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Veröffentlicht am 23.05.2023

Was für ein Buch! Über stille Stärke und unglaubliche Widerstandskraft

So weit der Fluss uns trägt
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Victoria wächst in den 1940er Jahren im westlichen Colorado auf einer Pfirsichfarm auf. Sie liebt die Natur, sie gibt ihr Kraft. Und die braucht Victoria uch. Denn sie musste in jungen Jahren schon viele ...

Victoria wächst in den 1940er Jahren im westlichen Colorado auf einer Pfirsichfarm auf. Sie liebt die Natur, sie gibt ihr Kraft. Und die braucht Victoria uch. Denn sie musste in jungen Jahren schon viele Schicksalsschläge verkraften. Früh verlor sie ihre Mutter und nun muss sie ganz alleine den Haushalt bewältigen und auf der Farm arbeiten. Victoria ist brav und fleißig und passt sich an, ihr gewalttätiger und unzuverlässiger Bruder Seth ist ihr keine Hilfe, im Gegenteil.
Nur einmal macht Victoria was sie will: Sie verliebt sich leidenschaftlich in einen Wanderarbeiten und schleicht sich heimlich davon. Denn Wilson Moon wird als "Indianer" beschimpft und die Gesellschaft in Colorado ist konservativ Ende der 40er Jahre. Es gibt jedoch eine Nachbarin, die allgemein als verrückt beschrieben wird, die Victoria unterstützt. Diese Unterstützung wird sie später noch brauchen, denn der nächste große Schicksalsschlag steht an. .....

Dieser Debütroman erzählt eigentlich eine tragische Geschichte. Von verlorener Liebe, gesellschaftlichen Zwängen und Verlust. Aber er erzählt auch von Durchsetzungsvermögen, von Widerstandskraft und von einer Frau, die ihren Weg geht. Ruhig und selbstbestimmt. Ohne große Bildung aber mit viel Intelligenz und einer ganz speziellen Beziehung zur Natur, die sie nährt und die ihr zeigt, dass es darauf ankommt, immer weiterzumachen. Egal, was kommt.

Mich hat dieses Buch sehr berührt und auch wenn ich zwischendurch kaum weiterlesen konnte, weil ich wusste, dass es jetzt wirklich schlimm wird, so war der Roman doch ein ganz großartiges Leseerlebnis. Denn es passiert nicht nur Schlechtes. Es gibt auch Freundschaft, Zusammenhalt, Hilfe von den "anständigen und einfachen" Leuten im Ort und ein großes Vertrauen in die Natur, die es auch immer wieder schafft, weiter zu leben.

So ein wenig hat mich der Roman an Hard Land von Benedict Wells oder Big Sky Country von Callan Wink erinnert. Beides Bücher, die auch von Verlust und Schwierigkeiten erzählen und doch so viel Menschlichkeit ausstrahlen.

Eine ganz große Leseempfehlung! Sobald das Buch erscheint: Lesen!

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Veröffentlicht am 17.05.2023

Was für ein kleines, feines, herzergreifendes Buch

Spargel in Afrika
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Abschied, Vater-Sohn und Eltern-Kind. Ein unerschöpfliches, existentielles Thema. In diesem schmalen Buch hervorragend dargestellt. Sprachlich sehr interessant gelöst. Vor allem wird das Thema anhand von ...

Abschied, Vater-Sohn und Eltern-Kind. Ein unerschöpfliches, existentielles Thema. In diesem schmalen Buch hervorragend dargestellt. Sprachlich sehr interessant gelöst. Vor allem wird das Thema anhand von Erzählungen übers Essen behandelt. Pfifferlinge, Weihnachtsessen und eben der titelgebende "Spargel in Afrika". Den hatte der Diplomaten Vater extra nach Afrika liefern lassen. Und dann hatte der Koch die Petersilien Kartoffeln vergessen...
Ein Sohn erinnert sich vor allem an diese Geschichte. An gemeinsame Mahlzeiten. Die oft das Verständnis und die Nähe ersetzen. Oder war genau das die Nähe? Und liegt im Gedanken an Essen nicht aus immer der Wunsch, genug zu bekommen? Genug Liebe, Zuwendung, Nahrung, Leben?


Es gilt im Roman für den Sohn Abschied zu nehmen vom Vater, der doch nur die Versäumnisse seiner eigenen Kindheit kompensieren wollte. Genauso, wie es der Sohn wiederum mit seinen Kindern macht. Wird der Sohn seinen Frieden finden und gestärkt seine Rolle als neue älteste Generation wahrnehmen können?

Mich hat diese Geschichte sehr berührt, sehe ich mich doch selbst als Mutter, für die "sorgen" auch "versorgen" ist. Gemeinsame Mahlzeiten, Schulbrote, Lieblingsessen kochen. So habe ich es selbst erfahren. Und unbewusst selbst so gemacht.
Gibt dieses Umsorgen Sicherheit und Nähe? Vielleicht? Hoffentlich!
Ich muss derzeit selbst schrittweise Abschied nehmen von meiner Mutter. Und letztens im Pflegeheim wollte meine Mutter unbedingt, dass ich mit ihr zusammen esse, sie hat mir ihr halbes Abendessen überlassen. Das Thema scheint uns also zu verbinden und hört auch im hohen Alter nicht auf. Danke Mutti für Deine Fürsorge!

Nicht alle Leser:innen werden ähnliche Erfahrungen haben. Die Erfahrung vom Abschied von den Eltern müssen wir aber irgendwie alle meistern. Daher eine ganz große Empfehlung für dieses Buch.

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Veröffentlicht am 30.03.2023

Feel Good Roman über Reisen, Selbstfindung und Liebe

Immer am Meer entlang
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Etwas Entspannendes wollte ich lesen - Und da kam dieser Roman von Franziska Jebens gerade recht. Es geht um eine Auszeit, Selbstfindung, Vanlife und natürlich um Liebe.

Die 30 jährige Josi träumt schon ...

Etwas Entspannendes wollte ich lesen - Und da kam dieser Roman von Franziska Jebens gerade recht. Es geht um eine Auszeit, Selbstfindung, Vanlife und natürlich um Liebe.

Die 30 jährige Josi träumt schon seit ihrem 10ten Lebensjahr von einer Reise "Immer am Meer entlang". Dafür spart sie seit Jahren und hat einen alten Bulli ausgebaut. Ihr Leben als Polizistin, die öfter mit Gewalt gegen Frauen konfrontiert ist, belastet sie zunehmend und außerdem hat sie eine üble Trennung hinter sich. Als ihre Eltern eine Finanzspritze geben, fährt sie früher als geplant los. Ende September. Ein Winter am Mittelmeer soll folgen und ein Sommer in Skandinavien. Alles minutiös geplant. Aber natürlich kommt vieles anders... und ihr Vorsatz, sich auf keinen Fall zu verlieben oder zu binden, wird arg ins Wanken gebracht, als sie Paul trifft....

Im Gegensatz zu Josi ist Paul eher spontan losgefahren. Sein Dasein als erfolgreicher Architekt ödet ihn zunehmend an. Immerhin hat er aber daher genügend Geld, um einfach loszufahren. Als er Josi kennenlernt, ist er zunächst etwas befremdet. Beim nächsten zufälligen Treffen ist er dann schon ziemlich hingerissen..... aber Josi will ja keine romantische Bindung und auch Paul muss noch mit einer gescheiterten Beziehung klar kommen.

Und so treffen sich die beiden immer mal wieder auf ihrem Trip durch Frankreich, Portugal, Spanien und Italien und als sie auf der griechischen Insel Milos ankommen, ändert sich dann einiges.....

Mir hat es Spaß gemacht, das Buch zu lesen. Schöne Landschaftsbeschreibungen (einiges habe ich gegoogled), witzige Dialoge und ein wenig tiefgründigere Einblicke in den Selbstfindungsprozess der beiden (aber nicht zuuu tiefgründig, ist ja ein Unterhaltungsroman).

Vanlife ist ja gerade hip und daher spricht der Roman sicherlich viele Menschen an, die von einer Auszeit träumen, von einsamen Stränden, Ruhe und Zeit für sich. Ich persönlich stehe dem Vanlife ja ziemlich kritisch gegenüber.. Ich würde nie auf die Idee kommen, freiwillig auf nur drei Quadratmetern ohne warme Dusche zu wohnen und permanent unterwegs zu sein. Und dann auf all den schönen Plätzen nur andere Vanlifer zu treffen und vom Alltagsleben im Land nur wenig mitzubekommen (das wird im Buch auch deutlich). Ich habe damals auch von einer Zeit im Ausland geträumt, mich dann aber entschlossen, dort zu arbeiten und länger an einem Ort zu bleiben. Das geht gut als Reiseleiterin (aber auch in der Gastronomie, als Surflehrer oder so). Außerdem verdient man sich so seinen Lebensunterhalt und muss nicht lange sparen, um endlich endlich wegfahren zu können. Aber jedem das Seine. Gegen das Buch spricht das nicht. Ich werde sicherlich noch weitere Bücher der Autorin lesen. Dieser Hinweis auf Finn & Cleo und Finns Farm hat mich neugierig gemacht....

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Veröffentlicht am 27.03.2023

Die Sprache ist reine Poesie

Der Inselmann
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Was für eine Sprache! Dieser recht schmale Roman erzählt so vieles. Über Einsamkeit, Sprachlosigkeit, dysfunktionale Familien und eigene Stärke. All dies mit einem melancholischen Grundton in ...

Was für eine Sprache! Dieser recht schmale Roman erzählt so vieles. Über Einsamkeit, Sprachlosigkeit, dysfunktionale Familien und eigene Stärke. All dies mit einem melancholischen Grundton in einer beeindruckenden, poetischen Sprache. Protagonist ist Hans, den wir im Grunde genommen fast sein ganzes Leben begleiten. Als Zehnjähriger zieht er mit seinen Eltern auf eine Insel in einem See. Für die Eltern ist es wohl eher eine Flucht, nach Innen statt nach Außen. Denn es ist Anfang der 60er in der DDR. Dies wird aber nur mittels einiger weniger Andeutungen klar. Hans fühlt sich sofort wohl auf der Insel, er ist ein stiller Junge, der die Natur liebt und im Hund des vorherigen Bewohners einen neuen Freund findet. Seinen einzigen Freund aus Kindertagen musste er in der Stadt zurücklassen. Ansonsten trauert er der Stadt und der Schule jedoch nicht nach, Hans ist eher Mobbing Opfer als ein Star. Aber er ist gut im Ertragen. Er erträgt, dass er seine Eltern mehr liebt als diese ihn, er erträgt die Sprachlosigkeit in der Familie und die Einsamkeit auf der Insel. Doch als die Schulaufsicht kommt und Hans nun jeden Tag eine Stunde über den See rudern muss, um zur Schule zu gehen, wird sich Hans irgendwann verweigern - was dramatische Folgen haben wird. Aber auch das wird Hans ertragen. Denn sein Ziel bleibt: Er will auf die Insel zurück!

Dem Autor Dirk Gieselmann ist mit "Der Inselmann" ein fulminanter Debutroman gelungen. Sprachlich ausgefeilt und inhaltlich wunderbar und zunehmend schwebend zwischen den Zeiten und zwischen Erinnerung, Traum, Wunsch und Realität. Nicht alles ist klar definiert und Sozialkritik ist (wenn überhaupt) nur unterschwellig zu spüren. Erzählt wird ein einsames Leben eines stillen und wortkargen (aber nicht sprachlosen) Menschen, der mit großer innerer Stärke ein alles andere als einfaches Schicksal lebt. Ein wenig hat es mich an "Ein ganzes Leben" von Robert Seethaler erinnert.

Ich habe es sehr genossen, das Buch zu lesen. Trotz der relativ wenigen Seiten habe ich oft innegehalten, um den Text wirken zu lassen.
Ich hatte das große Glück, den Autor im Rahmen des "Leseclubfestivals" in Köln persönlich kennenzulernen und dort mit anderen Leser:innen über den Roman zu sprechen. Daher weiß ich jetzt, dass der Autor gerne viele weiße Seiten eingefügt hätte, um zum Pausieren und Nachfühlen einzuladen. Und, warum das Buch der Inselmann heißt - und wie der Autor die Sprache entwickelt hat. Es war eine sehr interessante Diskussion. Auch dafür ganz großen Dank an alle, die mitdiskutiert haben.
Und eine große Empfehlung für dieses sehr besondere Buch.

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Veröffentlicht am 21.03.2023

Über die Münchner Schickeria - Und über Freundschaft

Roxy
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In den 80er Jahren war München "The Place to be". Coole Bars & Diskotheken, jede Menge Promis und die legendäre Schickeria. Damals war München "in", denn Berlin war noch geteilt und schwer zu ...

In den 80er Jahren war München "The Place to be". Coole Bars & Diskotheken, jede Menge Promis und die legendäre Schickeria. Damals war München "in", denn Berlin war noch geteilt und schwer zu erreichen, Hamburg kühl & edel und Köln fing gerade erst an, interessant zu werden. In den 80ern war ich oft in München, weil mein damaliger Freund dort studierte und so als Mädchen vom Lande haben mich damals die Lässigkeit und das Flair beeindruckt. Und die vielen tollen Bars. Auch wenn ich kaum in den sogenannten "In" Läden, wie dem Titelgebenden Roxy war.
Das ist bei Marc, dem Protagonisten dieses Romans anders. Obwohl er eher aus der Mittelschicht (Vater mittlerer Beamter beim BND, Mutter Lehrerin) und aus einem Neubaugebiet am Rand der Stadt stammt. Er bekommt durch seinen Freund Robert, genannt Roy, Zugang zu Glanz & Glamour. Denn Roys Vater hat Geld ohne Ende. So gibt es für die Jungs auch mal Urlaub auf einer Yacht im Mittelmeer oder in der Familienvilla in Saint Tropez. Und abends öffnen sich in München die Tore zum Roxy, vorbei am Spalier derjenigen, die nicht reinkommen und nicht dazu gehören.
Nach dem Abitur gehen die Freunde dann zunehmend getrennte Wege. Marc wird Schauspieler und Roy? Der muss kein Geld verdienen, sein Vater hat genug. Und seine Ambitionen und beruflichen Versuche sind nicht gerade erfolgreich....Und stirbt Roy mit Ende vierzig und Marc fährt zur Beerdigung. Während der langen Autofahrt lässt er die alten Zeiten und die Freundschaft zu Roy Revue passieren. .....
Im Gegensatz zu Titel und Klappentext ist dieser Debütroman weniger ein Buch über die Münchner Schickeria als vielmehr eine eingehende Betrachtung der Themen Freundschaft und Entscheidungen. Warum wählen wir welche Freunde? Was beeinflusst unsere Entscheidungen? Wie wäre unser Leben verlaufen, wenn wir andere Wege eingeschlagen hätten? Haben wir zu oft gezögert und so Chancen verpasst?

Mir haben die Gedanken im Roman zu diesen Themen gefallen. Ich habe das Buch sehr gerne gelesen, weil es vor allem ein ziemlich typischer Coming-of-Age Roman ist, der (neben allen schwierigeren Themen) auch diese besondere Zeit im Leben, in der noch alles möglich erscheint, lebendig werden lässt. Besonders die Passagen, die auf der Yacht, in Barcelona und in Saint Tropez spielen, waren für mich aufgrund der abrupten Wechsel zwischen Glamour, heruntergekommenen Vierteln in Barcelona und der Einsamkeit der Jungs in der großen Villa sehr eindringlich.

Als Schauspieler fand ich die Rollen, die Johann von Bülow spielt, bisher weniger interessant. Als Autor hat er mich positiv überrascht.

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