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Veröffentlicht am 20.11.2022

Der Mutigen gehört die Welt...

Die Tochter der Hungergräfin
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17. Jh. Westerwald. Ernestine von Sayn und Wittgenstein verlebt eine behütete Kindheit auf der elterlichen Burg Freusburg, bis ihr jüngerer Bruder und einzige Erbe des Titels und der Grafschaft stirbt. ...

17. Jh. Westerwald. Ernestine von Sayn und Wittgenstein verlebt eine behütete Kindheit auf der elterlichen Burg Freusburg, bis ihr jüngerer Bruder und einzige Erbe des Titels und der Grafschaft stirbt. Gemeinsam mit ihrer verwitweten Mutter, Gräfin Louise Juliane, muss sich Ernestine nun so manch mächtigen Gegner entgegenstellen, die alle nur eines im Sinne haben, ihnen den Anspruch auf die Grafschaft streitig zu machen. Dabei ist es nicht nur die eigene Verwandtschaft, auch andere Kurfürsten haben es auf den Landstrich abgesehen und glauben sich den Frauen überlegen. Gräfin Louise und Ernestine sehen sich großen Herausforderungen gegenüber, die ihnen nicht nur Hunger, Gefangenschaft und Flucht mit unvorhersehbarem Ausgang bescheren…
Annette Spratte hat mit „Die Tochter der Hungergräfin“ einen sehr unterhaltsamen historischen Roman vorgelegt, der sich am wahren Leben der Gräfin Louise Juliane orientiert und Realität mit Fiktion wunderbar zu vermischen weiß. Der flüssige und bildgewaltige Erzählstil lässt den Leser mit den ersten Zeilen eine Reise in die Vergangenheit antreten, wo er für die Jahre von 1636 bis 1652 an Ernestines Seite steht, die die Erlebnisse dieser Zeit aus ihrer Sicht schildert und dem Leser so auch einen guten Einblick in ihre Gedanken- und Gefühlswelt gewährt. Spratte hat gut recherchiert und verbindet den historischen Hintergrund hervorragend mit dem Leben der beiden Gräfinnen von Sayn und Wittgenstein und deren Kampf um ihr Erbe sich während des 30-jährigen Kriegs abspielte. Sowohl die Flucht der Familie auf die Hachenburg als auch das gewaltsame Aushungern sind ebenso bildhaft beschrieben wie die damaligen Lebensverhältnisse, die der Leser während der Lektüre lebendig vor Augen hat. Ernestine, die bis zum Tod ihres Bruders ein beschauliches Leben geführt hat, muss sich völlig neu orientieren und schnell erwachsen werden in diesen gefährlichen Zeiten, in der auch die Rolle der Frau als Ehefrau und das Führen des Haushaltes begrenzt zu sein scheint. Spratte gelingt es, ihre Handlung spannend und unvorhersehbar zu gestalten und ihre Hauptcharaktere als starke Persönlichkeiten darzustellen. Dem Leser wird nicht nur Einblick in eine vergangene Zeit gestattet, sondern während der Lektüre auch ein tolles Kopfkino spendiert.
Die Charaktere sind lebendig und glaubwürdig ausgestaltet und in Szene gesetzt. Der Leser fühlt sich ihnen schnell verbunden und folgt ihnen auf Schritt und Tritt, um ihr Schicksal hautnah mitzuerleben. Louise Juliane ist eine starke und mutige Frau, die sich nicht unterkriegen lässt, einen festen Glauben hat und sich ihrer Verantwortung für ihre Familie und ihrer Untertanen voll bewusst ist. Sie lässt sich nicht bevormunden und besitzt genügend Hartnäckigkeit, ihr Vorhaben nie aus den Augen zu lassen. Ernestine wirkt zu Beginn verwöhnt, die Ereignisse lassen sie schnell reifen und zu einer großen Stütze ihrer Mutter werden. Aber auch Ernestines kleine Schwester Johannette sowie weitere Protagonisten bereichern die Handlung mit ihren Episoden.
„Die Tochter der Hungergräfin“ ist ein unterhaltsamer historischer Roman vor dem Hintergrund des 30-jährigen Krieges, der neben einem spannenden Erbstreit vor allem zwei starke Frauenrollen präsentiert, die ihren Mut, ihre Menschlichkeit und ihr Geschick trotz gefährlicher Widerstände nie verloren haben. Absolute Leseempfehlung für alle Geschichtsliebhaber!

Veröffentlicht am 20.11.2022

Es sind die kleinen Rechthabereien, die eine große Liebe zerstören können. (Max Frisch)

Ingeborg Bachmann und Max Frisch – Die Poesie der Liebe
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1958 begegnen sich der berühmte 47-jährige Schweizer Architekt und Schriftsteller Max Frisch und die 32-jährige österreichische Dichterin Ingeborg Bachmann in Paris zum ersten Mal. Bachmann hat sich gerade ...

1958 begegnen sich der berühmte 47-jährige Schweizer Architekt und Schriftsteller Max Frisch und die 32-jährige österreichische Dichterin Ingeborg Bachmann in Paris zum ersten Mal. Bachmann hat sich gerade von ihrem Geliebten, dem Lyriker Paul Celan getrennt und Frisch lebt getrennt von seiner ersten Ehefrau Gertrud. Die eigenwillige, chaotische, freiheitsliebende, ewig zweifelnde Bachmann und der bodenständige, unter Eifersucht leidende Ordnungsfanatiker Frisch sind vom Naturell her so gegensätzlich wie Himmel und Erde, doch hält es sie nicht davon ab, eine Liebesbeziehung einzugehen, die sich als Amour fou entpuppt. Was von großer Anziehungskraft und gegenseitigem Respekt geprägt ist, bekommt schon bald Risse im Gefüge, denn beide können nicht aus ihrer Haut, ihnen fehlt es an Kompromissbereitschaft, die Eigenheiten des Partners zu akzeptieren und sich damit zu arrangieren. 1962 zerbricht die Beziehung und Frisch wendet sich einer anderen Frau zu, während Bachmann unter der Trennung leidet und in Depressionen verfällt…
Bettina Storks hat mit „Die Poesie der Liebe“ wohl ihren persönlichsten Roman vorgelegt, denn, wie im Nachwort explizit erwähnt, verehrt sie die beiden Literaturgrößen und ihre Werke sehr. Durch ihre zwar fiktive Geschichte und unter Verwendung von Zitaten und Briefauszügen lässt sie die komplizierte und gleichsam explosive Liebe zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch für den Leser sehr lebendig, fühl- und greifbar werden. Wunderbar einfühlsam mit wohldosiert intelligent gesetzter Sprache entfaltet Storks ein poetisches Kaleidoskop, das sich kaskadengleich in das Herz des Lesers pflanzt. Begleitet von vielen Zitaten darf der Leser über sehr gekonnt gesetzte Perspektivwechsel die Gedanken- und Gefühlswelt von Frisch und Bachmann kennenlernen, so dass diese Persönlichkeiten fast leibhaftig aus den Seiten steigen. Während Bachmann eine eigenwillige Frau mit großem Freiheitsdrang ist, die oft mit sich hadert und unter dem selbst gemachten Druck leidet, ist Frisch strukturiert, jedoch auch mit einem damals herrschenden Rollendenken behaftet. Beide Künstler befruchten sich gegenseitig, doch ihr privat driften ihre Ansichten voneinander ab. Während sich Frisch die eine oder andere Liebschaft gönnt, gesteht er Bachmann dieses Recht nicht zu und erdrückt sie fast mit seiner Eifersucht. Mit dieser Einstellung macht er deutlich, dass Bachmann als Frau eben doch nicht die gleichen Rechte genießt wie er als Mann. Bachmann, emanzipiert und sensibel, kann damit nicht gut umgehen, hat ihren eigenen Kopf und lässt sich nicht einengen. Storks hat mit großartiger Recherchearbeit und schriftstellerischem Können die Komplexität dieser sehr diffizilen Beziehung exzellent herausgearbeitet und ihren Protagonisten dabei Herz und Seele verliehen, die ihrerseits ihre Gefühle in ihren Werken zum Ausdruck brachten.
Den Charakteren wurde sehr geschickt Leben eingehaucht, so dass sie vor dem inneren Auge des Lesers wieder lebendig werden. Ingeborg Bachmann ist eine aufstrebende und vielbeachtete Dichterin, feinfühlig, sensibel, selbstkritisch und zerrissen, was ihre eigene Kunst betrifft. Sie Sie hat ein großes Netzwerk, mit denen sie regelmäßigen Kontakt pflegt und sich austauscht. Ihr unbändiger Freiheitsdrang zeugt von innerlichem Selbstschutz, denn sie will und kann sich nicht verbiegen. Max dagegen ist Ordnungsfanatiker, diszipliniert und sehr produktiv, aber auch krankhaft eifersüchtig. Er will Inge ganz für sich, obgleich er sich auch anderweitig Vergnügungen sucht.
„Die Poesie der Liebe“ vereint neben einer hervorragenden Hintergrundrecherche vor allem die hohe Kunst der Worte. Storks hat mit diesem Buch nicht nur Bachmann und Frisch ein wunderbares Denkmal gesetzt, sondern sich selbst mit ihrem feinsinnigen, poetischen und tiefgründigen Schreibstil in den Olymp der Schreibenden katapultiert. Eine besondere Empfehlung für alle Literaturbesessenen und jene, die sich für herausragende Charaktere der Kunst begeistern. Absolute Leseempfehlung für ein seltenes Kleinod, Prädikat „Besonders wertvoll“! Chapeau!!!

Veröffentlicht am 06.11.2022

Briefe liebe ich, für Briefe lebe ich. (Sylvia Plath)

Feldpost
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Dezember 2000 Kassel. Als Start ihres Weihnachtsurlaubs gönnt sich die Anwältin Cara Russo einen Cafébesuch und bekommt schnell Gesellschaft von einer älteren Dame, die sich zu ihr an den Tisch setzt. ...

Dezember 2000 Kassel. Als Start ihres Weihnachtsurlaubs gönnt sich die Anwältin Cara Russo einen Cafébesuch und bekommt schnell Gesellschaft von einer älteren Dame, die sich zu ihr an den Tisch setzt. Diese erzählt ihr, dass ihre Freundin Adele verschwunden ist, der sie eigentlich einen Besuch abstatten wollte. Als die alte Dame die Toilette aufsucht, kommt sie nicht zurück. Cara bleibt nur eine vergessene Tasche gefüllt mit alten Unterlagen und Feldpost-Briefen, die sie gern zurückgeben würde. So macht sie sich auf die Suche nach der alten Frau und deckt aufgrund der Unterlagen eine tragische alte Geschichte rund um Adele und deren Familie auf…
Mechtild Borrmann hat mit „Feldpost“ einen wunderbaren Roman vorgelegt, der sich an wahren Begebenheiten orientiert und den Leser von der ersten Seite an in den Bann zieht. Der flüssige, atmosphärische und empathische Erzählstil nimmt den Leser mit auf eine sehr emotionale Reise, die sich über zwei Zeitebenen und unterschiedliche Perspektiven erstreckt. Dabei bildet die Gegenwart um Cara und ihre Nachforschungen den Rahmen für die eigentliche Handlung, die sich in den 30er Jahren zugetragen hat. Im Mittelpunkt stehen die zwei miteinander befreundete Familien Mertens und Kuhn, vor allem das Verhältnis zwischen deren Söhnen Richard Mertens und Albert Kuhn ist enger als es die damaligen Sitten erlauben. Der Nationalsozialismus hat seine Spione überall und eine verächtliche Bemerkung bringt Gerhard Kun ins Gefängnis. Bei seiner Entlassung gibt es sein Geschäft nicht mehr und die Familie schlägt sich mehr schlecht als recht durch. Schon bald ist Gerhard wieder im Visier der Nazis und zwingt ihn, mit seiner Frau nach Frankreich auszuwandern, während die Kinder Albert und Adele in Deutschland bleiben. Albert überträgt sein Haus an Hermann Mertens unter der Prämisse, dieses bei seiner Rückkehr wieder zurück zu erhalten. Mithilfe der alten Unterlagen, Fotos und den Feldpostbriefen setzt Cara Stück für Stück ein Puzzle zusammen und holt ein altes Geheimnis ans Tageslicht, das ebenso erschütternd und traurig sowie beispielhaft für die Zeit des Nationalsozialismus ist, in der aus besten Freunden auf dramatische Weise auf einmal Fremde oder Gegner werden und Verrat ein Mittel zum Zweck wird. Erschreckend ist die Feststellung, dass man einen Menschen nie wirklich kennt, sondern nur das, was dieser einem offenbart. Wenn Angst, Gier oder Macht Menschen dazu bringt, jeglichen Anstand zu vergessen und andere zu verleumden, verraten oder in Misskredit zu bringen, ist das schon furchteinflößend. Borrmann versteht es ausgezeichnet, den Leser mit dem Schicksal der beiden Familien regelrecht an die Seiten zu fesseln, die Spannung kontinuierlich in die Höhe zu treiben und das Kopfkino auf Hochtouren laufen zu lassen.
Die Charaktere sind mit menschlichen Stärken und Schwächen gezeichnet und lebendig in Szene gesetzt. Der Leser heftet sich nur zu gern an ihre Fersen, um ihr Schicksal zu verfolgen. Cara ist eine zielstrebige Frau mit viel Herz und einer gesunden Neugier. Sie verbeißt sich regelrecht und lässt ihr Ziel nicht aus den Augen, die verschwundene Adele zu finden. Gerhard Kuhn macht aus seiner Seele keine Mördergrube und muss dafür einen hohen Preis zahlen. Albert und Richard folgten ihren Gefühlen ohne zu ahnen, was das für eine Lawine auslöst. Aber auch die anderen Protagonisten tragen viel dazu bei, die Intensität dieser Geschichte zu steigern.
„Feldpost“ ist ein wunderbarer Roman über ein Stück deutscher Zeitgeschichte. Angelehnt an wahre Lebensgeschichten wirkt diese Mischung aus Familiengeschichte, Liebe, Verrat und historischem Hintergrund absolut authentisch, hochemotional und sehr intensiv. Borrmann hat hier ein Kleinod kreiert, absolute Leseempfehlung für ein Highlight 2022 – Chapeau, besser geht es nicht!

Veröffentlicht am 06.11.2022

Janz Berlin war eene Wolke – nur icke war zu sehn.

Die Wintergarten-Frauen. Der Traum beginnt
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20er Jahre Berlin. Die 20-jährige Nina von Veltheim träumt schon lange davon, berühmt zu werden. Bereits als Kind hat sie Theaterstücke für die Familie aufgeführt, doch eigentlich ist es nicht nur das ...

20er Jahre Berlin. Die 20-jährige Nina von Veltheim träumt schon lange davon, berühmt zu werden. Bereits als Kind hat sie Theaterstücke für die Familie aufgeführt, doch eigentlich ist es nicht nur das Schauspielen, dass Nina lebendig werden lässt, sie giert nach Macht und Anerkennung, die sie sich nur als namhafte Regisseurin vorstellen kann. Deshalb hält es sie auch nicht auf dem familieneigenen Gutshof in der Uckermark. Mit der Unterstützung ihrer Familie und vor allem durch Zwillingsbruder Carlo kommt Nina nach Berlin, wo sie sich in Zeiten von Wohnungsnot, Hunger und überall präsenter Armut mit riesigem Kraftaufwand durchschlagen muss, damit ihr Traum wahr wird, in dem bisher nur Männer das Sagen haben…
Charlotte Roth hat mit „Der Traum beginnt“ den Auftakt für ihre historische „Wintergarten-Frauen“-Trilogie vorgelegt, der den Leser nicht nur in die 20er Jahre des alten Berlins, sondern zudem mit kunstfertiger Erzählkunst in die schillernde Welt des Theaters entführt. Der flüssige und farbenprächtige Schreibstil lässt den Leser schnell an die Seite von Nina gleiten und dort hautnah ihr Schicksal miterleben. Für Nina ist der Romantitel Programm, denn sie hat sich nichts sehnlicher gewünscht, als ein bedeutender Teil der Theaterwelt zu werden. Während der Leser Nina zu ihren Vorsprechterminen begleitet, ihre Verwandlung auf der Bühne registriert oder ihre Fähigkeit bewundert, wie sie andere Kunstschaffende um sich schart, erlebt der Leser aber auch das andere Berlin, wo die Menschen jeden Tag ihre persönlichen Kämpfe gegen die herrschende Armut und den Hunger austragen. Die Autorin hat hervorragend recherchiert und das alte Berlin mit seinen unterschiedlichen Gesellschaftsschichten sowie der damaligen politischen Lage gekonnt mit ihrer Handlung verwoben. Das Geld ist immer weniger wert und die Arbeitslosigkeit nimmt zu, was den Nationalsozialisten den geeigneten Nährboden für ihre krude Politik ebnet. Mittendrin versucht Nina sich mit ihren neugefundenen Freundinnen Sonia und Jenny gegen eine machtgierige und arrogante Männerwelt zu stemmen, die Frauen so gar nichts zutrauen.
Die Charaktere sind mit glaubwürdigen menschlichen Eigenheiten lebendig ausgestaltet, können jedoch keine wirkliche Nähe zum Leser herstellen, der die Rolle als Zaungast übernimmt und ihren Weg im alten Berlin nur mitverfolgt. Nina ist eigentlich eine eher unscheinbare Frau, die auf der Bühne zu einer schillernden Persönlichkeit mutiert. Auch wenn sie mutig, selbstbewusst und stur ist, zeigt sie oftmals Anzeichen von Selbstüberschätzung, Arroganz und sehr ausgeprägtem Egoismus, was sie dem Leser nicht gerade ans Herz wachsen lässt. Interessanter sind da eher die weiteren Protagonisten wie Freundin Jenny, die sie nie im Stich lässt oder Sonia, die sich nie unterkriegen lässt. Anton ist eine verlässliche Seele, selbst als Schauspieler bekannt und mit eigenen Problemen behaftet, versucht er Nina mit allen Mitteln zu unterstützen. Aber auch Ninas Zwillingsbruder Carlo sowie Oma Hulda oder Tante Sperling bereichern die Geschichte mit ihren Auftritten.
„Der Traum beginnt“ ist ein unterhaltsamer Einstieg in die schillernde Welt des Berlins der 20er Jahre. Der Mix aus der gekonnten Erzählweise der Autorin, exzellent recherchiertem historischen Hintergrund, starken Frauencharakteren und der bunten Traumwelt des Theaters spendiert dem Leser eine schöne Zeitreise. Aufgrund der wenig sympathischen Hauptprotagonistin gibt es leider nur eine verdiente Leseempfehlung für ein farbenfrohes Kopfkino!

Veröffentlicht am 04.11.2022

Überraschender Familienzuwachs

Ein Apfelbaum am Meer
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Nach dem Tod ihrer geliebten Großmutter Giulietta, der Trennung von ihrem untreuen Freund Philip sowie dem Jobverlust weiß die Halbitalienerin Julie nicht wirklich, wie es mit ihr weitergehen soll. Deshalb ...

Nach dem Tod ihrer geliebten Großmutter Giulietta, der Trennung von ihrem untreuen Freund Philip sowie dem Jobverlust weiß die Halbitalienerin Julie nicht wirklich, wie es mit ihr weitergehen soll. Deshalb nimmt sie die Einladung zum 80. Geburtstag von Enna, der besten Freundin ihrer Großmutter, an und reist auf die Nordseeinsel Juist, wo sie als Kind oft mit Giulietta die Sommerferien verbracht hat. Außerdem braucht Merle, ihre Kinderfreundin Hilfe in der Bäckerei ihres Cafés, was Julie gerade recht ist, denn Backen ist ihre große Leidenschaft. Kaum in Juist angekommen übermannen Julie alte Erinnerungen beim Wiedersehen mit Enna und Merle. Auch ihre alte Jugendliebe Ole schleicht sich langsam wieder in Julies Herz, so dass sie gar nicht daran denken mag, die Insel doch wieder verlassen zu müssen. Als sie durch alte Fotos und Gespräche mit Enna mehr über ihre Großmutter erfährt und auch noch Ennas Bruder Jonte auf der Insel auftaucht, kommt Julie einer Geschichte auf die Spur, die ihre eigenen Familienverhältnisse für immer verändern…
Anne Barns hat mit „Ein Apfelbaum am Meer“ wieder einmal einen wunderbaren Wohlfühlroman vorgelegt, der mit einer gelungenen Mischung aus Familiengeschichte, alten Freundschaften, Liebe und jeder Menge Leckereien dem Leser eine zauberhafte Auszeit gönnt und ihm dabei den Mund so richtig wässerig macht sowohl nach warmen Apfelkuchen als auch italienischen Backwaren. Der flüssige, farbenfrohe und gefühlvolle Erzählstil lässt den Leser schnell in die Handlung tauchen, wo er als Julies Schatten nicht nur die schäbige Art von deren Ex-Freund Philip miterleben darf, sondern auch einen Urlaub auf Juist mit allerlei Überraschungen spendiert bekommt. Schon Julies Backleidenschaft entflammt beim Leser die Lust nach Süßkram der italienischen Art, doch in Merles Bäckerei wird es noch schlimmer bei der Erwähnung all der Köstlichkeiten, die dort gezaubert werden. Die Geschichte punktet vor allem durch die zwischenmenschlichen Beziehungen zwischen den Protagonisten, denn Julies Verhältnis zu ihren Verwandten ist liebevoll, so aber auch die zu ihrer alten Freundin Merle und den Inselbewohnern, die immer sehr schnell durch die stille Inselpost über alles und jeden informiert sind. Die Begegnung mit ihrer Jugendliebe Ole ist genauso warmherzig wie das Wiedersehen mit Merle oder Enna, es scheint fast so, als wäre Julies Suche endlich vorbei und sie dort angekommen, wo sie hingehört. Die familiären Verwicklungen bergen einige Geheimnisse, die des Lesers Neugier wecken und ihn so an den Seiten kleben lassen, bis er endlich Schwarz auf Weiß die Auflösung präsentiert bekommt. Und die Autorin spendiert am Ende noch alle Rezepte zum Nachbacken, damit die Geschichte auch später noch weiterhin präsent bleibt -
Die Charaktere sind lebendig in Szene gesetzt und überzeugen mit menschlichen Ecken und Kanten, so dass der Leser sich sofort mit ihnen verbunden fühlt. Die verschiedenartigen Eigenheiten, das nötige Lokalkolorit und das Zusammengehörigkeitsgefühl der Inselbewohner werden wunderschön dargestellt und vermitteln das Gefühl einer einzigen großen Familie, die aufeinander achtgibt. Julie ist eine patente, freundliche und offene Frau, die anpacken kann. Sie ist noch auf der Suche nach dem, was sie glücklich macht. Freundin Merle ist ehrlich, sympathisch, geradeheraus und wirkt mit sich im Reinen. Enna ist eine Frau mit Lebenserfahrung, manchmal geheimnisvoll, doch ihre Tür steht jedem offen. Das Wiederlesen mit Agata, Adam, Conny, Ole und Jannes aus den älteren Büchern passte perfekt in die Handlung und machte diese besonders.
„Ein Apfelbaum am Meer“ ist ein wunderschöner Urlaubsroman über alte Freundschaften, Familienbande, alte Erinnerungen, Liebe und jeder Menge Leckereien, der keine Minute Langeweile aufkommen lässt und den Leser am Ende mit einem Glücksgefühl sowie einem Heißhunger entlässt auf der Suche nach einem Stück Köstlichkeit. Absolute Leseempfehlung für einen wahren Wohlfühl-Pageturner!