Das winkende Eichhörnchen
Wir von der anderen SeiteDie 35-jährige Rahel Ward verdient ihr Geld als Drehbuchautorin für Komödien und versieht ihre teils recht skurrilen Figuren mit schrägem Humor und jeder Menge Situationskomik. Aufgrund von Nierenproblemen ...
Die 35-jährige Rahel Ward verdient ihr Geld als Drehbuchautorin für Komödien und versieht ihre teils recht skurrilen Figuren mit schrägem Humor und jeder Menge Situationskomik. Aufgrund von Nierenproblemen erleidet Rahel ein Organversagen und fällt ins künstliche Koma. Als Rahel nach fünf Wochen im Krankenhaus daraus erwacht, liegen eine Operation und der Medikamentenentzug bereits hinter ihr, doch die Nachwirkungen sind noch spürbar. Rahel kann sich an nichts erinnern, nichts ist mehr, wie es einmal war. Erst langsam begreift Rahel, dass die nächste Zeit für sie ein Kampf werden wird. Zum Glück hat sie eine liebenswerte Chaosfamilie sowie enge Freunde, auf die sie sich immer stützen kann und die ihr helfen, wieder in das normale Leben zurückzukehren und sich zu erinnern, auch wenn es ein harter Kampf ist. Aber mit Humor geht bekanntlich alles besser, oder?
Die Drehbuchautorin Anika Decker hat mit „Wir von der anderen Seite“ einen sehr unterhaltsamen und komischen Debütroman vorgelegt, der ab und an auch mal melancholische Töne anschlägt, aber zu keiner Zeit mutlos wirkt. Der Schreibstil ist locker-flüssig und mit jeder Menge Humor für ein doch recht ernstes Thema gespickt, hier fehlt es nicht an Selbstironie, aber auch der Realitätssinn ist jederzeit präsent. Der Leser darf während der Lektüre nicht nur Rahel begleiten, sondern auch Teile der Autorenlebensgeschichte miterleben, denn Decker weiß durchaus, wovon sie schreibt, das wird in jeder Zeile deutlich. Gnadenlos und doch mit gewissem Feingefühl beschreibt die Autorin, wie sehr sich das Leben von einer Minute auf die andere ändern kann, die Erinnerungen fehlen und man abhängig von seinen engsten Vertrauenspersonen ist, die einen nicht nur mit Mitgefühl, sondern auch mit Unterstützung und Optimismus versorgen. Dabei muss nicht nur Rahel sich mit viel Mut unter Schmerzen wieder neu ins Leben zurückkämpfen, auch das Leben der Angehörigen ändern sich von Grund auf, der gewohnte Mikrokosmos aus Familie und Freunden ist einer Extremsituation ausgesetzt, in dem man nun erkennen kann, wer Freund und wer Feind ist, wer es ernst meint und wem man nicht so wichtig ist. Während der Handlung wird nicht nur Rahel, sondern auch der Leser immer wieder von dem winkenden Eichhörnchen abgelenkt, dass für Optimismus und Ausdauer steht.
Die Charaktere sind wunderbar gezeichnet, sie sind dem realen Leben regelrecht entsprungen, so dass der Leser sich unter ihnen gleich wie zuhause fühlt und ein Teil von ihnen wird, der ebenso mit Rahel bangt, hofft, zweifelt und die Zähne zusammenbeißt. Rahel ist ein Ausbund an Phantasie, die absolut nötig ist, um den Stars ihrer Komödien Leben einzuhauchen. Doch während ihrer Gesundungsphase und Rekonvaleszenz muss Rahel beweisen, dass sie nicht nur Humor besitzt, sondern auch stark, stur und unbeugsam ist, sie keine Blick zurück wirft, dafür vorwärts schreitet, um sich ihre „alte“ Form zurückzuerobern, sei es die Gesundheit oder auch ihren Beruf betreffend. Ihr Bruder Juri ist einmalig, man möchte ihn ständig knuddeln, denn er ist so besorgt und gleichzeitig ein Fels in der Brandung ebenso wie Rahels Freund Kevin. Dagegen macht Lebensgefährte Olli keine gute Figur, ganz im Gegenteil, er ist ein oberflächlicher Typ, der irgendwie so gar nicht in die Szenerie passt und den sie hoffentlich bald loswird. Aber dafür ist Rahels restliche Familie wunderbar bunt und liebenswert.
Mit „Wir von der anderen Seite“ ist Anika Decker ein wundervolles Romandebüt gelungen, das den Leser sowohl mit einem lachenden als auch einem weinenden Auge zurücklässt. Ganz nah an der Realität hat sie eine Geschichte gezaubert, die mit Leichtigkeit ein ernstes Thema verpackt. Absolutes Highlight und mehr als verdiente Leseempfehlung! Einfach wunderbar!