Verschenktes Potential
Die Frau aus OsloDie jüdische Widerstandskämpferin Esther kann sich 1942 während des Zweiten Weltkrieges mit Hilfe ihrer Freundin Ase gerade noch rechtzeitig von Norwegen ins schwedische Oslo flüchten, nachdem sie verraten ...
Die jüdische Widerstandskämpferin Esther kann sich 1942 während des Zweiten Weltkrieges mit Hilfe ihrer Freundin Ase gerade noch rechtzeitig von Norwegen ins schwedische Oslo flüchten, nachdem sie verraten wurde, ihre eigene Familie hat jedoch nicht so viel Glück und wird nach Deutschland deportiert. Als Ase in ihrer eigenen Wohnung neben ihrer kleinen Tochter Turid ermordet aufgefunden wird, gerät schnell ihr Lebensgefährte Gerhard in Verdacht, ein Widerstandskämpfer, den seine Flucht ebenfalls nach Stockholm führt. Während die Jahre vergehen, wächst Turid bei Ases Mutter auf, denn auch Gerhard kehrt nie zurück. 25 Jahre später ist Gerhard wieder in Oslo, was bei Ester Fragen aufwirft, denn Gerhard sollte doch angeblich tot sein. Was macht er unter falschem Namen in Oslo? Möchte er endlich seine Tochter sehen, oder sucht er nach Asas Mörder? Aber auch Ester ist auf der Suche nach dem Schuldigen, der ihre Familie auf dem Gewissen hat…
Kjell Ola Dahl hat mit „Die Frau aus Oslo“ einen Kriminalroman mit historischen Bezügen vorgelegt. Der Schreibstil ist flüssig und extrem detailverliebt, was es dem Leser schwer macht, der Handlung und vor allem den relevanten Dingen konstant zu folgen. Die Geschichte wird in mehreren Zeitebenen erzählt, zwei beschäftigen sich mit der Vergangenheit, einer mit den Ereignissen 1942, der andere mit dem Jahr 1967. Dazu kommt noch der Gegenwartsteil um Turid im Jahr 2015. Durch die ständig wechselnden Zeitschienen und die ausschweifende Erzählweise des Autors muss der Leser viel Konzentration mitbringen, um die nach und nach freigelegten Puzzleteile zusammenzusetzen, damit er ein vollständiges Bild des Ganzen erhält. Das ist mühsam und wird durch ständige Abschweifungen und unnütze Beschreibungen noch weiter erschwert. Die Spannung, die sich normalerweise aus den wechselnden Perspektiven generiert, verliert sich hier völlig. Der historische Hintergrund über die Judenverfolgung in Norwegen und den dortigen Widerstand werden leider viel zu wenig beleuchtet, sondern nur als Mittel zum Zweck genutzt.
Die Mehrzahl der Charaktere bleibt insgesamt recht farblos und oberflächlich, was es dem Leser schwer macht, sich ihnen nahe zu fühlen oder sie gar sympathisch zu finden. Der Autor versucht zwar, einige von ihnen geheimnisvoll wirken zu lassen, was ihm allerdings so gar nicht gelungen ist. Hier hätte mehr Herz und Gefühl gut getan. Sowohl Gerhard als auch Turid haben wenig Strahlkraft, was angesichts ihrer jeweiligen Situation sehr schade ist. Einzig Esther besitzt einigermaßen menschliche Züge, sie ist offen, ehrlich, mutig und vor allem kämpferisch. Doch das reicht einfach nicht aus, um als Leser Gewinn aus diesem Buch zu ziehen.
„Die Frau aus Oslo“ ist ein Kriminalroman, dem es leider an Gefühl und vor allem an Spannung mangelt. Hier wäre weniger mehr gewesen, denn anstatt der ausschweifenden Schilderungen wäre eine bessere Ausarbeitung der Charaktere sinnvoller gewesen. So bleibt es ein müder Krimi, der mehr verspricht, als er halten kann. Für eingefleischte Adrenalinjunkies ist das nichts. Schade!