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Veröffentlicht am 03.03.2019

mit dem zwinkernden Auge

Zähne und Klauen
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"Er wusste nicht, wie es passiert war - mangelnde Voraussicht seinerseits, mangelndes Engagement, mangelnde Planung, mangelnde Rücklagen für schlechte Zeiten -, aber in rascher Folge verlor er seinen Job, ...

"Er wusste nicht, wie es passiert war - mangelnde Voraussicht seinerseits, mangelndes Engagement, mangelnde Planung, mangelnde Rücklagen für schlechte Zeiten -, aber in rascher Folge verlor er seinen Job, seine Freundin und das Dach über dem Kopf, und eines Morgens erwachte er auf dem Gehsteig vor der Post." ("Hier kommt")
Mit solch faszinierender Spannung, die auf das Porträt eines Verlierers hinweist, kann der Leser rechnen, wenn er sich den vorliegenden Erzählband zur Hand nimmt. Wer Boyle kennt, ist schon gespannt auf das Ende einer Geschichte, bevor er sie überhaupt zu lesen begonnen hat, bevor er weiß, wovon sie handelt. Mit diesem 2005 in den USA erschienenen Erzählband zeigt der Autor einmal mehr seinen Spaß beim Feinschleifen seiner Sätze. Novellen, Erzählungen und Kurzgeschichten haben auf der anderen Seite des Teiches einen ganz anderen Stellenwert als in Deutschland, wo solche Schreibübungen lediglich von preisgekrönten Schriftstellern geduldet werden. Für die Amerikaner gehören solche kürzeren Geschichten ganz einfach zu jedem Autor. Boyle ist die Lust am Gestalten dieser Geschichten anzumerken. Damit schafft er selbst in sehr kurzen Geschichten eine solche Dichte an Umfeld und Geschehen, dass man das Gefühl hat, trotzdem einen ganzen Roman gelesen zu haben. So ist es auch bei den 14 Geschichten dieses Bandes. Bei „Windsbraut“ entwickelt sich auf einer stürmischen Insel eine romantische Liebesbeziehung zwischen einem eher zurückgezogen lebenden Inselbewohner und einer amerikanischen Vogelkundlerin, die von den Inselbewohnern nur die Frau mit den Vögeln oder die Vogelfrau genannt wird. Sehr humorvoll wird eine Romanze aufgebaut, bis es schließlich in einem Desaster endet. In „Der freundliche Mörder“ geht es um einen Rekordversuch im Wachsein eines Radiomoderators, bei dem er die Leute auf der Straße durch ein Schaufenster zuschauen lässt. In "Chicxulub" erfährt ein Ehepaar vom Unfall ihrer Tochter, auf dem Weg in die Klinik leiden sie Qualen. Meteoriteneinschläge in Sibirien und in Mittelamerika demonstrieren die Unabwendbarkeit mancher Ereignisse und erhöhen mit ihrer ständigen Unterbrechung der laufenden Handlung die Spannung, die darin besteht, zu erfahren, wie es der Tochter geht. "Hier kommt" erzählt die Geschichte eines Mannes, der alles verloren hat und gerade auf der Straße wach geworden ist. So langsam wird ihm bewusst, dass ihn der Alkohol im Griff hat, weil alle seine Probleme verschwinden, sobald er etwas getrunken hat. Bis er schließlich ein Verbrechen beobachtet. "Geblendet" spielt auf den südamerikanischen Estancias, auf welcher sich ein Wissenschaftler an die Untersuchung der UV-Strahlung macht. Doch so unaufhörlich er den Estancieros von den negativen Auswirkungen der Strahlung auf Mensch und Tier predigt, so unnachgiebig muss er von einer Estancia zur nächsten ziehen. "Gegen die Wand" wird sprichwörtlich das Leben eines jungen Mannes gefahren, der sich vor dem Vietnamkrieg drückt, vom Kiffen auf harte Drogen umsteigt und nichts anderes als Rausch im Sinn hat, obwohl sich ihm Alternativen bieten.
Fingerübungen sind diese Geschichten vom amerikanischen Autor, der selbst einen Großteil seiner Jugend als Hippie durchlebte, allemal. Dem Boyle-Leser wird die eine oder andere Figur nicht ganz fremd vorkommen. So weisen die Inselbewohner in "Windsbraut" eine gewisse Ähnlichkeit mit den kauzigen Einwohnern des Alaska-Örtchens Boynton auf und von dem rauschbesessenen Typen in "Gegen die Wand" gibt es in "Drop City" gleich eine ganze Kommune. Die Geschichten gleichen Charakterstudien, die früher oder später den Protagonisten und Antagonisten in seinen Romanen als Grundlage dienen. Die behandelten Themen sind sehr vielschichtig und obwohl so manche von ihnen mit einem Desaster endet, in welcher der Protagonist ein Chaos hinterlässt, sind viele sehr humorvoll geschrieben und treiben dem Leser ein Schmunzeln oder gar die Tränen ins Gesicht. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass er nicht alles so ernst nehmen sollte, wie es am Ende aussieht. Boyle ist perfekt in der Lage, mit dem zwinkernden Auge und eine alle Sinne ansprechende Weise seine Geschichten an die Leser zu bringen. In der deutschen Fassung wird er sehr passend von den beiden Übersetzern unterstützt.


© Detlef Knut, Düsseldorf 2010

Veröffentlicht am 03.03.2019

kurze und packende Sommergeschichte

Sommerdiebe
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Der Roman erzählt die Geschichte der schönen, reichen und widerspenstigen Grady, einem 17-jährigen Mädchen von der Upper East Side New Yorks. Sie hat einen ganzen Sommer sturmfreie Bude, denn die Handlung ...

Der Roman erzählt die Geschichte der schönen, reichen und widerspenstigen Grady, einem 17-jährigen Mädchen von der Upper East Side New Yorks. Sie hat einen ganzen Sommer sturmfreie Bude, denn die Handlung beginnt, als Grady zusammen mit ihrer Schwester die Eltern auf ein Kreuzfahrtschiff begleitet, weil diese mit der "Queen Mary" eine mehrmonatige Reise nach Europa antreten. Obwohl sich die Mutter sorgt, die Tochter, die nach den Ferien ihr gesellschaftliches Debüt in der oberen Gesellschaft bestreiten soll, alleine daheim zulassen, kann sie dem Willen ihrer Tochter nichts entgegen setzen. Noch bevor der Ozeanriese in See sticht lernen wir den langjährigen Freund und ehemaligen Spielgefährten Gradys kennen und ahnen, dass zwischen ihnen eigentlich mehr als nur eine dicke Freundschaft stecken müsste. Doch es vergehen viele Wochen und die Hitze des Sommers im flirrenden und brodelnden New York, bis Grady in einem Anflug von Schimmer auf solche Gedanken kommt. Grady lernt in dieser Zeit ihre Heimatstadt von einer anderen Seite kennen lernt Menschen kennen, die bislang in ihrem Umfeld keine besondere Rolle spielt.

Erst 2004 ist das ein halbes Jahrhundert verborgen gebliebene Manuskript dieses Erstlingswerks des amerikanischen Schriftstellers (bekannt geworden mit "Frühstück bei Tiffany") wieder an die Oberfläche gelangt. Er selbst hatte immer wieder Andeutungen gemacht, dass er mal einen ganzen Roman vernichtet hatte, weil er ihn nicht für veröffentlichungswürdig hielt. Die Literaturexperten waren nach dem plötzlichen Auftauchen des Manuskripts ganz anderer Meinung. Zeugt der Roman doch von einer Reife, die für ein Erstlingswerk ungewöhnlich verfestigt scheint. Doch wäre an dieser Stelle auch anzumerken, dass das Manuskript zwar 1943 begonnen wurde, jedoch feilte Capote noch bis weit in die fünfziger Jahre hinein daran, obwohl er zwischenzeitlich längst Erzählbände herausgebracht hatte.

Mit sensibler Wortakrobatik und einer eigenen Stilistik, die sich in grammatikalisch falscher Interpunktion äußert, wird das Leben dieses jungen Mädchens mit all seinen Wünschen und Träumen gezeigt. Capote führt den Leser von einem Bild zum anderen und lässt ihn am Leben der Upper Class teilhaben. Lange, verschachtelte Sätze, die aber nie so lang sind, dass man den Anschluss verliert, gestalten Bilder von der drückenden Hitze im Central Park oder dem Vorbehalt der Mutter während der anfänglichen Trennungsszenen. Malerisch lässt Capote seine Protagonistin bekifft durch die Augen die Welt betrachten.

Doch so schön und gelassen sich anfangs noch die "heile Welt" eines jungen Mädchens mit ihren Schulmädchenproblemchen ausnimmt, umso rasanter geht es mit den Gefühlen zu, je mehr Seiten umgeschlagen werden, bis der Leser schließlich einen Punkt erreicht, an dem er nicht mehr aussteigen kann, an dem ihn die Spannung festhält und er wissen möchte, welchen Weg Grady einschlägt.

Eine kurze und packende Sommergeschichte, die das Bild einer Gesellschaft zu Mitte des vorigen Jahrhunderts widerspiegelt und auf ein spannendes Ende hinausläuft.


© Detlef Knut, Düsseldorf 2010

Veröffentlicht am 03.03.2019

schnell zu lesendes Buch mit einem ironischen Blick

Fundbüro
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Henry Neff, ein junger Mann Anfang Zwanzig und in seiner Art ein Aussteiger aus dem System, hat den Platz in seinem Leben, an dem zwei er sich wohlfühlt. Er arbeitet im Fundbüro am Hauptbahnhof. Zwar hatte ...

Henry Neff, ein junger Mann Anfang Zwanzig und in seiner Art ein Aussteiger aus dem System, hat den Platz in seinem Leben, an dem zwei er sich wohlfühlt. Er arbeitet im Fundbüro am Hauptbahnhof. Zwar hatte auch er sich anfangs gefragt, was das wohl für ein Arbeitsplatz wäre, auf den er sich beworben hatte und den er anstrebte. Aber dann stellt er fest, dass es Spaß macht und befriedigen kann, sich mit all den verlorenen Gegenständen und mit den damit verbundenen Lebensgeschichten ihrer Verlierer zu befassen. Dabei trifft er auf so sympathische Leute, dass er manchmal in seine eigene Tasche greift, um die für die Herausgabe fälligen Gebühren zu zahlen. In Gesprächen mit Kollegen, Verwandten und Bekannten lässt er unmissverständlich anklingen, dass er nicht daran interessiert ist, das Spiel von der Karriereleiter mitzuspielen. Selbst sein Chef geht anfangs davon aus, dass Henry nur ein durchlaufender Mitarbeiter wäre. Henry jedoch beweist das Gegenteil.

Doch eine heile Welt, wie Henry sie sich wünscht, sind auch der Arbeitsplatz im Fundbüro und der Kiez, in dem er lebt, nicht. Irgendwann muss er erkennen, dass er sich nicht immer nur heraushalten und von den netten Geschichten im Fundbüro leben kann.

Eine ruhige und einfühlsame Geschichte, wie von Siegfried Lenz nicht anders zu erwarten. Ein filigranes Wortspiel, wenn vom interessanten Leben der "Verlierer" gesprochen wird, mit einer Doppeldeutigkeit, wie sie selten zu finden ist und die dadurch eine Art von Humor an den Leser vermittelt, auf die er sich zurückgelehnt einlassen kann. Das Fundbüro als Mikrokosmos der heilen Welt, die doch so leicht von außen bedroht werden kann. Beim Dahingleiten im Text mit seinem beruhigenden Schreibstil hatte ich das Gefühl, dass die Geschichte wie Öl die Speiseröhre hinunter läuft. Vielleicht liegt es auch daran, dass die Menschen im Buch soviel Gemeinsames mit den Menschen in meinem Bekanntenkreis haben, dass es nicht um Helden und Antihelden geht, sondern um "Normalos" in der heutigen Gesellschaft.

Ein schnell zu lesendes Buch mit einem ironischen Blick auf die heutige Gesellschaft, welches für jede Stimmungslage empfohlen werden kann.


© Detlef Knut, Düsseldorf 2010

Veröffentlicht am 03.03.2019

Flüssig und rasant lesbar

Fischfutter
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Protagonist des neuen Krimis aus der Feder des Düsseldorfer Polizisten und Autors Klaus Stickelbroeck ist erneut der Privatdetektiv Hartmann, ein ehemaliger Fußballer von Fortuna Düsseldorf, der sich nach ...

Protagonist des neuen Krimis aus der Feder des Düsseldorfer Polizisten und Autors Klaus Stickelbroeck ist erneut der Privatdetektiv Hartmann, ein ehemaliger Fußballer von Fortuna Düsseldorf, der sich nach einem Unfall beruflich umorientieren musste. Sein ehemaliger Trainer Budde, genannt Buddel, der mittlerweile als Obdachloser im Brückenpfeiler der Hammer Eisenbahnbrücke im Düsseldorfer Hafen lebt, wird Zeuge eines Mordes, der seiner Meinung nach von Polizisten begangen wurde. Die Angst treibt ihn zu Hartmann. Dieser, gerade dabei einen Ladendiebstahl aufzuklären, gewährt ihm Unterkunft. So richtig mag er die obskure Geschichte seines alten Trainers nicht glauben, bis er schließlich von der an der Kaiserswerther Fähre angespülten Leiche erfährt. Das macht ihn neugierig und er muss feststellen, dass diese Leiche eine gewisse Ähnlichkeit mit dem von Buddel beschriebenen Mordopfer hat. Diese Neugier lässt ihn auf eigene Faust und ohne Auftrag ermitteln. Letztendlich ist ihm nicht daran gelegen, Buddel auch aus dem Rhein fischen zu müssen, zumal dieser plötzlich aus der Wohnung verschwunden ist.

Nun beginnt eine wilde Raserei, die das Buch auf jeden Fall für jeden Düsseldorfer lesenswert macht. Aber nicht nur, denn als Krimi ist auch für Nicht-Düsseldorfer genügend Spannung und Action dabei, um ist nicht aus der Hand zu legen. Mit Augenzwinkern und Humor werden Plätze, Milieus, Gegenden und Personen beschrieben, die mehr oder weniger jedem bekannt sind und in ähnlicher Weise in jedem Ort existieren.

Wenn man den Protagonisten selbst beschreiben sollte, dann könnte man aus Zeitgründen den Privatdetektiv und Antiquar Wilsberg aus Münster bzw. der gleichnamigen ZDF-Fernsehserie bemühen. Immer klamm in der Kasse, immer einen flotten Spruch auf den Lippen und immer den richtigen Riecher. Dabei aber ein sehr offenherziger und engagierter Mensch. Hartmann ist eine Figur, die viel Sympathie erzeugt. Mit von der Partie ist wieder Krake, der einarmige Wirt aus der Stammkneipe von Hartmann. Krake ist mittlerweile ein Markenzeichen für alle Geschichten, an denen der Autor mitwirkt, denn Stickelbroeck ist nicht nur solo „unterwegs“, er gehört auch zu den Krimi-Cops, den sechs netten Polizisten, die gemeinsam Krimis schreiben.

Flüssig und rasant lesbar ist der vorliegende Krimi auch wegen des umgangssprachlichen Schreibstils. Wenn dem Erzähler solche Gedanken wie „Hartmann wartete ein paar Sekunden, aber Schotter ließ sich bitten. Na gut.“ heraus rutschen, dann hat die Geschichte etwas von dem, als würde sie abends am Tresen erzählt werden. Und zu erzählen gibt es jede Menge. Schließlich ist der Protagonist ein fleißiger Ermittler. So habe ich beim Lesen insgesamt fünf Fälle gezählt. Mit dabei: Ladendiebstahl, Mord, Erpressung, Mädchenhandel und der Big Bang. Spannend bleibt es also immer und trotz aller Erfolge in der Aufklärung der Fälle bleibt für mich noch eine Frage am Schluss: Bekommt der erfolgreiche Hartmann tatsächlich seinen Führerschein nicht zurück?

Zusatzempfehlung: Zuerst hinten im Buch die Liste der gespielten Musiktitel aufschlagen, die Musik als MP3 zusammenstellen und anschließend beim Lesen an den entsprechenden Stellen einspielen. Damit rückt der Leser noch mehr an Hartmanns Gefühle. … Oder die des Autors?


© Detlef Knut, Düsseldorf 2010

Veröffentlicht am 03.03.2019

die Geschichte einer in der Mittelschicht angesiedelten Familie

Die Korrekturen
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Der amerikanische Gegenwartsautor erzählt in diesem umfangreichen Roman die Geschichte einer in der Mittelschicht angesiedelten Familie.

Enid und Alfred sind beide im Ruhestand, leben in ihrem mittlerweile ...

Der amerikanische Gegenwartsautor erzählt in diesem umfangreichen Roman die Geschichte einer in der Mittelschicht angesiedelten Familie.

Enid und Alfred sind beide im Ruhestand, leben in ihrem mittlerweile sehr großen Haus und Mutter Enid wünscht sich nichts sehnlicher als noch ein einziges Mal die gesamte Familie, eine Tochter und zwei Söhne, zu Weihnachten bei sich zu Hause bewirten zu können. Ihre Geschichte wird in abwechslungsreichen Episoden erzählt, die jede für sich genommen eine eigenständige Novelle sein könnte. Mit den Episoden wechselt der Fokus der Erzählung auf die Person, die in dieser Episode die Hauptrolle spielt. So wird der Leser im ersten Abschnitt mit dem Sohn Chip und seinen Versuchen, erfolgreicher Autor zu werden und sein Leben in den Griff zu bekommen, bekannt gemacht. Der Sohn Gary wird mit seiner Familie in der zweiten Episode vorgestellt. Er ist ein erfolgreicher Investmentbanker und bemüht sich redlich um seine Familie, was ihm schwerlich zu gelingen scheint. Besonders seine Frau hält gar nichts davon, das nächste Weihnachten bei den Schwiegereltern zu verbringen. In einem weiteren Abschnitt werden schließlich Enid und der an Demenz erkrankte Alfred vorgestellt. Frantzen bedient sich dabei diverser Rückblenden, in denen er die Lebenswege der beiden aufzeigt und eine Zeit beschreibt, in der ihre Kinder noch Kinder waren. Eine Urlaubsbekanntschaft auf einem Kreuzfahrtschiff wird als Mittel benutzt, um das kleinbürgerliche Denken von Enid, die intellektuell nicht an die Bekannte heranreicht, mit all seinen Facetten zum Vorschein zu bringen. Eine vierte Episode gibt den Blick frei auf das Leben der Tochter Denise, die sich als Starköchin einen Namen gemacht hat und ebenso Mühe hat, ihr privates Leben in den Griff zu bekommen. In der fünften und letzten Episode steht Weihnachten schließlich unmittelbar bevor, alle Stränge werden zusammengeführt und zum Höhepunkt gebracht.

Bei der unter der Lupe betrachteten Familie handelt es sich keineswegs um eine typisch amerikanische Familie. Viele ihrer Züge, Befindlichkeiten und Eigenheiten sind schlichtweg menschlich und können ebenso in einer deutschen oder anderen, zumindest westeuropäischen, Familie wiedererkannt werden. Die prägnante Erzählweise von Frantzen, der dem Leser jedes Detail durch Handlung - lange bevor das Wort Demenz oder Altzheimer fällt, ist dem Leser klar, woran Alfred leidet - und nicht nur durch bloße Beschreibung miterleben lässt, erzeugt einen Klangteppich von Atmosphäre, die es unmöglich macht, dieses Buch aus der Hand zu legen. Die Charaktere sind mit solch einer Fülle an Eigenschaften, Emotionen, Gedanken und Handlungen ausgestattet, dass es nicht schwer fällt, sie als eigenes Familienmitglied zu akzeptieren. Ein Grund dafür, dass die einzelnen Episoden zwar so lang sind, sie aber nie zu lang wirken und der Wechsel zum nächsten Abschnitt durchaus von Wehmut begleitet wird, weil dieser dann den Fokus auf ein anderes Familienmitglied legt. Einen Wehrmutstropfen hatte für mich allerdings eine Geschichte, die von Chip und dessen leicht unmoralischer Arbeit in Litauen erzählt. Dient sie doch lediglich dazu, aufzuzeigen, dass Gary seinen Bruder verabscheut, weil er in seinen Augen reiche Amerikaner ausnimmt. Sie ist meines Erachtens zu lang gestreckt und jede andere Handlung außerhalb von Litauen hätte denselben Zweck erfüllt.


© Detlef Knut, Düsseldorf 2010