Meine Meinung und Inhalt
„Als sich mein Herz wieder beruhigt hatte, war alles, was übrig blieb, ein Gefühl der Verpflichtung – der unbedingte Wille, das beste aller Begräbnisse für meine Eltern zu organisieren, voller Gefühl und Würde, auch wenn ich keine Ahnung hatte, wie das aussehen sollte. Ich müsste mehr herausfinden über die Verankerung der beiden in dieser Gemeinde, etwas, das zum Schlüssel ihres ganzen Lebens würde. Berauscht von diesem großen Pflichtbewusstsein strebte ich dem Rathaus zu, wie ich es eigentlich schon seit Tagen geplant hatte.“ (ZITAT)
Der Unfalltod ihrer Eltern stellt die Wiener Physikerin Ruth vor ein nahezu unlösbares Paradox. Ihre Eltern haben verfügt, im Ort ihrer Kindheit begraben zu werden und zwar in Groß-Einland.
Doch niemand weiß wo dieser Ort ist, bis sich Ruth auf Spurensuche begibt. Völlig planlos steigt sie - noch unter Schock durch die schlimmen Nachricht – ins Auto und sucht nach diesem Ort.
Als Ruth, nachdem sie ein Gespräch an einer Tankstelle belauscht hatte, eine Verfolgung nach Groß-Einland aufnehmen konnte, trifft sie dort endlich ein.
Relativ bald macht sie die Entdeckung, dass sich unter diesem Ort ein riesiger Hohlraum erstreckt, der das Leben der Bewohner von Groß-Einland auf merkwürdige Weise zu bestimmen scheint. Überall finden sich versteckte Hinweise auf das Loch und seine wechselhafte Historie, doch keiner will darüber sprechen. Nicht einmal, als klar ist, dass die Statik des gesamten Ortes bedroht ist.
„Wir können keinen Schritt machen, ohne mit unserer Vergangenheit zusammenzustoßen. Die einzige Möglichkeit wäre, eben keinen Schritt mehr zu machen, eine vollständige Verweigerung der Zeit an sich.“ (ZITAT)
In Groß-Einland gibt es eine Gräfin, die anscheinend von allem und jedem Bescheid weiß. Man fragt sich als Leser, ob die Gräfin der Gemeinde das Schweigen der Bewohner steuert und welche Rolle Ruth in dieser ganzen Geschichte spielt.
Je stärker sie in die Verwicklungen Groß-Einlands zur Zeit des Nationalsozialismus dringt, desto vehementer bekommt Ruth den Widerstand der Bewohner zu spüren. Doch sie gräbt tiefer und ahnt bald, dass die geheimnisvollen Strukturen im Ort ohne die Geschichte des Loches nicht zu entschlüsseln sind.
„Etwas an Groß-Einland lud mich zum Bleiben ein – nach der schier übermenschlichen Leistung, die Gemeinde gefunden zu haben, spürte ich den unwiderstehlichen Drang, einige weitere Tage zu verharren. “ (ZITAT)
Edelbauer hat einen absolut fantastischen flüssigen Schreibstil und das Buch ist mit einem wunderschönen Cover geprägt.
Ein wahnsinnig außergewöhnlicher und fesselnder Debütroman über einen Ort, der nicht gefunden werden will. Eintauchen in eine andere Welt, ähnlich wie bei Alice im Wunderland. Flucht aus der Realität - in eine Gemeinde, in der alles anders abläuft. In der es eine eine österreichische Gräfin gibt, die über die Erinnerungen einer ganzen Gemeinde regiert. Ein Loch im Erdreich, das die Bewohner in die Tiefe zu reißen droht.
Edelbauers Protagonistin Ruth nimmt diese surreale Wirklichkeit in einem schlafwandlerischen Zustand wahr, der von ihrem ausgiebigen Konsum von Beruhigungs- und Aufputschmitteln herrührt. Denn seit ihrer Studienzeit leidet sie an einem gestörten Verhältnis zur Realität.
"Anfangs war es nur ein leichtes Befremdungsgefühl, als wären diese Straßen, die ich doch so gut kannte, Fälschungen. Als wäre ich in Kulissen unterwegs, die ein Hollywoodproduzent gewieft angefertigt hatte, um mich zu täuschen. … Es war ein quälendes Gefühl, ein dauernder Derealisierungszustand.“ (ZITAT)
Raphaela Edelbauer, geboren 1990 in Wien, wuchs im niederösterreichischen Hinterbrühl auf. Sie studierte Sprachkunst an der Universität für Angewandte Kunst, war Jahresstipendiatin des Deutschen Literaturfonds und wurde für ihr Werk »Entdecker.
Der Roman »Das flüssige Land«, schafft es auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises.