrund hat mir ausgezeichnet gefallen.
Sie findet eine lebendige Darstellung der geschichtlichen Figuren, gibt jedem einen individuellen Charakter, der über die biografischen Details hinaus, den Roman abrunden.

Die Tragik der Mileva, die als begabte Wissenschaftlerin letztendlich doch am traditionellen Frauenbild gemessen wird, die zurückstecken muss, um ihre Rolle als Ehefrau und Mutter auszufüllen – das ist Leitmotiv, das mich sehr angesprochen hat und für diesen historisch-biografischen Roman eingenommen hat.
Dazu kommt der lebendige und gut lesbare Schreibstil der Autorin, also beste Unterhaltung mit Anspruch.