Mehr als nur eine toll recherchierte Sage!
SchildmaidMit nordischer Mythologie habe ich bisher wenige Berührungspunkte gehabt. Aufgewachsen bin ich mit den griechischen und römischen Sagen (den von Peter Kaempfe sensationell vertonten geschrieben von Dimiter ...
Mit nordischer Mythologie habe ich bisher wenige Berührungspunkte gehabt. Aufgewachsen bin ich mit den griechischen und römischen Sagen (den von Peter Kaempfe sensationell vertonten geschrieben von Dimiter Inkiow) und denen blieb ich weiter befeuert durch Latein und Alt-Griechisch auf dem Gymnasium bis heute treu. Einzig die Erzählung der nordischen Mythen und Sagen von Neil Gaiman brachten mir diese etwas näher.
Und ich muss gestehen, dass ich trotz reichlicher Bemühungen immer noch zu schnell und zu einfach in Schubladen-Denken verfalle. Nordische Sagen hatten für mich bisher einen eher negativen Beigeschmack, sie wirkten mir zu rau, teils zu brutal. Bestärkt wurde ich in meiner eigenen beschränkten Sichtweise dadurch, dass diese Mythologie immer wieder durch rechte Ideologien missbraucht und instrumentalisiert wird.
Aber wenn sich ein Autorenduo wie die Vögte an ein Buch setzt, dann weiß ich inzwischen aus Erfahrung, dass ich eine Geschichte geliefert bekomme, die voller fantastischer Elemente die Leser:innen in ihren Bann zieht, gesellschaftskritisch ohne mit dem Finger erhoben auf Missstände hinweist, mit Vorurteilen aufräumt und dabei dann auch noch eine absolut fesselnde Lesezeit bietet.
„Schildmaid“ ist eine Sage, angelehnt an die Sagen der nordischen Mythologie und nimmt Leser:innen gleich sehr atmosphärisch in Empfang. Der Schreibstil ist ganz anders, als ich ihn erwartet habe und anders als ich ihn so kenne. Stilistisch wirkt er vor allem durch die allwissende Erzählperspektive und den kurzen Beschreibungen weniger wichtiger Charaktere wie eine Geschichte, die schon wiederholte Male erzählt wurde. Wie eine Nacherzählung oder Sage, also sehr passend und wunderbar geschrieben. Ich mochte den Schreibstil sehr!
Die kurzen Kapitel, die mal ein paar Seiten, oft aber auch nur ein paar Absätze lang sind, sind wohl typisch für die nordischen Sagen und ich finde es wirklich toll, wie viel Zeit spürbar in die Recherche geflossen ist. Das ist noch an weiteren Stellen im Buch und um das Buch herum zu merken.
Zum Beispiel gibt es keine Karte, obwohl diese bei dem Abenteuer der Schildmaid manchmal ganz nett gewesen wäre. Aber das Autorenduo hat sich dagegen entschieden, da es unter anderem im Viking Age keine Karten gab. Ein weiterer, kleiner Detailpunkt, der zur tollen Atmosphäre beiträgt! An dieser Stelle seien einmal die Social Media Kanäle und die Website empfohlen, auf denen sich wirklich viele weitere Hintergrundinformationen zum Buch finden lassen. Unter anderem auch,
Und nun habe ich, sehr ungewöhnlich für mich, abschweifend viel über das Buch geschrieben und sehr wenig über die Charaktere und den Inhalt. Aber bei manchen Bücher muss in einer Rezension etwas weiter ausgeholt werden, damit all die tollen Punkte Erwähnung finden.
Es wimmelt in diesem Buch nur so von interessanten und facettenreichen Charakteren. Nicht alle können natürlich mit derselben Akribie beschrieben werden, schließlich befinden sich fast 20 Personen auf der Schildmaid. Aber ausgewählte Frauen und ihr Schicksal werden tiefergehend beschrieben.
Allen voran natürlich Eyvor, die Erbauerin des Schiffes. Oder Dineke, eine Navigatorin.
In vielen Frauen habe ich mich wiedergefunden, andere waren mir fremd. Aber fasziniert war ich immer. Und neugierig auf mehr!
Denn Judith und Christian Vogt schaffen es auf wirklich spielerische Art und Weise Themen in ihre Geschichten einfließen zu lassen, die vielleicht unwichtig erscheinen, aber einen echten Impact darstellen. Ich hätte ein Buch lesen können, in dem sich eine Gruppe von Frauen aufmacht, um ihr Schicksal selber in die Hand zu nehmen und dabei Irrungen und Wirrungen, Gefahren und göttlichen Einmischungen begegnen müssen.
Aber die Schildmaid ist eben ein Ort, an dem gesellschaftliche Themen, die sonst wenig Beachtung finden oder in den Hintergrund gedrängt werden, endlich einen Platz finden.
Und so habe ich ein Buch gelesen, in dem Themen wie Transsexualität, Identitätsfindung, Selbstbestimmung und Inklusion.
Und was eine Familie zu einer Familie macht, welche Familienbilder es gibt, welche es geben sollte, was Mutterschaft sein kann.
Wie wichtig es ist, immer weiter zu lernen und anderen zuzuhören. Ob mit der Stimme und Ohren, oder mit den Händen und Gebärden.
Und was für eine furchtbare Tragödie eine Krankheit wie Endometriose sein kann.
Ich kann es noch immer nicht glauben, dass all dies plus natürlich die eigentliche Handlung auf gerade einmal knapp 400 Seiten gepasst hat und ziehe meinen imaginären Hut vor den Vögten.
Mein Text wird diesem Buch nicht gerecht. Also bleibt mir an dieser Stelle nur noch eines: Lest dieses Buch!