Bizarr
Harz„Im weißen Zimmer war es dunkel, als mein Vater meine Großmutter umgebracht hat“. Schon der erste Satz von Ane Riels Thriller „Harz“ ließ mich erschrocken blinzeln. Ebenso verstörend geht die Geschichte ...
„Im weißen Zimmer war es dunkel, als mein Vater meine Großmutter umgebracht hat“. Schon der erste Satz von Ane Riels Thriller „Harz“ ließ mich erschrocken blinzeln. Ebenso verstörend geht die Geschichte weiter. Die 6-jährige Liv lebt mit ihren Eltern abseits vom Dorf in einem Haus mitten im Wald. Damit sie nicht in die Schule muss, wurde sie von ihren Eltern tot gemeldet.
Für Liv scheint dies nicht weiter sonderbar zu sein. Sie erzählt mit einer Selbstverständlichkeit von nächtlichen Raubzügen mit ihren Vater und ihrer Wohnsituation, dass man Gänsehaut davon bekommt.
In Rückblicken wechselt die Erzählperspektive zu Livs Vater Jens. Dieser Teil las sich nicht ganz so spannend und hatte einige Längen. Trotzdem ist es für die Handlung wichtig zu sehen, dass auch Jens einst eine ganz normale Kindheit und Jugend hatte, bis alles aus dem Ruder lief.
Die Leserstimme auf dem Einband beschreibt es eigentlich ganz gut. Man sympathisiert mit jedem Charakter. Niemand in diesem Buch agiert aus Bösartigkeit. „Harz“ ist vor allem eine Charakterstudie. Was passiert mit Menschen, die in völliger Isolation leben? Abgeschnitten von jeglichen Informationsquellen, Freunden, Input von anderen Personen...
Im Falle der Familie Harder führt diese selbstgewählte Lebenssituation zu einem immer größeren Realitätsverlust und einer zunehmenden Ausprägung von Ängsten und irrationalem Verhalten.
Ane Riel gelingt es, das Leben der Familie sehr real zu beschreiben, so dass einem bei der Vorstellung von all dem Gerümpel, Dreck und Gestank das Grausen kommt.
Der Dreh- und Angelpunkt dieses Buches sind die Kapitel aus Livs Sicht. Sie ist größtenteils ahnungslos, wie bizarr ihre Lebenssituation ist, da es für sie Normalität geworden ist. Für ihr Alter ist sie überraschend erwachsen und pragmatisch. In gewisser Weise sogar mehr als ihre Eltern.
Etwas befremdlich fand ich die Darstellung der Dorfbewohner, da die Kapitel aus Sicht des Gastwirts kindlicher geschrieben waren als die aus Livs Perspektive.
Analog zum ersten Satz des Buches gelang es Ane Riel auch den letzten Satz als absoluten Schocker zu formulieren, der mich direkt einen Moment lang sprachlos zurück ließ.
„Harz“ war für nicht wirklich ein Thriller, da sich die Spannung in Grenzen hielt, aber ich empfand eine bizarre Faszination, mehr über diese Familie herauszufinden.
Die Geschichte war anders als ich es erwartet hatte, jedoch in jedem Fall originell und hebt sich somit von den Büchern ab, die ich in letzter Zeit gelesen habe.