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Veröffentlicht am 12.01.2022

Bizarr wie ein paralleles Universum

Zum Paradies
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Der Roman ist ein dreiteiliger Roman, bizarr und detailliert, wie ein Triptychon von Hieronymus Bosch. Der erste Teil des Romans spielt 1893, in einer für uns total verkehrten Welt. Wir kennen die USA ...

Der Roman ist ein dreiteiliger Roman, bizarr und detailliert, wie ein Triptychon von Hieronymus Bosch. Der erste Teil des Romans spielt 1893, in einer für uns total verkehrten Welt. Wir kennen die USA als bigotte prüde Gesellschaft, in der Homophobie und Xenophobie auch heute noch in weiten Teilen der Gesellschaft maßgebend sind. Und hier lesen wir eine unglaubliche Fiktion: einige Staaten haben sich in Folge des Unabhängigkeitskrieges zusammengeschlossen, sich unabhängig von den USA erklärt und propagieren die gleichgeschlechtliche Ehe, zumindest unter den reichen und führenden Familien. Gleichzeitig werden Flüchtlinge aus den USA aufgenommen, vor allem wenn es sich um farbige Menschen handelt, es gibt Unterkünfte und Heime für Fremde, Waisenheime, gleichgeschlechtliche Paare können die Kinder aus den Heimen adoptieren, es klingt alles so wunderbar. Aber die meisten Flüchtlinge werden gleich weiter geleitet, nach Kanada oder in die Randprovinzen, wo sie das Bild der schönen perfekten Gesellschaft nicht stören.
Und so frei ist die Liebe dann doch nicht. Man darf seine Partner nur in seiner eigenen Gesellschaftsschicht suchen, Geschlecht ist zwar egal, aber bitte reich sollen sie sein. Wer dagegen handelt wird gnadenlos verstoßen, trotz innigster Familienbande.
Der zweite Teil des Triptychons spielt 1993, erneut in New York, erneut ein Haus am Washington Square, die gleichen Namen aber andere Personen. Wer vor 100 Jahren absolut tonangebend war, das wirtschaftliche und politische Sage hatte, die Familie ist nun ins Namenlose gesunken, und wer 1893 gerade so noch zur Upper Class gehörte, nun der ist nun längst arriviert und integriert, der neue Meinungsmacher in New York. Die gleichgeschlechtliche Liebe ist zwar immer noch frei und unangefochten gesellschaftlich, aber AIDS hat alle Menschen fest im Griff. Monatliche ärztliche Untersuchungen, Abschiede von sterbenden Freunden und ehemaligen Geliebten, Krebs und andere Aids-Folgen bestimmen das Leben. Daniel, der junge Geliebte des reichen und älteren Charles, verschweigt ihm die Lebensumstände seines Vaters auf Hawaii. Es ist dieses Gefühl des „Sic transit gloria mundi“, das womöglich Daniel seinem Mentor und Geliebten seine Herkunft verschweigen lässt.
Der dritte Teil schließlich ist direkt unheimlich. Zwischen 2093 und Mitte des 21. Jahrhunderts alternierend, ist auch der Schreibstil ein anderer. In den ersten beiden Teilen des Romans hatte ich zeitweilig das Gefühl, in einem Roman von Henry James gefangen zu sein, was Dialoge, die indirekte Charakterisierung der Gestalten und dem „Stream of Consciousness“ in dem erzählt wird betrifft.
Der dritte Teil ist anders, nüchtern und schonungslos geschrieben. Die Teile die 2093 spielen, lassen stark an Nordkorea und Kim Jong-un und seine Altvorderen denken. 2093 leben die Menschen in Amerika in einer Diktatur die Orwells „1984“ in den Schatten stellt. Wobei die Szenen aus der Jahrhundertmitte und den Jahren bis zur eigentlichen Diktatur schildern, wie die Gesellschaft auf ebendiese Willkürherrschaft zu driftete.
Drei Mal „fin de siécle“, 1893, 1993 und 2093. Drei Mal diese Stimmung des Umbruchs, der Götterdämmerung eines Teils der Gesellschaft und des Lebens, so wie wir es kannten (oder jetzt 2021/2022 teilweise erleben), drei Mal die Dekadenz des Jahrhundertwechsels und das Lebensgefühl einer zu Ende gehenden Epoche. Drei Mal das Leben in einem Haus am Washington Square,
Das Buch ist nicht leicht zu lesen. Man kommt zwar leicht rein, vor allem wenn man Henry James mag und sich mit totalitären Diktaturen auseinandergesetzt hat. Es ist trotzdem harte Kost. Empfehlenswert? Unbedingt. Aber nur für Leser, die auf Hanya Yanagiharas Art, die Welt zu betrachten und in ihren Büchern zu gestalten, stehen.

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Veröffentlicht am 20.12.2021

Beeindruckend

Der Club der Lebensmutigen
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Titel und Titelbild sehen etwas kitschig aus. Wenn man sich aber auf die Lektüre einlässt, gewinnt das Buch ungemein. Und das Coverbild erhält eine tiefere Bedeutung. Ein Mut-Mach-Buch par excellence. ...

Titel und Titelbild sehen etwas kitschig aus. Wenn man sich aber auf die Lektüre einlässt, gewinnt das Buch ungemein. Und das Coverbild erhält eine tiefere Bedeutung. Ein Mut-Mach-Buch par excellence. Es handelt von Menschen in ausweglosen Situationen, die sich nicht unterkriegen lassen. Es geht um Menschen, die an unerbittlichen Krankheiten leiden und letztendlich auch sterben werden, die aber ankämpfen und sich moralisch nicht unterkriegen lassen.
Das Buch hat mich an ein wunderschönes elegisches Gedicht von Dylan Thomas erinnert, „Do not go gentle into that good night“:
Do not go gentle into that good night,
Old age should burn and rave at close of day;
Rage, rage against the dying of the light

Auf Deutsch:
Geh nicht gelassen in die gute Nacht,
Brenn, Alter, rase, wenn die Dämmerung lauert;
Im Sterbelicht sei doppelt zornentfacht.
(Übersetzung von Curt Meyer-Clasons.)
OK, diese deutsche Übersetzung finde ich persönlich nicht so gelungen, aber auf die Schnelle…
Letztendlich geht es darum, wie wir dem Tod entgegentreten: als sterbenskranke oder als zurück gebliebene liebende Angehörige, die das Dahinscheiden eines geliebten Menschen überwinden und einen neuen Modus Vivendi finden müssen.
Das Buch hat mich beeindruckt. Klare Leseempfehlung.

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Veröffentlicht am 25.11.2021

Wiedersehen mit Magda Fuchs

Polizeiärztin Magda Fuchs – Das Leben, ein großer Rausch
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Dies ist eine nahtlose und passende Fortsetzung des ersten Romans um Polizeiärztin Magda Fuchs und den interessanten Personen um sie.
Die Zeit der 20er Jahre in Berlin wird detailliert eingefangen: die ...

Dies ist eine nahtlose und passende Fortsetzung des ersten Romans um Polizeiärztin Magda Fuchs und den interessanten Personen um sie.
Die Zeit der 20er Jahre in Berlin wird detailliert eingefangen: die Jeunesse Doree gibt sich dem Vergnügen und dem Kokain hin, die Armen kämpfen ums tägliche Überleben. Hinzu kommt die ungeheuerliche Inflation, das Erstarken verfassungsfeindlicher rechtsextremer Gruppierungen Straßenschlachten, ständig wechselnde Regierungen die nicht gerade zur Stabilisierung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lage beitragen. Neu war mir, dass sich in Berlin eine große Zahl galizischer jüdischer Flüchtlinge als Folge des Ersten Weltkrieges befand. Gerade nur geduldet, den Schikanen der Polizei und der faschistoiden Schlägertruppen ausgesetzt, ohne konkrete Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis, ist es kein Wunder, dass sie sich dem Schwarzmarkt widmen, der wiederum ein Dorn im Auge der Obrigkeit ist. Das schaukelt sich gegenseitig hoch.
Doch zurück zu Magda Fuchs und den anderen Frauen die wir aus dem ersten Roman kennen. Magda ist Polizeiärztin mit einem viel zu niedrigen Einkommen, eröffnet sie eine Praxis für Frauen- und Kinderheilkunde. Doch nicht lange kann sie die Praxis halten. Von ihrer Vermieterin und einigen Frauen bedrängt, weigert sie sich hartnäckig Schwangerschaften abzubrechen. Unter diesen Bedingungen kann sie die Praxis nicht weiterführen. Ihr Mann, der Polizeikommissar Kuno Mehring unterstützt sie und bestärkt sie in ihrer Ablehnung gegenüber Abtreibungen. Ihre Patientinnen sind entweder reiche Frauen die in ihre Praxis zur Konsultation kommen oder Prostituierte und Frauen aus den Armenvierteln die Magda im Gefängnis oder im St, Hedwig-Krankenhaus.
Celia ist vom Tod ihres ersten Mannes freigesprochen worden, es war ein Selbstmord. Sie kann nun Medizin studieren. Edgar, ihr Geliebter, ist schwerreich doch scheint er recht labil zu sein. Celia wird regelrecht in eine Verlobung dann Ehe mit ihm gedrängt.
Die junge Doris lebt nur für ihren Traum, Filmschauspielerin zu werden, nimmt dafür alles in Kauf.
Erika, die Journalistin und neuerdings auch Schriftstellerin, unterstützt Doris und interessiert sich auch für Magdas Arbeit als Polizeiärztin.
Ina, arbeitet sich in der Fürsorge komplett auf, sie versucht mit äußerst begrenzten Mitteln Familien in Not zu helfen. Kinder und Frauen sind die Leidtragenden, während sich die Männer der armen Klassen in Alkohol und Gewalt ertränken.
Über allen grassiert ein Serienmörder, der jungen Frauen – hauptsächlich Prostituierten en passant sozusagen, den Bauch aufschlitzt. Doris, die selbst Opfer des Serientäters wurde, erkennt die Person und Magda kann zur Festnahme beitragen. Dieser Krimi erscheint fast wie eine Nebenhandlung, so sehr nimmt uns das Schicksal der starken und selbstbestimmten Frauen gefangen. Was heute für uns eine Selbstverständlichkeit ist, war damals ein harter Kampf. Studium, Familie und Beruf vereinbaren – das war damals für Frauen keine Selbstverständlichkeit.
Der einfache und geradlinige Erzählstil, etwas zurückhaltend, wenn es um große Gefühle geht, macht das Buch noch attraktiver. Die Recherchen zum Berlin der 20er Jahre sind allumfassend und kommen rüber, ohne in eine Geschichtsvorlesung auszuarten. Einfach aber gekonnt in die Handlung eingebettet, merkt man erst hinterher wieviel Neues man über die Roaring Twenties in Berlin erfährt.

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Veröffentlicht am 06.11.2021

Ein spannender Roman und zugleich ein interessantes Sachbuch

Die Begegnung. Eine Geschichte über den Weg zum selbstbestimmten Leben
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Im Allgemeinen kann ich mich für Ratgeber zum Leben nicht begeistern. Aber dieses Sachbuch verspricht anders zu sein. Die Leseprobe beginnt wie ein Roman. Keine Spur von erhobenem Zeigefinger, kein Moralisieren, ...

Im Allgemeinen kann ich mich für Ratgeber zum Leben nicht begeistern. Aber dieses Sachbuch verspricht anders zu sein. Die Leseprobe beginnt wie ein Roman. Keine Spur von erhobenem Zeigefinger, kein Moralisieren, kein überheblicher Ton, nach dem Motto: "ich bin perfekt, wer mir nicht folgt ist selber schuld und muss die Konsequenzen tragen." Also lasse ich dieses Buch gelten.
Es beginnt spannend, mit einem alten Mann (und ja, 94 ist alt) der in seine abgelegene Hütte hoch in den Bergen hinauf wandert. In der Nacht bricht ein Gewitter los und er hört und sieht wie jemand im Wald umherirrt. Es ist ein junger Bursche, den er in die Hütte ins Warme holt. Sie erzählen sich gegenseitig ihre Lebensgeschichte und wir können feststellen, sie verläuft ähnlich.
Man hat fast den Eindruck, es gibt bestimmte Gussformen, in die manche Menschen gepresst werden und – auch wenn diese Menschen uns auf den ersten Blick als unangepasst erscheinen – sie ihr Leben dann in die eigenen Hände nehmen und es auf eine erfüllende Weise meistern. Der alte Mann und der Jüngling sind etliche Generationen auseinander. Und doch verbindet sie so vieles. Beide hatten in ihrem Leben einen älteren Mentor, der ihnen den Weg gewiesen hat, sie unterstützt hat, ihnen still und unaufdringlich geholfen hat. Beide sind Meister im Kajakfahren gewesen, der ältere hat sogar eine Polumrundung gewagt und erfolgreich zu Ende geführt.
Ich betone, dieses ist ein Sachbuch. Aber es gibt keine lang- oder kurzatmigen Belehrungen, kein explizites Hinweisen auf den einzig wahren und richtigen Weg, den man gehen muss. Die Lehren, die wir und die zwei Männer ziehen können, so wir wollen, sind schon da. In Sätzen die komplett in der Handlung integriert sind, immanenter Teil davon. Man liest das Buch gerne und fühlt sich am Ende bereichert und nimmt sich vor, immer mal wieder darauf zurückzugreifen.

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Veröffentlicht am 31.10.2021

Ein Teenie-Buch, das auch Erwachsenen gefallen wird

Mädchenmeuterei
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Kirsten Fuchs hat uns hier die langersehnte Fortsetzung des 2015 erschienenen Romans „Mädchenmeute“ präsentiert. Und wie in „Mädchenmeute“ begeben sich dieselben Protagonistinnen auf eine abenteuerliche ...

Kirsten Fuchs hat uns hier die langersehnte Fortsetzung des 2015 erschienenen Romans „Mädchenmeute“ präsentiert. Und wie in „Mädchenmeute“ begeben sich dieselben Protagonistinnen auf eine abenteuerliche Reise übers Meer: Charlotte, Yvette, Freigunda und Antonia. Dieses Mal wollen sie die Fünfte im Bunde, Rabea, genannt Bea retten, die in Marokko in Schwierigkeiten zu stecken scheint. Das Schöne ist, dass die Mädchen nicht plötzlich von sechzehnjährigen Zicken zu sechzehnjährigen Superheldinnen mutieren. Sie zoffen und streiten sich, sooft es irgendetwas zu klären gibt, und das geschieht oft. Sie fallen sich gegenseitig ins Wort, lassen einander nicht ausreden, es kommt zu Unstimmigkeiten. Aber wenn es darauf ankommt, halten sie zusammen wie Pech und Schwefel. Denn eine Fahrt auf einem Containerschiff birgt manchen Zünd- und Gesprächsstoff. Dabei haben die Mädchen alle auch ihre persönlichen Probleme, die sie ja natürlich mit sich schleppen und erst in einer großen Aussprache den anderen davon berichten. Gar nicht so einfach, mit Mobbing fertig zu werden oder Verantwortung für jüngere Geschwister zu übernehmen.
Im Hafen in Marokko kommt es zum großen Showdown, holllywoodmäßig und effektvoll, spannend und mit einem Ausgang der so gar nicht zu Hollywood passt. Aber zum Buch.
Die Handlung wird von Charlotte erzählt, die Schüchterne unter den Vieren. Schüchtern, aber wenn es darauf ankommt, kann sie sich ganz gehörig den Erwachsenen gegenüber behaupten, so wie sie z.B. Francesca, der („Bild“?)-Reporterin heimleuchtet, als wegen ihr die ganze Expedition in Gefahr gerät.
Ich mag diesen Schreibstil, in Ich-Form, als ob man überall und die ganze Zeit mit der Erzählerin dabei sein würde. Es vermittelt einen sehr persönlichen Blickpunkt auf die Welt der Protagonistin, auf ihre Beziehungen zu den Freundinnen, zu den Mitgliedern der Schiffsmannschaft, zu Ihren Eltern, zu ihrem Hund, einfach auf ihr Leben und wie großartig Charlotte es meistert.

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