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Veröffentlicht am 25.04.2020

Es ist noch nicht zu Ende..

Die Sekte - Deine Angst ist erst der Anfang
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Sofia Baumann hat es geschafft! Die Sekte „Via Terra“ mit dem charismatischen Anführer Franz Oswald ist aufgelöst und Franz steht für seine „Verbrechen“ vor Gericht. Doch auch wenn sie Aussteiger jetzt ...

Sofia Baumann hat es geschafft! Die Sekte „Via Terra“ mit dem charismatischen Anführer Franz Oswald ist aufgelöst und Franz steht für seine „Verbrechen“ vor Gericht. Doch auch wenn sie Aussteiger jetzt meinen – es wird alles gut, es geschieht Gerechtigkeit, so ist dies eine trügerische Ruhe. Dies wird Sofia bald bemerken… und wird am eigenen Leib, erneut erfahren, wie weit die Macht von Franz Oswald reicht…
Ich empfehle vorweg dass man den ersten Band unbedingt liest! Es gibt zwar eine Zusammenfassung gleich zu Beginn, was dem Leser ein bisschen auf die Sprünge hilft, aber um die Geschichte, die Entstehung der Sekte und die Geschehnisse auf Dimö zu verstehen, ist der erste Band ein wichtiger Grundstein.
Der Schreibstil ist auch wie im ersten Teil erstmal ruhig, die Autorin „sortiert“ gewisse Zustände aus, man denkt auch dass nun endlich Ruhe bei Sofia und den Aussteigern beginnen wird, dass sie die Zeit in der Sekte „Via Terra“ hinter sich lassen können. Sehr ruhig und doch spannend wird hier ein sehr hoher Bogen gespannt der die Geschichte langsam aber gekonnt aufbaut und ab einem gewissen Zeitpunkt springen die Geschehnisse nur so durch dass man dabei bleiben muss.
In ihrem zweiten Band über die Sekte beschäftigt sich die Autorin sehr bewegend und einfühlsam mit dem Leben „danach“. Was kommt nach dem Ausstieg aus einer Sekte? Wie fängt einen die Gesellschaft auf? Welche Blicke, Wortwechsel und Vorurteile muss man sich anhören? Kann man einfach wieder bei null beginnen als wäre nichts gewesen? Und wie gerecht ist die Rechtsprechung?
Sofia ist die Hauptprotagonistin in diesem Buch, erneut. Aber man merkt wie sie sich gewandelt hat, mit welchen „alten Geistern“ sie noch immer leben muss. Und dass sie mit der Gerechtigkeit überhaupt nicht einverstanden ist, dass sie mehr Aufklärung wünscht und diese beginnt zu betreiben. Auch andere Aussteiger wenden sich an sie, aber es ist nicht jeder gleich stark und wer sagt dass die Sekte sich nun aufgelöst hat? Manche können nicht loslassen und halten an den alten Statuten weiterhin fest, bilden sich neu.
Man versucht zusammen mit Sofia ein neues Leben zu beginnen, ist aber dabei wie es merklich scheitert an den äusseren Umständen, man wird selbst ruhelos und hinterfragt jede neue Person, wird misstrauisch und beäugt alles was in dieser Geschichte passiert mit Argwohn und Missgunst. Vielleicht sollte man hier auch die eine oder andere Triggerwarnung anbringen denn was sich noch entwickelt geht des Öfteren an die innere Substanz. Auch die Familiengeschichte von Franz Oswald erhält mehr Raum die mich mehr als schockiert hat. Kann das Böse vererbt werden? Und wenn ja – wer kann es dann noch stoppen?
Band zwei konnte mich noch mehr mitreissen als Band eins und nach dem Cliffhanger hippel ich schon auf Band drei und was hier passieren wird. Ich empfehle diese Reihe wirklich gerne weiter, alleine weil die Autorin selbst jahrelang in einer Sekte war und man merkt wie sehr ihr dieses Buchprojekt und die Aufklärung am Herzen liegt.

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Veröffentlicht am 25.04.2020

Nicht der Norm entsprechend

Die Tanzenden
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Geneviéve arbeite 1885 in Paris, in der Salpétiére, einer Anstalt für Frauen. Frauen die verrückt sind, die ihre Ticks und Splins haben, die depressiv oder verrucht sind, Frauen die einfach nicht tragbar ...

Geneviéve arbeite 1885 in Paris, in der Salpétiére, einer Anstalt für Frauen. Frauen die verrückt sind, die ihre Ticks und Splins haben, die depressiv oder verrucht sind, Frauen die einfach nicht tragbar sind und unter unterschiedlichsten Gründen hier gelandet sind. Louise ist schon länger Insassin und hat einiges erleben müssen, vor allem Ablehnung und Missverständnis. Geneviéve versucht die Frauen unter Kontrolle zu halten, gerade jetzt als die alljährliche Ballnacht ansteht in der die Frauen auf die Pariser Elite trifft…aber Eugénie, der Neuzugang, bringt Geneviéve komplett aus dem Konzept…
"Sie denken an die Gäste, die Pariser Elite, die sich freut, die Irren einmal von Nahem zu erleben und die Irren freuen sich nicht minder, dass man sie endlich einmal anschaut, sei es auch nur für ein paar Stunden." (Seite 74)
Diese Buch entspricht nicht der Norm, das vorweg. Womöglich wäre noch eine Triggerwarnung angebracht, aber das muss jeder selbst für sich herausfinden. Es gibt große Diskussionen dass das Cover zu „leicht“ und „unbeschwert“ für diese Art der Geschichte ist. Das mag so sicherlich sein, aber gleichzeitig ist es das Bild was auf die Frauen passt die in der Salpétiére zugeschnitten ist, und um diese Frauen alleine geht es.
Der Schreibstil ist leicht, locker, manchmal sogar humorvoll, ganz ungewöhnlich für ein Thema wie dieses, aber es nimmt diesem Buch gleichzeitig eine erdrückende Schwere, man kann es leichter zur Seite legen, darüber nachdenken, den Kopf schütteln, sich aufregen, ärgern und einfach dankbar sein in der heutigen Zeit leben zu dürfen.
Die bildhafte Beschreibung macht dieses Leseerlebnis sehr intensiv, man hat ein inneres Kopfkino und kann sich viele Umstände, Umgebungen, Menschen und Geschehnisse vorstellen.
Es geht um die zwei Frauen Geneviéve und Eugénie.
Geneviéve lebt alleine und zurückgezogen, für sie war schnell als Kind schon klar dass sie in die Medizin, in die Wissenschaft möchte. Heute ist sie leitende Oberschwester in der Salpétiére. Aber durch eigene Schicksalsschläge ist sie kühl, zurückhaltend und distanziert geworden. Im Lauf der Geschichte erhalten wir einen Einblick warum es ihr so ergangen ist und was sie bewegt. Ihre Verwandlung und ihren Mut fand ich auf jeden Fall bemerkenswert.
Eugénie steht für die Oberschicht in Paris, für die Pariser Elite. Für die Frauen zu der damaligen Zeit mit ihren mehr Pflichten als Rechten. Durch sie erhält man den Blickwinkel wie schwer es damals als Frau war den eigenen Weg überhaupt gehen zu dürfen, dass jedes falsche Wort oder Blick Abstrafung oder Einweisung in die Salpétiére bedeuten konnte. Mit ihr bekommt das Buch einen, ja mystischen, interessanten Punkt den der eine Leser toll findet, der andere Leser wird genervt sein.
Louise steht für die vielen Frauen in Paris die in die Salpétiére eingewiesen worden sind. Die Schicksale ähneln sich, sie zeigen auf was Frauen, die nicht in das Gesellschaftsbild passen, passieren konnte bzw. passiert ist. Jedes einzelne Schicksal bewegt, macht wütend, schockiert und lässt einen immer wieder innehalten.
Einfacher Stoff ist dieses Buch, trotz seines Titels und schönen Covers ganz gewiss nicht. Es ist ein Stück Zeigeschichte in das Paris von 1885, als Frauen keine wahren und wirklichen Werte hatten. Die Methoden der Salpétiére werden ebenso beleuchtet und aufgezeigt, auch was die Ballnacht für alle bedeutet – für die Pariser Elite, für die Mädchen in der Salpétiére, welche Hoffnungen, Wünsche, Ängste und Sorgen damit verbunden sind.
"Ich bezweifle, dass ich bald entlassen werden, ob überhaupt irgendwann. Ich bin den größten Teil meines Lebens draußen gewesen und habe mich nicht frei gefühlt. Die Sehnsucht muss ich woanders erfüllen. Darauf zu warten, dass man befreit wird, ist ein vergebliches und unerträgliches Gefühl."( Seite 233)
Für mich, trotz seiner Thematik oder gerade deswegen, ein Must Read für 2020 und ein wahres Highlight für mein Lesejahr!

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Veröffentlicht am 25.04.2020

Ein Neuanfang wagen

Die Glasschwestern
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Dunja und Saphie sind Zwillingsschwestern. Und am gleichen Tag sterben ihre beiden Ehemänner. Dieser Schicksalsschlag sitzt bei beiden und die Schwestern müssen sich fragen was sie nun mit ihrer zweiten ...

Dunja und Saphie sind Zwillingsschwestern. Und am gleichen Tag sterben ihre beiden Ehemänner. Dieser Schicksalsschlag sitzt bei beiden und die Schwestern müssen sich fragen was sie nun mit ihrer zweiten Lebenshälfte beginnen wollen, alleine, entzweit von der Familie. Was haben sie erreicht? Was wollen sie noch erreichen? Lohnt es sich noch? Für was hat man bisher gelebt, war es gut, lohnenswert, oder sollte man lieber nochmals von ganz vorne beginnen? Dunja und Saphie müssen sich diesen Fragen gemeinsam stellen.
„Dem Kamermann steht die Frage ins Gesicht geschrieben, ob es hier irgendwo einen Mann gibt zu dieser Frau. Manchmal sieht er sich um, als fühle er sich beobachtet. Am liebsten würde Dunja dazwischenrufen: Der ist gerade gestorben, und meiner übrigens auch. Am selben Tag. Haben sich verabredet. Witzig, oder?“ (Seite 80)
Das ist ein Buch welches wohl drei Arten von Lesen freisetzen wird – „Was für ein Mist“, „War zum Ende ganz okay“ oder „Wow, ich bin begeistert.“ Ich bin ehrlich dass ich alle 3 Arten durchgemacht habe aber zum Ende hin sagen kann – es hat hier und da ein paar Überlängen, es geht sehr holprig los, aber unter dem Strich hat mich das Buch berührt und sehr angesprochen.
Der Schreibstil ist sehr ruhig, sehr angenehm und eben doch anders, berührend, fordernd aber nicht mit Spannungsbögen oder dergleichen ausgestattet. Ich würde auch nicht sagen dass dieses Buch einen roten Faden beinhaltet, die Autorin springt sehr freudig in der Geschichte der Familie hin und her, es werden Rückblicke eingebaut, neue Wendungen und Ereignisse, aber alles unter dem großen Wort Lebenspläne und Neuanfänge. Die bildhafte Beschreibung nimmt einen mit an die ehemalige deutsch- deutsche Grenze und beschäftigt sich auch mit der Familie zu DDR Zeiten.
Dunja und Saphie könnten, trotz Zwillinge, nicht unterschiedlicher sein.
Dunja ist die Ruhige, Mutter von 2 Kindern, von ihrem Ehemann getrennt was ihr viel Missgunst der Kinder eingebracht hat. Sie hat die ganze Zeit für die Familie alles gegeben, hier und da sich mit günstigen Jobs über Wasser gehalten, war da wenn ihr Ehemann Winnie immer wieder verschwand um sein Ding durchzuziehen.
Saphie ist die Person die anpackt, die ein Hotel mit ihrem Mann in dem kleinen Dorf betreibt aus dem die Familie stammt. Sie hatte mit 20 eigentlich andere Pläne und nun muss sie sich alleine um das Hotel kümmern seid ihr Mann Gilbhart tot ist. Auch in ihrer Ehe gab es immer mehr Schwierigkeiten, nun muss Saphie, wie Dunja, mit dieser neuen Erkenntnissen leben und planen.
Ich fand beide Schwestern unglaublich toll und interessant dargestellt, alleine weil sie so unterschiedlich sind. Die Eine hat zwei erwachsene Kinder und muss jetzt ihren neuen Platz im Leben suchen, die Andere hat immer schon ihren Platz gehabt und merkt dass es doch nicht das ist was sie eigentlich wollte. So kann man sich als Leser in beide oder eben nur in einen Charakter sehr gut hineinversetzen und sich seine eigenen Gedanken darüber machen.
Der Einstieg war gut, dann kam eine längere Strecke wo ich mir dachte – na wenn das so weitergeht…toll… und dann, wie durch ein Finger schnippen wurde die Geschichte sehr interessant, gut umgesetzt und konnte mich berühren, begeistern und mitnehmen. Ich habe beide Schwestern nachvollziehen können, habe angefangen mir meine Gedanken über das eigene Leben zu machen, über Neuanfänge, über neue Chancen, alte Dinge die mir nicht zusagen die man aber vielleicht trotzdem noch behält und durchzieht, aber vor allem zeigt es eben auch auf wie schwer es ist aus seinem eigenen Trott auszubrechen, neue Wege gehen zu wollen, diese Unsicherheit, diese Angst vor dem Neuen, was schaffe ich, was nicht?
Auch die Umgebung der beiden Schwestern, die restliche Familie, die alten Geheimnisse und Schicksale zur Zeiten der DDR, die Veränderung von diesem ganzen Umfeld wenn sich die Hauptprotagonistinnen ändern, das hat die Autorin sehr überzeugend und einfühlsam zusammengesetzt und mitgenommen.
„Sie fährt in den Nachbarort und geht durch die kleine Fußgängerzone. Um ihren Kopf wirbeln Haarsträhnen. Sie mag das Wetter, wenn es etwas mit ihr tut. Wenn es sie frieren lässt oder ihr Haar zerrauft, wenn der Wind sie durch die Straßen schiebt oder sie sich ihm entgegenstemmen muss. Dann ist sie stark und lebendig. Das grobe Wetter bleibt Heilmittel gegen ihre Empfindlichkeit. Es hilft ihr, sich gegen die Traurigkeit zu wehren.“ (Seite 163)
Man muss sich auf das Buch auf jeden Fall einlassen können, trotz Anfangsschwierigkeiten, trotz der in oder anderen Überlänge. Aber man wird mit seiner Suche nach dem ein oder anderen Sinn, Neuanfang belohnt, mit viel Humor und Feingefühl in einem aussergewöhnlich schönen Schreibstil. Ich war doch sehr angetan und begeistert von der Geschichte der Glasschwestern.

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Veröffentlicht am 25.04.2020

Alles, was geschieht...

Alles, was geschieht, hat seinen Grund
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Vier Frauen in der schönen Stadt Madrid. Jede hat ihre Geschichte, ihre Probleme, ihre Geheimnisse, muss mit neuen Umständen kämpfen, lernen umzugehen, muss sich Fehler eingestehen, Hoffnungen und Liebe ...

Vier Frauen in der schönen Stadt Madrid. Jede hat ihre Geschichte, ihre Probleme, ihre Geheimnisse, muss mit neuen Umständen kämpfen, lernen umzugehen, muss sich Fehler eingestehen, Hoffnungen und Liebe begraben, sich neu finden, selbst herausfinden was sie eigentlich wollen. Alle 4 Frauen scheinen, auf den ersten Blick, nichts gemeinsam zu haben ausser einer Sache – sie reden mit einer Person, aber nicht persönlich, sondern sie sprechen ihnen auf den Anrufbeantworter und geben so ihre Umstände preis. Und merklich wird auch der Leser erfahren was sie alle gemeinsam haben.
Ich mag diese Art von Büchern unheimlich gerne. 4 fremde Personen wo man als Leser erst mal immer nur ein Stück Bild von jeder Person erhält, zum Ende ergibt sich aber ein neues, ganz anderes Bild und lädt zum nachdenken, manchmal auch schockiert sein, zum Weinen und freuen ein. Und das passt hier perfekt auf dieses sehr einfühlsame Buch.
Der Schreibstil ist interessant, leicht verständlich, die Kapitel oft kurz gehalten da die 4 Frauen alle, wie schon erwähnt, auf einen Anrufbeantworter sprechen. Das macht dieses Buch aber aus, diese Faszination was sie von sich preis geben, was man als Leser erfährt und sie gar keine Antwort von der anderen Person an der Leitung haben möchten, es geht ihnen um das Erzählen, um das Beichten, um das Loslassen.
Marina, Carmela, Sara und Viviana könnten nicht unterschiedlicher sein – im Alter, in den Ansichten, in ihren Erlebnissen, in den aktuellen Ereignissen. Und doch müssen sie alle mit einer neuen, unbekannten Situation zu Recht kommen und suchen ihren Weg hierfür.
Was ich mit der Zeit erfahren habe hat mir oft schmerzlich bewusst gemacht wie sehr manche Menschen auf gewisse Dinge verzichten, bewusst oder unbewusst. Oder wenn sie auf etwas verzichten dass es von der Gesellschaft nicht anerkannt oder gar toleriert wird. Dass sie mit dem was ihnen andere Menschen antun, egal ob physisch oder psychisch, klar kommen müssen, das erwartet die Gesellschaft so. Ich möchte mich auch nicht aus dem Fenster lehnen und sagen – das ist meist bei Frauen so, es gibt genug Beispiele wo es nicht so ist, aber ich würde doch auch sagen – als Frau kommen mir gewisse Floskeln oder Aussagen schmerzlich bekannt vor.
Hier wird dieses Bild von diesen 4 Frauen eben dargestellt und ist, für mich, mit sehr viel Gefühl und Klarsicht umgesetzt. Mich hat dieses Buch unheimlich berührt und aufgezeigt dass man sich hinter nichts verstecken muss, gleiches Recht für alle und jeder hat eine neue Chance verdient. Und dass es manchmal gut ist wenn man „nur“ mit einem Anrufbeantworter sprechen kann.
„Denn wenn ich mich recht entsinne, hast du immer gesagt: Alles, was geschieht, hat seinen Grund.“ (Seite 272)
Auch wenn es schmerzt, so würde ich dieser Aussage auf jeden Fall zustimmen, aber es ist immer eine Möglichkeit zu reagieren, zu agieren und neu zu beginnen. Mich konnte die Autorin auf jeden Fall überzeugen und ich spreche hierfür gerne eine Leseempfehlung aus.

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Veröffentlicht am 02.04.2020

Wir waren keine Nazis

Die verdammte Generation
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„Aber wie können sie urteilen, wenn sie selbst nie in der Lage gewesen sind, das zu fühlen, zu entscheiden, zu erleben und zu erleiden was wir damals in unserer Situation mussten?“

(Seite 100, Wigand) ...

„Aber wie können sie urteilen, wenn sie selbst nie in der Lage gewesen sind, das zu fühlen, zu entscheiden, zu erleben und zu erleiden was wir damals in unserer Situation mussten?“

(Seite 100, Wigand)

Alle Soldaten der Wehrmacht waren Nationalsozialisten, alle wussten vom Holocaust, von den Gräultaten der SS, den Befehlen von Hitler, es gibt keine Ausreden. Dies ist ein Bild welches sich mit der Generation von 1968 entstanden ist und festgesetzt wurde. Alle Eltern waren damals in der Nationalsozialistischen Zeit irgendwo engagiert und sie wussten von den Taten.

Dieses Bild wurde nie hinterfragt, nie geändert, es wurden nie die Soldaten von damals gefragt, angehört, in die Öffentlichkeit gestellt. Natürlich ist es nicht zu bestreiten dass der Holocaust das Schrecklichste aller Verbrechen ist, eine Unmenschlichkeit die keine Worte findet. Aber was ist mit den Menschen die keine Wahl hatten? Und hatte man überhaupt damals eine Möglichkeit für ein „Nein“ oder nicht? Wie war es als Soldat in der Wehrmacht kämpfen zu müssen, was hat diese Männer dazu bewegt? Welches Weltbild hat sich ihnen aufgetan, wie war das Elternhaus?

Ein Buch welches viele Fragen beantwortet, erklärt, aufklärt und vor allem auch die Menschen anhört die als 20jährige oder oft noch jünger, gerade zum Ende des Krieges, in die Wehrmacht eingezogen wurden oder sich freiwillig gemeldet hatten. Mit welchen Vorstellungen gingen die Soldaten an diese Situation heran?

Der Autor Christian Hardinghaus hat von allen 3 Bereichen der damaligen Wehrmacht Soldaten aufgesucht und mit ihnen gesprochen – Marine, Infanterie und Luftwaffe kommen hier zu Wort. Begonnen mit ihrer Kindheit, wie sie zum Militär gefunden haben und was sie im Krieg erlebt haben. Auch werden am Ende jeder Person 3 Fragen an sie gestellt, unter anderem – was sie vom Holocaust und von den Kriegsverbrechen gewusst haben?

Die Erzählungen sind unterschiedlich, die Werdegänge ebenso, die Berichte sind oft mit Fotos unterlegt. Und bei allen Erzählungen laufen innerlich Bilder ab, man fühlt mit diesen Männern mit und merkt dass sie jetzt, in einem hohen Alter, mit der Vergangenheit sehr schlecht umgehen können, sie wollen und müssen ihre Erlebnisse erzählen und der Autor nimmt sich hier die Zeit.

Entstanden ist auf jeden Fall ein bedrückendes aber doch wichtiges Gesamtbild der Soldaten der Wehrmacht welches nicht weniger erschreckend und oft schockierender ist als die ganze Zeit des Dritten Reiches. Dieses Buch gibt den Männern die von vorne rein von der Gesellschaft verurteilt wurden eine Stimme, lässt ihre Geschichte nochmals lebendig werden und wirken und ist ein unheimlich wichtiges Buch.

Wir müssen weiterhin die Themen aufarbeiten die sich mit dem Dritten Reich beschäftigen und müssen alle Geschehnisse einbeziehen, dazu gehören auch die Soldaten die damals wie heute nur eines im Sinn hatten – ihrem Land dienen, es zu schützen und die Familien und Menschen die dort leben. Und die ebenso ehrenhaften Männer waren wie viele andere Soldaten auch, man darf und kann nicht alle Menschen in einen Topf werfen!

„Da kommen sogenannte Neonazis und beschweren sich über ihr ach so schlimmes Leben in Deutschland. Und ich frage mich, was sie wohl andauernd zu beklagen haben, wenn sie doch augenscheinlich alle genug zu essen haben und nicht mit einer Waffe in der Hand jeden Tag um ihr Leben kämpfen müssen. Allein, dass man auf die Idee kommt, heute ein Nazi sein zu wollen, klingt für mich komplett absurd.“ (151/152, Johannes)

Ein Buch welches wichtiger nicht sein könnte und von daher eine ganz klare Leseempfehlung für alle!

Ich danke dem Verlag, dem Autor und Lovelybooks für das Rezensionsexemplar und die Leserunde.

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