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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 05.03.2017

Ein Platz in der Welt

Der Mann, der Luft zum Frühstück aß
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Was passiert, wenn ein Mensch entwurzelt wird? Genau damit muss Walerian klarkommen. Benannt nach einem Beruhigungsmittel, hat sich seine Mutter in seinem ersten Lebensjahrzehnt nicht groß um ihn gekümmert. ...

Was passiert, wenn ein Mensch entwurzelt wird? Genau damit muss Walerian klarkommen. Benannt nach einem Beruhigungsmittel, hat sich seine Mutter in seinem ersten Lebensjahrzehnt nicht groß um ihn gekümmert. Er wächst im ländlichen Polen auf, doch dann entreißt ihn seine Mutter seinem bisherigen Leben. Sie nimmt den 12jähren mit nach Wien, wo er auch wieder auf sich selbst gestellt ist. In einem fremden Land, mit einer unverständlichen Sprache und fremder Mentalität.
Doch nach unentschlossenen Schulschwänzerjahren, wieder allein gelassen von der Mutter sucht er seinen Weg in ein eigentlich kleinbürgerliches Leben. Dabei meistert er viele skurrile Situation, die mich manchmal von weitem an einen modernen Schwejk erinnerten. Sicher auch durch die ganz besondere Wiener Mentalität, mit der Walerian sich erst anfreunden muss.
Wie immer gelingt es Radek Knapp mit wenigen, aber pointierten Worten eine ganze Welt zu erschaffen. Wie ein Wurzelloser eine neue Heimat findet, das erzählt er mit einer ironischen, augenzwinkernden Distanz. Der Autor tritt ganz hinter seinen Protagonisten zurück und hat lässt Walerian schnell ganz lebendig und echt werden.
Natürlich kann man das Buch auch ganz aktuell und zeitkritisch lesen, aber da die Geschichte schon einige Jahrzehnte früher angesiedelt ist, bleibt es jedem selbst überlassen, was er zwischen den Zeilen liest und aus diesem schmalen Bändchen mitnimmt.
Seit „Herrn Kukas Empfehlungen“ lese ich Radek gern und bin auch dieses Mal wieder begeistert.

Veröffentlicht am 04.03.2017

Lügengespinst

Tod in den Karawanken
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Andrea Nageles Bücher sind keine Krimis, deren Handlung sich in Mord – Spurensuche – Aufklärung erschöpfen. Sie schreibt psychologisch fein abgestimmte Dramen, die Menschen in Situationen zeigen, in denen ...

Andrea Nageles Bücher sind keine Krimis, deren Handlung sich in Mord – Spurensuche – Aufklärung erschöpfen. Sie schreibt psychologisch fein abgestimmte Dramen, die Menschen in Situationen zeigen, in denen der Alltag ins Wanken gerät.
Lilo, Gymnasiallehrerin hat ein Sabbatjahr genommen, sie braucht eine Auszeit, ihre Ehe scheint brüchig, die heftig pubertierende Tochter raubt ihr die Nerven, dazu kommt eine Bedrohung, die direkt aus der Vergangenheit aufgetaucht ist.
Als Lena, ihre Tochter, nicht wie vereinbart, mit dem Bus ankommt, macht sich Lilo erst noch keine Gedanken, es ist nicht das erste Mal, das Lena einfach nicht auftaucht. Aber ihr Mann Hanno reagiert panisch und bittet den gemeinsamen Schulfreund Simon Rosner, die Suche nach Lena zu starten. Rosner, ein Kriminalbeamter ist wegen seiner Alkoholsucht in einer Entzugsklinik und hat nur wenig Lust sich einzumischen. Lilo konnte er schon zur gemeinsamen Schulzeit nicht recht leiden, aber Hanno zuliebe, lässt er sich überreden. Aber Lena ist schon wieder da, sie hat einfach eine Nacht bei ihrem neuen Freund verbracht.
Aber damit beginnt der eigentliche Nervenkrieg, alle haben mit ihrer Vergangenheit zu kämpfen und nur sehr langsam kommt Licht ins Dunkel.
Das ist die Kunst der Autorin, sie lässt ihren Figuren tief in die Seele blicken. Dadurch erreicht sie eine Spannung, die keine vordergründigen Aktionen mehr braucht. Es ist der leise Schrecken alter Geheimnisse und unausgesprochener Lügen, die den Sog des Buches ausmachen. Die Autorin arbeitet auch als Psychotherapeutin, das spürt man in der Beschreibung der Charaktere, tiefgründige, vielschichte Personen, deren Handlungen nicht einfach in „Gut“ und „Böse“ einzuordnen sind.
Ein tolles Buch, spannend bis zur letzten Seite, wirkt es noch lange nach.

Veröffentlicht am 01.03.2017

Rosengarten im Dornröschenschlaf

Ein Sommer im Rosenhaus
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Sandra ist seit kurzem verwitwet, die Kinder sind flügge geworden und genau jetzt gibt ihr das Schicksal einen Wink. Auf Usedom steht das Gärtnerhaus mit dem alten Rosengarten des Guts Bantekow zum Verkauf. ...

Sandra ist seit kurzem verwitwet, die Kinder sind flügge geworden und genau jetzt gibt ihr das Schicksal einen Wink. Auf Usedom steht das Gärtnerhaus mit dem alten Rosengarten des Guts Bantekow zum Verkauf. Wie oft sind sie und ihr Mann im Urlaub zu diesem Haus spaziert, haben den alten, verwilderten, wie verwunschen wirkenden Garten bewundert und davon geträumt, in diesem Haus zu wohnen. Nun ersteigert sie kurzentschlossen die Immobilie, sehr zum Missfallen ihrer Kinder und auch ihre Freundin steht dem Plan sehr skeptisch gegenüber.
Aber das Rosenhaus soll für Sandra ein Neubeginn werden und sie stürzt sich mit Entschlossenheit in die Aufgabe, das alte Haus zu sanieren und den Garten aus dem Dornröschenschlaf zu wecken. Aber sie muss erkennen, für diese gewaltige Aufgabe braucht sie sachkundige Hilfe. Die findet sie mit dem englischen Rosenspezialisten Julian Baker, aber der scheint ganz eigene Pläne zu haben.
Diese Geschichte macht einfach Freude zu lesen. Die Rosen bezaubern die Leserin, man freut sich am wiedererwachten Optimismus der Hauptfigur und möchte ihr am liebsten beim Gärtnern mit Hacke und Harke zur Seite stehen. Sandra mausert sich zur Frau, die weiß, was sie will und sich auch gegen alle Widerstände durchsetzen kann. Das ist das ideale Lesevergnügen für einige Stunden und lässt selbst graue Regentage strahlen. Locker und federleicht geschrieben, vielleicht manchmal mit etwas zu viel Zuckerguss, ist es ein echtes „Wohlfühlbuch“. Eine tragisch endende Liebe in der Vergangenheit und eine Liebe mit Happy End in der Gegenwart runden die Geschichte um den alten Rosengarten in Bantekow ab.
Ganz nebenbei habe ich noch viel über die Geschichte der alten Rosensorten erfahren, etwas über die Pflege und Zucht von Rosen gelernt und mich über die Rosenrezepte am Ende des Buches gefreut.

Veröffentlicht am 28.02.2017

Tierschmugglern auf der Spur

Ausgerottet
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Klappentext: Die Gärtnerin Malie traut ihren Augen nicht - wie ist das artgeschützte Schuppentier auf die Insel Mainau gelangt? Gemeinsam mit der Tierschützerin Lioba versucht sie, dem Rätsel auf die Spur ...

Klappentext: Die Gärtnerin Malie traut ihren Augen nicht - wie ist das artgeschützte Schuppentier auf die Insel Mainau gelangt? Gemeinsam mit der Tierschützerin Lioba versucht sie, dem Rätsel auf die Spur zu kommen. Als ein chinesischer Arzt ermordet wird, und jemand versucht, bei ihr einzubrechen, wird klar, dass die beiden Frauen in ein Wespennest gestochen haben. Mehr und mehr verdichten sich die Hinweise, dass ein Malie nahe stehender Mann vom Aussterben bedrohte Tiere schmuggelt. Ein gefährliches Spiel beginnt...

Das Thema dieses Ökokrimis ist so brisant wie aktuell. Der Handel mit geschützten Exoten nimmt immer mehr zu und je bedrohter die Tierart, umso gieriger die Menschen solche Exemplare zu kaufen. Daneben ist auch der Handel mit sogenannten Naturmedizinen aus Rhino-Hörner und Tigergalle nicht auszurotten.

Malie und Lioba sind zwei sehr ungleiche Frauen, aber beiden liegt die Natur und die Tierwelt gleich am Herzen und sie gehen viele Risiken ein, um den Schmugglern und Händlern auf die Spur zu kommen. Die beiden Autorinnen Liliane Skalecki und Biggi Rist haben einen spannenden Krimi mit einer wichtigen Botschaft geschrieben. Ihre zwei Protagonisten sind sympathisch, kraftvoll geschilderte Frauen, die sich nicht abschrecken lassen und ihre Recherchen betreiben, obwohl sie spüren, dass die Schmuggler vor nichts, auch nicht Mord, zurückschrecken. Gerade für Malie, die bald ahnt, dass sie dichter am Geschehen ist, als ihr lieb ist, wird die Suche nach Beweisen zu einer persönlichen Herausforderung.

Ganz besonders interessant war die Schilderung der Schmuggelwege und der weit verzweigten Kartelle, die mit den Tieren ungeheure Summen verdienen. Bestechung und Bedrohung gehören für die Verbrecher zum Alltag. Die Botschaft dieses absolut lesenswerten Buches steht manchmal der Spannung im Weg, vor allem, da die Hintermänner und Schuldigen schon früh zu erkennen sind.

Ich fand den Krimi, auch durch seine Botschaft, lesenswert und dazu beigetragen haben die genauen Recherchen, die tollen Beschreibungen der Figuren und der lockere, flüssige Schreibstil. Immer wieder gab es Szenen, die mich schmunzeln ließen und auch das überraschende Ende ließ keine Wünsche offen.

Veröffentlicht am 27.02.2017

Zauberhaftes Lesevergnügen

Hotel du Barry oder das Findelkind in der Suppenschüssel
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Inmitten von aufgehängten Bettlaken entdeckt das Zimmermädchen Mary ein Bündel auf der Wäscheleine. Darin ist sicher eingekuschelt und festgeklammert ein Säugling der ausgesetzt wurde. Mary ist sich sicher: ...

Inmitten von aufgehängten Bettlaken entdeckt das Zimmermädchen Mary ein Bündel auf der Wäscheleine. Darin ist sicher eingekuschelt und festgeklammert ein Säugling der ausgesetzt wurde. Mary ist sich sicher: niemals wird sie dieses kleine Mädchen mit den großen veilchenblauen Augen den Behörden übergeben und ihr ein Schicksal im Waisenhaus ersparen. Auch die Hausdame des berühmten Hotels du Barry ist der gleichen Ansicht, das Baby verzaubert bald die komplette Belegschaft und wird in den Personalräumen des Hotels liebevoll gepflegt. Aber irgendwann lässt sich das Geheimnis nicht länger verbergen und Daniel du Barry will wissen, das da vor sich geht. Aber es wendet sich zum Guten, Daniel adoptiert die Kleine, inzwischen auf den Namen Catarina getauft, die Hoteldetektiv Jim mit falschen Papieren ausgestattet hat. Nicht umsonst pflegt er informelle Kontakte zur Londoner Unterwelt.
Im Märchen würden sie nun glücklich bis ans Ende der Tage leben – wenn da nicht die böse Fee wäre. Hier ist Edwina du Barry die böse Fee, die nicht nur ihrem Mann Daniel das Leben zur Hölle macht.
Der Roman ist wie ein Märchen, mit überbordender Phantasie entführt die Autorin den Leser in den Kosmos eines Hotels, das wie aus der Zeit gefallen wirkt. Gefährliche Abenteuer und Herausforderungen warten auf Cat und ihre Freunde und Beschützer, Liebeswirren, Intrigen und Mordanschläge inclusive. Ich mochte gar nicht mehr aufhören zu lesen. Ein Wechselbad der Gefühle erwartet den Leser, es ist traurig und komisch zugleich, aber zu keiner Sekunde langweilig.
Ich war überrascht und erstaunt, wie komplett das Debüt der australischen Autorin Lesley Truffle ist. Virtuos spielt sie mit der Sprache und den Genres. Liebenswerte und skurrile Charaktere bevölkern den Roman und ich habe sie alle – bis auf die Bösen – sofort ins Herz geschlossen. Trotz vieler Details und kleinen Nebenhandlungen geht nie der rote Faden verloren und die Geschichte steuert temporeich auf den Höhepunkt zu. Ich wollte einfach immer nur weiterlesen und habe wirklich mit Bedauern die letzte Seite umgeblättert.
Wer sich gern mit Literatur verzaubern lassen möchte, ist bei diesem Buch bestens bedient.