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Veröffentlicht am 31.12.2020

Sympathischer Sprachwitz mit den zwei Nachwuchsdetektiven

Rico, Oskar und das Mistverständnis (Rico und Oskar 5)
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Ein "tiefbegabter" Junge und ein hochintelligenter Gleichaltriger freunden sich an und lösen gemeinsam spannende Kriminalfälle – ein pfiffiges Prinzip, aus dem ganze fünf Bücher entstanden sind – eine ...

Ein "tiefbegabter" Junge und ein hochintelligenter Gleichaltriger freunden sich an und lösen gemeinsam spannende Kriminalfälle – ein pfiffiges Prinzip, aus dem ganze fünf Bücher entstanden sind – eine Rezension von Johannes Streb


Als ich zum neuesten und letzten Teil der Reihe rund um Rico und Oskar griff, ahnte ich nicht, eine wie große Freude es mir bereiten würde, in eine Welt zurückzukehren, die mich schon als kleines Kind schon begeistert hat. Mit "Rico, Oskar und das Mistverständnis" legt Beststellerautor Andreas Steinhöfel den fünften und (vorerst) letzten Band der erfolgreichen Reihe rund um die charismatischen Nachwuchsdetektive vor.

Erfolgsrezept funktioniert noch immer
Rico und Oskar haben eine neue Mission: Den Spielplatz, der sich zum regulären Treffpunkt ihrer gemeinsamen Clique etabliert hat, zu retten. Das Grundstück soll nämlich durch einen Immobilienmakler, der seine Geschäfte eher schlecht als recht abzuwickeln scheint, verkauft werden. Sie beginnen zu ermitteln, um das Unausweichliche zu umgehen – und stecken bald schon tiefer in Verstrickungen als beabsichtigt.

Das Erfolgsrezept, mit dem Steinhöfel seine beiden Figuren zu einem festen Begriff in der zeitgenössischen deutschen Kinderliteratur hat aufsteigen lassen, funktioniert nach all den Jahren noch immer. Er entwirft mit Fingerspitzengefühl und liebevollen Beobachtungen realistische Figuren und zeigt so, dass er sein junges Zielpublikum ernst nimmt. Durch die persönliche Ich-Erzählung erhalten die Leser:innen einen tiefen Einblick in Ricos innere Handlung: Er lernt langsam, wie er sein Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom selbstbewusst in seinen Alltag integriert und erkennt, dass ihn diese Verhaltensstörung nicht weniger wertvoll macht.

Steinhöfel beweist erneut erzähltechnische Raffinesse
Sein Pendant Oskar ist in so vielen Hinsichten das genaue Gegenteil zu ihm und deshalb ergänzen sich die beiden zu einem so hervorragenden Team, das es eine wahre Freude ist, sie zu beobachten. Sie halten sich gegenseitig auf dem Boden und sind loyal dem anderen gegenüber. In diesem Teil erhält dieses Band eine neue ernsthafte Ebene: Denn durch einen eifersüchtigen Streit wird ihre Freundschaft auf eine harte Probe gestellt.

Steinhöfel hat einen humorvollen und authentischen Schreibstil, der sich durch den kreativen Ideenreichtum auszeichnet: Die "Bingokugeln" etwa als Verdeutlichung der niedrigen Konzentrationsschwelle kannte ich noch aus den vorherigen Bänden; ebenso die unterhaltsamen Lexikoneinträge, die sich Rico in sein Tagebuch notiert, wenn er einen schwierigen Fachbegriff nicht kennt. Besonders herausstellen möchte ich aber die einzelnen perspektivischen Wechsel: Getarnt als Auszüge eines fiktiven Buchs namens "Oscars kapitale Abenteuer", werden einzelne Szenen zeitlich an den Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts zurückgeworfen. Das ist Steinhöfels sprachlich-stilistische Liebeserklärung an die Romane der Autorin Hedwig Courths-Mahler.

Einige Längen in der Handlung
Auch wenn handwerklich in diesem Buch wirklich alles stimmt, hätte ich mir ein wenig mehr Tempo während der Erzählung gewünscht. Teilweise entwickelt sich die Handlung für meinen Geschmack etwas zu langsam; etwas kürzere Kapitel hätten dem Werk sicherlich nicht geschadet. Die einzelnen Längen zwischendurch haben mich öfter aus dem Lesefluss gerissen. Der Autor verrennt sich zunehmend in ein verwirrendes Spiel, bei dem das Dickicht der einzelnen Figuren und deren Motive nur schwer zu durchdringen ist. Das sind kleine Makel, die nicht hätten sein müssen.

Insgesamt ist aber auch "Rico, Oskar und das Mistverständnis" wieder ein Buch, das man, wenn man die vorherigen Bücher mochte, auf keinen Fall verpassen darf: Dieser Sprachwitz (alleine schon der knuffige Buchstabenverdreher im Buchtitel!), die spannenden Perspektivwechsel, die gut ausgearbeiteten Figuren, deren Freundschaft zu zerbröckeln droht – all das sind Elemente, die diese Reihe unverwechselbar machen. Von mir gibt es natürlich eine klare Leseempfehlung.


Auch der fünfte Teil der berühmten Reihe, "Rico, Oskar und das Mistverständnis" kann durch seine sympathische Art und die herausragende Erzählweise punkten und sowohl junge als auch ältere Leser:innen begeistern.

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Veröffentlicht am 08.12.2020

Stellt mehr Fragen, als es beantworten kann!

The Loop. Das Ende der Menschlichkeit (The Loop 1)
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Ein weltweites Einparteiensystem, eine Software, die sämtliche bürokratischen Aufgaben übernimmt, und ein brutales Bestrafungsverfahren – das ist unsere graue Zukunft, wenn wir der Vision von Ben Oliver, ...

Ein weltweites Einparteiensystem, eine Software, die sämtliche bürokratischen Aufgaben übernimmt, und ein brutales Bestrafungsverfahren – das ist unsere graue Zukunft, wenn wir der Vision von Ben Oliver, dem Autor von "The Loop", Glauben schenken – eine Rezension von Johannes Streb.


Luke ist vierzehn Jahre alt und sitzt seit zwei Jahren in einem Hightech-Hochsicherheitsgefängnis. Die Zellen sind beengt, die Freiheiten auch und eine strenge Routine durchzieht den Alltag des jungen Häftlings: Aufstehen, Sport machen, eine halbe Stunde an die frische Luft und dann die Energieernte – ein grausiges Verfahren, mittels dem den Insassen alle körperliche Kraft geraubt und zur Stromherstellung für das Gebäude genutzt wird. Chancen zu fliehen? Die gehen gleich null.

Erschreckende Zukunftsvision reißt sofort mit
Der unmittelbare Einstieg wirft die Leser:innen sofort in die Mitte des Geschehens. Ich brauchte nicht lange, um mich in der dystopischen Welt zurechtfinden und über die pessimistischen Ideen und Umstände empören zu können. Ben Oliver baut eine gut durchdachte Welt auf, die durch das konsequente Weiterdenken gegenwärtiger Entwicklungen besticht: So realitätsfern wirkt das Szenario nämlich nicht.

Der einfache, raue Schreibstil unterstreicht gut die kühle Atmosphäre des Werks. So ist die flapsige, teils derbe Formulierungsweise dem Versuch geschuldet, das Umfeld authentisch darzustellen. Luke fungiert als schlicht ausgearbeiteter Hauptcharakter, aus dessen Perspektive wir die rasante Handlung miterleben. Seine interessante Hintergrundgeschichte über den Grund seines Gefängnisaufenthalts wird spannungstechnisch geschickt zeitlich aufgeschoben.

Handlung kippt nach vielversprechendem Auftakt
Es reizt mich, in der ersten Hälfte zu beobachten, wie viele kleine Ideen und Innovationen der Autor in sein Buch einbaut und technologische Fortschritte entwirft, die auf der heutigen digitalen Generation aufbauen. Der Ton ist für ein Jugendbuch erfrischend rau und barsch; trotz vieler bereits aus anderen dystopischen Werken bekannten Motive findet sich genügend Platz für Neues. Umso enttäuschender ist es daher, dass "The Loop" in seiner zweiten Hälfte in vorhersehbare und stereotype Erzählmuster fällt.

Ein Virus, das sich auf der Welt verbreitet und alle "Menschen in Killermaschinen verwandelt" (Zitat Klappentext)? Diese Wendung mag uns spätestens nach über zehn Staffeln "The Walking Dead" vage bekannt vorkommen. Wo im ersten Akt noch beklemmende Isolation und kluge Impulse dominierten, tischt uns Autor Ben Oliver gegen Ende eine vorhersehbare Hau-drauf-Actiongeschichte auf, bei der ich jegliche erzähltechnische Raffinesse vermisse.

Vielversprechende Handlungsstränge verlaufen ins Belanglose; spannende offene Fragen werden nicht beantwortet oder lieblos "abgefrühstückt". Mir ist bewusst, dass ein zweiter Teil erscheinen soll. Aber einen großartigen Plot derart lieblos in die Pfanne zu hauen, nimmt dem Buch seine ganze Dynamik.

Kraftloser Showdown, offene Fragen – wo bleibt Teil 2?
Der letztendliche Showdown wirkt aufgeplustert und konstruiert. Woher zum Teufel kommt denn auf einmal der Antagonist? Er bleibt ein oberflächlicher Charakter, über den das Lesepublikum zu wenig Informationen erhält. Seine Hintergrundmotive sind daher größtenteils nicht verständlich. Wie hat sich der Mensch zu dem entwickelt, der er heute ist? Wie kam er zu seiner Position in der globalen politischen Struktur? Wie hat sich diese Diktatur überhaupt etabliert?

Weder das schockierende Ende à la "1984" noch der Cliffhanger mit einigen Versprechen auf Teil zwei können über die Tatsache hinwegtäuschen, dass ich mich am Ende des Buchs ernüchtert fühlte. Es kann gut sein, dass der Folgeband durch die Klärung von offenen Fragen einige Schwächen von "Das Ende der Menschlichkeit" glättet – dennoch fühlt sich das Werk unvollständig und lückenhaft an. Ein Zustand, der mich unbefriedigt zurückließ.


«The Loop 1» ist ein mitreißender und atmosphärischer Auftakt, der mehr Fragen stellt, als er beantworten kann.

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Veröffentlicht am 23.11.2020

Kopf aus, Herz an!

The Music of What Happens
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Ein Food-Truck, an dem die Hoffnung der ganzen Familie hängt, und dieser stets breit grinsende, attraktive Junge, der hier anfängt zu arbeiten – das ist «The Music of What Happens» von Bill Konigsberg ...

Ein Food-Truck, an dem die Hoffnung der ganzen Familie hängt, und dieser stets breit grinsende, attraktive Junge, der hier anfängt zu arbeiten – das ist «The Music of What Happens» von Bill Konigsberg – eine Rezension von Johannes Streb



Jordan ist schlank, introvertiert, literaturbegeistert, lebt zusammen mit seiner Mutter in einer kleinen Wohnung. Das Einzige, was von seinem Vater übrig ist: Ein leerstehender Food-Truck. Seine Mutter ist psychisch überfordert; das finanzielle Überleben der Familie bleibt an ihm hängen. Er befürchtet das Schlimmste. Bis Max auftaucht und fortan in dem alten Wagen mithilft. Eine besondere Beziehung beginnt.


Triggerwarnung: Ernste Thematiken als wichtiger Aspekt
Jordan und Max sind die beiden Hauptfiguren, aus deren Sicht die Geschichte abwechselnd erzählt wird: Beide tragen ihre eigenen Sorgenpakete mit sich herum, in ihnen brodelt ein Emotionskochtopf. Nur so viel: Die Triggerwarnung zu Beginn des Romans ist nicht ohne Grund angebracht.


Die Ansprache von ernsten Thematiken wie Rassismus, Sucht, sexueller Missbrauch und Selbstzweifel ist einer der stärksten Aspekte des Buchs. Der Autor personifiziert einige Tabuthemen durch seine zwei unterschiedlichen Protagonisten und zeigt den Leser:innen, dass der Umgang mit den eigenen Ängsten alles andere als einfach ist, sie mit diesen Problemen aber nicht alleine sind.


Sprache ist Macht, zeigt auch dieses Buch
Der Schreibstil lädt zum gemütlichen Schmökern ein. Schnell konnte ich mich in dem Geschehen zurechtfinden und mit dem kleinen Figurenensemble anfreunden. Trotz eines stolzen Buchumfangs von etwa vierhundertfünfzig Seiten fühlte ich mich durchweg gut unterhalten. Sowohl der flüssige Einstieg als auch der unmittelbare Schluss erinnerten mich vom Charakter eher an eine Kurzgeschichte.


Was Max und Jordan für mich aber am authentischsten machte, waren die sich rasch wechselnden Gedankenströme während eines Chats oder Gesprächs: Wie leicht Menschen von Bemerkungen eingeschüchtert, verletzt und besorgt werden – und welche Macht daher mit der Verwendung unserer Sprache einhergeht. Diese inneren Reaktionen der beiden zeigen das Fingerspitzengefühl für kleine Alltagsbeobachtungen des Autoren.


Vorhersehbarer Plot, garniert mit blassen Nebencharakteren
Leider lässt sich der gesamte Handlungsbogen schnell durchschauen. Dass die beiden mehr verbindet als "nur" eine Freundschaft und dass dieses Buch gewiss nicht ohne Happy End auskommt, ist bereits nach dem ersten Kapitel ersichtlich. Ich hätte mir mehr Mut zum Ausbrechen aus gewohnten Strukturen und weniger Schwenker in kitschdurchtränkte Situationen gewünscht. Dadurch wäre der gesamte Roman abwechslungsreicher geworden.


Zudem störte ich mich mehrfach an den durchweg eintönigen und blassen Nebencharakteren. Da gibt es die typisch maskulinen Jungs, die nur über Videospiele reden und sexuelle Witze machen, und die klischeehaften besten Freundinnen von einem schwulen Jugendlichen, deren Klatschgespräche vor Belanglosigkeit nur so triefen. Das erinnert mich an unzählige, mehr schlecht als recht produzierte Hollywood-Streifen, denen "Heteronormativ!" mit wasserfestem Edding auf das verblasste DVD-Cover geschrieben wurde.


Versuch, progressiv zu sein, scheitert
Der Roman möchte zwar progressiv wirken und Jugendlichen Fläche zur Identifikation bieten, scheitert bei diesem Versuch aber durch seine altertümlich wirkenden Ansichten. Jordan und Max reduzieren ihr Gegenüber selbst zu oft auf ihre Sexualität, als auf den Menschen dahinter zu schauen – und genau da liegt das Problem.


Die Eigenschaft "schwul" scheint für sie wichtiger zu sein als Persönlichkeit und Charisma. Anstatt sich dieser Denkweise entschieden entgegenzutreten, beugen sie sich der gesellschaftlichen Norm und gewähren homophobe Witze schmallippig. Und das im Jahr 2020 (wobei, die amerikanische Originalausgabe erschien bereits letztes Jahr).


Umso erfreulicher finde ich daher die charakterliche Entwicklung, die sowohl die beiden Protagonisten als auch einige der Nebenfiguren durchschreiten – indem sie lernen, dass Kommunikation ein Schlüsselbegriff für die Lösung vieler Konflikte ist, dass man sich die eigene Schwäche selbst eingestehen darf, dass man oftmals Menschen verletzt, ohne es zu wollen. Diese Erkenntnisse geben der Leserschaft motivierende Botschaften mit auf den Weg.



«The Music of What Happens» ist kurzweilig und kitschig – Kopf aus, Herz an.

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Veröffentlicht am 23.11.2020

Von einer, die auszog, sich selbst neu zu entdecken

Wenn ich die Augen schließe
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Eine aufbrausende Party, viel Alkohol, ein schwerer Autounfall – und plötzlich ist in Norahs Leben nichts mehr so, wie es war: Der neue Roman von Bestsellerautorin Ava Reed heißt «Wenn ich die Augen schließe» ...

Eine aufbrausende Party, viel Alkohol, ein schwerer Autounfall – und plötzlich ist in Norahs Leben nichts mehr so, wie es war: Der neue Roman von Bestsellerautorin Ava Reed heißt «Wenn ich die Augen schließe» – eine Rezension von Johannes Streb.


Hektik, Eile, schnell die Schuhe anziehen, Mütze aufziehen, Rucksack auf den Rücken, die Tür hinter mir zuziehen und abschließen, loslaufen, sonst verpasse ich den Zug – ach Mist, ich habe meine Maske vergessen. Ich hasse es, Dinge zu vergessen, mich nicht mehr an etwas erinnern können, die Makel menschlichen Erinnerungsvermögens so unter die Nase gerieben zu bekommen. Stell dir aber mal vor, dir fehlen schwerwiegendere Erinnerungen: beispielsweise, wie du dich in bestimmten Momenten gefühlt hast? Wer bist du, wenn sich die eigenen Emotionen fremd anfühlen?


Erinnerungslücken aufholen, sich selbst hinterfragen

Protagonistin Norah muss sich genau mit diesen Problemen herumschlagen. Nach einem schweren Autounfall mit Alkohol hinter dem Steuer wacht sie schwerverletzt im Krankenhaus auf; ihr Genesungsprozess ist langsam, ja schwerfällig. Sie stellt eine "Ausprobierliste" auf, um jede ihr fehlende Empfindung nachzuholen und sich selbst besser kennenzulernen.


Dieses grundlegende Szenario trägt so viel Potenzial in sich: Norah versucht, Erinnerungslücken aufzuholen, sich und eigene Entscheidungen zu hinterfragen, das eigene Umfeld aus einer völlig neuen Perspektive zu sehen. Den Leser:innen wird ein detaillierter Einblick in die innere Handlung der Protagonistin gewährt. Sie fühlt sich fremd in ihrem eigenen Körper, in ihrer vertrauten Umgebung – ein Umstand, der für uns nur schwer greifbar ist.


Plot bietet nur wenige Überraschungen
Ava Reeds Schreibstil ist flüssig zu lesen; recht schnell fühlte ich mich in das Szenario involviert. Teilweise störten mich jedoch einzelne, kindlich klingende Formulierungen, die durch ihren plumpen Ausdruck aus dem sonstigen Korsett hinausfielen.


Leider entwickelt sich die Handlung genau so, wie ich es nach dem ersten Kapitel bereitserwartete. Man erwartet eine überraschende Wendung, die aus gewohnten Wegen herausbricht – vergeblich. Norahs Gegenpart ist der schmächtige, unscheinbare Sam, aus dessen Sicht ebenfalls einige Kapitel erzählt werden. Seine Ängste und Erwartungen sind für meinen Geschmack etwas zu oberflächlich ausgearbeitet; hier merkt man zu deutlich, dass der Fokus des Romans auf Norah liegt.


Erkenntnisse kalenderspruchrreif aufgebauscht
Viele weitere Nebenfiguren scheinen hinter ihrer Funktion für das Szenario unterzugehen: Da gibt es den wenig sympathischen, gut aussehenden Freund, die oberflächliche beste Freundin und die ehrfürchtige kleine Schwester. Ein bisschen mehr Fingerspitzengefühl für den Entwurf dieser Charaktere hätte mehr Abwechslungsreichtum in die Geschichte gebracht. Hier finden wir nun ein ziemlich offensichtliches Gegenspiel zwischen den bösen Mobber:innen und Opfern. Dies hätte um einiges raffinierter und weniger plakativ erzählt werden können.



Norah kommt im Laufe des Buchs zu vielen neuen Erkenntnissen und hinterfragt eigene Handlungsweisen selbstkritisch. Diese werden zu ganzen Mutmacher-Passagen aufgebauscht, die so wirken, als seien ein schmieriger Kalenderspruch per Copy & Paste eingefügt worden. Dass sie innerhalb so kurzer Zeit zu solch einer umfassenden Selbstreflexion fähig ist, wirkt unglaubwürdig.


Ernster Umgang mit Mobbing und Selbstzweifeln

Nichtsdestotrotz weiß das Engagement der Autorin wertzuschätzen, ihr großes Lesepublikum für so ernste und wichtige Thematiken zu nutzen. Sie wählt behutsame Worte, um ihren Leser:innen zu zeigen, das sie es wert sind, so zu sein, wie sie sind und sich nicht für das Umfeld zu verbiegen. Sie zeigt, wie schmerzhaft Worte und weitere kleine Erniedrigungen im Alltag sein und welche Selbstzweifel sie auslösen können, ohne allzu drastisch und überzogen zu wirken. Das ist die große Stärke der vorliegenden Lektüre.




«Wenn ich die Augen schließe» zeigt anrührend den Wert des Sichtreubleibens. Aus dem interessanten Szenario wäre insgesamt viel mehr Potenzial gewesen.

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Veröffentlicht am 23.11.2020

Geh nie alleine in den Wald, Mädchen

Die Wälder
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Den Bratapfel-Tee aufgießen, die in leere Glasflaschen gesteckten Kerzen anzünden, die Lichterkette anschalten, den Vorhang vor die klirrende Kälte ziehen – und dann steht mir und einer perfekten Herbstlektüre ...

Den Bratapfel-Tee aufgießen, die in leere Glasflaschen gesteckten Kerzen anzünden, die Lichterkette anschalten, den Vorhang vor die klirrende Kälte ziehen – und dann steht mir und einer perfekten Herbstlektüre nichts mehr im Wege. Ob das Buch trotz einiger negativen Rezensionen seinen Anspruch als atmosphärischer Thriller erfüllen kann?


Der Wald als mysteriöser Ort des Schreckens

Schnell wird klar, dass der Wald Geheimnisse und Schrecken birgt. "Geh niemals alleine in den Wald", wird die ein oder andere besorgte Mutter mit erhobenem Zeigefinger zu ihren Jüngsten gesagt haben. Sie ist sich der Gefahr des düsteren, verlorenen Orts bewusst. Die Abgeschiedenheit des Spielorts, der Schrecken, den die Hauptfiguren mit dem Wald verbinden, noch nicht abgeschlossene Kriminalfälle und Blutspuren zwischen den Bäumen – all diese Elemente verdichten sich zu einem stimmungsvollen Ganzen, dem man sich nur schwer entziehen kann.


Melanie Raabe hat einen mitreißenden Schreibstil, der schnell süchtig macht. Es ist ein spannendes Buch für Zwischendurch, da es sich gut "weglesen" lässt und nicht viel Aufmerksamkeit erfordert. Geschickt verwebt sie zwei Zeitebenen ineinander und ergänzt handlungstechnische Entwicklungen durch entsprechende Anekdoten aus der Vergangenheit.


Freundesclique à la der "Club der Loser"
Die dreiköpfige Clique, die nach dem überraschenden Tod ihres ehemaligen Freundes wieder zu ihrem Heimatort zurückkehrt und endgültig mit dem Schrecken abschließen möchte, erinnert in Stücken dem "Club der Loser" aus Stephen Kings «Es». Sie sind älter, reifer geworden; tragen in ihrem Herzen aber noch dieselbe verbitterte Angst wie vor all den Jahren.


Die Handlung wird aus zwei verschiedenen Perspektiven wiedergegeben, um den Leser:innen zu jeder Zeit ein vollständiges Bild über die Gefühlswelten der Protagonist:innen zu ermöglichen. Nina bleibt für mich jedoch bis zum letzten Kapitel ein blasser und nur wenig charismatischer Charakter. Auf viele Informationen über Eigen- und Leidenschaften wartet man vergeblich: Diese hätten sie als Figur lebendig und vielschichtig erscheinen lassen.


Wo bleibt der Nervenkitzel?

Das Problem am vorliegenden Buch: Die Handlung verläuft zu linear. Ich hätte mir gewünscht, dass «Die Wälder» mutiger vorgeht und die schnell vorhersehbaren Pfade verlässt. Aber nein, das Buch hat nur wenige Überraschungen zu bieten; die Suche nach schockierendem Nervenkitzel ist in diesem Thriller vergeblich.


Das Ende zieht sich stark in die Länge; die letztendliche Wendung bahnt sich schon lange im Voraus an und konnte mich nicht wirklich begeistern. So ist es die gemächlich herankriechende Ungemütlichkeit und Kälte, die von den Wäldern ausgeht und die das Buch kurzweilig machen. Einige Ausbrüche aus gewohnten Umständen hätten die Handlung aber undurchsichtiger, komplexer und anspruchsvoller gemacht. So ist es eine leichte Kost für Zwischendurch, die ich schnell wieder vergessen haben werde.



«Die Wälder» sind ein ungemütlicher, schaurig-atmosphärischer Ort – schade daher, dass die Handlung so stereotyp und vorhersehbar daherkommt.

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