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Veröffentlicht am 01.08.2021

Straßburg unter französischer Herrschaft

Die Patisserie am Münsterplatz – Schicksalsjahre
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1918 Straßburg. Der Erste Weltkrieg ist beendet, die Franzosen sind die neuen Herrscher über Straßburg. Auch gibt es nur noch eine Patisserie der ehemals feindlich gesinnten Konkurrenten Tritschler und ...

1918 Straßburg. Der Erste Weltkrieg ist beendet, die Franzosen sind die neuen Herrscher über Straßburg. Auch gibt es nur noch eine Patisserie der ehemals feindlich gesinnten Konkurrenten Tritschler und Picard am Münsterplatz. Die Franzosen greifen bei der deutschen Bevölkerung durch, vertreiben viele aus ihren Häusern, die fast ihr gesamtes Hab und Gut zurücklassen und mit ihren Freunden brechen müssen, um dann mit wenigen Habseligkeiten nach Deutschland zurückzukehren. Idas Nichte Ruth hat die Leidenschaft für süße Köstlichkeiten geerbt und strebt danach, der Patisserie neuen Glanz zu verleihen und die Menschen mit Leckereien zu verwöhnen. Der von der Front heimgekehrte und traumatisierte Marcel, Adoptivsohn von Ida und Lucien, lässt Ruths Herz höher schlagen, denn sie hat schon immer insgeheim für den Bäckermeister geschwärmt. Aber auch andere Familienmitglieder haben gesundheitlich unter den Folgen des Krieges gelitten. Sowohl die Picards als auch die Tritschlers müssen einiges bewältigen, denn nicht nur die Spanische Grippe stellt sie vor neue Herausforderungen, sondern auch innerfamiliäre Zwistigkeiten…
Unter dem Namen Charlotte Jacobi hat das Autorenduo mit „Die Patisserie am Münsterplatz-Schicksalsjahre“ den zweiten Teil ihrer historischen Patisserie-Trilogie vorgelegt, der ebenso unterhaltsam wie informativ wie der Vorgängerband ist. Der farbenfrohe, flüssige Erzählstil lädt erneut zu einer Zeitreise ins vergangene Jahrhundert ein, so dass der Leser sich in einem Straßburg nun unter französischer Herrschaft wiederfindet und die Stadtbewohner vor große Veränderungen und Herausforderungen stellt. Auch die deutschstämmigen Tritschlers sind davon betroffen. Die Autoren haben gute historische Recherche betrieben, die sie mit ihrer Handlung geschickt verwoben haben. Wurden im ersten Teil der Trilogie die Franzosen vor die Wahl gestellt, ihre Identität anzugeben oder ohne ihr Hab und Gut nach Frankreich überzusiedeln, so ergeht es nun den Deutschen ebenso, denn die Franzosen zahlen nach Übernahme von Elsass-Lothringen mit der gleichen Münze zurück. Der Krieg hat noch nicht genug Menschenleben gefordert, da steht auch schon die Spanische Grippe vor der Tür, die vor nichts und niemandem halt macht und die Menschen regelrecht dahinrafft, auch die Picards sind davon betroffen. Der Neustart der Patisserie wird durch Ruth und die Rückkehr von Marcel eingeläutet, die Gerüche von Süßwaren, Kaffee und anderer Köstlichkeiten umweht die Nase des Lesers während der Lektüre, der sich einen Platz in der Patisserie gesichert hat und sich gut vorstellen kann, wie sehr die Menschen nach Jahren der Entbehrung nach etwas Schönem regelrecht lechzen.
Lebendig ins Bild gesetzte Charaktere mit realistischen Eigenschaften lassen den Leser sehr nahe an sich heran, so dass dieser ihre Gedanken- und Gefühlswelt mit ihnen teilt, mitleidet und fiebert. Ruth ähnelt ihrer Tante Ida sehr, denn sie ist offen, hilfsbereit und freundlich, aber auch innovativ und fleißig. Marcel ist durch die Kriegserlebnisse traumatisiert und braucht einige Zeit, sich im normalen Leben wiederzufinden. Er ist ein guter Bäckermeister, der gemeinsam mit Ruth viel erreichen könnte, um der Patisserie neuen Glanz zu verleihen. Ebenso spielen Jacques, Paul, Ida, Opa Picard sowie Joséphine wichtige Rollen in dieser unterhaltsamen Geschichte.
„Die Patisserie am Münsterplatz-Schicksalsjahre“ ist ein kurzweiliger Roman, die neben einer komplizierten, emotionsgeladenen Familiengeschichte vor allem mit vielen historischen Informationen zu überzeugen weiß, wobei man auch all die Köstlichkeiten nicht vergessen darf, die hier immer wieder erwähnt werden. Verdiente Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 31.07.2021

Hunters Dämonen und seine Abrechnung damit

Beautiful Things
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Als Joe Biden am 20. Januar 2021 als 46. Präsidenten der USA vereidigt wurde, war sein Sohn Hunter bereits 51 Jahre alt. Er stammt aus der ersten Ehe des Präsidenten und verlor schon als Zweijähriger bei ...

Als Joe Biden am 20. Januar 2021 als 46. Präsidenten der USA vereidigt wurde, war sein Sohn Hunter bereits 51 Jahre alt. Er stammt aus der ersten Ehe des Präsidenten und verlor schon als Zweijähriger bei einem Autounfall neben seiner Mutter Neilia auch seine Schwester Naomi. Sein Bruder Beau starb 2015 an den Folgen eines Hirntumors. Mit einem Yale-Abschluss in Rechtswissenschaften ist Hunter Biden als Anwalt tätig und lebt mit seiner Familie in Kalifornien. Zweifelhafte Bekanntheit erlangte er durch Donald Trumps Wahlkampf, der ihn immer wieder der Korruption beschuldigte in Zusammenhang mit seiner Tätigkeit in der Ukraine.
Mit seiner Biografie „Beautiful Things“ legt Hunter Biden schonungslos und unverblümt seine nicht gerade rühmliche Vergangenheit offen. Der sehr persönliche, flüssige Erzählstil vermittelt dem leser das Gefühl, mit Biden jr. an einem Tisch zu sitzen und seiner Lebensbeichte zu lauschen. Jahrelang abgetaucht im Drogen- und Alkoholsumpf geht er hart mit sich ins Gericht. Die Sucht hat für lange Zeit sein Leben bestimmt, und die ungeschönten Schilderungen zeigen einen tief zerrissenen Mann, der auf dem besten Wege war, sich umzubringen, weil ihm jeglicher Lebensmut und eine feste Konstante im Leben fehlten. Sein Leben war wie ein ständiger Tanz auf dem Vulkan, der nächste Absturz vorprogrammiert. Der Leser erlebt durch seine Worte die Tragödien mit, die seine Familie immer wieder heimsuchten. Sehr warmherzig und liebevoll stellt er seine Familie dar, die alle ihren festen Platz in seinem Herzen haben, ob tot oder lebendig. Die Liebe zu seiner Frau Melissa hat ihm letztendlich die Kraft gegeben, seine Sucht behandeln zu lassen und in ein geregeltes Leben zurückzukehren. Zudem ist auch die enge Verbundenheit zu seinem Vater und seiner Stiefmutter Jill in jeder Zeile zu spüren.
Auch die Präsidentschaftskandidatur seines Vaters Jos sowie seine eigene politische Arbeit sind Thema in dieser Biografie. Darin versucht Hunter Biden sich zu den Ukraine-Vorwürfen zu erklären und geht gleichzeitig hart mit Donald Trump ins Gericht. Was sich zuerst wie eine Rechtfertigung anmutet, erklärt gleichzeitig auch, wie er seinen Drogenkonsum überhaupt finanzieren konnte.
„Beautiful Things“ ist eine sehr offene und ehrliche Selbstabrechnung des Hunter Biden mit sich selbst. Obwohl in vielen Dinge privilegiert, zeigt es doch, dass auch diese Menschen von alltäglichen Sorgen und besonderen Tragödien aus der Bahn geworfen werden können und sich kaum selbst zu retten vermögen, wenn ihnen nicht durch liebende Menschen die Hand gereicht wird. Suchtkrank ist man ein lebenlang, hoffentlich hat Hunter Biden diesmal endgültig die Kurve gekriegt. Verdiente Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 30.07.2021

"Die Amish sind Inseln der Vernunft in einem Strudel der Veränderung." (Nancy Sleeth)

Der Himmel über Amerika - Rebekkas Weg
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1815. Rebekka lebt mit ihrer Familie in einer Amisch-Gemeinde in der Pfalz. Der Glauben bestimmt ihr ganzes Leben, das aus harter Arbeit, vielen Geboten und Verboten besteht, aber auch ihren Ehemann vorherbestimmt. ...

1815. Rebekka lebt mit ihrer Familie in einer Amisch-Gemeinde in der Pfalz. Der Glauben bestimmt ihr ganzes Leben, das aus harter Arbeit, vielen Geboten und Verboten besteht, aber auch ihren Ehemann vorherbestimmt. Als mit Daniel ein neues Mitglied in ihrer Gemeinde auftaucht, bringt er ihr Herz zum Schwingen, denn er ist all das, was die anderen Männer nicht sind. Schon bald entwickeln sich Gefühle zwischen den beiden, doch die Gemeinde und auch Rebekkas Vater stehen Daniel noch skeptisch gegenüber. Eine Hungersnot lässt bei Rebekka und Daniel den Wunsch nach einem Neuanfang in Amerika wachsen, aber Rebekka weiß nicht, dass Daniel ein trügerisches Geheimnis wahrt, das ihr gemeinsames Glück gefährden kann…
Karin Seemayer hat mit „Der Himmel über Amerika-Rebekkas Weg“ den ersten Teil ihrer neuen historischen Saga vorgelegt, der dem Leser nicht nur einiges über die Amisch-Leute näher bringt, sondern auch mit einer spannenden Geschichte aufwartet, die man kaum aus der Hand legen kann. Der flüssige und bildhafte Erzählstil lässt den Leser eine Reise in die Vergangenheit antreten, wo er in eine Amisch-Gemeinde bei Rebekka und ihrer Familie einzieht und dort die strengen Regeln ihres Glaubens kennenlernt, die auch heute noch bei den Amish-People in Amerika gelten. Gerade der Zusammenhalt in den Gemeinden, die gegenseitige Unterstützung, aber auch die gelebten Werte machen deutlich, wie sehr die Menschen mit sich im Einklang sind und das Leben ihrem Glauben gewidmet haben. Auch in der heutigen Zeit leben die Amish-People noch wie in einem anderen Jahrhundert, lehnen technische Dinge wie Autos, Mobiltelefone etc. ab, weil sie keinen Nutzen darin sehen. Seemayer spannt ihre Geschichte von 1815 bis 1822, die auch den Weg der Amisch-Leute nach Amerika nachzeichnet, wo man sie als Gemeinden vor allem in Pennsylvania heute wiederfindet. Die Beschreibungen der Gemeinde und der Örtlichkeiten sind gut gelungen, so dass man als Leser alles vor dem inneren Auge vorbeiziehen sieht und sich manchmal sogar wie ein Teil davon fühlt. Die Geschichte von Rebekka und Daniel fügt sich wunderbar in den historischen Rahmen ein und lässt die Handlung realistisch sowie nahbar wirken.
Die Charaktere sind liebevoll und lebendig ausgestaltet, wirken in ihrem Zeitrahmen realistisch und glaubwürdig. Der Leser heftet sich als unsichtbarer Schatten an ihre Fersen und darf ihr Abenteuer hautnah miterleben. Rebekka ist eine sympathische, liebenswerte junge Frau, die bisher nichts anderes als das Leben in ihrer Gemeinde kennt. Sie ist neugierig auf alles, was das Leben ihr bieten könnte, auch außerhalb der Gemeinde. Daniel/Andreas ist ein netter Kerl, der für andere einsteht und dafür einen hohen Preis bezahlen muss. Das Leben bei den Amisch-Leuten bietet ihm neue Möglichkeiten, die er für sich zu nutzen weiß und auch noch der Liebe begegnet. Auch Susanna, Ruben, Caleb und weiter Protagonisten sind wichtig für den Handlungsverlauf und tragen viel zur Spannung bei.
„Der Himmel über Amerika-Rebekkas Weg“ ist ein gelungener, unterhaltsamer Start in Seemayers neue Trilogie. Neben vielen historischen Fakten und Informationen über die Amisch-Leute und ihren gewählten Lebensstil fehlt es der Geschichte auch nicht an Romantik und Spannung. Verdiente Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 29.07.2021

Auf den Spuren der Toten von Isdal

Das letzte Bild
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2018. Als Schriftstellerin Eva in der BILD-Zeitung das Foto einer seit 47 Jahren vermissten Frau entdeckt, die damals als verkohlter Leichnam ohne bekannte Identität im norwegischen Isdal gefunden wurde, ...

2018. Als Schriftstellerin Eva in der BILD-Zeitung das Foto einer seit 47 Jahren vermissten Frau entdeckt, die damals als verkohlter Leichnam ohne bekannte Identität im norwegischen Isdal gefunden wurde, ist der Schock groß, denn die Frau sieht aus wie ihre eigene Mutter. Ein Gespräch mit ihrer Mutter bringt nicht viel, denn diese blockt das Thema gleich ab. Erst durch Nachbohren gibt sie zu, eine Zwillingsschwester gehabt zu haben, die während des Zweiten Weltkrieges verschwunden sei. Eva lässt das Foto nicht los und ahnt, dass sich dahinter ein Geheimnis verbirgt. Sie beginnt, auf eigene Faust zu recherchieren und erfährt bald durch einen DNA-Test, dass sie mit der unbekannten Toten verwandt ist. Eva reist nach Norwegen, um vor Ort in Bergen mehr herauszufinden und die Identität der Frau offenzulegen…
Anja Jonuleit hat mit „Das letzte Bild“ einen unterhaltsamen Roman vorgelegt, in dem sie einen tatsächlichen Kriminalfall aus dem Jahr 1970 spannend mit ihrer fiktiven Handlung verwoben hat. Der flüssige und bildhafte Erzählstil stellt den Leser an Evas Seite, wo er mit ihr gemeinsam nach und nach deren Familiengeschichte ausgräbt, die Eva bis dahin unbekannt war. Über zwei Zeitebenen und wechselnde Perspektiven lädt die Autorin den Leser ein, mal die Gegenwart an der Seite von Eva zu erleben, mal in der Vergangenheit von Margaret/Marguerite, die als kleines Mädchen 1944 nach einem Streit in die Wälder flüchtet, ihre Familie nie wieder sieht, im Waisenhaus landet und erst als junge Frau 1970 in der Lage ist, nach ihrer Familie zu suchen. Durch die wechselnden Einblicke in das Leben der Protagonisten steigert Jonuleit die Spannung ihrer Geschichte immer weiter, zumal sie auch zwischendrin mit Geschichtsprofessor Laurin noch einen dritten geheimnisvollen Protagonisten ins Spiel bringt. Nach akribischer Recherche gibt die Autorin den im Zweiten Weltkrieg bekannt gewordenen Lebensborn-Einrichtungen eine ausschlaggebende Rolle in ihrem Roman, denn deren Auswirkungen haben bewusst und unbewusst Einfluss auf das Leben der diversen Charaktere. Die ZEIT-Artikel über den auf Tatsachen basierenden Mordfall der Isdal-Frau geben der Geschichte als Einleitung zu jedem Kapitel die nötige Authentizität, obwohl die Haupthandlung fiktiv ist. In einem informativen Nachwort erfährt der Leser Genaueres über die Hintergründe und die Beweggründe der Autorin. Insgesamt fehlen diesem Roman aber die Emotionen und menschlich natürlichen Reaktionen, die man bei einer solchen Handlung normalerweise erwartet.
Die Charaktere sind zwar lebendig erschaffen, jedoch schaffen sie es nicht, den Leser auf ihre Seite zu ziehen. Es stellt sich keine Nähe ein, so dass der Leser immer nur stiller Beobachter bleibt und der Geschichte zwar interessiert folgt, der Abstand zu den Protagonisten jedoch konstant bestehen bleibt. Eva ist eine pragmatische und eher nüchterne Frau, oftmals unnahbar und eher unterkühlt. Margaret/Marguerite steht als junge Frau vor der Herkulesaufgabe, ihre Familie finden zu wollen, wobei sie oftmals naiv und ohne Plan agiert. Professor Laurin ist ein undurchschaubarer und egoistischer Unsympath, der einem die Gänsehaut über den Rücken laufen lässt.
„Das letzte Bild“ ist eine unterhaltsame und spannende Geschichte über zwei Zeitebenen, bei der nach und nach eine tragische Vergangenheit zutage befördert wird, die auch das Leben der nachfolgenden Generationen betrifft. Der Mix aus tatsächlicher Kriminalgeschichte und fiktiver Handlung hat durchaus ihren Reiz und lässt sich gut lesen, doch die persönliche Ebene zu den Protagonisten fehlt. Wem das nicht wichtig ist, der wird das Buch zu schätzen wissen. Verdiente Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 29.07.2021

Wenn die Vergangenheit das Leben bestimmt

Das Meeresblau von Tel Aviv
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Elija ist mit einem berühmten Schriftsteller verheiratet, der momentan in Paris weilt. Da sie immer schon nach Paris wollte, steigt sie in Tel Aviv ins Flugzeug, um ihren Mann in der französischen Metropole ...

Elija ist mit einem berühmten Schriftsteller verheiratet, der momentan in Paris weilt. Da sie immer schon nach Paris wollte, steigt sie in Tel Aviv ins Flugzeug, um ihren Mann in der französischen Metropole zu besuchen. Doch die Freude auf das Wiedersehen weicht schnell der schmerzlichen Ernüchterung, denn der Schuft hat sie durch eine andere ersetzt. Zurück in Israel nistet sich Elija bei ihren Eltern ein, um sich dort trösten zu lassen. Doch gerade ihre Mutter Lily ist nur zu wenigen Gefühlsregungen fähig, was Elija dazu veranlasst, in der Vergangenheit ihrer Familie zu bohren. Ans Licht kommt die traurige Geschichte eines Kindes, das seine Mutter niemals kennenlernte. Elijas Tatendrang ist geweckt und sie macht sich auf, ihre Großmutter Rachel zu finden…
Sarit Yishai-Levi hat nach ihrem erfolgreichen Debütroman „Die Schönheitskönigin von Jerusalem“ ihren zweiten Roman „Das Meeresblau von Tel Aviv“ vorgelegt. Die Erwartungen waren dementsprechend hoch und wurden nicht enttäuscht. Mit flüssigem, gefühlvollem und teils melancholischem Erzählstil webt die Autorin eine tiefgründige Geschichte über den Schmerz des Verlassenwerdens, ob durch einen Ehemann oder die eigene Mutter. Während Elija durch ihren Ehemann verletzt und sitzengelassen wurde, ist es gerade die Geschichte ihrer Mutter Lilly, die den Leser anrührt. Als Baby von der eigenen Mutter ausgesetzt, hat sie nie das Band der Mutterliebe erfahren. Vielleicht rührt gerade daher ihre Distanz zur eigenen Tochter Elija, die mit Lillys unterkühlter Art aufgewachsen ist. Interessant ist vor allem, dass Elija das distanzierte Wesen ihrer Mutter nicht übernommen hat, sondern wohltuend gefühlvoll wie verständnisvoll wirkt, aber auch neugierig auf ihre eigene Familiengeschichte ist und sich dem Projekt widmet, so viel wie möglich herauszufinden, vor allem aber ihre Großmutter aufzuspüren, um die näheren Umstände von damals zu erfahren. Levi versteht es auf besondere Art, dem Leser einen guten Einblick in jüdische Traditionen und Werte sowie in das tägliche Leben in Tel Aviv zu vermitteln, während sie ihre Handlung webt. Auch in dieser Geschichte spielt das Judentum dabei wieder eine große Rolle.
Die Charaktere sind realistisch gezeichnet und in Szene gesetzt, menschliche Eigenheiten machen sie für den Leser nahbar, so dass er sich voller Neugier an ihre Fersen heftet, um gemeinsam mit Elija die Vergangenheit ihrer Mutter auszugraben. Elija ist eine impulsive Frau, die ins Elternnest kriecht, um ihre Wunden zu lecken, die ihr untreuer Ehemann ihr zugefügt hat. Die fehlende Wärme ihrer Mutter lässt Elija nicht kalt, sondern spornt sie an, endlich den Grund dafür herauszufinden. Lilly ist eine kontrollierte Frau, die nach außen gefühlskalt wirkt, jedoch im Innern total unsicher ist. Sie hat eine Mauer um sich errichtet, um nicht mehr verletzt zu werden, zu tief sind die Wunden aus ihrer Vergangenheit. Deshalb ist sie auch nicht fähig, Elija Wärme und Verständnis entgegen zu bringen.
„Das Meeresblau von Tel Aviv“ ist eine Familiengeschichte voller unterdrückter Gefühle, Missverständnisse und Geheimnissen. Während im Hintergrund das Tel Aviver Leben pulsiert, geht es drei Frauen und deren Aufarbeitung der Vergangenheit. Unterhaltsam, spannend und voller Gefühl. Verdiente Leseempfehlung!