Profilbild von Buecherhausen

Buecherhausen

Lesejury Star
offline

Buecherhausen ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Buecherhausen über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 06.10.2016

Ein düsterer Comic mit schwerer Thematik.

Keine Macht für Al Tsoy Ma
0

Eigentlich lese ich ja keine Comics, sie haben mir zu wenig Text. Aber da ich mich erst vor Kurzem mit dem Buch "Ein halber Held" und dessen Thematik (der Demenz) beschäftigt habe, war ich neugierig, wie ...

Eigentlich lese ich ja keine Comics, sie haben mir zu wenig Text. Aber da ich mich erst vor Kurzem mit dem Buch "Ein halber Held" und dessen Thematik (der Demenz) beschäftigt habe, war ich neugierig, wie das Thema in einem Comic für Kinder umgesetzt wird. Mit "Keine Macht für Al Tsoy Ma" haben Thibaut Lambert und Sabine Henry einen Alzheimer-Comic vorgelegt, dessen Superheld ein kleiner Junge ist, der sich um seinen Opa sorgt.

Thibaut Lambert ist ein belgischer Schriftsteller und Künstler. Die Geschichten seiner Freundin, die in einem Altenheim arbeitet, brachten Lambert auf die Idee, einen Comic zur Thematik Alzheimer zu schreiben. So wandte er sich an die belgische Alzheimer-Organisation Ligue Alzheimer A.S.B.L. Deren Präsidentin Sabine Henry war begeistert von dieser Idee und gemeinsam erarbeiteten sie die belgische Originalausgabe mit dem Titel "Al Zimmeur".

Zitat: "Opa wird in der nächsten Zeit immer mehr vergessen. Es kann sogar passieren, dass er uns vergisst."

Als kleine Einführung in die Geschichte schreibt Sabine Henry einen Brief an ihre Enkel, in welchem sie beschreibt, wie sie mit der Krankheit Alzheimer zum ersten Mal in Kontakt gekommen ist. Dann geht es auch gleich los mit dem Comic. Im Mittelpunkt steht der kleine Junge Tom, der mit seinem Opa immer viele Abenteuer erlebt hat, zum Beispiel haben sie Sternenkrieger gespielt und sich eine richtige Ausrüstung dafür gebaut. Doch dann geschieht das unerwartet. Der Opa verhält sich nicht mehr, wie er sich sonst immer verhalten hat. Aus heiterem Himmel wird er wütend und gar handgreiflich. Seine Eltern sprechen mit Tom und erklären ihm, dass sein Opa an Alzheimer leidet und sich deshalb seltsam verhält. In der Fantasie des Jungen wird die Krankheit Alzheimer zu einem Antihelden mit Namen Al Tsoy Ma, den es zu bekämpfen gilt. Aber wie bekämpft man einen Bösewicht, der winzig klein im Kopf des Großvaters sitzt? Das Abendteuer beginnt.

Zitat: "Keine Sorge Opa, ich werde dich retten."

Lambert hatte eine schöne Idee zur Erklärung, was im Kopf eines an Alzheimer erkrankten Menschen vor sich geht. Die Personifikation der Krankheit gibt Tom Mut und eine Idee, was er tun kann, um seinem Großvater zu helfen. Das merkwürdige Verhalten der erkrankten Person ergibt nun einen Sinn, wird greifbar. Held und Antiheld sind außerdem typische Bilder in Kinder- und Jugendliteratur und bieten dem kindlichen Leser einen spielerischen Einstieg in eine komplexe Thematik. Schade finde ich, dass die Bilder alle in schwarz-weiß abgedruckt sind. Etwas Farbe würden sicherlich auch die kindlichen Leser ansprechender finden und der Comic würde vielleicht etwas an seiner Düsterkeit verlieren und somit auch für kleinere Kinder geeignet sein.

Mir fällt es schwer, diesen Comic einzuordnen. Zum Einen ist er sehr dunkel und gruselig gezeichnet und viele Bilder sind ohne Text, sodass man sich einiges an der Geschichte selbst zusammen reimen muss. Zum Anderen sind Vorwort und Nachwort wirklich gelungen und bringen dem Leser auf kindgerechter Ebene die Krankheit Alzheimer näher. Das Buch hilft betroffenen Kindern sicherlich, sich mit der Thematik auseinander zu setzen und die Krankheit „Demenz“ etwas besser zu verstehen. Allerdings fehlt mir die Altersangabe. Ich kann nicht einschätzen, für Kinder welchen Alters dieser Comic geeignet ist. Ich hatte vor, ihn auch mit meiner fünf-jährigen Tochter zu lesen, habe mich dann aber dagegen entschieden, da er für meinen Geschmack zu dunkel und bedrohlich gezeichnet ist. Auch die Idee mit der Waschmaschine gefällt mir gar nicht und ich finde es daher für kleine Kinder nicht passend.

Zitat: "Opa ist vielleicht nicht mehr der Alte. Aber er hat mich immer noch lieb."

Veröffentlicht am 28.09.2016

Ein perfektes Spiel der Irreführungen

Beim Leben meiner Tochter
0

Beim Leben meiner Tochter ist ein spannungsgeladener und rasanter Kriminalroman. Er handelt von der Flucht eines Vaters mit seiner Tochter vor der Polizei. Die Verfolgungsjagd auf Seiten der Polizei kommt ...

Beim Leben meiner Tochter ist ein spannungsgeladener und rasanter Kriminalroman. Er handelt von der Flucht eines Vaters mit seiner Tochter vor der Polizei. Die Verfolgungsjagd auf Seiten der Polizei kommt dabei auch nicht zu kurz. Und immer steht die Frage im Mittelpunkt: Ist Martial Bellion wirklich der Mörder seiner eigenen Frau Liane?

Michel Bussi (geboren 1965) lebt und arbeitet in Frankreich. Er ist Autor, Politologe und Geograph. Michel Bussis Romane wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und er gilt als internationaler Bestsellerautor. Weitere beim Aufbau Verlag erschienen Romane sind Das Mädchen mit den blauen Augen (2014) und Die Frau mit dem roten Schal (2015).

Im Mittelpunkt der Erzählung steht die Flucht eines Vaters mit seiner Tochter, da dieser verdächtigt wird, seine Frau während des gemeinsamen Urlaubs ermordet zu haben. Martial Bellion, der Vater, lässt seine Tochter Sopha zu Beginn des Buches kurz am Pool alleine, um nach seine Frau Liane zu sehen. Als er auf dem Hotelzimmer ankommt, ist sie dort nicht zu finden, jedoch sind überall Blutspuren zu sehen. Die Polizei nimmt die Ermittlungen auf und schnell wird Martial zum Hauptverdächtigten. Er schnappt sich seine Tochter und begibt sich auf die Flucht.

Der Leser wird sofort in die Geschichte gezogen und bleibt lange Zeit im Dunkeln, ob Martial schuldig ist oder nicht. Die Geschichte wird aus verschiedenen Perspektiven in der dritten Person erzählt. Nur bei Sopha macht Bussi eine Ausnahme, sie beschreibt in der ersten Person ihre Erlebnisse und Gedanken. Auch sie ist hin und her gerissen zwischen Vertrauen und Misstrauen zum Vater. Fest steht, Martial hat eine schlimme Vergangenheit, die nach und nach zum Vorschein kommt. Er ist eine undurchsichtige Person mit ganz verschieden ausfallenden Gefühlsregungen. Er ist ein Meister der Täuschungen und Irreführungen, der der Polizei immer wieder entwischt aber sie dennoch scheinbar gekonnt hinter sich her lockt.
Michel Bussis Landschaftsbeschreibungen der Insel La Réunion runden das Bild der Erzählung ab und versetzen den Leser mitten hinein auf diese besondere Insel. Die Erzählung erscheint real und nicht gekünstelt.
Durch den direkten Einstieg in das Verbrechen wird die Spannung gleich zu Beginn schnell aufgebaut. Man ist von Anfang an mitten im Geschehen. Rückblicke und Hintergrunddetails führen den Leser zum Teil in die Irre, sorgen aber für eine schlüssige Geschichte.
Jeder Protagonist, welcher während des Verlaufs der Geschichte unter Verdacht steht, hat sein Geheimnis, welches er versucht zu hüten. In Martials Fall sorgt dies dafür, dass er noch stärker unter Verdacht gerät. Der Leser kommt bis zum Schluss aus dem Rätseln nicht heraus.

Michel Bussis Schreibstil ist gut verständlich, aber meines Erachtens eher durchschnittlich. Er schafft es mit seiner Liebe zum Detail ein rundes Bild zu erschaffen. Die Rolle des befreundeten Paares ist mir allerdings nicht wirklich klar geworden. Sie spielten keine große Rolle für die Geschichte und wurden auch nicht großartig zum Kreise der Verdächtigten gezählt, waren somit eher überflüssig. Das war aber auch das einzig Überflüssige. Vor allem der Charakter des Ermittlers Christos ist sehr gut gezeichnet und ich habe ihn schnell ins Herz geschlossen.

Alles in allem handelt es sich bei diesem Roman um einen gelungenen Krimi. Michel Bussi gelingt es eine bis zum Schluss spannende Geschichte zu erzählen, die den Leser gefangen nimmt und miträtseln lässt.

Veröffentlicht am 21.09.2016

Jane Austen und das ausgehende 18. Jahrhundert

Die geheimen Memoiren der Jane Austen
0

Syrie James ist Roman- und Drehbuchautorin. Der vorliegende Roman "The Lost Memoirs of Jane Austen" ist ihr Erstlingswerk. Sie wurde in New York geboren und verbrachte, bis auf zwei Jahre in Paris, ihr ...

Syrie James ist Roman- und Drehbuchautorin. Der vorliegende Roman "The Lost Memoirs of Jane Austen" ist ihr Erstlingswerk. Sie wurde in New York geboren und verbrachte, bis auf zwei Jahre in Paris, ihr ganzes Leben in Kalifornien. Sie ist verheiratet und Mutter von zwei mittlerweile erwachsenen Kindern. Schon als Kind wollte Syrie James Autorin werden und so machte sie Jahre später ihren B.A. in Englisch und Kommunikationswissenschaft. Aufgrund ihrer Leidenschaft für Literatur aus dem 19. Jahrhundert und da Jane Austen ihre Lieblingsautorin ist, entschloss sie sich einen Roman über selbige zu schreiben. Sie begann ihre Recherche, indem sie zum Einen Briefe von und an Jane Austen las und zum Anderen eine Reise unternahm, auf welcher sie den Spuren Jane Austens in England folgte. Während dieser Recherchen stellte sie fest, dass es bei der Rekonstruktion von Jane Austens Leben eine Lücke von etwa zwei Jahren gibt. Von 1809 bis 1811 weiß man nichts über die Ereignisse in Janes Austens Leben. Genau diese Lücke füllt Syrie James mit ihrem fiktiven Roman, denn es gibt Gerüchte, dass Jane Austen neben der Bekanntschaft mit Tom Lefroy eine weitere engere Bekanntschaft mit einem unbekannten Mann hatte.

Jane Austen lebte von 1775 bis 1817. Sie heiratete nie, und war somit Zeit ihres Lebens auf das Wohlwollen ihres Vaters und später ihrer Brüder angewiesen. Schon immer schrieb sie leidenschaftlich gerne Geschichten und trug diese den Familienmitgliedern vor. Alle aus ihrem Umfeld waren begeistert von ihren Erzählungen, doch es dauerte viele Jahre, bis sich ein Verlag fand, der ihre Bücher veröffentlichte, und das zunächst nur auf Kosten des Autors. Auf die erste Veröffentlichung von "Sense and Sensibility" unter dem Pseudonym 'by a Lady' folgte dann allerdings ein großes Interesse an den Werken von Jane Austen und bald war die Identität der Autorin kein Geheimnis mehr.

Der Roman beginnt zunächst mit einem Vorwort einer gewissen Mary I. Jesse, einem Mitglied von der Jane Austen Literary Foundation. Im Anhang des Buches klärt die Autorin allerdings darüber auf, dass weder dieses Mitglied (der Name ist lediglich ein Anagramm vom Namen der Autorin) noch die Foundation existieren. Aber gerade dieses Vorgehen ist ein brillanter Schachzug der Autorin, um den Leser in Ungewissheit schweben zu lassen, ob es sich nun um einen Tatsachenbericht oder doch um eine fiktive Erzählung handelt. Mary I. Jesse erzählt in diesem Prolog, dass die Memoiren von Jane Austen vor kurzem in dem alten Haus der Familie auf dem Dachboden in einer Truhe gefunden wurden. Somit sei die folgende Erzählung eine Abschrift der tatsächlichen Memoiren von Jane Austen - quasi aus ihrer eigenen Feder entstanden - und lediglich mit einigen wenigen Fußnoten der Präsidentin der Jane Austen Literary Foundation versehen worden. Die Autorin setzt also alles daran, ihr Werk als die wahren Memoiren der Jane Austen auszugeben und dies gelingt ihr auf Anhieb.
Anschließend steigt die Autorin sofort in die Geschichte ein. Die Handlung, welche aus der Perspektive der Jane Austen beschrieben wird, setzt mit dem Hinweis darüber ein, weshalb Jane Austen ihre eigene Geschichte aufschreibt. Genau genommen liegt der Schwerpunkt der Memoiren dann aber auf zwei Ereignissen in Jane Austens Leben. Das erste einschneidende Erlebnis in Jane Austen Leben ist der Auszug aus ihrem Familienhaus in Steventon und somit der Umzug nach Bath, einer Gegend, die ihr persönlich nie gefallen hat und die sie in den kommenden Jahren unglücklich machen wird. Nach dieser kurzen Episode folgt eine detaillierte Beschreibung der Ereignisse nach dem Tod ihres geliebten Vaters. Aufgrund des Todes und des daraufhin folgenden Geldmangels mussten Janes Mutter, Jane und ihre Schwester Cassandra mehrfach umziehen, da sie auf die Güter der Brüder angewiesen waren. Die zentrale Handlung setzt dann mit einem Besuch von Jane und ihrem Bruder in Lyme ein, bei welchem sie Mr. Ashford kennenlernen. Syrie James erzählt hier eine fiktive Liebesgeschichte zwischen Jane Austen und Mr. Ashford. Von ihrem Kennenlernen, über erste Annäherungen, einem geheimen Verlöbnis bis hin zu der unweigerlich folgenden Trennung des Liebespaares aufgrund äußerlicher Umstände.

Interessant ist, dass Syrie James Episoden und Zitate aus den Werken Jane Austens in ihre Geschichte einbringt, die Handlung somit authentisch, nachvollziehbar und glaubhaft macht. Aus "Pride an Prejudice" beispielsweise macht sie sich Szenen zwischen Lizzy und Mr. Darcy zu eigen, wandelt diese allerdings ab, so dass es keine plumpe Neuerzählung des Stoffs ist. Es ist also auch zu vermuten, dass die Autorin noch weiteren Szenen aus anderen Werken verwendet hat. Diese Entlehnungen aus den Werken der Jane Austen rechtfertigt die Autorin damit, dass Jane Austen wohlmöglich keine alte Jungfer war, wie sie meist beschrieben wurde, sondern durchaus ihre Erfahrungen gemacht hat. Genau diese Erfahrungen aus ihrem eigenen Leben könnte Jane Austen in ihren Werken verarbeitet haben. Wie sonst hätte sie solche Liebesgeschichten schreiben können? Diese Erklärung, welche im Anhang neben weiteren Argumenten und Ausklärungen zu finden ist, macht außerdem deutlich, dass sich Syrie James wirklich Gedanken gemacht hat und viel Zeit auf eine gute Recherche verwendet haben wird. Jane Austen wird sowohl als eine selbstbewusste und durchaus selbstständige Frau dargestellt, welche allerdings dennoch auch Selbstzweifel in Bezug auf sich selbst und ihre Buchveröffentlichungen hatte. Der Leser kann sich somit sehr gut in die Protagonistin hinein versetzen und fiebert mit, obwohl man diese Zeit und die damals herrschende Ungerechtigkeit nicht selbst erlebt hat.

Sprache und Stil des Romans sind im Allgemeinen leicht verständlich. Es gibt keine Dialekte, lediglich ein paar veraltete Begriffe sind enthalten, welche allerdings dann zur Authentizität des Werk beitragen. Der Schreibstil ist dem von Jane Austen sehr ähnlich, man nimmt Syrie James ab, dass diese Memoiren direkt von Jane Austen geschrieben wurden.

Das Leben von Jane Austen und ihre Werke (vor allem "Sense and Sensibility" und "Pride and Prejudice") sind in dem vorliegenden Roman so geschickt und gekonnt verknüpft, dass man als Leser geneigt ist, der Geschichte Glauben zu schenken und dies nicht nur, wenn man bereits Vorkenntnisse zu Jane Austen und/oder ihrer Werke hat. Die Kapitel sind so spannend aneinandergefügt, dass man verleitet wird doch immer noch ein und noch ein Kapitel zu lesen. Obwohl es kein klassisches Hollywood-Happyend geben kann, da Jane Austen schließlich nie geheiratet hatte, wird eine innere Ruhe und Zufriedenheit der Protagonistin übermittelt und schafft somit trotzdem ein schönes und befriedigendes Ende für den Leser. Das Leben von Jane Austen aber auch die Zeit in der sie lebte - die damaligen Verhältnisse, die schwierige Situation in der sich viele Frauen befanden etc. - werden anschaulich dargestellt und laden dazu ein, sich mit dem Thema weiter zu beschäftigen und vielleicht, wenn man es bisher nicht getan hat, das ein oder andere Buch von Jane Austen in die Hand zu nehmen. Man muss nicht bereits Fan von Jane Austen sein, oder sich mit der Thematik beschäftigt haben, um Gefallen an diesem Roman zu haben. Wine breite Leserschaft wird angesprochen - wie Fans von Jane Austen, Interessierte in Bezug auf das ausgehende 18. und beginnende 19. Jahrhundert aber auch einfach Leser, die gerne eine gut geschriebene Liebesgeschichte lesen wollen und somit gleich ein paar historische Fakten aufnehmen können.

Veröffentlicht am 21.09.2016

Ein Appell an die Menschlichkeit

Sklavin
0

Wer glaubt, Sklaverei in Europa gibt es heute nicht mehr, der sollte Mende Nazers Buch Sklavin zur Hand nehmen und sich eines Besseren belehren lassen.

Der Roman Sklavin ist eine chronologisch aufgebaute ...

Wer glaubt, Sklaverei in Europa gibt es heute nicht mehr, der sollte Mende Nazers Buch Sklavin zur Hand nehmen und sich eines Besseren belehren lassen.

Der Roman Sklavin ist eine chronologisch aufgebaute Autobiographie der aus den Nuba-Bergen des Sudans stammenden Autorin. Wer Interesse an afrikanischer Kultur und Tradition hat, dem sei dieses Buch empfohlen. Schon mit Waris Diries Bestseller Wüstenblume wurde auf bestehende Probleme in Afrika aufmerksam ge-macht. Sie selbst wird auf dem Buchrücken dieses Taschenbuchs zitiert: "Mit ihrer Geschichte hat Mende die Qualen unserer afrikanischen Schwestern sichtbar gemacht. Ich bete und hoffe das Beste für Mende!" Waris Dirie beschäftigt sich in ihren Werken allerdings zumeist mit ritueller Genitalverstümmelung und Polygamie. Das Thema der Beschneidung von Frauen wird in Sklavin zwar auch beschrieben, aber es steht eher am Rande der Erzählung. Der Missbrauch von Sklaven wird allerdings schonungslos veranschaulicht. Zusätzlich setzt sich Mende Nazer aber auch mit Missständen der westlichen Kultur auseinander. Wie kann ein Mensch Jahre lang mitten in London als Sklavin gefangen gehalten werden?

Mende Nazer (geb. um 1980) beschreibt ihr eigenes Schicksal. Als 12-jährige erlebt sie, wie arabische Milizen ihren Stamm überfallen, die Häuser des Dorfes niederbrennen, die Männer ermorden, Frauen und Kinder schänden und entführen. Sklavenhändler verkaufen Mende an eine wohlhabende arabische Familie, die sie quält und misshandelt. Dort, in der Hauptstadt Khartum, muss sie ein menschenunwürdiges Leben führen, als Sklavin die häuslichen Arbeiten verrichten und auf die Kinder aufpassen. Man nennt sie nicht bei ihrem Namen, sondern ruft sie lediglich "Yebit", was so viel heißt wie "Mädchen, das es nicht wert ist, einen Namen zu tragen". Viele Jahre verbringt Mende Nazer in Gefangenschaft und wird sogar nach London an die Schwester ihrer Herrin verliehen, deren Mann bei der Botschaft als Diplomat arbeitet und vom Verbot der Sklaverei in der westlichen Welt informiert ist. Dort muss sie weiterhin in Einsamkeit leben, darf das Haus aber ab und an für kurze Zeit verlassen, um Besorgungen zu erledigen. Zum ersten Mal nach vielen Jahren in der Sklaverei kann sie auf einen Markt gehen. 2000 findet sie schließlich einen Nuba, dieser und der Journalist Damien Lewis (späterer Co-Autor ihres Buches) verhelfen ihr zur Flucht.

Wer jetzt meint, damit hätte die Geschichte schon ein gutes Ende genommen, der irrt. Mende Nazer stellt einen Antrag auf Asyl, der allerdings nach zwei Jahren abgelehnt wird, da die britischen Behörden der Meinung sind, ein Sklave werde nicht politisch verfolgt und habe daher kein Anrecht auf Asyl. Sie sei eine illegale Einwandererin. Die Abschiebung stand ihr bevor. Diese Vorkommnisse bewegen Mende Nazer 2002 dazu, ihren Roman zu schreiben, der zunächst nur in Deutschland erschien und somit von den britischen Behörden nicht wahrgenommen wurde. Durch den Protest von Medien und Lesern, sowie der Unterstützung von Menschenrechtsorganisationen, wird die Abschiebung abgewendet und die Autorin als Flüchtling anerkannt. 2006 bekam sie die britische Staatsbürgerschaft.

Die hier rezensierte Taschenbuchausgabe von 2006 enthält nach Damien Lewis Epilog über seine Sicht von Mende Nazers Fall und einem angefügten Fernsehinterview der beiden noch ein Nachwort des Selben. In diesem Nachwort beschreibt er die Arbeit an diesem Buch. Auch von Mende Nazer wurde ein Nachwort hinzugefügt, in dem sie über ihren Streit um Asyl, sowieso die Zeit nach ihrer Flucht berichtet.

Das Buch ist eher umgangssprachlich verfasst, die Sprache ist sehr einfach gehalten, was sicherlich auch mit Mende Nazers mangelnder Kenntnis der englischen Sprache zusammen hängt. Aus diesem Grund nahm sie auch die Unterstützung des Journalisten Damien Lewis an, der ihr half dieses Buch zu schreiben und zu veröffentlichen. Das Buch lässt sich somit leicht und schnell lesen und ist auf jeden Fall als Lektüre für zwischendurch geeignet. Der Beginn des Werkes, also die Erzählung über Mende Nazers Kindheit, fällt leider etwas lang und somit zäh aus, worüber man aber durch die später geschilderte Handlung hinwegsehen kann. Die subjektive Sichtweise, in der dieses Buch verfasst ist, soll die breite Öffentlichkeit ansprechen und informieren. Es handelt sich hierbei also um einen Appell an die Menschlichkeit. Mende Nazers Buch ist sehr bewegend und lebt durch die Beschreibung ihrer schockierenden Erfahrungen, keineswegs aber wegen eines wirkungsvollen Schreibstils. Dieser sorgt eher dafür, dass das Werk authentisch und aufrichtig wirkt. Waris Diries Werk ist literarisch gesehen also dem Mende Nazers um einiges voraus. Doch wer gefallen an ihren Büchern hatte, der sollte Sklavin auch zur Hand nehmen, da in diesem Buch einen neuer Aspekt afrikanischer Probleme dargestellt wird und hier ist Europa zunächst nicht die Lösung aller Probleme.

Veröffentlicht am 21.09.2016

Ein eindrucksvolles Bild jener Zeit

Die Feuerbraut
0

Der historische Roman "Die Feuerbraut" des Münchner Autorenehepaars, welches unter dem Namen Iny Lorentz publiziert, thematisiert eine Zeit voller Schrecken während des Dreißigjährigen Kriegs. Genauer ...

Der historische Roman "Die Feuerbraut" des Münchner Autorenehepaars, welches unter dem Namen Iny Lorentz publiziert, thematisiert eine Zeit voller Schrecken während des Dreißigjährigen Kriegs. Genauer gesagt, werden die Erlebnisse der Hauptfigur Irmela von Hochberg mit Beginn des Schwedischen Kriegs (1630-1635) dargestellt. Während der Flucht vor den Schweden fallen sie und ihre Mitreisenden denselben in die Hände. Nur durch Irmelas gutes Gehör gelingt es ihr, ein paar der Reisegefährten vor den Schweden zu warnen. So kommt es dazu, dass die Mitreisenden, die den Schweden zum Opfer gefallen sind aber dennoch überlebt haben, ihr unterstellen, sie sei eine Hexe. Da Irmela die Alleinerbin eines großen Vermögens ist, entspinnt sich ein Netz voller Intrigen, welches selbst von Kirchenmitgliedern unterstützt wird.

Wie schon in den letzten Werken ist aber auch hier zu bemerken, dass die entstehenden Paarkonstellationen meist schon von Beginn der Geschichte absehbar sind. Die Umwege zu diesen Paarbildungen sind in dem Werk "Die Feuerbraut" aber dennoch unvorhersehbar und somit bleibt die Geschichte von Anfang an voller Spannung.

Die Hauptfigur Komtesse Irmela von Hochberg ist, im Unterschied zu den Charakteren in den bisherigen Romanen von Iny Lorentz, ein unsicheres, schüchternes, nicht gerade hübsches junges Mädchen, welches im Laufe der Geschehnisse zunehmend selbstsicherer wird und versucht ihre Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen.
Neu in diesem Werk ist somit die Darstellung der Protagonisten. Oft wurde bei den vorherigen Werken Iny Lorentz' bemängelt, dass sie immer wieder perfekte Charaktere beschreibt, welche eher realitätsfern erscheinen. Nicht so in diesem Werk. Sie deckt hier nicht nur mit der Hauptfigur, sondern auch mit den anderen Protagonisten Schwächen, Fehler und Abgründe der menschlichen Seele auf und beschreibt sie gnadenlos. Außerdem macht Iny Lorentz nicht Halt davor, Gewalt, Folterung, Verstümmelung, magische Hexenrituale und Kindesmord detailliert darzustellen. Schwache Nerven sind hier fehl am Platz. Aber dies hat Iny Lorentz schließlich schon in der Vergewaltigungsszene in ihrem Werk "Die Wanderhure" unter Beweis gestellt. Auch die finsteren Machenschaften des Adels werden offen dargestellt.

Wer schon Gefallen an den bisherigen Lorentz-Romanen hatte, sollte dieses Werk unbedingt lesen. Es behält den Stil des Autorenehepaar bei, hat sich aber frühergehende Kritik zu Herzen genommen und schafft somit ein eindrucksvolles Bild jener Zeit.