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Veröffentlicht am 29.04.2018

Sinnkrise

Die Schönheit der Nacht
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Die Verhaltensbiologin Claire Costeau ist mit Mitte Vierzig in den besten Jahren und im Leben angekommen. Sie hat mit Ehemann Gilles, einem Komponisten und Sohn Nicolas ihre Familie und einen Beruf, der ...

Die Verhaltensbiologin Claire Costeau ist mit Mitte Vierzig in den besten Jahren und im Leben angekommen. Sie hat mit Ehemann Gilles, einem Komponisten und Sohn Nicolas ihre Familie und einen Beruf, der sie erfüllt. Aber Claire fühlt sich unzufrieden und leer, irgendetwas fehlt in ihrem Leben. ‚Sie zieht sich immer mehr zurück, was Gilles sich anderen Frauen zuwenden lässt. Gemeinsam will die Familie den Sommer in ihrem malerischen Ferienhaus in der Bretagne verbringen und sich auf sich selbst besinnen. Dabei lernen sie Nicolas‘ Freundin Julie Beauchamp kennen, die sie begleitet. Julie hat einen Job in einem Hotel und würde zu gern Sängerin werden, doch ihr fehlen die Stärke und der Mut, sich hinauszuwagen und am Abenteuer Leben teilzunehmen. Zu Beginn noch Fremde, nähern sich Claire und Julie während des Sommers immer mehr an und lernen voneinander…
Nina George hat mit ihrem Buch „Die Schönheit der Nacht“ einen sehr poetischen und gleichsam melancholischen Roman vorgelegt, der sich intensiv mit der Sinnsuche beschäftigt und mit dem eigenen Ich. Der Schreibstil ist bildhaft, prosaisch und mit viel atmosphärischen Details ausgestattet, dabei gut zu lesen. Allerdings ist es auch kein Buch zum Weglesen, sondern mit viel Konzentration und dem Zulassen von Schwingungen, die die Autorin in all ihren Sätzen für den Leser vorbereitet hat. Die Handlung wird in wechselnden Perspektiven mal von Claire, mal von Julie erzählt und lässt den Leser an deren jeweiligen Gefühlen, Gedanken und Eindrücken teilhaben. Die ältere Claire hat eine ganz andere Denkweise als die junge Julie, ihr analytischer Verstand kommt hier an vielen Stellen zum Vorschein, was ihre Persönlichkeit auch als unterkühlt erscheinen lässt. Währenddessen wirken Julies Überlegungen wie die einer sehr jungen Frau, die ihren Platz im Leben noch nicht gefunden hat und deren Selbstzweifel und Sehnsüchte auf das Leben sehr schön wiedergespiegelt werden. Ihre ungezügelte Lust auf Abenteuer und Leidenschaft sind nahezu greifbar. Das zentrale Thema in dieser Geschichte, nämlich die Suche nach dem eigenen Ich und den eigenen Wünschen, um das Leben wieder schön zu finden, wurde von der Autorin sehr sensibel von allen Seiten beleuchtet und bringt während der Lektüre auch den Leser dazu, über existentielle Fragen nachzudenken.
Der Autorin gelingt es durch ihre poetische und bildhafte Sprache, das gesamte Gefühlsbarometer ihrer Charaktere offen darzulegen und ihr Innerstes nach außen zu präsentieren. Die Charaktere sind sehr differenziert ausgestaltet. Aufgrund ihrer individuellen Eigenschaften wirken sie sehr real und authentisch. Claire ist eine recht nüchtern wirkende Frau. Sie studiert tagaus tagein das Verhalten und analysiert dabei jede kleinste Regung. Obwohl sie auch eine Mutter ist, definiert sie sich ausschließlich durch ihren Beruf und das Wissen ihres Spezialgebietes. Die nüchterne und oftmals schon gefühllose Betrachtung lässt sie kalt und unnahbar wirken, was sie dem Leser nicht gerade sympathisch macht. Doch gerade das vermisst Claire – das Gefühl von Liebe, von Aufregung und Adrenalin, das Gefühl von Leben und selbst, wenn es durch Schmerz hervorgerufen wird. Hauptsache Fühlen! Julie ist der Gegenpart von Claire. Sie ist noch sehr jung, hat bisher das Leben kaum richtig kennengelernt. Julie hat bisher nur kleine Schritte ins Leben gewagt, traut sich noch nicht wirklich aus ihrem schützenden Kokon, um Erfahrungen zu sammeln. Sie hat noch keine Entscheidungen in Bezug auf ihr Leben getroffen und hat Angst davor, es könnte ja die falsche sein. Doch um wirklich zu leben, muss sie ihre bequeme Komfortzone verlassen und auch einmal Risiken eingehen. Die Interaktion der beiden Frauen, obwohl so grundverschieden, ist sehr schön zu beobachten, denn gleichzeitig lernt jeweils die eine von der anderen.
„Die Schönheit der Nacht“ ist keine simple Unterhaltungslektüre, sondern ein anspruchsvoller Roman, der sich mit den Fragen des Lebens auseinander- und bildhaft in Szene setzt. Dabei gewährt die Autorin einen Blick durchs Schlüsselloch in die Seelen ihrer Protagonisten und damit vielleicht auch in die ihrer Leser. Absolute Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 28.04.2018

Das Leben meistern...

Das Liliencottage
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Das Leben der Mitdreißigerin Sharon steht Kopf. Nicht nur ihre langjährige Beziehung zu Ben scheitert, auch ihre Modelkarriere geht dem Ende zu. Die lukrativen Aufträge werden spärlicher und die jüngeren ...

Das Leben der Mitdreißigerin Sharon steht Kopf. Nicht nur ihre langjährige Beziehung zu Ben scheitert, auch ihre Modelkarriere geht dem Ende zu. Die lukrativen Aufträge werden spärlicher und die jüngeren Models laufen ihr den Rang ab. All das ist nur schwer zu verdauen, so gönnt sich Sharon eine Auszeit und reist in ihre Heimat auf die Insel Guernsey, wo sie von Ersatzoma Theodora mit offenen Armen empfangen wird. Hier findet Sharon nicht nur nach langer Zeit wieder zu sich selbst und Freude am Leben. Sie gibt sogar der Liebe eine neue Chance und begibt sich auf Spurensuche in Theodoras spannende Vergangenheit, was ebenso Einfluss auf ihr weiteres Leben und ihre Entscheidungen hat…
Ricarda Martin hat mit ihrem Buch „Das Liliencottage“ einen wunderschönen und emotionalen Roman vorgelegt, der den Leser von der ersten Seite an in seinen Bann zieht. Der Schreibstil ist flüssig und gleichzeitig gefühlvoll und lebhaft, der Leser wird regelrecht in die Handlung hineingesogen und begleitet durch wechselnde Perspektivstränge sowohl Sharon in der Gegenwart bei ihren Gedanken, Gefühlen und ihren Unternehmungen als auch Theodora in der Vergangenheit zur Zeit des 2. Weltkrieges, wo diese nicht nur durch eine schwere Verletzung gezeichnet war, sondern auch mit harten Schicksalsschlägen zu kämpfen hatte. Die Autorin lässt in dem historischen Part ihrer Geschichte die Kriegszeit recht bildhaft und detailliert wieder aufleben und den Leser auch an der Einstellung, den Anfeindungen und den Ansichten der Menschen teilhaben. Der Spannungsbogen wird langsam aufgebaut und steigert sich bis zum Finale der Geschichte immer mehr in die Höhe, was auch den Perspektivwechseln geschuldet ist, die sich meisterhaft und gekonnt miteinander verbinden. Ebenso begeistern die Landschaftsbeschreibungen von Guernsey, die so bildgewaltig sind, dass man gern sofort seine Koffer packen möchte, um sich mit eigenen Augen davon zu überzeugen.
Die Charaktere sind wunderbar ausgearbeitet und mit Leben versehen worden. Sie wirken durch ihre individuellen Eigenschaften sehr real und authentisch, so dass der Leser sich gut in sie hineinversetzen kann und mit ihnen ein komplexes Gefühlsbarometer aus Trauer, Leid, Wut, Hoffnung und Romantik erleben darf. Sharon ist eine sympathische Frau, die trotz ihrer langen Zeit in der meist oberflächlichen Modelwelt recht normal und realistisch geblieben ist. Sie reflektiert ihr Leben sehr pragmatisch und gewinnt immer mehr den Mut, sich auf neue Pfade zu begeben. Theodora ist eine warmherzige Frau, die neben Optimismus und Herzensgüte auch eine gewisse Weisheit ausstrahlt und sie zu einem guten Ratgeber macht, dem man sich gern anvertraut. Auch Alec und Raoul sind interessante männliche Protagonisten, die in Sharons Leben so einigen Schwung hineinbringen und sie sich wieder lebendig fühlen lassen.
„Das Liliencottage“ ist ein bezaubernder Roman um Familiengeheimnisse, die Liebe, neue Chancen und die Suche nach sich selbst, der auch historische Elemente gekonnt in sich vereint und deshalb umso lebendiger wirkt. Wunderbare Unterhaltung, die eine absolute Leseempfehlung verdient!

Veröffentlicht am 28.04.2018

Nervenkitzel

In tödlicher Stille (Ein Alice-Quentin-Thriller 5)
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Clare Riodan ist mit ihrem elfjährigen Sohn Mikey auf einer Joggingtour, als sie plötzlich überfallen und entführt werden. Doch Mikey kann den Kidnappern entkommen und ist seitdem dermaßen traumatisiert, ...

Clare Riodan ist mit ihrem elfjährigen Sohn Mikey auf einer Joggingtour, als sie plötzlich überfallen und entführt werden. Doch Mikey kann den Kidnappern entkommen und ist seitdem dermaßen traumatisiert, so dass er kein Wort mehr von sich gibt und völlig erstarrt ist. Um Informationen über die Entführer zu bekommen und vor allem den Aufenthaltsort von Clare herauszufinden, schaltet die Polizei die Kriminalpsychologin Dr. Alice Quentin ein, die sich des jungen Mikey annehmen und ihn behutsam zum Reden bringen soll. Jede Minute zählt, denn es werden weitere Menschen entführt oder müssen sterben und die Polizei tappt immer noch im Dunkeln…
Kate Rhodes hat mit ihrem Buch „In tödlicher Stille“ einen sehr spannenden und unterhaltsamen Psychothriller und einen weiteren Teil ihrer Serie um Don Burns und Alice Quentin vorgelegt. Der Schreibstil ist flüssig und leicht zu lesen. Die Handlung entwickelt von Beginn an einen Sog, dem sich der Leser nur schwer entziehen kann. Der Spannungsbogen wurde von der ersten Seite an gespannt und steigert sich während der Geschichte immer weiter. Durch geschickt Wendungen und falsch gelegte Spuren lässt die Autorin die Spannungskurve immer mehr in die Höhe schnellen und der Leser muss erneut umdenken und sich anhand der Sachlage neu orientieren. Auch die umfangreiche polizeiliche Ermittlungsarbeit wird von der Autorin sehr real beschrieben, der Leser bekommt das Gefühl, hautnah bei der Spurensuche dabei zu sein. Die psychologische Arbeit gerade mit „kleinen“ Zeugen wird hier sehr gut thematisiert und zeigt auf, wie schwierig es ist, das Vertrauen eines kindlichen Opfers zu gewinnen, damit dieses zur Aufklärung beiträgt.
Die Charaktere sind gut ausgestaltet und wirken individuell und lebendig. In Bezug auf die Vorgängerbände zeigen sie eine weitere Entwicklung. Alice Quentin ist eine sympathische Psychologin, die mit viel Feingefühl und sanfter Überzeugung das Vertrauen der ihr anvertrauten Patienten gewinnt. Sie kann sich in die Opfer hineinfühlen und gibt ihnen ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit. Gleichzeitig muss sie versuchen, die Opfer wieder ans normale Leben heranzuführen. Privat ist Alice in Don Burns verliebt und macht doch immer wieder Rückschritte. Don Burns ist ein sehr offener und direkter Mann, der sich in die Fälle verbeißt und sich nicht entmutigen lässt, die Schuldigen zu finden. Mikey ist ein elfjähriger Junge, der einer Katastrophe gerade noch entgangen ist, jedoch durch die Ereignisse so verängstigt und gequält ist, dass er sich in sich selbst verschlossen hat und kaum einen Außenstehenden an sich heranlässt.
„In tödlicher Stille“ ist ein rasanter und fesselnder Thriller, der Gänsehautfeeling erzeugt und mit viel Spannung und guten Charakteren überzeugen kann. Eine Leseempfehlung für alle Fans von Spannungsliteratur!

Veröffentlicht am 28.04.2018

Gegensätze ziehen sich an

Mit Herz, Mut und Verstand
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1875 Ohio. Auf dem Weg zum College möchte Susanna Hanby noch einen kurzen Besuch bei ihrer Schwester Rachel und ihrer Familie einschieben, doch dann muss sie feststellen, dass ihre Schwester verschwunden ...

1875 Ohio. Auf dem Weg zum College möchte Susanna Hanby noch einen kurzen Besuch bei ihrer Schwester Rachel und ihrer Familie einschieben, doch dann muss sie feststellen, dass ihre Schwester verschwunden ist. Schwager George, der lieber dem Alkohol zuspricht, als sich um seine Familie zu kümmern, gibt er außerdem zu verstehen, dass die sechs Kinder im Waisenhaus sind. Susanna kann sich das alles nicht erklären und macht sich in großer Sorge auf die Suche nach Rachel und den Kindern, wobei sie auch durch ihre Tante Ann und ihrem Onkel Will, einem Prediger, tatkräftig unterstützt wird. Immer wieder läuft ihr Johann Giere über den Weg, Sohn des Brauereibesitzers, der lieber der schreibenden Zunft als Journalist dienen würde, als im Betrieb seines Vaters zu arbeiten. Susanna, die aufgrund ihres Schwagers riesige Vorbehalte gegen Alkoholkonsum und seine Auswirkungen hat, steht Johann sehr skeptisch gegenüber und möchte seine Hilfe bei der Suche ihrer Schwester eigentlich nicht annehmen. Doch Johann lässt es sich nicht nehmen…
Rosslyn Elliott hat mit ihrem Buch „Mit Herz, Mut und Verstand“ einen unterhaltsamen historischen Roman vorgelegt, der als Teil einer Trilogie gilt, aber gut allein für sich gelesen werden kann. Der Schreibstil ist flüssig und lässt den Leser schnell in eine ehemalige Zeit eintauchen, um durch die wechselnden Perspektiven zwischen Susanna und Johann deren Gedanken, Gefühle und Tun zu beobachten und die durch die Autorin vermittelte Szenerie zu begleiten. Die Spannung wird gemächlich aufgebaut, flacht aber immer mal wieder ab oder wird durch kleine Längen unterbrochen. Die Autorin hat den historischen Hintergrund schön in ihre Handlung eingebaut, so dass der Leser die damaligen Lebensbedingungen sowie die gesellschaftlichen Normen gut vor Augen geführt werden. Das Thema Alkohol steht hier zentral im Mittelpunkt, ebenso dessen Auswirkungen sowie die Verdammung durch die einzelnen Glaubensgruppen, die teilweise zu radikalen Mitteln greifen, um eine Salooneröffnung zu verhindern, ohne dabei an die Folgen zu denken.
Die Charaktere sind sehr schön ausgearbeitet und mit Leben versehen. Sie wirken real und authentisch, wobei es sich die Autorin nicht hat nehmen lassen, ihre Hauptprotagonistin etwas überspitzt darzustellen. Susanna ist eine junge Frau, die sich um ihre Familie sorgt und alles für diese tut. Sie ist sehr impulsiv, stur und emotional. Sie lässt sich oftmals von ihren Gefühlen beherrschen und handelt immer wieder vorschnell und ohne viel zu überlegen. Sie pflegt ihre Meinung zu haben und weicht kaum einen Millimeter davon ab, was sie leider auch recht zickig und selbstgerecht erscheinen lässt. Johann ist ein sehr sympathischer Mann, der das Herz am rechten Fleck hat und sich hilfsbereit um seine Mitmenschen kümmert. Er ist ehrlich, offen und vor allem hat er eine Engelsgeduld in Bezug auf Susanna und ihr Verhalten. Tante Ann und Onkel Will sind warmherzige und gläubige Menschen, die einen starken Rückhalt in der Not bieten. Auch die Nebenprotagonisten sind schön gezeichnet und bieten mit ihren eigenen Geschichten weitere Spannung.
Der christliche Aspekt wurde ebenfalls schön in die Handlung eingeflochten. Die verschiedenen Ansichten über bestimmte Dinge ebenso wie angesprochene Beispiele aus der Bibel sowie differenzierte Glaubensansichten werden innerhalb der Geschichte thematisiert und geben Möglichkeiten zur Selbstreflexion.
„Mit Herz, Mut und Verstand“ ist ein historischer Roman mit eingewebter Liebesgeschichte, der gute Unterhaltung bei kurzweiliger Lektüre bietet. Auf jeden Fall eine Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 22.04.2018

Liv und Karoline - zwei Frauen auf der Suche

Das Lied des Nordwinds
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1905. Nachdem sie vor 9 Jahren die Hochzeit mit dem feschen adligen Sproß Moritz von Blankenburg-Marwitz gar nicht abwarten konnte, ist sie nun ernüchtert auf dem Boden der Tatsachen gelandet. Ihr Ehemann ...

1905. Nachdem sie vor 9 Jahren die Hochzeit mit dem feschen adligen Sproß Moritz von Blankenburg-Marwitz gar nicht abwarten konnte, ist sie nun ernüchtert auf dem Boden der Tatsachen gelandet. Ihr Ehemann ist nie daheim, sondern vergnügt sich lieber aushäusig, während sie den harten Worten ihrer dominanten Schwiegermutter Alwina ausgesetzt ist, die ihr ständig das Gefühl eines Eindringlings gibt. Dabei ist die Familie schon lange bankrott und kann sich nur mit Hilfe von Karolines vermögenden Eltern über Wasser halten. Als Moritz unheilbar erkrankt zurück auf Schloss Katzbach ist und Karoline durch Zufall erfährt, dass er bereits ein uneheliches Kind in Norwegen hat, macht sie sich mit Hilfe ihrer besten Freundin Ida auf die Reise, um dieses Kind zu finden. Doch nicht nur sie macht sich auf die Suche…
Die minderjährige Liv tritt in Stavanger eine Stelle als Dienstmagd im Haushalt der Familie Treske an, um mit dem Geld ihre arme Familie zu unterstützen. Ihr Dienstherr ist ein harter Mann, der seinen 9-jährigen Sohn Elias bei jeder Gelegenheit demütigt und in die Knie zwingen will. Ehefrau Ingrid hat mit der neugeborenen Tochter genug um die Ohren und auch nicht die Kraft, sich gegen ihren Ehemann aufzulehnen. Liv hat Mitleid mit dem Jungen und nimmt sich seiner an, die beiden werden langsam Freunde. Durch Zufall erfährt Liv, dass Elias von den Treskes adoptiert wurde. Als der Vater Elias bei einem erneuten Fehlverhalten in ein Erziehungsheim stecken will, flieht Liv mit dem Jungen, um seine leiblichen Eltern zu suchen. Dabei bekommen sie Hilfe von Bjarne, einem jungen Mann, mit dem sich Liv angefreundet hat…
Christine Kabus hat mit ihrem Buch „Das Lied des Nordwinds“ einen wunderschönen historischen Roman vorgelegt, der von der ersten Seite an begeistert und den Leser erneut nach Skandinavien entführt. Die Liebe der Autorin zu Land und Leuten in den nordischen Ländern ist dabei in jeder Zeile zu spüren. Der Schreibstil ist flüssig, gefühlvoll und farbenfroh, der Leser wird regelrecht in die Geschichte hineingesogen und findet sich mal an der Seite von Karoline, mal an der von Liv wieder, um beide Frauen ein Stück ihres Lebens zu begleiten und dabei ihre Gedanken, Gefühle und Träume kennenzulernen. Die Handlung wird aus zwei verschiedenen Perspektiven, die zur gleichen Zeit stattfinden erzählt, zum einen erfährt man etwas über Karolines Leben in Deutschland, die andere Sicht zeichnet den Alltag von Liv in Norwegen auf. Der Spannungsbogen ist zu Beginn noch recht niedrig, steigert sich aber schon bald immer mehr in die Höhe, je weiter die Geschichte voranschreitet. Die Landschaftsbeschreibungen sind bildgewaltig und detailliert, das raue Norwegen entsteht ebenso vor dem inneren Auge wie Schloss Katzbach in Deutschland oder Idas Heimat Breslau. Die Autorin hat den geschichtlichen und gesellschaftlichen Hintergrund sehr gut recherchiert und lässt den Leser an der politischen Situation zwischen Norwegen und Schweden teilhaben, die sich während der Handlung zuspitzt. Gleichzeitig bekommt der Leser viele Informationen die Frauenbewegung, die sich für die Gründung und Betreibung von Schulen für Bedürftige einsetzen und auch für das Wahlrecht für Frauen kämpfen.
Die Charaktere sind sehr unterschiedlich angelegt, besitzen aber alle wunderbar ausgearbeitete individuelle Eigenschaften, die sie sehr lebendig und realitätsnah wirken lassen. Karoline ist eine sympathische Frau mit dem Herz am rechten Fleck, allerdings ist sie in ihrer Ehe einsam und träumt sich deshalb mit Groschenromanen in eine fremde Welt. Sie kann sich ihrer Schwiegermutter nicht wiedersetzen und lässt sich beleidigen und schikanieren. Es fehlt ihr an Durchsetzungskraft und Mut, dies zu erlangen. Doch Karoline weiß um ihre Unzulänglichkeiten und macht sich daran, diese endlich abzustellen. Dabei ist ihre Freundin Ida eine gute Unterstützung. Ida ist nicht auf den Mund gefallen und muntert nicht nur auf, sondern sagt ihrer Freundin durch die Blume auch die Wahrheit ins Gesicht. Sie gibt ihr den nötigen Schubs in die richtige Richtung, aber gehen muss Karoline den Weg allein. Frau Bethge ist eine resolute alleinstehende Frau, die Karoline schnell eine gute Freundin wird und ihr bei ihrer Entwicklung ebenfalls zur Seite steht. Karolines Wandlung innerhalb der Geschichte ist sehr schön gelungen. Liv ist eine junge Frau, die schon im Elternhaus kaum Liebe erfahren hat und mehr als Arbeitskraft oder Geldesel angesehen wurde. Sie hat ein gutes Herz, ist fleißig und nimmt sich schwächeren Kreaturen an, um diese zu unterstützen. Sie hat Träume und hofft auf ein wenig Liebe, sie ist intelligent, wenn es ihr auch nicht bewusst ist, doch sie wächst ebenfalls im Verlauf der Handlung aus sich heraus und geht Risiken ein, die sie sich vermutlich selbst nie zugetraut hätte, um geliebte Menschen zu schützen. Elias ist ein lieber Junge, der nicht verstehen kann, warum seine Eltern ihn nicht lieben, sondern ihn immer nur als lästiges Anhängsel betrachten. Bjarne ist ein sympathischer Mann, der sich den Konventionen nicht beugt, sich ihnen sogar in den Weg stellt. Auch die weiteren Protagonisten ergänzen mit ihrem Auftreten die Geschichte und machen sie wunderbar rund.
„Das Lied des Nordwinds“ ist ein unterhaltsamer und wunderbarer historischer Roman, der von der ersten Seite an zu fesseln weiß und sich als Pageturner entpuppt. Ein tolles Buch für alle, die sich gern in fremde Ländern entführen lassen und nicht genug von Familiengeheimnissen bekommen können. Absolute Leseempfehlung!!!