Gelöscht: Ein solider Auftakt mit einigen Ecken und Kanten
GelöschtKyla ist nervös, denn heute wird sie ihre neue Familie kennen lernen. Sie wird das Krankenhaus verlassen, in dem sie die letzten Monate verbracht hat, um wieder laufen, sprechen und die alltäglichen Dinge ...
Kyla ist nervös, denn heute wird sie ihre neue Familie kennen lernen. Sie wird das Krankenhaus verlassen, in dem sie die letzten Monate verbracht hat, um wieder laufen, sprechen und die alltäglichen Dinge des Lebens zu erlernen. Kyla wurde geslatet, ihre Persönlichkeit, ihre Fähigkeiten ausgelöscht. Ein Schicksal, dass alle Jugendlichen im England der Zukunft erwarten, wenn sie ein Verbrechen begangen haben oder durch rebellisches Verhalten aufgefallen sind. Eine zweite Chance, sich lückenlos in die Gesellschaft zu integrieren. Ein kleines Gerät namens Levo hält die Jugendlichen davon ab, rückfällig zu werden, aggressiv und gewalttätig. Denn wenn der Wert des Levo zu tief fällt, wird sein Träger ausgeschaltet. Doch bei Kylas Operation muss etwas schiefgegangen sein. Immer wieder hat sie Flashbacks. Erinnerung oder Einbildung? Kyla beginnt Fragen zu stellen, denn sie möchte eines unbedingt herausfinden: Warum wurde sie geslatet? Ein großartige und einzigartige Grundidee, die viel Spannung verspricht. Leider kam gerade die an vielen Stellen zu kurz.
Action, Verfolgungsszenen, Eskalationen, herzergreifende Romantik, tiefe Emotionen, Nervenkitzel ... sucht man hier vergeblich. Die Handlung bleibt konstant, hält eine gewisse Grundspannung, wird aber an manchen Stellen etwas langatmig, da das gleiche Plotmuster immer wiederholt wurde. Die Neugierde, was es mit Kylas Flashbacks genau auf sich hat, lässt einen trotzdem die Seiten umblättern. Um das Forschen nach Kylas Identität dreht sich die zentrale Handlung des Buches. Die Autorin hat diesen Punkt sehr gut ausgearbeitet, dreht sich dabei allerdings etwas zu sehr im Kreis und lässt andere Aspekte dabei schleifen. Ein gutes Stichwort ist das Setting: Man erfährt sehr wenig von Kylas Welt. Wie und wohin sich England in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt hat, wird angerissen und grob erklärt, trotzdem bleiben viele Fragen offen. Besonders störend war für mich die Tatsache, dass die Lorder als staatliche Organisation stark verallgemeinert und als böse dargestellt wurde. Dort wurde überhaupt nicht differenziert. Ich hoffe, dass Teri Terry dies in den folgenden Bänden noch ändert. Die Idee des Slating dagegen ist gut durchdacht und bringt Einzigartigkeit in die Geschichte.
Kyla war mir von Beginn sehr symphatisch. Als Slaterin ist sie für die Gesellschaft ein unbeschriebenes Blatt. Zunächst möchte sie sich auch nahtlos in ihr neues Leben einfügen und nichts von ihrer Vergangenheit wissen. Doch je mehr Erinnerungen erwachen, desto neugieriger wird Kyla, beginnt erste Fragen zu stellen und bleibt dennoch vorsichtig. Sie will wissen, was da vor sich geht, was verheimlicht wird, weiß aber auch, dass es gefährlich ist, was sie, für ihre eigentlich nicht vorhandene Persönlichkeit, sehr stark und klug macht. Sie beobachtet ihre Umgebung, lässt sich ungern von anderen sagen, was sie denken soll, handelt aber sehr instinktiv, ohne sich bewusst für eine Sache zu entscheiden. Mir hat hier definitiv die Eigeninitiative von Kyla gefehlt, der Wille selbstständig Entscheidungen zu treffen.
Ben, der männliche Protagonist, dagegen war zu oberflächlich und träumerisch, ein typischer Slater - wunschlos glücklich und zuvorkommend, immer ein Lächeln im Gesicht. Seine beste Freundin Tori hatte er kurz nach deren Verhaftung vollkommen vergessen und Kyla muss ihn regelmäßig an ihre Existenz erinnern. Auch die aufkeimende Liebe zwischen Kyla und Ben wirkt sehr unglaubwürdig, aus dem einfachen Grund, dass sie in ihrer Beziehung viel zu schnell voranschreiten. Gerade erst haben sie sich in den Gruppensitzungen, die Slater regelmäßig besuchen müssen, kennengelernt, im nächsten Moment wird von unsterblicher Liebegesprochen. Warum? Einerseits nachvollziehbar, denn haben wir mit 16 nicht auch geglaubt, jeder Typ, in den man sich verliebt hat, wäre DER Eine, andererseits fühlen sich diese Liebesgeschichten überhastet an. Zudem macht Ben am Ende eine unglaubwürdige und ruckartige Entwicklung durch, die nur schwer nachzuvollziehen war. Ich hoffe, Teri Terry wird auch diese Frage im nächsten Band lüften und Ben mehr Tiefe verleihen.
Fazit: Trotz einiger Ecken und Kanten konnte mich Teri Terry mit ihrer Geschichte überzeugen. Die Idee ist großartig und interessant, Kyla eine starke und neugierige Protagonistin. Die Handlung brauchte ihre Zeit, um Fahr aufzunehmen und hat ihr Potenzial für spannende Szenen, die überall versteckt waren, letztendlich nicht voll ausgeschöpft. Alles in allem ein solider, aber ruhiger Auftakt einer neuen Jugendbuch-Reihe, die einen Thriller mit dystopischen Elementen vereint.
4 von 5 Sternen