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Veröffentlicht am 12.12.2016

Ein sehr verstörendes, tiefgründiges und psychologisch ausgefeiltes Thrillerdebüt

Hotline
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Ich bin schon lange neugierig auf die Bücher von Jutta Maria Herrmann und habe mich deshalb sehr gefreut, dass ich bei einem Gewinnspiel ihr Debüt Hotline mit einer persönlichen Widmung der Autorin gewonnen ...

Ich bin schon lange neugierig auf die Bücher von Jutta Maria Herrmann und habe mich deshalb sehr gefreut, dass ich bei einem Gewinnspiel ihr Debüt Hotline mit einer persönlichen Widmung der Autorin gewonnen habe.
Ich konnte es kaum erwarten, endlich mit dem Lesen zu beginnen und war von der Geschichte schon von der ersten Seite an so gefangen, dass ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen konnte. Anfangs hat mich dieser Thriller ein bisschen an Sorry von Zoran Drvenkar erinnert. Die Beicht-Hotline hat durchaus ein paar Parallelen zu der Agentur für Entschuldigungen in Drvenkars Thriller, unterscheidet sich allerdings in einem ganz entscheidenden Punkt und war mir deshalb ein bisschen sympathischer, da es den vier Freunden eben nicht darum geht, die Vergehen ihrer Klienten zu entschuldigen, sondern ihnen nur daran gelegen ist, dass sich die Anrufer ihre Sünden von der Seele reden können. Im Grunde handelt es sich dabei um eine Art Telefonseelsorge, denn Chris, der die Idee zu dieser Beicht-Hotline hatte, ist davon überzeugt, dass jedes Vergehen seine Ungeheuerlichkeit verliert, wenn man versucht, es in Worte zu fassen und dies der erste Schritt zur Einsicht sei. Da sich die vier Freunde aber immerhin nicht anmaßen, Absolution zu erteilen, konnte ich diesen Grundgedanken durchaus nachvollziehen. Fragwürdig ist jedoch der unumstößliche Grundsatz, niemals die Polizei einzuschalten, selbst wenn die Anrufer schwerste Verbrechen gestehen. Damit befinden sie sich jedoch in Übereinstimmung mit der nicht minder fragwürdigen Beichtpraxis der Kirche, denn nach geltendem Kirchenrecht darf das Beichtgeheimnis selbst dann nicht gebrochen werden, wenn ein Mord oder eine andere schwere Straftat gebeichtet wurde. Aber es soll ja nicht um theologische Grundsatzdiskussionen oder um meine Vorstellungen von Schuld und Sühne gehen, sondern um das Buch.
Was mich ebenfalls sehr an Drvenkars Sorry erinnert und mir ausgesprochen gut gefallen hat, ist, dass die Kapitel, die aus der Sicht der unbekannten Anruferin erzählt werden, in der zweiten Person Singular geschrieben sind, der Leser also direkt angesprochen wird. Da es sich dabei um die Täterin handelt, also um eine Frau, die nicht nur ankündigt, ein neugeborenes Kind lebendig begraben zu wollen, sondern noch weitaus Schlimmeres vorhat, ist es für den Leser äußerst befremdlich, von ihr direkt angesprochen zu werden, denn diese vertraute Anrede erzeugt eine Intimität, die etwas irritierend ist. Noch verstörender war für mich, dass ich ihre Gedanken, ihren Hass und ihre Wut manchmal geradezu erschreckend nachvollziehbar fand. Durch die Vertrautheit und diese unmittelbare Nähe erhält man tiefe Einblicke in ihre Psyche, spürt die Verletzungen und Demütigungen, die ihr zugefügt wurden und kann auch nachfühlen, warum sie ihren Schmerz niemals abstreifen konnte. Trotzdem spürt man natürlich auf jeder Seite die Bedrohung, die von dieser Frau ausgeht, sodass diese Nähe zur Antagonistin mitunter auch als sehr unbehaglich ist, denn man ahnt recht schnell, dass ihr Hass auf einen der vier Freunde geradezu bizarre Formen annehmen wird.
Die Geschehnisse werden aus der Sicht der Täterin und abwechselnd aus der Perspektive jeder der vier Hauptprotagonisten erzählt. Dabei wird die Lebensgeschichte jedes einzelnen beleuchtet, was mir sehr gut gefallen hat, denn die Autorin hat sehr interessante und vielschichtige Figuren geschaffen und sie sehr präzise und psychologisch tiefgründig ausgearbeitet. Jeder der vier Freunde hat mit seinen eigenen Dämonen der Vergangenheit zu kämpfen und steckt in einer recht schwierigen Familien- oder Beziehungskonstellation. Die individuellen Schicksale der Akteure waren teilweise sehr ergreifend und auch ihre Beziehungen untereinander bergen enormes Konfliktpotential. Das heißt jedoch nicht, dass sie mir alle gleichermaßen sympathisch waren. Nur Rick und Paula vermochten es, mir so ans Herz zu wachsen, dass ich mit ihnen mitfühlen konnte und hoffte, wenigstens sie blieben von den perfiden Racheplänen der mysteriösen Anruferin verschont. Doch die versteht es äußerst geschickt, die wunden Punkte jedes Einzelnen aufzuspüren und sich für ihre Zwecke zu Nutze zu machen. Obwohl sich ihr Hass eigentlich nur auf einen der vier Freunde richtet, sollen nun alle für seine Verfehlungen büßen.
Leider war mir recht früh klar, wer von ihnen dieser Frau in der Vergangenheit so viel Leid zugefügt hatte und auch, wer die Täterin ist. Allerdings war nicht vorhersehbar, welch grausame Formen ihr Plan noch annehmen wird und ob es ihr gelingt, ihn bis zum Ende auszuführen, sodass die Spannung trotzdem auf einem hohen Level gehalten werden konnte. Auch die Arglosigkeit der vier Freunde, die sich der Gefahr, in der sie schweben, häufig gar nicht bewusst sind, trägt dazu bei, dass die Geschichte bis zum Ende fesseln kann.
Allerdings ist es ein sehr ruhiges Buch. Die Spannung resultiert nicht aus brutalen oder tempogeladenen Szenen, sondern aus der atmosphärisch dichten Erzählweise der Autorin, dem psychologisch ausgefeilten Plot und den verstörenden Einblicken in die Seele einer zutiefst verletzten Frau, die vor nichts zurückschreckt, um sich für ihr verlorenes Lebensglück zu rächen.
Mir hat Hotline sehr gut gefallen, weil ich die eher gemächlichen und dafür tiefgründigen Psychothriller den brutalen und actiongeladenen vorziehe und mich die gut ausgearbeiteten Charaktere und Jutta Maria Herrmanns Erzählstil absolut überzeugen konnten.

Veröffentlicht am 26.11.2016

Wenn der vermeintlich sicherste Ort der Welt zur tödlichen Falle wird...

Under Ground
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Hinter dem Pseudonym S. L. Grey verbergen sich die beiden Autoren Louis Greenburg und Sarah Lotz. Sarah Lotz ist für viele Thrillerleser keine Unbekannte, denn aus ihrer Feder stammen die beiden Thriller ...

Hinter dem Pseudonym S. L. Grey verbergen sich die beiden Autoren Louis Greenburg und Sarah Lotz. Sarah Lotz ist für viele Thrillerleser keine Unbekannte, denn aus ihrer Feder stammen die beiden Thriller Die Drei und Tag Vier. Mit Das Labyrinth der Puppen legte das Autorenduo bereits 2011 sein Debüt vor und schrieb seitdem noch weitere erfolgreiche Horrorthriller, die jedoch bislang nicht alle ins Deutsche übersetzt wurden. In Under Ground, ihrem neusten Thriller, beschäftigen sie sich nun mit der Frage, wie sich Menschen in Extremsituationen verhalten. Da auch ich mir diese Frage schon häufig gestellt habe, war ich sehr gespannt auf dieses Buch.
Die Ausgangssituation ist durchaus realistisch und nicht gerade unwahrscheinlich – ein Grippevirus, das zahlreiche Todesopfer fordert und sich rasend schnell ausbreitet. Ob es Sinn macht, sich aus Angst vor einem Virus in einen unterirdischen Bunker zu flüchten, wage ich zu bezweifeln, da es eigentlich auch vollkommen ausreichen würde, sich mit genügend Vorräten in seinen eigenen vier Wänden zu verbarrikadieren und den Kontakt zu Menschen möglichst zu vermeiden. Nun denn, die Protagonisten in Under Ground sind wahre Weltuntergangsfanatiker, teilweise sehr paranoid und auch wohlhabend genug, um sich auf jede Art von Katastrophe perfekt vorbereiten zu können. Sie haben sich eine Wohnung in der luxuriösen unterirdischen Bunkeranlage Sanctum gekauft, um Schutz zu finden, falls die Apokalypse hereinbricht. Damit die Bewohner des Bunkers auch unter der Erde auf keine Annehmlichkeiten verzichten müssen, hat Greg Fuller, der das Sanctum geplant und erbaut hat, scheinbar an alles gedacht. Die Wohnungen sind exquisit ausgestattet, die Sicherheitsanlage verfügt über einen Swimming-Pool sowie einen Fitnessraum, und da das Leben unter der Erde und ohne Tageslicht recht trist ist, wurden Bildschirme an die Wände montiert, auf denen Videoaufnahmen von Wasserfällen, schneebedeckten Bergen und tropischen Stränden zu sehen sind. Damit die Nahrungsmittelvorräte nicht knapp werden, verfügt der Bunker auch über riesige Vorratskammern und Kühlräume, einen Hühnerstall und Hydrokulturen. Für ihre Survival-Luxuswohnungen haben diese reichen Paranoiker ein halbes Vermögen bezahlt, um jede Apokalypse entspannt überleben zu können. Damit man sich diese Bunkeranlage ungefähr vorstellen kann und den Überblick über die Bewohner nicht verliert, befindet sich auf der ersten Seite des Buches eine Skizze des Sanctums, die diesbezüglich sehr hilfreich ist.
Fünf Familien gelingt es, das Sanctum rechtzeitig zu erreichen, bevor Greg Fuller die Luke schließt. Was auf den ersten Blick noch äußerst luxuriös schien, entpuppt sich allerdings schnell als reine Fassade. Offenbar hat Fuller beim Bau der Anlage an allen Ecken und Enden gespart – der Aufzug funktioniert nicht, trotz seiner Zusicherung gibt es keine ärztliche Versorgung und die Bunkeranlage ist nicht annährend so betriebsbereit, wie sie im Ernstfall sein sollte.
Sechszehn Menschen und ein Hund leben nun zusammen in diesem unterirdischen Bunker, zwar in getrennten Wohnungen, aber dennoch auf engstem Raum. Die Kapitel werden abwechselnd aus der Perspektive von sechs Bewohnern des Sanctums geschildert. Da der Leser nur diese Personen näher kennenlernt, bleiben alle anderen Figuren recht konturlos und sind teilweise auch so klischeeüberladen, dass man sie eher als Typen und nicht als Individuen wahrnimmt. Doch selbst die Protagonisten, aus deren Perspektive berichtet wird, blieben mir bis zum Schluss seltsam fremd, obwohl es sich dabei um die einzigen Sympathieträger in diesem Thriller handelt. Für besonderen Zündstoff sorgt ein reaktionärer Waffennarr nebst seinem rassistischen, sexistischen Sohn und seiner Frau, die einem religiösen Wahn verfallen ist. Allein die Tatsache, dass sie nun mit einem koreanischen Einwanderer und dessen Familie zusammenleben müssen, lässt die Emotionen dieses ausgesprochen widerlichen Mannes, seinem nicht minder ekelhaften Sohn und dieser schizophrenen Religionsfanatikerin ziemlich hochkochen. Lediglich die sehr eingeschüchterte und verängstigte Tochter vermochte es, noch ein paar Sympathiepunkte einzuheimsen. Doch auch die meisten anderen Protagonisten sind recht gestörte Persönlichkeiten oder schlicht unangenehme Zeitgenossen und teilweise leider auch etwas überzeichnet.
Schon am ersten Tag kommt es aufgrund der Enge und auch der recht ungünstigen Personenkonstellation zu ersten Spannungen zwischen den Bewohnern, die jedoch erst dann vollkommen eskalieren, als Greg Fuller tot aufgefunden wird. Mit ihm stirbt auch jede Hoffnung, jemals wieder an die Erdoberfläche zurückkehren zu können, denn nur er kannte den Code, um die Luke zur Außenwelt wieder zu öffnen. Nicht nur die Tatsache, dass unter ihnen offenbar ein Mörder ist, sondern auch die recht knappen Nahrungsmittelvorräte lassen diese ohnehin paranoiden Menschen nun in Panik ausbrechen. Nun offenbaren sich auch all die Mängel des Sanctums, die Fuller ihnen verschwiegen hat. Die Lage des Bunkers ist geheim, die Internetverbindung ist abgerissen und auch mit dem Handy kann keine Hilfe geholt werden. Nur die Fernsehgeräte funktionieren noch. Schnell stellt sich heraus, dass das Grippevirus, vor dem sie sich eigentlich in Sicherheit bringen wollten, zwar Todesopfer forderte, aber keineswegs zu der befürchteten Pandemie führte. Es ist also geradezu grotesk, dass sich nun ausgerechnet der Ort als tödliche Falle entpuppt, an dem sich diese Paranoiker sicher wähnten. Da mir viele Protagonisten sehr unsympathisch waren und ihre Überheblichkeit teilweise ekelerregend und mehr als anstrengend war, konnte ich mir eine gewisse Schadenfreude nicht verkneifen. Lediglich mit einem kleinen Mädchen sowie dessen Aupairmädchen, das keineswegs freiwillig im Sanctum eingezogen ist, konnte ich mitfiebern und hoffte, dass sie wohlbehalten an die Erdoberfläche zurückkehren können.
Den beiden Autoren ist es ausgesprochen gut gelungen, die überaus klaustrophobische Atmosphäre in diesem Bunker sehr nachvollziehbar und eindrücklich zu schildern, sodass ich die Beklemmung geradezu körperlich spüren konnte. Gekonnt spielen sie mit den Ängsten des Lesers, denn die Vorstellung, mit einer Gruppe von fremden und überwiegend recht absonderlichen Menschen unter der Erde gefangen zu sein, ist ja schon mehr als beängstigend. Der Gedanke, dass Lebensmittel- und Wasservorräte zur Neige gehen, man um die letzten Reserven kämpfen muss, einer aus der Gruppe ein Mörder ist und man weder fliehen noch auf Hilfe hoffen kann, ist eine geradezu alptraumhafte Vorstellung. Aber wie verhalten sich Menschen in solchen Extremsituationen? Im Grunde wäre es sinnvoll, zusammenzuhalten, gemeinsam zu überlegen, wie man sich aus dieser Lage befreien kann und die Vorräte gerecht aufzuteilen. Doch das Wissen, dass sich innerhalb der Gruppe ein Mörder befindet, lässt das Zusammenleben von Misstrauen, Argwohn und Angst beherrschen, denn jeder verdächtigt jeden. Selbst innerhalb der Familien und Paarbeziehungen eskalieren Konflikte, die schon lange unter der Oberfläche brodelten. Schnell ist ein Hauptverdächtiger ausgemacht, gegen den sich nun der Hass aller richtet, den man aus der Gruppe ausschließt und isolieren will. Aber ist der Verdächtige wirklich für den Tod Fullers verantwortlich? Manche Protagonisten haben da ihre Zweifel, versuchen dem Ausgestoßenen zu helfen und ziehen damit wiederrum den Hass der anderen auf sich. Auch ohne zu viel verraten zu wollen, aber es wird nicht bei einem Toten bleiben und die Lage spitzt sich immer mehr zu.
Leider haben die Autoren sehr viel Potenzial verschenkt, denn gerade diese zwischenmenschlichen Konflikte, die angesichts dieser Extremsituation zutage treten, und die Abgründe, die sich in diesem erbitterten Kampf ums Überleben auftun, wären viel erschreckender und vor allem nachvollziehbarer, wenn die Charaktere differenzierter gezeichnet worden wären und etwas mehr Tiefe hätten. Das ist sehr bedauerlich, denn gerade die psychologischen Komponenten, die zu Beginn dieses Thrillers noch in Erscheinung treten, verlieren sich im Verlauf der Erzählung und geraten mit der zunehmenden Anzahl an Leichen immer mehr in den Hintergrund. Viele Protagonisten blieben mir einfach bis zum Schluss vollkommen fremd, sodass mir ihr Verhalten häufig nicht plausibel schien. Die Eskalation der Konflikte mutete zunächst noch durchaus realistisch an, denn dass Menschen in solchen Ausnahmesituationen die Kontrolle verlieren und auf geradezu erschreckende Weise alle moralischen Hemmschwellen über Bord werfen, scheint mir keineswegs abwegig zu sein. Die Glaubwürdigkeit ging jedoch im weiteren Handlungsverlauf immer mehr verloren.
Trotzdem war Under Ground überaus spannend, erschreckend und vor allem äußerst beklemmend. Der Schreibstil lässt sich sehr flüssig und schnell lesen und dieser Thriller weist keine Längen auf. Immer wieder hatte ich einen anderen Bewohner des Sanctums im Verdacht, der Mörder zu sein und fieberte mit den wenigen Sympathieträgern mit, diesem Alptraum doch noch entkommen und aus diesem unterirdischen Gefängnis fliehen zu können. Da es vor unberechenbaren und schwer durchschaubaren Protagonisten nur so wimmelt, ist die Anzahl der Verdächtigen entsprechend hoch. Umso schockierter war ich, als der Mörder dann feststand, denn mit dieser Auflösung hätte ich niemals gerechnet. Leider blieben die genauen Beweggründe des Täters im Dunkeln, sodass das Ende trotzdem nicht zufriedenstellend war und gerade an der recht schwammigen Ausarbeitung der Protagonisten scheiterte. Das ist wirklich bedauerlich, denn dieser Thriller war geradezu atemlos spannend und hätte mich durch tiefere Einblicke in die Psyche der Figuren vollkommen überzeugen können.
Dennoch kann ich Under Ground jedem empfehlen, der spannende Thriller zu schätzen weiß, sich auch vor blutigen und unappetitlichen Szenen nicht abschrecken lässt und sich schon die Frage gestellt hat, wie Menschen in Extremsituationen und unter Todesangst reagieren können.

Veröffentlicht am 23.10.2016

Gelungener und spannender Reihenauftakt

Die Reinheit des Todes
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Inhalt:
Eine grausame Mordserie erschüttert Berlin und stellt die Beamten des LKAs vor ein unlösbares Rätsel. Ein Serienmörder, den die Ermittler nur den „Putzteufel“ nennen, hat nun schon zum dritten ...

Inhalt:


Eine grausame Mordserie erschüttert Berlin und stellt die Beamten des LKAs vor ein unlösbares Rätsel. Ein Serienmörder, den die Ermittler nur den „Putzteufel“ nennen, hat nun schon zum dritten Mal zugeschlagen und hinterließ nach jedem Mord einen so akribisch gereinigten Tatort, dass es der Spurensicherung nicht möglich ist, brauchbare Spuren zu finden, die Rückschlüsse auf den Täter zuließen.
Quirin Meisner, der Leiter der Mordkommission, ist mit seinem Latein am Ende und bittet deshalb seinen ehemaligen Kollegen Julius Kern um Hilfe, denn ihm war es mit seinen recht außergewöhnlichen Ermittlungsmethoden drei Jahre zuvor gelungen, den brutalen Massenmörder Tassilo Michaelis aufzuspüren. Allerdings leidet Kern noch heute unter diesem Fall, da Tassilo die Taten nicht nachgewiesen werden konnten und er deshalb vor Gericht freigesprochen wurde.
Nach Tassilos Freispruch ließ sich Kern nach Brandenburg versetzen, lässt sich allerdings nun doch überreden, das LKA Berlin zu unterstützen und setzt alles daran, den „Putzteufel“ zu fassen. Er weiß, dass ihm die Zeit davonläuft, denn während er mit seinen Ermittlungen noch ganz am Anfang steht, hat der geheimnisvolle Serienmörder bereits sein nächstes Opfer im Visier. Zu seinem Entsetzen muss Julius Kern erkennen, dass er dem „Putzteufel“ nur mit Hilfe des Mannes auf die Spur kommen kann, den er am meisten verabscheut und eigentlich nie wieder sehen wollte.

Meine persönliche Meinung:


Bei Die Reinheit des Todes handelt es sich um den ersten Band der inzwischen abgeschlossenen Trilogie um den Ermittler Julius Kern und seinen Widersacher Tassilo Michaelis.
Nach einem sehr rätselhaften und kurzen Prolog, ist man schon auf den ersten Seiten mitten im Geschehen und begleitet Julius Kern und die Ermittler des LKAs am Tatort des dritten Opfers des „Putzteufels“. Wie bereits bei den beiden vorangegangenen Morden wurde die Leiche in ein weißes Hemd gehüllt und das Zimmer geradezu klinisch gereinigt. Der Mörder muss sich nach der Tat noch stundenlang in der Wohnung aufgehalten haben, um zu putzen, denn nicht einmal vom Opfer sind noch Fingerabdrücke zu finden und selbst die Bilderrahmen wurden akribisch gesäubert. Alles spricht dafür, dass der Täter die Morde präzise geplant und seine Opfer ganz bewusst ausgewählt hat, obwohl es zunächst keine Verbindung zwischen ihnen zu geben scheint.
Julius Kern versucht, sich in Psyche des Serienmörders hineinzuversetzen, indem er zum Beispiel eine Nacht damit verbringt, sein Wohnzimmer ebenso sorgfältig zu putzen wie der „Putzteufel“ die Wohnung seiner Opfer. Außerdem sucht er einen Religionswissenschaftler auf, um herauszufinden, ob die Morde eventuell einen religiösen Hintergrund haben könnten. Mit solch ungewöhnlichen Methoden war es ihm bereits drei Jahre zuvor gelungen, Tassilo Michaelis aufzuspüren, der fünf Menschen auf grausame Weise getötet hatte. Allerdings wurde Tassilo vor Gericht freigesprochen, weil ihm die Morde nicht nachgewiesen werden konnten. Der Gedanke, dass Tassilo noch immer ein freier Mann ist, inzwischen sogar zum Medienstar avancierte, fast heroisch verehrt wird und nun ein Buch über die Ereignisse von damals veröffentlichen möchte, beschert Kern noch jede Nacht Alpträume. Weil er von diesem Fall geradezu besessen ist, ging auch seine Ehe in die Brüche.
Die Handlung dieses Thrillers folgt drei Erzählsträngen, denn der Leser begleitet nicht nur Kern bei seinen aktuellen Ermittlungen im Fall des „Putzteufels“, sondern wirft auch einen Blick in die Vergangenheit und erfährt so ganz allmählich die Wahrheit über Tassilos Taten. In einem weiteren Erzählstrang lernt man Raphael kennen, einen gut situierten, gebildeten und überaus attraktiven Mann, und weiß schon nach wenigen Seiten, dass es sich dabei nur um den „Putzteufel“ handeln kann. Nun könnte man meinen, dass ein Thriller einiges an Spannung einbüßt, wenn man schon nach 40 Seiten weiß, wer der Mörder ist, aber Vincent Kliesch gelingt es, den Leser dennoch zu fesseln, denn die Frage, warum dieser engelsgleiche Mann diese grausamen Morde begeht, steht nach wie vor im Raum und wird erst ganz am Ende beantwortet. Man begleitet Raphael von Bergen durch seinen Alltag, erhält Einblicke in seine Gedanken sowie seine Kindheitserinnerungen und ist auch hautnah dabei, wenn er sich seinen nächsten potentiellen Opfern nähert. Lediglich sein Motiv liegt lange im Dunkeln, sodass die Spannung nie abreißt, zumal man sich auch fragt, ob es Julius Kern gelingt, diesen geheimnisvollen Serienmörder zu fassen, bevor er erneut zuschlagen kann. Die Kapitel, die aus Raphaels Perspektive erzählt werden, waren für mich die spannendsten, denn in die Gedankenwelt eines Serienmörders einzudringen, ist überaus verstörend, zumal er zwar unheimlich und rätselhaft, aber nicht unsympathisch oder gar abstoßend, sondern ein äußerst interessanter Charakter war. Nur scheibchenweise nähert man sich dem Motiv dieses Mörders, weiß als Leser aber trotzdem von Anfang an mehr, als der Ermittler Julius Kern.
Gleiches gilt auch für die Rückblicke in die Vergangenheit, denn während Kern nach wie vor nicht weiß, was drei Jahre zuvor in einer abgelegenen Scheune geschehen ist, erfährt der Leser in diesen Rückblenden auch, was Tassilo Michaelis seinen fünf Opfern damals dort angetan hat. Auch Tassilo ist ein überaus facettenreich angelegter Charakter, den der Autor sehr präzise ausgearbeitet hat. Man erhält sehr tiefe Einblicke in die Gedankenwelt dieser beiden psychopathischen Mörder, und obwohl es im Thrillergenre Serienmörder wie Sand am Meer gibt, ist es dem Autor gelungen, mit Tassilo und Raphael zwei Charaktere zu zeichnen, die aus der Masse sonstiger Mörderfiguren herausstechen. Letztendlich beruht die Faszination dieses Thrillers vor allem auf diesen beiden überaus vielschichtig gestalteten Protagonisten.
Lediglich mit dem Ermittler Julius Kern konnte ich recht wenig anfangen, weil mir die depressiven, dem Alkohol zugeneigten, beziehungsgestörten und gebrochenen Ermittlerfiguren, die die Krimilandschaft bevölkern, allmählich einfach etwas zu viel werden. Die Methoden, mit denen er versucht, sich in die Psyche eines Serienmörders hineinzuversetzen, fand ich allerdings sehr interessant.
Zu Beginn des Romans war ich zwar etwas verwirrt, weil dem drei Jahre zurückliegenden Fall von Julius Kern ein so breiter Raum eingeräumt wird, aber die Handlungsstränge nähern sich im weiteren Verlauf immer weiter an und laufen zu einem schlüssigen, überraschenden und wirklich gut durchdachten Ende zusammen.
Vincent Kliesch hat sein Thrillerdebüt all denen gewidmet, die im Service arbeiten, was ich zunächst etwas eigenartig fand, aber am Ende durchaus Sinn macht.
Mir hat Die Reinheit des Todes sehr gut gefallen, denn Klieschs Schreibstil lässt sich sehr flüssig lesen und seine Erzählweise ist innovativ. Obwohl der Leser dem Ermittler einiges an Wissen voraushat, wird er über die Zusammenhänge und Motive so lange im Unklaren gehalten, dass der Spannungsbogen bis zum Ende nicht abreißt und das Buch mit vielen überraschenden Momenten aufwarten kann. Ich bin jedenfalls schon sehr gespannt auf Kerns nächsten Fall, in dem er ebenfalls wieder auf seinen Gegner Tassilo treffen wird.

Veröffentlicht am 25.09.2016

Ein psychologisch ausgefeilter und grandios erzählter Thriller

DIE WAHRHEIT
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Ich habe erst vor ein paar Monaten Melanie Raabes Roman Die Falle gelesen und war restlos begeistert. Es war zweifellos eines der besten Bücher, die ich in diesem Jahr gelesen habe, weshalb ich dem Erscheinungstermin ...

Ich habe erst vor ein paar Monaten Melanie Raabes Roman Die Falle gelesen und war restlos begeistert. Es war zweifellos eines der besten Bücher, die ich in diesem Jahr gelesen habe, weshalb ich dem Erscheinungstermin von Die Wahrheit, dem zweiten Thriller der Erfolgsautorin, nun schon seit einigen Wochen sehnsüchtig entgegenfiebere. Wenn eine Autorin bereits ein so brillantes Buch vorgelegt hat, ist die Erwartungshaltung der Leserschaft natürlich entsprechend hoch und unweigerlich vergleicht man die beiden Bücher. Hätte ich Die Falle nicht gelesen und die Messlatte nicht derart hoch angesetzt, wäre ich nun sicherlich begeistert von Die Wahrheit, aber verglichen mit Die Falle, ist ihr zweites Buch leider ein wenig schwächer.
Zweifellos ist Die Wahrheit ein wirklich guter Thriller, der sprachlich und stilistisch wieder weit aus der Masse anderer Bücher dieses Genres herausragt und diesbezüglich sogar fast noch ausgereifter scheint als sein Vorgänger. Melanie Raabes Schreibstil ist innovativ, ihre Sprache eindringlich, metaphernreich, geradezu poetisch und entwickelt einen ungeheuren Sog, dem man sich kaum entziehen kann.
Außerdem stellt die Autorin auch in Die Wahrheit wieder ihr sensibles Einfühlungsvermögen in ihre Figuren unter Beweis. Sie nimmt sich sehr viel Zeit, ihre Hauptprotagonistin einzuführen und den Leser tief in Sarahs Gedanken- und Gefühlwelt eintauchen zu lassen. So lernt man Sarah zunächst als eine Frau kennen, die nach dem rätselhaften Verschwinden ihres Mannes jahrelang zwischen Hoffen und Bangen schwankte, immer wieder an die glücklichen Tage ihrer Ehe zurückdenkt und sich fragt, ob ihr Mann doch noch am Leben ist. Doch nun ist sie an einem Punkt angelangt, an dem sie endlich wieder nach vorne blicken will und sich von der Vergangenheit zu befreien versucht. Ich konnte mich sehr gut in Sarah einfühlen, denn Melanie Raabe versteht es, Emotionen sehr anschaulich, authentisch und nachfühlbar zu schildern. Auch wenn in den ersten Kapiteln nicht viel passiert, war ich sofort von der Geschichte und dem Schicksal der Hauptprotagonistin gefangen.
Als Sarah mitgeteilt wird, dass ihr Mann noch am Leben ist, sie ihn vom Flughafen abholen will und zu ihrem Entsetzen feststellt, dass der Mann, der vorgibt, ihr verschollener Ehemann zu sein, gar nicht Philipp ist, nimmt die Erzählung rasant an Fahrt auf, denn nun beginnt ein verwirrendes und auch sehr beklemmendes Katz- und Mausspiel. Von nun an werden die Kapitel abwechselnd aus der Sicht von Sarah und dem Fremden erzählt. Da die Gedanken beider Protagonisten aus der Ich-Perspektive geschildert werden, man also beiden Charakteren gleichermaßen nahekommt, fiel es mir von Kapitel zu Kapitel schwerer, mich weiterhin mit Sarah zu identifizieren, denn je tiefer ich nun auch in die Sichtweise des Fremden vordrang, umso verwirrter war ich. Auch wenn die Kapitel, die aus der Perspektive des Fremden geschildert werden, voller kryptischer Anspielungen sind und keine Auskünfte über seine Identität oder seine Motive geben, wurde mir Sarah im weiteren Verlauf der Erzählung zunehmend suspekter, zumal ihr Handeln zuweilen recht wenig Sinn machte. Einerseits waren die Ängste, die sie durchlitt und die latente Gefahr, in der sie schwebt, seit der Fremde in ihrem Haus wohnt, deutlich spürbar und auch nachvollziehbar, aber andererseits hatte ich auch häufig den Eindruck, dass sie allmählich hysterisch wird, nicht das Unschuldslamm ist, das sie vorgibt zu sein, und nicht sie, sondern vielmehr der Fremde in Gefahr schwebt. Durch den ständigen Wechsel der Perspektive und geheimnisvolle Andeutungen wird die Spannung stets aufrechterhalten und der Leser immer tiefer in dieses Verwirrspiel hineingezogen, in dem er irgendwann nicht mehr weiß, wem er noch trauen kann. Durch die unzuverlässige Erzählweise werden die Geschehnisse, aber auch die Protagonisten immer wieder in ein anderes Licht gerückt, wodurch die Spannung kontinuierlich gesteigert wird. Man weiß eben nicht, wer der Fremde ist, was er im Schilde führt, aber man ahnt irgendwann auch, dass Sarah ein düsteres Geheimnis hütet und keineswegs nur Opfer ist.
Somit wird eine subtile psychologische Spannung aufgebaut, die sich über das ganze Buch hinweg hält, obwohl im Grunde eigentlich recht wenig passiert. Wer einen blutigen, brutalen oder temporeichen Thriller erwartet, wird vermutlich enttäuscht sein, denn Melanie Raabe verzichtet auf brutale, actionreiche Szenen und blutige Details, sondern setzt vielmehr auf die pointierte Betrachtung menschlicher Abgründe und atmosphärische Dichte.
Bereits in Die Falle inszenierte die Autorin ein beklemmendes Verwirrspiel, das mit einem fulminanten Plot-Twist endete, aber gerade dies wollte Melanie Raabe in Die Wahrheit nun leider nicht gelingen. Ich kann das Ende hier natürlich nicht verraten, es ist durchaus schlüssig und überraschend, aber es ist vor allem deshalb so überraschend, weil es vollkommen banal ist. Ich mag es ja, wenn ich in einem Thriller immer wieder auf die falsche Fährte gelockt werde, aber ich habe mich am Ende dieses Buches regelrecht veräppelt gefühlt. Warum muss eine Geschichte, die so viel Potenzial hat und über mehr als 400 Seiten spannend und grandios erzählt wurde, am Ende so verpuffen?
Und so bleibt von einem wirklich packenden und großartig erzählten Thriller um Schuld und Verdrängung leider ein etwas fader Nachgeschmack.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Ein beklemmender, temporeicher Thriller mit einem äußerst klaustrophobischen Setting

Hell-Go-Land
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Bei Tim Erzberg handelt es sich um das Pseudonym des Literaturagenten Thomas Montasser, der mit seinem Thriller Hell-Go-Land nun sein Debüt vorlegte. Ich war sehr gespannt auf dieses Buch, denn Thriller, ...

Bei Tim Erzberg handelt es sich um das Pseudonym des Literaturagenten Thomas Montasser, der mit seinem Thriller Hell-Go-Land nun sein Debüt vorlegte. Ich war sehr gespannt auf dieses Buch, denn Thriller, die auf abgelegenen Inseln spielen, faszinieren mich ganz besonders, da es für mich kaum etwas Beklemmenderes gibt, als kleine, äußerlich begrenzte Orte, die ich nicht jederzeit verlassen kann. Allein das Setting dieses Thrillers löst bei mir also schon äußerst klaustrophobische Gefühle aus. Dabei bin ich mir sicher, dass die Insel Helgoland, die 70 Kilometer vom Festland entfernt in der Deutschen Bucht liegt und nur wenig mehr als tausend Einwohner zählt, landschaftlich wunderschön ist. Zu gerne würde ich die Strände, Felsenklippen, die Seehunde, Kegelrobben und Wasservögel einmal mit eigenen Augen sehen, aber man müsste mich schon narkotisieren, um mich auf Deutschlands einzige Hochseeinsel zu befördern, denn bereits die Anreisebedingungen, ob nun mit dem Schiff oder dem Flugzeug, treiben mir den Angstschweiß auf die Stirn und lösen in der Magengegend ein mulmiges Gefühl aus.
Die Geschichte Helgolands ist äußerst bewegt, wechselhaft und dramatisch. Der Titel des Buches Hell-Go-Land von Tim Erzberg geht im Übrigen auf die Engländer zurück, die die Insel so nannten, als sie am 18. April 1947 versuchten, Helgoland für immer von der Landkarte zu tilgen. Die Hochseeinsel war zum damaligen Zeitpunkt ohnehin schon weitgehend von Bombenangriffen zerstört worden und wurde bereits 1945 evakuiert. Zwei Jahre später sollten nun auch die militärischen Anlagen und das verbliebene unterirdische Bunkersystem gesprengt werden. Wider Erwarten hat Helgoland die bis dahin größte nichtatomare Sprengung überstanden, war aber jahrelang unbewohnbar. 1952 gaben die Engländer die Insel wieder an Deutschland zurück und Helgoland konnte wieder besiedelt werden. Die Südspitze der Insel wurde bei der Explosion allerdings zerstört, und noch heute zeugen unzählige Krater, die Mondlandschaften gleichen, von den Bombenabwürfen und der Sprengung. An jenem Tag im April 1947, der als Operation Big Bang in die Geschichte einging, bezeichneten die britischen Soldaten die Insel zynisch als Hell-Go-Land, als das Land, das zur Hölle fahren soll.
Auch die Polizistin Anna Krüger, die Hauptprotagonistin in Tim Erzbergs Thriller, verwendet diesen Begriff, denn sie gibt dem ersten Fall, in dem sie nach ihrer Rückkehr nach Helgoland ermittelt und der offensichtlich mit den traumatischen Erlebnissen in ihrer Jugend in Verbindung steht, den Namen Hell-Go-Land.
Inzwischen ist Helgoland ja ein beliebtes und sicherlich idyllisches Urlaubs- und Ausflugsziel. Nur ein kleiner, noch verbliebener Teil des unterirdischen Tunnelsystems, das auch in diesem Thriller eine Rolle spielt, erinnert an die dunklen Kapitel der Inselgeschichte. Dennoch hat sich der Autor alle Mühe gegeben, dem Schauplatz seines Buches eine möglichst unheilvolle Atmosphäre einzuhauchen. Als wäre die Enge dieser abgelegenen Hochseeinsel inmitten der Nordsee nicht schon beängstigend genug, tun die dunkle Jahreszeit und das stürmische, kalte Wetter noch ihr Übriges dazu, um eine äußerst düstere und beklemmende Stimmung zu erzeugen. Ein heftiger Orkan fegt über das Eiland, sodass keine Schiffe mehr fahren und auch der Flugverkehr eingestellt wurde. Die Polizei sieht sich zum Schutz der Bevölkerung sogar gezwungen, zeitweise eine Ausgangssperre zu verhängen, damit niemand von Sturmböen erfasst und in den Abgrund gerissen werden kann. Und während die Insel nahezu zwei Wochen vollkommen von der Außenwelt abgeschnitten ist, es keine Möglichkeit zur Flucht und keine Aussicht auf Hilfe vom Festland gibt, treibt auf Helgoland ein brutaler Psychopath sein Unwesen, der einen Menschen gefangenhält, ihn grausam foltert und Anna immer wieder blutige Botschaften zukommen lässt.
Vor jedem Kapitel befinden sich kurze Ausschnitte aus den Gesprächen zwischen dem unbekannten Täter und der Person, die er gefangenhält. In diesen Passagen erhält der Leser sehr verstörende Einblicke in die ausweglose Lage des Opfers, das nicht weiß, warum es gefangengehalten und gequält wird. Und man ahnt, dass die Zeit drängt, denn wenn es Anna und ihrem Team nicht gelingt, den Täter ausfindig zu machen, wird seine Geisel diese Folterungen nicht überleben.
Schon zu Beginn des Buches liegt die Verdacht nahe, dass all diese Geschehnisse nicht nur mit Annas Rückkehr nach Helgoland, sondern auch mit den Ereignissen in ihrer Vergangenheit zusammenhängen. Allerdings weiß man zunächst nicht, was in Annas Jugend vorgefallen ist. Der Leser begleitet die Hauptprotagonistin nun bei ihren recht mühsamen Ermittlungen, die durch das Wetter, die Abgeschnittenheit von der Außenwelt und auch durch Annas quälende Migräne erschwert werden, während die Zeit unaufhaltsam verrinnt und die Chancen, das Opfer lebend zu finden, immer geringer werden.
Im Mittelpunkt eines zweiten Handlungsstrangs steht Katarina Loos, die als Putzfrau bei Dr. Strecker, dem ortsansässigen Arzt, arbeitet. Eigentlich lebt sie auf dem Festland, aber da die Fährverbindung aufgrund des stürmischen Wetters eingestellt wurde, ist sie gezwungen, auf der Insel und im Haus ihres Chefs zu bleiben. Es war ihr schon immer eigenartig vorgekommen, dass die Frau ihres Arbeitgebers vor einigen Jahren plötzlich verschwunden ist, aber als sie nun in der Wäsche eine blutverschmierte Socke findet und im Keller eine sehr verstörende Entdeckung macht, ist sie sicher, dass Dr. Strecker ein dunkles Geheimnis hütet.
Am Ende dieses Thrillers laufen beide Handlungsstränge schlüssig zusammen. Zugegebenermaßen hatte ich irgendwann eine Ahnung, was Anna in ihrer Jugend zugestoßen sein mag, obwohl die Ereignisse ihrer Vergangenheit erst am Ende enthüllt werden. Die Auflösung des Falls und die Identität des Täters haben mich dann aber doch noch sehr überrascht. Der Täter befindet sich logischerweise in einem recht überschaubaren Personenkreis auf der Insel. Der Verdacht wird auf verschiedene Protagonisten gelenkt und der Leser immer wieder auf die falsche Fährte gelockt. Der Plot ist stimmig, schlüssig und fesselnd, allerdings nicht besonders originell, aber die Spannung dieses Thrillers beruht auch weniger auf der Geschichte, sondern vielmehr auf der beklemmenden und düsteren Atmosphäre und dem nervenaufreibenden Wettlauf mit der Zeit.
Es fiel mir leider ein wenig schwer, mit Anna mitzufiebern, denn sie ist etwas unnahbar und wollte mir deshalb nicht so recht ans Herz wachsen. Als ich am Ende erfuhr, was sie in ihrer Jugend erlebt hatte und mit welchen Erinnerungen sie zu kämpfen hat, war ich erschüttert, aber häufig wirkte sie etwas kühl, handelte auch ziemlich unvernünftig und auch im Nachhinein nicht gerade nachvollziehbar. Katarina Loos hingegen ging mir fast schon auf die Nerven. Die Neugierde, mit der sie das Privatleben ihres Arbeitgebers durchschnüffelt und die Methoden, die sie anwendet um seine Geheimnisse aufzudecken, sind schon ein wenig fragwürdig. Alle anderen Protagonisten blieben mir seltsam fremd, was aber durchaus Sinn macht, denn dadurch gelingt es dem Autor, den Verdacht immer wieder auf eine andere Person zu lenken.
Mir hat Tim Erzbergs Debüt Hell-Go-Land wirklich sehr gut gefallen und eine schlaflose Nacht mit spannenden Lesestunden bereitet, denn ich konnte diesen temporeichen Thriller kaum aus der Hand legen. Der Schreibstil des Autors ließ sich sehr flüssig und angenehm lesen. Besonders fasziniert hat mich vor allem das beklemmende Setting und die düstere, bedrückende und wirklich klaustrophobische Stimmung, die der Autor ganz hervorragend vermittelt.