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Veröffentlicht am 20.03.2020

auf den ersten Blick unspektakuläre, stille Familiengeschichte

Diese alte Sehnsucht
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Der amerikanische Autor Richard Russo erzählt in diesem Roman eine auf den ersten Blick unspektakuläre, stille Familiengeschichte. Es ist die einer Familie aus dem amerikanischen Mittelstand, deren Leben ...

Der amerikanische Autor Richard Russo erzählt in diesem Roman eine auf den ersten Blick unspektakuläre, stille Familiengeschichte. Es ist die einer Familie aus dem amerikanischen Mittelstand, deren Leben in geregelten Bahnen verläuft. Das Besondere und Fesselnde an diesem Buch ist die Erzählweise, mit der Russo seine Leser in den Bann zieht. Dirk van Gunsteren, der den Roman aus dem Amerikanischen ins Deutsche sehr treffend übertragen hat, wird seinen besonderen Spaß daran gehabt haben. Die leichte Geschichte wird so amüsant und humorvoll dargestellt, dass ich glaube, während der gesamten Lektüre mit einem Lächeln auf dem Gesicht im Sessel gesessen zu haben. Lediglich wenn meine Frau sich hin und wieder mir zuwandte, wusste ich, dass ich mit einem lauten Lacher auf mich aufmerksam machte.
Der geschiedene Jack Griffin, seines Zeichens genau wie der Romanautor Drehbuchschreiber in Hollywood, ist auf dem Weg zur Hochzeit der besten Freundin seiner Tochter. Er weiß, dass es auf Cape Cod ein Wiedersehen mit seiner Ex-Frau geben wird. Und er hat in seinem Kofferraum die Urne seines kürzlich verstorbenen Vaters, dessen Asche er ins Meer streuen möchte, um dem letzten Willen seines Vaters gerecht zu werden. Mit sich allein im Zwiegespräch, ab und zu von einem Telefonanruf seiner Mutter unterbrochen, wird das Leben seiner Eltern, seiner Familie und sein eigenes erzählt. Spießig und kleinbürgerlich kam es ihm immer vor, ein Leben, welches er so nie führen wollte. Sein Streben war der Ausbruch aus der kleinbürgerlichen Welt, weg von der Mutter, die in seiner Erinnerung nie ein freundliches Wort gesagt hatte. Dazu wird es erst viel später ein einziges Mal kurz vor ihrem eigenen Tode kommen. Doch jetzt kann sich Griffin, hin- und hergerissen von seinen Gedanken, nicht für einen Ort am Ufer entscheiden, welcher der Asche seines Vaters angemessen erscheint.
So trifft der Leser Griffin ein Jahr später erneut auf einem Weg zu einer Hochzeit wieder. Dieses Mal ist es die seiner Tochter. Dieses Mal hat er zwei Urnen in seinem Kofferraum. Seine Mutter, die im vergangenen Jahr verstarb, hatte gewollt, ebenso im Meer verstreut zu werden. Aber keinesfalls auf der gleichen Seite der Meeresbucht, nie und nimmer in der Nähe ihres Mannes.
Die Leichtigkeit und der Humor sind dem Pulitzer-Preisträger wahrscheinlich seinen Erfahrungen beim Schreiben von Komödien-Drehbüchern zu verdanken. Einen gehörigen Anteil daran hat meines Erachtens auch der o. g. Übersetzer, der die typisch amerikanischen Sequenzen geschickt und gleichermaßen humorvoll ins Deutsche übertragen hat.
Als es um die Beziehung von Griffins Frau zu dessen Mutter geht, heißt es: „In den ersten zehn Jahren hatte sich die arme Joy (Griffins Frau – Anm. der Red.) bemüht, ihre Schwiegermutter dazu zu bringen, ihr Urteil (über Joy – Anm. der Red.) zu revidieren, in den darauffolgenden zehn Jahren hatte sie versucht zu ergründen, warum dies nicht geschah, und im dritten Jahrzehnt schließlich tat sie, als wäre es ihr gleichgültig. In letzter Zeit schien sie geneigt, sich eine neue, geheime Telefonnummer zuteilen zu lassen. In den Flitterwochen machte sie Griffin unabsichtlich ein Kompliment, indem sie ihn fragte, ob er adoptiert worden sei.“
Ein anderes Mal wird der Vater Griffins folgendermaßen charakterisiert: „Sein Vater spezialisierte sich auf Heckzusammenstöße auf dem Parkplatz von Lebensmittelläden und Einkaufszentren. Alle diese Unfälle geschahen ohne jede Vorwarnung. Das erste Anzeichen dafür, dass etwas nicht stimmte, war der Aufprall selbst, gefolgt vom Kreischen sich verformenden Metalls, dem Klirren von Glas und einem Augenblick tiefer Stille, bevor sein Vater in den Rückspiegel sah und sagte: „Wo kam der denn jetzt her?“ Als Kind war Griffin bei den meisten Unfällen dabei gewesen, seines Wissens nie angeschnallt, und er erinnerte sich, dass er oft einen steifen Hals gehabt hatte.“
Doch nun genug mit den Zitaten, schließlich soll an dieser Stelle nicht das gesamte Buch abgeschrieben werden, was dank der zahlreichen köstlichen Szenen schnell geschehen könnte. Bleiben abschließend nur die Fragen, ob Griffin es tatsächlich geschafft hat, sein Leben anders zu gestalten als seine Eltern und was es eigentlich bedeutet, Familie zu haben?
Topempfehlenswert für alle, die humorvolle Geschichten lieben und über die es sich dennoch lohnt nachzudenken.

© Detlef Knut, Düsseldorf 2011

Veröffentlicht am 20.03.2020

Eine Zeitreise in eine vergangene, jedoch nicht zu ferne, Zeit

Natürliche Mängel
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Wer lange Zeit keinen Detektivroman gelesen hat, der kann sich mit den neuen Roman des medienscheuen Thomas Pynchon wieder an dieses Genre herantasten. „Natürliche Mängel“, so der deutsche Titel für „Inherent ...

Wer lange Zeit keinen Detektivroman gelesen hat, der kann sich mit den neuen Roman des medienscheuen Thomas Pynchon wieder an dieses Genre herantasten. „Natürliche Mängel“, so der deutsche Titel für „Inherent Vice“, führt zurück in das Kalifornien von 1970. Allerdings sollte der Leser keinen Detektiv a la Philipp Marlowe oder Mike Hammer erwarten. Larry „Doc“ Sportello ist ein Detektiv Anfang Zwanzig und fest in der Hippie-Szene verankert. Er verschmäht den Stoff nicht und hat seinem Detektivbüro den vielsagenden Namen „Location, Survaillance, Detection“ – kurz: LSD – gegeben. Nur den chronischen Geldmangel hat er gemein mit den anderen klassischen Romandetektiven. Deshalb ist ihm wie auch jenen jeder Auftrag recht. So nimmt er noch schnell den Auftrag zum Schuldeneintreiben an. Beim Leibwächter des in Los Angeles angesehensten Immobilienhais soll er das Geld beschaffen. Leichte Sache, denkt er sich, taucht jedoch bei seiner Arbeit in den neon-gelben Nebel eines Marihuana-Rauschs. Als er wieder wach wird, blickt er in das Gesicht seines Lieblingspolizisten. Der Schlamassel kann beginnen: neben ihm liegt der Leibwächter tot auf dem Boden, der Immobilienhai ist spurlos verschwunden, entführt. Sein Lieblingspolizist ist nicht gut auf Hippies zu sprechen.
Auf stets wechselnden Schauplätzen in L. A. und Las Vegas lässt Pynchon seinen Detektiv ermitteln, höchst ominöse Gestalten agieren in der Handlung und legen falsche Fährten sowohl für den Ermittler als auch für den Leser. Dazu gehören auch der Lieblingspolizist Bigfoot Bjornsen, der Stacheldraht sammeln sein Hobby nennt, Sportellos Anwalt, der hauptsächlich auf Donald Duck spezialisiert ist, ein Verbrechersyndikat mit dem chinesisch klingen Namen „Goldener Fang“, Verbrecher wie Charles Manson und Richard Nixon.
Mit viel Humor und jede Menge kleiner Details lässt der Autor die frühen 1970er Jahre in Kalifornien im Kopf der Leser entstehen. Der Humor drückt sich in der Skurilität der Figuren und ihren Dialogen aus. Äußerst unterhaltsam ist das plötzliche Erscheinen von Sportellos Eltern vor seiner Wohnung, die er zusammen mit einem Kumpel bewohnt. Oder auch die folgende Szene:
„Doc stellte fest, dass er keine Zigaretten mehr hatte. Er legte den Hörer auf den Küchentisch und ging seine Stange Kools suchen, die sich nach längeren Nachforschungen im Gefrierfach fand, neben den Resten einer Pizza, deren Vorhandensein er vergessen hatte und deren Zutaten er trotz ihrer Buntheit nicht mehr alle identifizieren konnte. Da er trotzdem leichten Hunger verspürte, beschloss er, sich ein Sandwich mit Erdnussbutter und Mayonnaise zu schmieren, machte eine kalte Dose Burgie ausfindig und wollte schon ins andere Zimmer gehen, um den Fernseher einzuschalten, als er seltsame Geräusche hörte, die vom Telefon kamen, dessen Hörer offenbar abgenommen war …“
Die vielen Details sorgen bei den Lesern, die die Zeit selbst miterlebt haben, für unerschöpfliche Möglichkeiten, den Erinnerungen auf die Sprünge zu helfen. Neben Fernsehserien wie „Raumschiff Enterprise“ wird mit viel Musik im West Coast Sound an die damalige Zeit erinnert. Die Beach Boys scheinen dem Leser unaufhörlich im Ohr zu klingen, schrille Neonreklamen laufen vor seinem geistigen Auge ab, auf jeder dritten Seite wird er zum Kiffen animiert.
Nicht zuletzt dank der gelungenen Übersetzung von Nikolaus Stingl bietet der Roman beste Unterhaltung auf hohem Niveau mit der Bedienung eines Genres in allen Details und Klischees, die von diesem Genre erwartet werden. Eine Zeitreise in eine vergangene, jedoch nicht zu ferne, Zeit, die von vielen Lesern auch mit verklärten Augen gesehen werden wird und die von den jüngeren Lesern zu einer Aufklärungsreise über ihre Eltern führen kann.
Und noch ein kleiner Tipp: auf YouTube oder bei Amazon kann der Videotrailer zum Roman angeschaut werden, der angeblich vom Autor selbst besprochen sein soll.

© Detlef Knut, Düsseldorf 2011

Veröffentlicht am 20.03.2020

ökologisches und gesellschaftliches Weltbild

Fleischeslust
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Nicht ganz unberechtigt wird der amerikanische Schriftsteller Thomas C. Boyle als ein politischer Schriftsteller bezeichnet, der so viel Energie in sich trägt, dass es einfach brennen muss, wie es die ...

Nicht ganz unberechtigt wird der amerikanische Schriftsteller Thomas C. Boyle als ein politischer Schriftsteller bezeichnet, der so viel Energie in sich trägt, dass es einfach brennen muss, wie es die amerikanische Kritikerin Lynn Neary von NPR.org ausdrückte. Das vorliegende Bändchen “Fleischeslust”, welches mir in der von Werner Richter übersetzten deutschen Fassung vorlag, mit insgesamt fünfzehn Geschichten ist der Beton, der diese Meinung zu untermauern versteht. Fünfzehn Geschichten voller Schicksale, voller Unterhaltung, voller Spannung und natürlich voller Engagement eines Schreibers, für den die Szenarien nicht nur Kulisse für eine unterhaltsame Lektüre sind, sondern der Grund für das Entstehen der Geschichte bilden. In jeder Geschichte spürt man das tiefe Interesse Boyles, sich mit einem umwelt- und gesellschaftspolitischen Thema zu befassen, über Ursache und Wirkung nachzudenken, den besten (schriftstellerischen) Weg zu finden, den Leser über eine unterhaltsame und spannende Geschichte an das Thema heranzuführen, ihn zum Nachdenken anzuregen.
So handelt „Großwildjagd“ von einem die Savannen Afrikas nachbildenden Park in Kalifornien, der zu kommerziellen Zwecken für die Großwildjagd angeboten wird. „Keimende Hoffnung“ fantasiert vom alles erfüllenden Sex auf einem Teppich aus Fröschen und Kröten in der puren Natur. Wie kann man einer Familie helfen, die in ihrem Müll erstickt, weil sie nichts, aber auch gar nichts, wegschmeißen können? „Sammlerinnen und Jäger“ lässt darüber nachdenken.
„Ich lernte sie kennen – das heißt, unsere Wege kreuzten sich -, weil mich ein Freund beauftragt hatte, sie abzuholen … Während ich durch die Flughafengänge joggte und übernächtigten Sikhs, jovialen Briten und umsichtigen Geschäftsleute aus Japan und Korea auswich, rasten mir die klingenden Namen – Solschenizyn, Tschechow, Dostojewski, Tolstoi – wie Beschwörungsformeln durch den Kopf, bis ich sie plötzlich sah.“ Mit solchen Bildern, die dank einer hervorragenden Übersetzung bestens wiedergegeben wurden, beginnt in „Ohne Held“ eine romantische Liebe zwischen einem Amerikaner und einer Russin, die noch auf eine harte Probe gestellt werden sollte. Mit der „Ehrenwerten Gesellschaft“ begibt sich der Leser nach Sizilien und erfährt über das Leben mafiöser Familien aus der Sicht ihres Hausarztes. „Höhere Gewalt“ spielt für Willis mit den Hüftgelenken und seiner morgens ewig nörgelnden Ehefrau in Form eines vorbei rauschenden Hurricanes eine wichtige Rolle. Der Frage nach dem Sinn von Lehrfilmen gegen Drogen wird in „Zurück ins Eozän“ nachgegangen. Die Titelgeschichte „Fleischeslust“ erzählt von einem jungen Mann, der sich in eine extremgrüne Veganerin verliebt, sich ihrer Gruppe anschließt und versucht, sich ihr anzupassen und nach ihren Vorstellungen zu leben. Wird er scheitern? Kann er für immer auf fleischliche Nahrung verzichten? „Die 100 Gesichter des Todes, Folge IV“ scheint darauf hinzuweisen, dass auf dem Nachttisch des Autors Berge von Kriminalromanen liegen müssen, damit man so viele Todesarten aneinanderreihen kann. Jedoch war eine Videoserie vor den Zeiten des Internets der tatsächliche Auslöser für diese Geschichte. Obwohl die Mannschaft mit „56:0“ gerade verloren hat, will sich Ray Arthur nicht wie seine Sportkameraden verkriechen und motiviert sie zum nächsten Footballspiel. Wird die Niederlagenserie durchbrochen? Eher als philosophische Abhandlung liest sich „Das Ende der Nahrungskette“: Nachdenken über die Notwendigkeit jedes einzelnen Lebewesens auf der Erde. „Bird the Third“ handelt von der Eroberung des Südpols durch Amundsen und Scott aus der Sicht eines Demenzkranken, der sich verlaufen hat und kaum merkt, dass er ausgeraubt wird. Eine überaus tragische, dennoch wunderschöne Geschichte. „Beat“ handelt vom Leben und Geschehen in der Generation Ende der Fünfzigerjahre in Amerika. Weihnachten feiern bei seinem Idol. Doch ist dessen Mutter darüber begeistert? In einer von Weißen dominierten, amerikanischen Kleinstadt erinnert sich der Ich-Erzähler an eine schwarz-asiatische Schulkameradin, deren Familie aus dem Ort vertrieben wurde. Auslöser für diese Erinnerung ist „der Nebelmann“, der zweimal die Woche mit einem Auto durch die Siedlung rauscht und so viel Nebel hinter sich lässt, dass kaum die Bäume auf der anderen Straßenseite erkennbar sind. „Auf dem Dach der Welt“ befindet sich die Feuermelderin in ihrem Feuerturm und schwankt zwischen wütend sein, Angst und Interesse über und für den Mann, der sie hier in der Einsamkeit belästigt.
Alles in allem ein Büchlein mit vielen kurzen, aber voluminösen Geschichten, die sich schnell lesen lassen und immer mal zwischendurch passen. Alle sind unterhaltsam und könnten so für sich stehen bleiben. Der Leser kann aber auch darüber nachdenken und sie in sein ökologisches und gesellschaftliches Weltbild einfließen lassen.

© Detlef Knut, Düsseldorf 2010

Veröffentlicht am 20.03.2020

im Leben des Kommissars mit französischen Wurzeln

Die Stunde der Artisten
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Man glaubt gar nicht, was sich auf Düsseldorfs Straßen und in seinen Häusern und Varietés alles während einer Fußball-WM abspielt. Bei einem toten Varietémanager bleibt es nicht, schnell gesellen sich ...

Man glaubt gar nicht, was sich auf Düsseldorfs Straßen und in seinen Häusern und Varietés alles während einer Fußball-WM abspielt. Bei einem toten Varietémanager bleibt es nicht, schnell gesellen sich weitere tote Artisten und ein toter Taxifahrer hinzu. Dass der Tod des Leiters des weit über Düsseldorf hinaus bekannten Apollo-Theaters (Roncalli) etwas mit dem Tod der Artistin zusammenhängt, mag angehen. Doch wie passt der tote Taxifahrer hier hinein? Kommissar Lavalle steht mit seinem Team vor seinem dritten Fall, dessen Aufklärung aussichtslos bis unmöglich scheint. Daran ist allerdings Düsseldorfs Polizeipräsident mit seiner Karrieresucht nicht ganz unschuldig (ein beliebtes Spielfeld auch für andere Düsseldorfer Krimiautoren wie Horst Eckert oder Klaus Stickelbröck). Im Falle von Stefanie Koch setzt besagter Polizeichef eine aus Frankfurt kommende, alkoholabhängige Beamtin auf Lavalle und seine Leute an, damit sie dessen Posten übernehmen und seine Mitarbeiter gefügig machen kann. Die kranke Polizistin zieht alle Register des Mobbings und behindert damit die Ermittlungen, deren Erfolg sie sich selbst an die Brust heften möchte. Stefanie Koch ist eine zwar verworrene, aber umso mehr faszinierende und spannende Verschachtelung der Plots aus Haupt- und Nebenhandlungen gelungen, die den Leser sofort in ihren Bann ziehen. Ihre Zeit und Mühen, die die Autorin in die Recherchen im Artistenmilieu investierte, haben in dem Buch reiche Früchte getragen. Mit einer Detailtreue ist dieses Milieu beschrieben und als Leser ist man Willens zu glauben, dass viele Informationen und Abläufe der Realität entsprechen. Mit der bildhaften Beschreibung wird der Leser direkt in die Szenerie gesetzt, so dass er der Meinung sein könnte, unmittelbar an den Ermittlungen beteiligt zu sein. Gleich mehrere Figuren haben das Zeug in sich, mit dem sich die Leser identifizieren können, egal ob es sich dabei um die Kollegen oder Freunde von Lavalle handelt. Die Handlungen und Gedanken sind nachvollziehbar, weshalb dann auch die Problemchen in Lavalles persönlichem Umfeld unterhaltsam und spannend sind. Die ungeheuer komplexe Geschichte hätte jedoch nicht gleich von Beginn an so komplex erscheinen müssen. Zu viele Personen wurden uns Spiel gebracht. Die Einführung der notwendigen Personen im Rahmen der Handlung hätte sicherlich ausgereicht. Nicht nur namentlich werden ein mehrköpfiges Ermittlerteam, vier Töchter, von denen zwei im weiteren Verlauf ein Rolle spielen, zwölf Artisten und weitere Personen charakterisiert. Doch dann wird es mit fortschreitender Handlung ruhiger, was die Charakterisierung angeht, nicht was die Handlung betrifft. Die Spannung bleibt bei allem immer auf gleich hohem Niveau. Das Tempo wird von der Handlung diktiert, die nicht nur wegen ihrer Bilder, sondern auch dank der alltagstauglichen Dialoge, die in einem ausgewogenen Wechsel zu den erzählten Passagen auftauchen. Die Chronologie der Handlung, die innerhalb einer Woche abläuft, ist mit entsprechenden Absatzüberschriften und Ortsangaben versehen, was nicht nur dem Düsseldorfer Leser eine Orientierung gibt. Die rasante Handlung und die Turbulenzen im Team und im Leben des Kommissars mit französischen Wurzeln lassen das Buch schnell und flüssig lesen. Es ist wünschenswert, dass die Autorin ihr in der Danksagung gegebenes Versprechen einhält und Lavalle mit seiner Mannschaft noch weitere Fälle am Rhein lösen wird.

© Detlef Knut, 2010

Veröffentlicht am 20.03.2020

modernes Märchen

Kim Schepper und die Kinder von Marubor
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Wenn man in Wolfgang Brunners Buch zu lesen beginnt, wird man in ein modernes Märchen, in eine Fantasiegeschichte hineingezogen. Was vom Titel her so ähnlich klingt wie „Die fünf Freunde“ oder „TKKG“, ...

Wenn man in Wolfgang Brunners Buch zu lesen beginnt, wird man in ein modernes Märchen, in eine Fantasiegeschichte hineingezogen. Was vom Titel her so ähnlich klingt wie „Die fünf Freunde“ oder „TKKG“, ist eine ungewöhnliche Mischung aus Kinderkrimi, Fantasy und Science-Fiction. Schnell sieht man sich beim Lesen an der Seite von Kim Schepper, einem dreizehnjährigen Mädchen, welches am Grab ihre kleineren Bruders trauert. Der elfjährige Tom ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen, so heißt es … Doch schon auf der Beerdigung kommt Kim in Kontakt mit einem Klassenkameraden ihres Bruders. Der lädt sie ein, den Friedhof mit ihm zur mitternächtlichen Zeit zu besuchen. Kims Neugier wurde geweckt. Bei diesem Besuch erfährt sie von weiteren Kindern, die angeblich ihre Geschwister bei einem Unfall verloren. Auch der Klassenkamerad Julian trauert um seine Schwester. Kim erfährt, dass die Geschwister in Wirklichkeit gar nicht tot sind. Sie leben zwar nicht mehr, aber sie sind auch nicht tot. Ihr Zustand ist „geringlebend“, also irgendwo zwischen Leben und Tod. Auf dem Friedhof können die Kinder ihre gering lebenden Geschwister treffen, mit ihnen sprechen und agieren. Die Geringlebenden sind für die Lebenden nicht unsichtbar. Sie nennen sich die Kinder von Marubor. Bislang wissen diese Kinder, dass sie Teil eines Experiments waren, welches die Firma „Kirkos Marubor“ unterhalb des Friedhofs und auf einer nahegelegenen Insel durchgeführt hat. Offizielles Ziel des Experiments ist, das Leben der Menschen zu verlängern, inoffizielles Ziel allerdings, für den Inhaber der Firma in Wirklichkeit die Weltherrschaft zu erlangen. Dieses Experiment war jedoch missglückt, was die Testpersonen in diesen Schwebezustand des Geringlebens versetzte. Um das Experiment und dessen Unfall zu verschleiern, waren an der Oberfläche die Unfälle für die Kinder inszeniert worden. Doch nicht nur menschliche Figuren bekommen in dieser Geschichte einen Platz eingeräumt. Besonders neckisch: Die Kinder, die sich bei der Aufklärung der Machenschaften und des Experiments auch die Hilfe von erwachsenen Personen hinzuholen, werden bei ihren Forschungen in den Gewölben von einer Fledermaus begleitet, die sich, anders als in aktuellen Vampirszenarien, nicht von Blut ernährt, dafür aber umso genüsslicher Kaugummi kaut. Ein amüsanter und nett gestalteter Kinder- und Jugendroman, der einem ähnlichen Plot bereits o. g. Kinderbücher folgt. Dabei ist er der erste einer bislang auf fünf Bände angelegten Romanreihe. Die Geschichte ist unheimlich interessant und überaus verständlich und nachvollziehbar geschrieben. Mit etwas weniger textlichen Wiederholungen, hätte die Geschichte nicht an Substanz verloren und die Spannung wäre nicht zu sehr mit Überlängen strapaziert worden.

© Detlef Knut, 2010