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Veröffentlicht am 22.01.2023

Hans mit den vielen Beinamen

Der Inselmann
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Nach den ersten Seiten im Buch, dachte ich, es handele sich um eine moderne
Robinsonade, eine Familie zieht sich auf eine einsame Insel inmitten eines Sees zurück,
weil die Eltern von der Gesellschaft ...

Nach den ersten Seiten im Buch, dachte ich, es handele sich um eine moderne
Robinsonade, eine Familie zieht sich auf eine einsame Insel inmitten eines Sees zurück,
weil die Eltern von der Gesellschaft enttäuscht sind. Aber dem ist nicht so. Das Leben auf
der Insel steht nicht im Vordergrund, sondern Hans’ Beziehung zur Insel. Solange sie noch
in der Stadt wohnten, fühlte Hans sich nicht wohl. Unbemerkt von den Eltern konnte ihn
Manni, ein Junge aus der Nachbarschaft schlagen, quälen, ihm sein Taschengeld
abnehmen. Von anderen Nachbarn wurde Hans beschuldigt, Äpfel von einem Baum im Hof
gegessen zu haben, dabei war es Manni. Und derlei Schikanen mehr. Die Eltern kümmert es
nicht, sie sind so sehr mit ihrer eigenen Misere beschäftigt, dass sie nichts davon
mitbekommen. Das Leben auf der Insel erscheint Hans wie eine Erlösung von seinen
Qualen in der Stadt. Die Insel wird sein Reich, der Hund des ehemaligen Schäfers wird zu
seinem Kameraden, mehr braucht er nicht. Auch die karge Kost ist für Hans willkommen.
Hans wird auf der Insel zu “Hans, der Erste. Hans, der Große. Hans, Herrscher von
Amerika” (S. 15) und zu “Hans, der Gewaltige. Hans, der Kirchen zermalmt. Hans, der das
Festland verstößt” (S. 53) und “Hans, der Starke. Hans, der einen Schafbock bezwingt,
Hans, der König der Tiere.” (S. 82)..
Doch nach einigen glücklichen Jahren schwerer Arbeit und totaler Freiheit tritt das Schicksal
ihm wieder in den Weg. Hans muss zur Schule gehen. Und in der Schule beginnt sein altes
Leid erneut, in Form eines starren Schulmeisters, der die Not und innere Verzweiflung des
Jungen nicht erkennt und in Form von Manni, der ihn gleich in der ersten Woche brutalst
zusammenschlägt. Hans weigert sich daraufhin noch in die Schule zu gehen. Er versteckt
sich tagsüber im Schilf der Insel, taucht nur nach Schulschluss wieder auf. Und der
Schulmeister taucht auf, überredet die Eltern, Hans auf die Festung zu schicken, da werden
schwer erziehbare Jungen zu guten Menschen herangezogen. In Wirklichkeit lebt Hans da
wie in einem Gefängnis, sieben lange Jahre mit harter Arbeit, Prügelstrafe für die kleinste
Pause und karge Kost. Die Weihnachtspäckchen, die die Kinder von daheim erhalten futtert
der Anstaltsleiter genüsslich selber auf, nicht einmal die Weihnachtskarten dürfen die
Jungen bekommen. Hans wird zu: “Hans, der Verlorene. Hans der Schwache. Hans, der
sich nicht mal mehr ertränken kann” (S. 107) Und auch zu: “Hans, einer von vielen. Hans,
Knecht unter Knechten. Hans, der nicht mehr Hans ist.”(S. 112). Und weiter: “Hans, der
Verwundete. Hans der Unverwundbare. Hans, der unter Hieben leidet” (S. 119). Schließlich,
nach sieben endlosen Jahren darf Hans die Festung verlassen, er ist nun: “Hans der
Gezeichnete. Hans, der Vernarbte. Hans, der Unverwechselbare.” (S. 126). Hans wandert
unermüdlich, acht oder neun Tage lang, bis er endlich zur Insel seiner glücklichsten Kindheit
zurückkehrt. Der Hund erkennt ihn und Hans fühlt sich wie: “Hans, der König im Exil. Hans,
der endlich heimkehrt. Hans, der das Zepter wieder an sich reißen will.” (S. 141)
Doch sein Vater will ihn nicht da haben. Er empfängt ihn mit der Axt in der Hand und erklärt
barsch “Hier ist kein Platz für Dich.” (S. 145) Die nächsten Jahre arbeitet Hans als
Erntehelfer und sonstige Gelegenheitsjobs. “Er tat, was anfiel, nahm den Lohn entgegen und
zog weiter” (S. 153) Es vergehen wieder einige Jahre ins Land, bis Hans wieder auf die
Insel hinaus rudert. Und da kann er endlich bleiben. Der Vater ist gestorben, er kümmert sich
um seine Mutter, um die Schafe, um die Insel. Es vergehen die Jahre, die Jahrzehnte. Hans
wird zu “Hans, der Verblassende. Hans, den die Zeit einst vergaß. Hans, der Erste und
Letzte” (S. 171).
In so kurzen Sätzen lässt sich ein Menschenleben erfassen. Mit all seinen Höhen und
Tiefen, mit dem Guten und dem Schlechten.
Der Sprachstil - aus der Sicht eines Kindes "mit alter Seele" - ist ergreifend schön und
melancholisch, knappe und karge Sätze, die doch alles ausdrücken, was die Sprache
herzugeben vermag, lassen das Buch trotz der Düsternis, zu einem lesevergnügen werden.
Es sind diese leisen Töne, die im Gesagten mitschwingen, die zu Herzen gehen, die uns
über Hans und sein schweres Leben nachdenken lassen.

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Veröffentlicht am 20.01.2023

Bitterer Nachgeschmack

Frankie
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Ein ehemaliger Häftling und sein Enkel müssen sich erst kennenlernen, sich näherkommen. Ziemlich schwierig, wenn der Großvater wortkarg und bestimmend ist und der Enkel in der Pubertät. Erzählt wird aus ...

Ein ehemaliger Häftling und sein Enkel müssen sich erst kennenlernen, sich näherkommen. Ziemlich schwierig, wenn der Großvater wortkarg und bestimmend ist und der Enkel in der Pubertät. Erzählt wird aus der Perspektive des Enkels. Mit den pragmatischen Augen des Heranwachsenden sieht und kommentiert er die Taten und Aussagen des Großvaters. Die befleckte Hose, die neue Wohnung für den Großvater, sein gutes Einvernehmen mit der Mutter. Frank wertet nicht, er urteilt nicht, er stellt die Tatsachen nur klar und nüchtern dar. Und auch spannend. Frank hat ein sehr gutes Einvernehmen mit seiner Mutter, er kocht gerne für sie beide, geht aufs Gymnasium, hat keine engeren Freunde in der Schule oder in der Nachbarschaft. Der Vater existiert so gut wie gar nicht in seinem Leben, erst nach seinem 14. Geburtstag taucht er plötzlich auf und will Verbindung zu seinem Sohn aufnehmen.
Die Begegnungen mit dem Großvater verändern Frank. Oder, anders gesagt, sie lösen in ihm etwas aus, das vielleicht schon immer in ihm drin war und Großvater wird zum Katalysator. Wir erfahren nicht, was der alte Mann verbrochen hat, dass er 20 Jahre bekam, die letzten beiden Jahre dann wurden ihm wegen guter Führung erlassen. Wir wissen nur, dass es so schwerwiegend war, dass seine Tochter, Franks Mutter, eine Namensänderung bewilligt bekam und, im Gefängnis, hatte der Großvater auch seinen Namen ändern lassen.
Großvaters “Verbrecherphilosophie” lautet: …”Wir tun etwas. Fertig. Wir tun es, weil wir es tun. Und sogar das ist falsch. Weil und Warum gehören zusammen wie Trinken und Durst. Also kannst du beide Wörter streichen. Wir tun. Fertig. Eine wirklich gescheite Justiz würde sagen: Er hat getan. Fertig. Ab ins Loch mit ihm. Kein Warum, kein Weil. Er hat getan. Fertig, aus.” (S. 87). Und am Ende des Buches stellen wir fest, Frank hat eine ähnliche Denkweise. Ob erst durch den Großvater oder war das schon immer latent in ihm?
Anfangs wohnt der Großvater noch bei seiner Tochter und Enkel, erhält jedoch bald vom Staat eine kleine Wohnung, in die er umzieht. Und von da an werden seine Treffen mit Frank immer verstörender für den Jungen, immer brutaler, ausufernder. Bis Frank reagiert.
Spaß gemacht hat die Wiederbegegnung mit der österreichischen Sprache: der Kasten, in dem die Kleider versorgt werden, die Erdäpfel für den Gulasch, Auch die kurzen einfachen Sätze klingen “wianerisch”, fast vermeint man, den Tonfall zu hören, wie die Vokale leicht gedrückt ausgesprochen werden.
Das Buch hat mir einen bitteren Geschmack hinterlassen. Ich habe mir immer vor Augen gehalten, das Buch ist pure Fiktion, das hat sich Köhlmeier nur so ausgedacht, Frank handelt nach Köhlmeiers auktorialem Willen. Und doch, der bittere Geschmack ist geblieben. Der nüchterne, trockene Stil der Erzählung, aber auch der Dialoge reißen den Leser zwar mit, aber es ist kein “Lesevergnügen” dabei. Das Buch hallt noch lange nach, aber eben bitter.

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Veröffentlicht am 17.01.2023

Die Suche nach den Wurzeln

Rote Sirenen
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Nur wer die Vergangenheit seiner Familie kennt, hat einen festeren Stand im Leben. Victoria Belim macht sich auf die Suche nach den Wurzeln ihrer Familie. Sie ist Teil einer weit verzweigten multinationalen ...

Nur wer die Vergangenheit seiner Familie kennt, hat einen festeren Stand im Leben. Victoria Belim macht sich auf die Suche nach den Wurzeln ihrer Familie. Sie ist Teil einer weit verzweigten multinationalen Familie der Sowjetvölker. Stationen ihrer Suche sind Kiew, Bereh, Majatschka, Poltawa, Reschetyliwka, Mychajliwka, Charkiw.
Allen älteren Generationen ist das Leiden unter Stalins Terrorherrschaft und der großen Hungersnot gemein. Asja, die Urgroßmutter Belims, überlebte die Hungersnot in einem kleinen ukrainischen Dorf. “Millionen von Menschen kamen in Sowjetrussland und Kasachstan ums Leben, aber die Schwarzbodenregion der Ukraine, die Reisenden des 17. Jahrhunderts als Arkadien bekannt war, hatte am meisten unter Stalins Politik zu leiden. Jeder achte Mensch in den ukrainischen Gebieten fiel dem Holodomor, der großen Hungersnot, zum Opfer. Eine Million Kinder unter zehn Jahren starben. Die Hungersnot forderte einen Tribut von mehr als drei Millionen Menschen.” (S. 164) Diese Angst vor der Hungersnot bewirkt, dass Valentina, Asjas Tochter, die nach der Hungersnot geboren wurde, aber auch Victoria Belim, die Enkelin aus Brüssel, immer Lebensmittelvorräte daheim haben. Es sind die großen Traumata mehrerer Generationen, die sich dann unbewusst in den Kindern und Enkeln dieser Generationen fortpflanzen. So ähnlich wie Kinder und Enkel von Holocaust-Überlebenden oder von Kriegskindern. Wer einmal ausgebombt wurde, der reicht diese Angst unbewusst weiter an die kommenden Generationen.
Die sowjetische Propaganda, die sich übrigens auch in unseren Tagen fortsetzt, redete sich heraus, die Hungersnot sei von ukrainischen Nationalisten aus Kanada/USA verursacht worden und verbreitet, um Sowjetrussland zu destabilisieren. Solche und ähnliche Lügen werden heute noch im Netz verbreitet, um Stalin und somit auch Putin von aller Schuld reinzuwaschen.
Einige der Familienmitglieder der Autorin wurden unter Stalin verhaftet und wieder freigelassen, andere verschwanden für immer. So auch Nikodim, der ältere Bruder von Sergij, dem Urgroßvater der Autorin. Irgendwann, in den 30er Jahren wurde er vom KGB mitgenommen und man hörte nie wieder von ihm. Erst der Autorin gelingt es, herauszufinden, was mit Nikodim geschehen war. Nach Verhören und Folter wurde er heimlich und ohne Prozess erschossen, aus dem einfachen Grund, der KGB hatte Planvorgaben, wieviel Menschen hingerichtet werden sollten. Belim darf schließlich seine Akte lesen: nachträglich gefälschte Aussagen, die zum momentanen politischen Diktus der Zeit passen mussten, ist das ein schreckliches Zeitdokument, das Victoria Belim vorgelegt wird. Das Dokument befindet sich im Archiv der KGB, dem Haus in dem vorher die KGB seinen Terror verbreitet hat. Dieses Haus ist auch Titelgebend für das Buch. Im Volksmund heißt es “das Hahnenhaus”, befindet sich in Poltawa und wird von großen steinernen Sirenen verziert. “Äußerlich hatte das Hahnenhaus nichts Furcht Einflößendes an sich. Ganz im Gegenteil, es war das schönste Gebäude von Poltawa. Es Haus zu nennen, war maßlos untertrieben, denn es war ein elegantes Anwesen, das um die Jahrhundertwende als Bank errichtet worden war. Die zwei üppigen roten Sirenen, die das Eingangsportal flankieren, wurden im Volksmund Hähne genannt.” (S. 50). Dieses Haus verbreitet Angst und Schrecken in der ganzen Region.
Bezeichnend für alle Diktaturen, angefangen mit dem Dritten Reich und fortgeführt über Stalin bis zu den Diktaturen der Gegenwart ist, dass Sippenhaft gepflegt wird. Wird ein Mitglied der Familie verhaftet, ist die ganze Großfamilie mitschuldig. Niemand aus der Familie kriegt eine anständige Arbeit mehr, die Anverwandten dürfen die höheren Schulen nicht weiter besuchen, bei allen Amts- und Behördengängen werden ihnen Steine in den Weg gelegt. Es geht soweit, dass sogar die Kinder der Verschollenen keine Renten bekommen, obwohl wir mittlerweile die 80er Jahre und sogar die 90er Jahre schreiben. Und alle diese Anträge, Gesuche, Bittschriften landen in der Akte des verstorbenen Vorfahren und der Bittsteller kann keine Rente erhalten, obwohl er ein Leben lang gearbeitet hat und sie ihm eigentlich zustehen würde. Aber weil der Vater oder der Großvater ein Opfer des KGB war, steht diesem Menschen keine Rente zu.
Viele, die verhaftet und nach einigen Jahren wieder freigelassen wurden, legen sich die Haft und die Diktatur so zurecht, dass sie damit leben können. So leugnet Onkel Wladimir, der Bruder von Belims Vater, obwohl von der KGB für drei Jahre inhaftiert, dass Stalin ein Massenmörder gewesen sei. Der Terror zu Stalins Zeiten redet er schön, “Fehler können passieren”, aber Europa verdanke Stalin trotzdem den Sieg über den Faschismus. Unter uns gesagt: Sowjetrussland hat das Dritte Reich nicht allein besiegt, da gab es auch noch die USA und Großbritannien. Von drei Panzern, die in den USA die Fabrik verließen, gingen zwei in die Sowjetunion als Waffenlieferungen, inklusive Gewehren und Munition.
Das Buch liest sich leicht, ist aber trotzdem schwere Kost. Vor allem wenn man bedenkt, der Erbe Stalins, hat die Ukraine erneut mit einem zerstörerischen Angriffskrieg überzogen. Wie lange wird dieser Krieg wohl dauern?

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Veröffentlicht am 27.12.2022

Homers Gesänge aus Sicht der Frauen

Elektra, die hell Leuchtende
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Wunderschöne Neuinterpretation eines uralten Stoffes. Bisher kannten wir nur die Abenteuer des Odysseus, Hektor, Patroklos, Ajax, Aeneas, Agamemnon, Menelaos, und wie sie alle hießen, auf der Ebene vor ...

Wunderschöne Neuinterpretation eines uralten Stoffes. Bisher kannten wir nur die Abenteuer des Odysseus, Hektor, Patroklos, Ajax, Aeneas, Agamemnon, Menelaos, und wie sie alle hießen, auf der Ebene vor Troja aus der Sicht Homers. Von den Frauen wussten wir nur, sie waren da, sie wurden nicht gefragt, sie mussten alles mitmachen, erdulden, erleiden.
Und nun, in diesem Roman, erheben die Frauen ihr Wort, sie haben eine eigene Meinung, sie retten das Leben eines kleinen Jungen, sie üben blutige Rache, sie wählen ihre Ehemänner selbst aus. Es kommen zu Wort Klytämnestra, ihre Tochter Elektra, von Mykene und die trojanische Königstochter und Apollopriesterin Kassandra. Alle drei Frauen sind mit einem Fluch belastet.
Kassandra hat zwar von Apollo die Gabe der Prophezeiung erhalten, aber gleichzeitig verflucht, dass ihr nie jemand glauben würde. So wird sie zur Wortlosigkeit verdammt, wozu sprechen, wenn ihr niemand glaubt? All ihre Warnungen, vor Paris, dass er Unglück über Troja bringen würde, dass Hektor fallen würde, dass das hölzerne Pferd den Feind beherbergt, dass Agamemnon in der Stunde seines Triumphs in Mykene sterben wird, all das hat ihr niemand glauben wollen. Ihr Tod ist für Kassandra eine Erlösung.
Durch ihre Heirat mit Agamemnon ist Klytämnestra auch zu einer Attridin geworden, ihre Tochter Elektra ist es durch ihre Geburt. Beide müssen ihren Fluch erfüllen, es gibt kein Entkommen. Im Augenblick ihres Todes nimmt Klytämnestra ihr Schicksal an in der Hoffnung, dadurch den Schmerz ihrer Kinder Elektra und Orest zu lindern. Durch ihren Tod sühnt Klytämnestra den Gattenmord, aber Orest wird nun von den Erinnyen verfolgt, denn Muttermord ist genauso schwerwiegend.
Saint erdenkt sich nicht eine neue Ilias aus, sie ändert nicht das Ende, fabuliert nicht den alten Stoff weiter. Das Ende ist das gleiche: Der Krieg in all seiner Grausamkeit dauert zehn Jahre, Troja geht unter in Blut und Asche, die Überlebenden, die nicht zu fliehen vermochten, und Trojas verbliebener Reichtum werden unter den Siegern aufgeteilt, genau wie Homer es beschrieben hat. Hektor tötet Patroklos, Achill tötet Hektor, Paris verletzt Achill tödlich an der Sehne, das trojanische Pferd wird trotz der Warnung des Laokoon in die Stadt gezogen, Troja fällt, die Frauen werden vergewaltigt und getötet oder in die Sklaverei verschleppt.
Wie in der antiken griechischen Tragödie nimmt das unerbittliche Schicksal seinen Lauf. Rache an Iphigenies Tod führt zum Gattenmord, dieser führt zum Muttermord. Der Fluch, der auf dem Hause der Attriden lastet, wird auch in diesem Buch bis aufs letzte Jota erfüllt. Erst die Reinigung und Sühne vor dem Orakel zu Delphi können den Fluch und den Wahnsinn beenden.
Vor Jahren hatte auch Christa Wolf Homer aus Frauensicht umgedeutet: Kassandra, ein beeindruckendes Buch. Oder Marion Zimmer Bradley, "Die Feuer von Troja". Und etliche Autorinnen mehr. Wir sehen also, Jennifer Saint steht nicht im luftleeren Raum. Homer, der alte Macho, wird es ihr nicht danken. Wir aber schon.

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Veröffentlicht am 27.12.2022

Dschungel bleibt Dschungel

Als Rangerin im Politik-Dschungel
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Ein wild gewordener Politiker kann genauso rabiat werden wie ein wütender Elefant. Da sind in der Tat Parallelen zulässig. Wie war das damals, als Scharping in den Urlaub flog? Mit einem Flugzeug der Luftwaffe? ...

Ein wild gewordener Politiker kann genauso rabiat werden wie ein wütender Elefant. Da sind in der Tat Parallelen zulässig. Wie war das damals, als Scharping in den Urlaub flog? Mit einem Flugzeug der Luftwaffe? Wie oft wurde eigentlich die deutsche Luftwaffe für private Flüge von Politikern mit Familienangehörigen missbraucht? Oder als Gutenberg die Gänsefüsschen in seiner Doktorarbeit wegließ? Da liefen auch die entsprechenden Pressestellen Sturm. Und löste gleich den nächsten Sturm aus, als sämtliche Doktorarbeiten von amtierenden Politikern unter die Lupe genommen wurden und manche dubiosen Doktortítel gleich mit.
Maria Henk hat vollkommen Recht mit ihren Beobachtungen. Politik und Savanne und Dschungel haben viele gemeinsame Züge. Hüben wie drüben gibt es einmal die Big Five, Elefant, Büffel, Löwe, Leopard und Nashorn. Bei uns sind es der/die Kanzler*, Bundespräsident, Minister und Partei- und Fraktionsvorsitzende. Wobei der Bundespräsident fast nur noch repräsentative Funktionen innehat. Sobald er es einmal wagt, Dinge beim Namen zu nennen, muss er gehen, wie es mit Horst Köhler geschah.
Doch sowohl in Afrika als auch in Berlin gibt es nicht nur die Big Five. Es gibt auch die “Zweite Reihe”, wie Henk die weniger spektakulären Tiere nennt, Zebras, Antilopen, Warzenschweine,Stachelschweine, die sich durch Flucht oder durch Angriff auf den jagenden Löwen oder Leoparden sehr effektiv zu wehren wissen. Und in der Politik? Nun, Martin Schulz, Andrea Nahles oder Sigmar Gabriel, sie wurden von den eigenen Parteimitglieder (die “Zweite Reihe”) abserviert und blieben nicht lange an der Spitze der SPD. Das ist wohl die wahre Macht der Demokratie, auch die Großen in ihre Schranken zu setzen oder zu Fall zu bringen. Auch in dem sehr strukturierten und organisierten Termitenbau findet Maria Henk Parallelen zu den Tausenden Mitarbeiter des Berliner Politikapparates, in den Ministerien, im Bundestag und im Bundesrat, in den Parteizentralen.
Sehr treffend fand ich die Parallelen, die Henk zwischen dem Balzverhalten und den sich paarenden Löwen zieht und der Art, wie in Berlin die diversen Koalitionen zustande kommen. Die Ähnlichkeit ist durchaus gegeben.
Auch der Tod eines Elefanten lässt sich in der Politik nachvollziehen. Durch seinen Abgang schafft er Platz für nachfolgende Politiker. Helmut Kohl zog sich zurück, nach dem kurzen Intermezzo mit Gerhard Schröder von der SPD kam Angela Merkel an Kohls Stelle. Auf Trittin und Künast folgen Baerbock und Habeck.Das Leben in der Savanne und in Berlin geht weiter. Um mit den Worten eines Berliner Bürgermeister zu schließen: “Das ist gut so!”

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