Zu stoisch
Das späte Leben
Von Platon ist der Satz überliefert: Philosophieren heißt sterben lernen. Dem Menschen ist eigen, dass er sich seiner eigenen Sterblichkeit bewusst ist. Allerdings weiß er in der Regel den größten Teil ...
Von Platon ist der Satz überliefert: Philosophieren heißt sterben lernen. Dem Menschen ist eigen, dass er sich seiner eigenen Sterblichkeit bewusst ist. Allerdings weiß er in der Regel den größten Teil seines Lebens nicht, wann ihn der Tod ereilen wird. In der Bibel heißt es dazu: Denn ihr kennt weder Tag noch Stunde. Und das ist in der Regel auch gut so.
Anders ist die Situation, wenn wir von einem Arzt eine Diagnose gestellt bekommen, nach der das Ende des Lebens relativ präzise absehbar ist. Und dies ist die Ausgangssituation des neuen Romans von Bernhard Schlink: Martin, der Protagonist des Romans, ein emeritierter Professor des Rechts, erfährt, dass er wegen Bauchspeicheldrüsenkrebses nur noch zwölf Wochen zu leben hat. Martin ist mit einer wesentlich jüngeren Frau verheiratet und hat einen sechsjährigen Sohn. Wie soll er auf diese Nachricht reagieren?
Martin entwickelt eine absolut stoische Haltung zu dem Wissen um den Zeitpunkt und die Art seines Todes. Weniger im Sinne von Epikur, der eine Auseinandersetzung mit dem Tod ablehnt („Er geht uns nichts an.“), sondern eher im Sinne Senecas, der eine ruhige, gelassene, rationale Haltung zum Tod empfiehlt. Und genau diese Haltung nimmt Martin ein. Er malt sich ganz rational aus, wie sein körperlicher Zerfallsprozess mit den Schmerzen verlaufen wird und trifft entsprechende Vorsorgemaßnahme (Platz in einem Hospiz). Er lässt kaum eine Gefühlsregung zu. Auch nicht gegenüber dem Abschiednehmen von seinem Sohn und seiner Frau. Er will seinem Sohn etwas hinterlassen und legt mit ihm einen Kompost an (wie sinnträchtig!) und schreibt ihm Briefe, die er später lesen soll, in denen er eine eher triviale Lebensphilosophie darlegt.
Die Entdeckung, dass seine Frau ihn schon seit längerem betrügt, wirft ihn auch nicht aus der Bahn. Er weiß nun, dass es für seine Frau ein Weiterleben nach seinem Tod geben wird.
Kurz vor Ende seines Lebens unternimmt er noch eine Reise mit Frau und Sohn an die Ostsee, damit endet der Roman. Der Sterbeprozess selbst wird nicht mehr dargestellt.
Entsprechend Martins Grundeinstellung ist die Sprache des Romans schlicht und rational. Von dem Verlauf der Krankheit erfährt der Leser, dass Martin Schmerzen hat und dass er häufig müde ist..
All dies macht den Protagonisten und damit den Roman eher uninteressant. Es gibt keine komplexe Gefühlswelt, mit der sich Martin auseinandersetzen müsste. Es geschieht nicht Unvorhersehbares, die Nebenfiguren bleiben blass, die Dialoge mit ihnen sind eher hölzern.
Beim Lesen war mir, als müsste ich Martin einmal kräftig schütteln und ihm zurufen: „Nun lass doch einmal deine Trauer raus, deine Ängste, deinen Zorn“ -aber vermutlich wäre das auch wirkungslos an ihm abgeprallt.