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Veröffentlicht am 20.02.2022

Große Literatur ist nie tot oder überholt. Sie ist immer zeitgemäß weil keiner Epoche direkt untertan.

Die Feuer
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Claire Thomas zeigt uns, wie das Leben in Down Under während der großen Waldbrände sein kann. Leben mit der Gefahr, trotzdem Weiterleben, ins Theater gehen, seinem Beruf oder Ausbildung nachgehen. Da passt ...

Claire Thomas zeigt uns, wie das Leben in Down Under während der großen Waldbrände sein kann. Leben mit der Gefahr, trotzdem Weiterleben, ins Theater gehen, seinem Beruf oder Ausbildung nachgehen. Da passt ein absurdes Theaterstück gerade richtig. Die Regie hat das Stück „Happy Days“ von Samuel Beckett in unsere Zeit verpflanzt und dadurch gezeigt wie zeitlos aktuell die Tragikomödie ist. Wenn Winnie, die Protagonistin im Stück im ersten Akt bis zum Oberkörper in der Erde steckt und nicht mehr handlungsfähig ist, so steckt sie im zweiten Akt schon bis zum Hals in diesem Berg, der sich nun aber in einen Müllberg verwandelt hat. Wenigstens kann sie noch reden während ihr Partner, Willie, nur noch einsilbig antworten kann oder grunzen. Rund um dieses Theaterstück spielen sich andere Dramen im Zuschauerraum ab: Margot, die siebzigjährige Literaturprofessorin lebt mit ihrem dementen Ehemann, der sie malträtiert und schlägt, während sie versucht hat, dies vor ihrem Sohn zu verbergen. Doch nun, während des Stückes, fasst sie den Entschluss, ihrem Sohn ihre Probleme offen darzulegen. Auch an der Uni läuft es nicht so rund für sie. Dann wäre da noch Ivy, reiche Mäzenin und Mutter eines kleinen Jungen. Nach einer Kindheit in Armut hat sie dennoch studiert und eine reiche Erbschaft gemacht. Aber den schweren Verlust ihres Erstgeborenen lässt sie nicht los und manchmal reagiert sie zu heftig, für den Geschmack ihres Mannes. Die dritte Protagonistin, die junge Theaterstudentin und Platzanweiserin Summer sorgt sich um ihre Freundin April die versucht, ihre Eltern aus dem Buschfeuer zu retten. Hinzu kommt ihr Ärger mit ihrer Mutter, die sich weigert, der Tochter ihre Herkunft zu verraten. Diese drei Frauen finden sich in diversen Aussprüchen von Winnie auf der Bühne wieder, werden zum Nachdenken über sich, ihr Leben und ihre Empfindungen und die Welt, die sie umgibt angeregt. Der Twist ist, in der Pause zwischen den beiden Akten des Beckett-Stücks treffen die drei Frauen aufeinander und diese Szene ist auch wie ein Theaterstück in Dialogform dargestellt.
Wenn in Becketts Stück die Sinn- und Hilflosigkeit der eigenen Existenz auf der Bühne thematisiert wird, geschieht im Saal bei Margot, Ivy und Summer ein innerer Wandel. Alle drei Frauen beschließen jede für sich Änderungen in ihren Leben herbeizuführen, sich nicht mehr von den Umständen oder von Mitmenschen (und sei es die eigene Mutter oder der Ehepartner) bestimmen zu lassen. Und Ivy will die Verbindung zu Margot, ihrer ehemaligen Literaturprofessorin nicht abreißen lassen.
Das hinreißend schöne und absolut passende Titelbild – elegantes Abendkleid und Hinweis auf die Buschfeuer die rings um Melbourne unkontrollierbar lodern ist ein Hingucker schlechthin.

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Veröffentlicht am 20.02.2022

To live or not to live, that is the question

Ende in Sicht
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Der Anfang ist vielversprechend: Eine Frau mit reichlich Lebenserfahrung will ihrem Leben ein Ende setzen. Dazu fährt sie in die Schweiz, wo Suizid unterstützt wird. Ob die Schweizer stolz auf diese Art ...

Der Anfang ist vielversprechend: Eine Frau mit reichlich Lebenserfahrung will ihrem Leben ein Ende setzen. Dazu fährt sie in die Schweiz, wo Suizid unterstützt wird. Ob die Schweizer stolz auf diese Art des finalen Tourismus sind?
Ein junges Mädchen will ihrem Leben auch ein Ende setzen, aber auf viel schnellere und rabiatere Art. Diese zwei so unterschiedlichen Frauen verbindet nur der Todeswunsch.
Juli stürzt sich von einer Autobahnbrücke auf die Fahrbahn, Hella Licht unterwegs auf dieser Autobahn, bremst ab, untersucht Juli und zerrt sie ins Auto. Juli ist zwar am Knie verletzt, hat etliche Prellungen und Schürfungen davongetragen, aber ist am Leben. Und nun raufen sich diese zwei Frauen zusammen, von Bielefeld bis Lindau dauert ihre gemeinsame Reise an. Unterwegs bestehen sie so einige Abenteuer, einige lachhaft, wie z.B. der mürrische Toilettenwächter auf einer Autobahnraststätte, oder wenn Hella Licht als Schlagersängerin auf einem Feuerwehrfest irgendwo in der fränkischen Pampa erkannt wird. Am schönsten fand ich die Nacht die beide in dem Spaßbad verbringen und am Schluss noch 10 Euro, die sie nie ausgelegt haben, zurückbekommen. Dabei lernt Hella auch noch Schwimmen mit ihren 69 Jahren. Einige Abenteuer hätten auch gefährlich ausgehen können, als z.B. Juli zu einem fremden Lastwagenfahrer in die Kabine steigt. Der Fahrer war harmlos, er wollte Juli nur helfen, weil er auch eine Tochter daheim hatte, in etwa Julis Alter. Aber wie leicht hätte da Juli den falschen Brummifahrer erwischen können.
Das Hörbuch, wunderbar gelesen von Ronja von Rönne, der Autorin, hat bei mir einen tiefen Nachhall hinterlassen. Einerseits hat Hella Licht nun auf ihren Suizid in der Schweiz verzichtet, andererseits aber wissen wir nicht genau, ob Juli nun sich vor den einfahrenden ICE geworfen hat, oder war es der nervöse junge Mann neben ihr? Als einige Wochen später Hella einen offiziellen Auftritt bei der Eröffnung eines neuen Möbelhauses einen Auftritt hat, sieht sie Juli, die ihr aus einem grünen Sessel zuwinkt. Aber sieht nur Hella Licht das junge Mädchen? Oder ist Juli auch für die anderen Menschen sichtbar und sie hat nicht ihr Ende vor dem Zug gefunden? Diese Frage bleibt offen, lässt uns hoffen oder sicher sein. Ich persönlich wünsche mir, Juli hat auch nicht diesen letzten Schritt getan, sie hat sich für das Leben im hier und jetzt entschlossen.

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Veröffentlicht am 06.02.2022

Held oder nicht Held? Auch eine Frage.

Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße
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Wann wird jemand zum Helden? Wenn er bewusst eine Tat mit positiven Folgen anstößt? Ohne auf die Konsequenzen für sich selbst zu achten? Oder ist er auch dann ein Held, wenn er unbewusst und unabsichtlich ...

Wann wird jemand zum Helden? Wenn er bewusst eine Tat mit positiven Folgen anstößt? Ohne auf die Konsequenzen für sich selbst zu achten? Oder ist er auch dann ein Held, wenn er unbewusst und unabsichtlich eine Kette von Ereignissen in Gang gesetzt hat? Spannende Frage. Kann man ein Held sein, auch wenn man es nicht weiß? Meiner Meinung nach wohl eher nicht. Aber Michael Hartung wird mit Sicherheit in dem Augenblick zum Helden, in dem er in der allergrößten denkbaren Öffentlichkeit Farbe bekennt, ungeachtet aller Konsequenzen und Drohungen, die ihm von offizieller Seite und von der kasachischen Unterwelt angekündigt werden.
Das ganze Malheur beginnt mit dem Auftauchen des ersten Reporters, Alexander Landmann in der kleinen Videothek Michael Hartungs. Es ist Landmanns Ehrgeiz, der den nun folgenden Ereignissen den entscheidenden Schwung gibt. Eine Geschichte, die alle an ihr Beteiligten am liebsten für immer vergessen würden, wird ins Rampenlicht gezerrt, gepusht und erlangt nun immer größere Dimensionen. Es folgen Interviews, Fernsehauftritte, Einladung zum Präsidenten, Werbeverträge. Am Anfang spielt Hartung mit, weil dringend benötigtes Geld hereinkommt und weil Landmann ihn dazu drängt. Landmann hätte viel mehr zu verlieren, außerdem verdient er selbst an dieser aufgebauschten Geschichte riesig mit. Aber Michael Hartung will nicht mehr. Er ist am Ende seiner Kräfte und will aussteigen. Denn nach der Rede im Bundestag soll er auch noch in das Karussell der EU-Politik mit einsteigen. Und spätestens da ist es Zeit für Hartung die Reißleine zu ziehen. Doch das sieht Landmann anders. Er schickt ihm einen Schläger zu, der Hartung brutal zusammenschlägt und das Leben seiner Tochter bedroht. Und jetzt zeigt Hartung was in ihm steckt. Er wird zum echten, wahrhaften Helden. Ansätze dazu hatte er schon gezeigt, als er Paula, seiner großen Liebe, die Wahrheit erzählt hat und die ihn daraufhin verlassen hat. Aber wie gesagt, das waren erst die Ansätze.
Das wahre Ausmaß seines Heldentums offenbart sich während seiner Rede im Bundestag, am 09. November 20219, zum 30. Jahrestag des Mauerfalls. In seiner Rede, die er frei hält und nicht die vom Kanzleramt gestellte Rede abliest, erklärt er, er hätte in den letzten Wochen viele „Politiker, Historiker, Journalisten, Verleger, Filmproduzenten, Werbeprofis“ kennengelernt, die zwei Dinge gemeinsam hatten: „Sie kamen aus dem Westen und haben mir den Osten erklärt“. (S. 294) Und all diese Profis wollten von ihm wissen, warum „wir Ostdeutschen immer noch so anders sind? So undankbar? So schwer erziehbar?“ Was bedeutet „schwer erziehbar“ eigentlich? Nicht dem Standard entsprechend, von der Norm abweichend. Ist aber die westdeutsche Norm die einzig wahre?
Maxim Leo schreibt mit unnachahmlich leichter Feder über schwerwiegende Themen. Seine Ironie ist an manchen Stellen ganz fein und wie hingehaucht, an anderen Stellen tritt sie offen zu Tage, wenn z.B. Holger Röslein, Leiter des „Dokumentationszentrum Unrechtsstaat DDR“ sich mit dem Stasioffizier Fritz Teubner verbündet. Oder wenn Frau Dr. Munsberg, tätig im Bundeskanzleramt, unmissverständlich Wischnewsky und Röslein zu verstehen gibt, dass ihre Ämter gefährdet sind, sollten sie auf eine Enttarnung Hartungs bestehen. Zusätzlich ist sie sich nicht zu schade, ehemalige Stasi-Offiziere zu bestechen: Fritz Teubners Rechtstreit um ein Grundstück wird eingestellt. „Vier weitere ehemalige Stasi-Offiziere hatten erfreuliche Post von der Deutschen Rentenversicherung bekommen“ (S. 197). Auch zwei ehemalige Zeitzeugen, die auf Rösleins Betreiben Hartungs Aussagen bekräftigen, erhalten gute Nachrichten: „Ihre wegen zu großer Staatsnähe reduzierten Betriebsrenten konnten nunmehr vom kommenden Januar an voll ausbezahlt werden“ (S. 197). Der Sarkasmus dahinter ist unüberhörbar.
Das Buch endet in einer versöhnlichen Note. Ohne Pathos, ehrlich und unaufdringlich hat Michael Hartung seine Rede gehalten: „Ich werde versuchen, allen Menschen mit Offenheit zu begegnen…Mehr, meine Damenund Herren, kann ich persönlich nicht tun für dieses Land. Aber wenn Sie alle mitmachen, dann wird das schon werden“ (S. 295).

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Veröffentlicht am 22.01.2022

Der Tod eines Kindes

Erschütterung
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Wie verkraftet man etwas, das die Natur oder Gott oder Höhere Vorsehung oder was auch immer, so nicht vorgesehen hat? Den Tod der Eltern, der Geschwister, des geliebten Partners, der Großeltern oder der ...

Wie verkraftet man etwas, das die Natur oder Gott oder Höhere Vorsehung oder was auch immer, so nicht vorgesehen hat? Den Tod der Eltern, der Geschwister, des geliebten Partners, der Großeltern oder der besten Freunde, all das kann ein Mensch irgendwann und irgendwie verkraften, neue Lebenskraft und -ziele finden. Aber beim eigenen Kind hört es auf. Und es spielt keine Rolle, wie alt das Kind ist. Ob noch ungeboren, 3 Jahre alt oder 30 oder 60. Es ist und bleibt Dein Kind und Du kannst Dir ein Leben ohne dieses Kind nicht vorstellen. Das geht nicht. Kinder sind dazu da, um nach uns zu gehen.
Ein amerikanisches Ehepaar ohne materielle Sorgen, gehobener Bildungsstand, beide Collegeprofessoren, eine zwölfjährige Tochter. Das Leben könnte so schön sein. Aber ein jeder Mensch trägt sein Kreuz. Die Tochter scheint Probleme mit ihrem Sehvermögen zu haben. Nach etlichen Arztbesuchen diverser Fachrichtungen, die Gewissheit. Und das ist für alle Eltern ein nicht zu verkraftendes Drama. Eine schwerwiegende Krankheit des eigenen Kindes kann niemand wegstecken.
Die Spielmeyer-Vogt-Krankheit, auch Batten Syndrom genannt, gibt es wirklich und sie ist unbarmherzig. Sarah ist intelligent und hat noch ein wunderschönes, erfülltes Leben vor sich, als sie erkrankt. Die Eltern versuchen ihr noch einen Herzenswunsch zu erfüllen, versuchen sich gegenseitig zu unterstützen, versuchen Beruf und die Krankheit der Tochter unter einen Hut zu bringen. Der Vater, immer das unbarmherzige Schicksal der Tochter vor Augen, nimmt sich eines merkwürdigen Hilferufs an. In einer bei E-Bay erstandenen Jacke findet er einen Zettel mit einem spanischen Hilferuf. Ebenso in anderen Kleidungsstücken die er bei demselben Anbieter kauft. Er macht sich auf, nach New Mexiko und kommt einem Ring moderner Sklavenhändler auf die Spur, in der anscheinend auch die amerikanische Polizei involviert zu sein scheint. Zach Wells setzt nun alles daran, diese Frauen zu befreien. Es ist nicht so, dass der Tod seiner Tochter vor der neuen Aufgabe verblasst, vielmehr hat man den Eindruck, weil er Sarah verliert, will er unbedingt, diese Frauen retten, ihnen ihr Leben wiedergeben.
Das Buch ist sehr interessant geschrieben. Der Vater erzählt vom ersten Anzeichen der Krankheit, von ersten Arztbesuchen, vom Fortschritt und Verlauf der Krankheit. Das Narrativ wird immer wieder unterbrochen von wissenschaftlichen Passagen über Fossilienfunde, von lateinischen kurzen Texten, von Schachzügen, von Bildbeschreibungen der italienishcen Renaissance aus dem Louvre, von Aufzählungen von Worten, die zunächst keinen Sinn ergeben, sich dann aber perfekt in die Handlung integrieren. Die Spannung steigert sich, aber ohne ins hollywoodmäßige zu verfallen und das ist auch gut so. Dies ist kein reißerischer Thriller. Es ist ein Buch über Schmerz und Überwinden des Schmerzes.

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Veröffentlicht am 15.01.2022

Wenn Liebe erdrückt

Der fürsorgliche Mr. Cave
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Das Titelbild und die Bilder innerhalb der Buchdeckel haben mich fasziniert und sogleich die Verbindung zum Klappentext hergestellt.
Wann wird Vaterliebe oder auch Gattenliebe zur Obsession? Wann wird ...

Das Titelbild und die Bilder innerhalb der Buchdeckel haben mich fasziniert und sogleich die Verbindung zum Klappentext hergestellt.
Wann wird Vaterliebe oder auch Gattenliebe zur Obsession? Wann wird Beschützerinstinkt zur Oppression? Der Beginn des Buches deutet auf die Anfänge dieser wechselnden Beziehung zwischen Vater und Tochter hin. Nach dem gewaltsamen Tod des Sohnes gerät die Tochter immer mehr im Fokus des Vaters. Alle potenziellen Gefahren, ob real oder eingebildet, ob möglich oder in der krankhaften Fantasie des Vaters nur, alles wird nach und nach aus dem Weg geräumt, aus dem Leben der Briony entfernt: die Katze, das Cello, das Pferd, die Freunde. Um sein Ziel zu erreichen, den totalen Schutz von Briony, geht er über Leichen. Erst als es beinahe zu einer schrecklichen Katastrophe kommt, kommt auch Mr. Cave zu sich und hält sich freiwillig von seiner Tochter fern, um ihr nicht noch mehr zu schaden. Das Buch ist praktisch seine Lebensbeichte, in der er versucht Briony seine Beweggründe, seine Ängste und seine schrecklichen Taten zu erklären. Und auch, wie sehr er eigentlich seinen Sohn Reuben sein ganzes Leben lang vernachlässigt hatte, um sich auf Briony zu konzentrieren.
Als Erklärungsversuch des Vaters geschrieben, entwickelt der Roman einen mitnehmenden und beeindruckenden Schreibstil. Manches wird nur „en passant“ erwähnt, um erst im Nachhinein seine volle Bedeutung und Erbarmungslosigkeit und Härte zu entfalten. Das Buch übt eine fast schon gruselige Faszination auf mich aus.

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