Charlotte McConaghy ist eine absolute Meisterin der spannenden Naturromane. Wie schon mit "Zugvögel", konnte sie mich auch mit ihrem neuen Roman absolut begeistern.
Vordergründig geht es um die Wiederansiedelung ...
Charlotte McConaghy ist eine absolute Meisterin der spannenden Naturromane. Wie schon mit "Zugvögel", konnte sie mich auch mit ihrem neuen Roman absolut begeistern.
Vordergründig geht es um die Wiederansiedelung von Wölfen in den schottischen Highlands, um den Wiederaufbau und Schutz von sensiblen Ökosystemen, um den Klimawandel. Unterschwellig transportiert die Geschichte jedoch auch einige Elemente, die tief in die menschliche Psyche abtauchen. Mitunter wird es dabei ganz schön düster, wie man es auch schon aus ihrem Debütroman kennt. Mich fasziniert diese Mischung sehr.
Für mich entstand beim Lesen ein wirbelnder Sog aus Emotionen, aufgeladen mit einer wahnsinnig spannenden Handlung, die sich sowohl im Bereich Mensch-Tier, als auch im Bereich Mensch-Mensch abspielt. Immer öfter stellt sich während des Lesens die Frage, wer hier tatsächlich das gefährlichere "Tier" ist, Mensch oder Wolf? Warum zur Hölle können Menschen sich gegenseitig so derart verletzen? Woher nehmen sie die Kraft, nach solchen Verletzungen wieder aufzustehen? Und wie bauen sie wieder Vertrauen zueinander und in ihre Unwelt auf?
McConaghy stellt weder leichte Fragen, noch gibt sie einfache Antworten. Ihr neuer Roman ist unheimlich und intensiv, kraftvoll und verletzend und schlichtweg großartig
"Mütter müssen, ob sie wollen oder nicht, Mütter müssen, auch wenn sie nicht mehr können. Eigentlich, so könnte man fast meinen, käme Mutter von müssen."
(Jana Heinicke 2022, Aus dem Bauch heraus, S. ...
"Mütter müssen, ob sie wollen oder nicht, Mütter müssen, auch wenn sie nicht mehr können. Eigentlich, so könnte man fast meinen, käme Mutter von müssen."
(Jana Heinicke 2022, Aus dem Bauch heraus, S. 21)
Nur ein einziger Fehler, ein winzig kleiner Moment der Unachtsamkeit. Nur einmal kurz die Augen schließen, weil die Müdigkeit den Körper übermannt. Nur kurz raus, den Raum verlassen, um wieder zu sich zu kommen, weil die Gefühle verrückt spielen. Zack - da ist das Kind von der Schaukel gefallen, gestolpert, hat sich verletzt und weint bitterlich. Ist man deswegen eine schlechte Mutter? Oder erst, wenn man sein Kind über Stunden alleine lässt und es so sehr weint, dass Nachbarn die Polizei rufen?
Für Frida wird ein einziger Fehler zum Verhängnis. Sie, eine liebevolle, zugewandte Mutter, überlässt in einem Moment purer Überforderung ihr Kind sich selbst und erwacht daraufhin in ihrem schlimmsten Albtraum: Ihre kleine Harriet wird "in Schutz" genommen und wohnt ab sofort bei ihrem Ex-Partner und seiner neuen Freundin. Alles zum Wohle des Kindes, denn ihre Mutter ist nun eine Gefahr für sie. Frida steht daraufhin unter absoluter Beobachtung durch die Kinderschutzbehörde und muss erst beweisen, dass sie für ein Kind sorgen kann. Sie wird zur Teilnahme an einem neuartigen, einjährigen Programm in einer Besserungsanstalt, im sogenannten "Institut für gute Mütter", verpflichtet. Nur wenn sie besteht, bekommt sie das Sorgerecht für ihre Tochter zurück. Doch der Albtraum nimmt kein Ende...
Dieses Buch ist krass. Es hat mich völlig in seinen Bann gezogen und mich gleichzeitig an meine Grenzen gebracht. An die Grenzen dessen, was eine Mutter überhaupt ertragen kann. Das Gedankenexperiment, das Jessamine Chan in diesem Roman anstößt, ist absolut erschreckend und in seiner Konsequenz extrem gut ausgearbeitet. Mithilfe von KI-Puppen sollen aus schlechten Müttern gute Mütter werden. Die Interaktionen mit ihren KI-Kindern (ja, sie sehen ihren "Müttern" ähnlich und erinnern an die eigenen Kinder!) werden überwacht, aufgezeichnet, ausgewertet und beurteilt. Es zählt die perfekte Länge einer Umarmung, der optimale Tonfall im Gespräch und eine korrekte Wortwahl beim "Mutterisch", der natürlichen "Muttersprache", die jede gute Mutter im Schlaf beherrschen sollte. Tag und Nacht werden die Mütter schikaniert und müssen sich unter unmenschlichsten Bedingungen in jeder Sekunde beweisen. Fehler werden hart bestraft, Versagen ist unmöglich. Nebenbei sollte erwähnt werden, dass es natürlich auch ein Institut für schlechte Väter gibt. Dort sieht man alles allerdings ein wenig lockerer, es sind schließlich nur die Väter der Kinder. Die machen keine richtig schlimmen Fehler und wenn doch, dann - "Wo war nochmal die Mutter?"
Man merkt meiner Rezension an, dass dieses Buch mich sehr wütend gemacht hat. Jessamine Chan legt den Finger tief in die Wunden eines völlig verstaubten Rollenbildes. Die gute Mutter. Jana Heinicke beschreibt es in ihrem Buch "Aus dem Bauch heraus" aus dem Jahr 2022 unglaublich treffend:
"Denn genau das war die Verheißung: Wenn sie es schafften, diesem schier unerreichbaren Idealbild zu entsprechen, würden sie die Anerkennung bekommen, die ihnen zustünde [...]. Schafften sie es jedoch nicht, handelten sie wider der Natur. Ironischerweise war es also die Überhöhung der Mutter, die maßgeblich zu ihrer Unterdrückung beitrug." (S. 168) Exakt diesen Widerspruch thematisiert Jessamine Chan in ihrer absurden und gleichzeitig so realen Dystopie. Die Handlung ist komplett überspitzt, aber trifft genau den Kern des Problems: Was macht eine gute Mutter aus? Gibt es sie überhaupt? Wer sollte das messen dürfen und vor allem wie?
Mir hat der Roman außerordentlich gut gefallen. Auch jetzt, noch Monate nach dem Lesen, habe ich gewisse Szenen und Bilder glasklar vor Augen und selten habe ich so geweint beim Lesen eines Buches. Man könnte der Autorin vorwerfen, dass sie übertreibt. Aber ist es nicht eigentlich "unsere" Realität selbst, die übertriebene Erwartungen an Frauen und Mütter stellt?
PS: Das Hörbuch ist unheimlich gut eingesprochen von Sandra Voss. Sie verleiht der absurden Handlung in vielen Momenten eine fast teilnahmslose Kühle, wodurch sich die Szenen nur umso heftiger einbrennen. Fantastisch!
Es war einmal eine Frau, die war Künstlerin und Galeristin und hatte große Freude an ihrem Beruf. Sie wurde Mutter und sie liebte ihren Sohn sehr. Aufopferungsvoll kümmerte sie sich um sein Wohlergehen, ...
Es war einmal eine Frau, die war Künstlerin und Galeristin und hatte große Freude an ihrem Beruf. Sie wurde Mutter und sie liebte ihren Sohn sehr. Aufopferungsvoll kümmerte sie sich um sein Wohlergehen, fütterte, wickelte, kochte, putzte, stand nachts auf. Sie wollte die perfekte Mutter sein, dabei auch "sie selbst" bleiben und ihre Karriere nicht aufgeben. Ihr Mann hatte einen furchtbar anstrengenden Job mit ständigen Geschäftsreisen, war ihr also keine Hilfe. Eines Tages merkte sie, dass der Hut, unter den sie alles zu stopfen versuchte, immer kleiner wurde. Überall schaute etwas heraus, sie bekam es einfach nicht mehr hin. Also kündigte sie ihren Job. Doch das Vollzeit-Mama-Sein zermürbte sie, höhlte sie innerlich aus. Wie sollte sie umgehen mit all ihren Unzulänglichkeiten, im Gegensatz zu den vermeintlich perfekten Müttern um sie herum? Denn wenn sie nicht gestorben ist, versorgt sie noch immer....? Halt, Stopp! Kurz vor dem Durchdrehen oder mittendrin (?) wurde sie zu Nightbitch. Als Nightbitch war sie unbesiegbar. Nacht für Nacht verwandelte sie sich nun in einen Hund...
Klingt absurd und skurril? Ist es auch. Aber auf die beste Art und Weise. Was anmutet wie ein modernes Märchen ist leider Realität für viele Frauen und Mütter. Dieses Gefühl, nicht mehr sie selbst zu sein seit der Mutterschaft, sich aufzuopfern für ein kleines, alles bestimmendes Wesen. Keine Kontrolle mehr über den Tagesablauf, geschweige denn den eigenen Körper zu haben. Ich konnte mich sehr hineinfühlen in diese Gefühle und Gedanken. Schlafmangel und dieses ständige Präsentsein-Müssen bei jungen Müttern weckt im wahrsten Sinne des Wortes animalische Triebe: völlig ungeahnte Wut und heillose Überforderung.
Was Rachel Yoder daraus macht ist absolut irre und genial. Mit zynischem Ton und einer ordentlichen Prise schwarzen Humors nimmt sie sich der modernen Mutterschaft an und seziert diese mithilfe der Idee einer animalischen Verwandlung. Das ist anders, klug und eröffnet Identifikations- und Interpretationsräume. "Nightbitch" ist eine schonungslose Abrechnung mit dem gesellschaftlich völlig überhöhten Bild der Supermutter, die alles kann und alles schafft. Hier geht es den unrealistischen Erwartungen und Idealen an Mutterschaft an den Kragen und das ist längst überfällig und notwendig. Dieser Roman reiht sich ein in eine lange Liste an Büchern, die ich in den letzten Jahren zu diesem Thema gelesen habe. Ich bin begeistert, dass immer mehr Autorinnen ihre Stimme erheben und sich stark machen für ein neues, authentisches Bild von moderner Mutterschaft und Frausein. Bitte mehr hiervon, Frau Yoder!
Beim Frühstück ist Juna sehr aufgeregt, denn heute ist ihr erster Tag in der Kita! Zum Glück hat sie ihre Geschwister, die ihr versichern, wie schön es dort ist und ihren Papa, der sie ganz fest an der ...
Beim Frühstück ist Juna sehr aufgeregt, denn heute ist ihr erster Tag in der Kita! Zum Glück hat sie ihre Geschwister, die ihr versichern, wie schön es dort ist und ihren Papa, der sie ganz fest an der Hand hält und begleitet. Gemeinsam werden sie das schaffen!
Was mir zuerst sehr positiv aufgefallen ist in diesem Kinderbuch: Wie herrlich realitätsgetreu es gezeichnet ist. Der Familienfrühstückstisch sieht alles andere als "instagramable" aus und ist voller Krümel, Essensreste und Spielzeug. Am Hochstuhl hängt eine Taucherbrille (wie kommt die denn dahin und hat die vielleicht das Schulkind vergessen?), im Flur liegt ein angebissener Apfel am Boden und auf der Küchenanrichte stapelt sich das Geschirr vom Vortag. Herrlich!
Auch die Geschichte an sich ist wunderbar unaufgeregt und kindgerecht erzählt. Mama und Emil (das Schulkind) fahren gemeinsam mit dem Fahrrad zur Schule und zur Arbeit. Papa läuft mit den beiden Kleinen in die Kita. Dort meistert er mit Juna ihren ersten Tag und übernimmt die Eingewöhnung. Es ist so schön zu sehen, dass es immer mehr Bücher gibt, in denen die Eltern sich die Care-Arbeit teilen und Väter ganz selbstverständlich teilnehmen am Alltag ihrer Kinder.
Mit schönen Illustrationen und einfachen, klaren Texten wird Kindern mit diesem Kinderbuch die Angst vor der Kita-Eingewöhnung genommen. Liebevoll und mit viel Zeit und Geduld darf Juna ankommen und ihr neues Umfeld kennenlernen. Ein Hoch auf diese neuen, bestärkenden und mutmachenden Bilderbücher!
Es ist Isabels letztes Jahr am College, Ende der 90er Jahre. In der Luft liegt Aufbruchsstimmung und gleichzeitig naive Unsicherheit. Wer weiß schon was er nach dem College machen will und wo es hingehen ...
Es ist Isabels letztes Jahr am College, Ende der 90er Jahre. In der Luft liegt Aufbruchsstimmung und gleichzeitig naive Unsicherheit. Wer weiß schon was er nach dem College machen will und wo es hingehen soll? Isabel jedenfalls nicht. Sie weiß nicht, was sie vom Leben oder der Liebe erwartet. Nach einem traumatischen Erlebnis mit ihrem Mitstudenten lässt sie sich völlig kopflos auf eine Affäre mit dem neuen Vertretungsprofessor für Literatur ein, der ihre ersten schriftstellerischen Versuche fördert und voran treibt. Bis Grenzen verschwimmen und sie auch hier nicht mehr weiß, was richtig und falsch ist...
Dieser Roman hat mir eine Gänsehaut nach der anderen beschert. Erst nach und nach entfaltet er sein ganzes Spektrum an Themen und Tiefe. Am Ende fügt sich alles zusammen, dann versteht man, gemeinsam mit Isabel, was tatsächlich vorgefallen ist. Auf den ersten Blick ist es eine Geschichte, die man kennt - junges, leichtgläubiges Mädchen, ein Mitstudent ("du wolltest es doch auch!") und ein Dozent ("nur ich verstehe, was in die vorgeht"). Aber sie transportiert viel mehr, als mir bewusst war. Es ist ein leiser Roman, der sehr subtil mit Andeutungen und einem Grauen zwischen den Zeilen arbeitet. Hier geht es um Frauen, die Gewalt erleben und selbst nicht einordnen können, ob sie tatsächlich Gewalt erlebt haben. Die gesellschaftlich abgewimmelt werden mit Sätzen wie "Du wusstest doch, worauf du dich da einlässt." Wussten Sie es wirklich? Ist Frau selbst schuld, wenn sie manipuliert wird? Sind Frauen einfach nur zu leichtgläubig, wenn Männer ihre Machtpositionen ausnutzen? Kann in einem großen Macht- und Hierarchiegefälle überhaupt Einvernehmlichkeit bestehen?
Der Roman eröffnet viele Bedeutungsebenen und einiges an Diskussionspotential. Das habe ich so nicht kommen sehen, als ich mit der Lektüre begonnen hatte. Für mich eine Überraschung, ein kluger und intensiver Beitrag zur MeToo-Debatte.