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Veröffentlicht am 24.03.2022

Das Versteckspiel hat ein Ende

Violas Versteck (Tom-Babylon-Serie 4)
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Schon seit Jahren ist der Berliner LKA-Ermittler Tom Babylon auf der Suche nach seiner jüngeren Schwester Viola. Ein Foto seiner Schwester als erwachsene Frau, das Tom im Keller seines Vaters findet, beweist ...

Schon seit Jahren ist der Berliner LKA-Ermittler Tom Babylon auf der Suche nach seiner jüngeren Schwester Viola. Ein Foto seiner Schwester als erwachsene Frau, das Tom im Keller seines Vaters findet, beweist ihm, dass sie nicht tot ist und stachelt ihn bei seiner Suche nach ihr nur noch mehr an. Dann stirbt sein Vater bei einem Überfall in der Berliner U-Bahn, und Tom erwacht als Patient in einem Londoner Krankenhaus ohne jegliche Erinnerung…
Marc Raabe hat mit „Violas Versteck“ den 4. und finalen Band um seinen Ermittler Tom Babylon vorgelegt, der seinen Vorgängern in punkto Hochspannung und Unterhaltungswert in nichts nachsteht. Der flüssige, bildhafte und tempogeladene Erzählstil bringt den Leser schnell an Toms Seite, wo er nicht nur Zeuge seiner Gedanken- und Gefühlswelt wird, sondern ihn auch bei seinen Ermittlungen unterstützen darf. Toms Nachforschungen in Bezug auf seine Schwester begleiten den Leser schon seit Band 1 wie ein roter Faden als Hintergrundgeschichte, doch diesmal wird es so richtig persönlich, denn Toms Erzfeind und Mentor Walter Bruckmann ist zwar in der Psychiatrie eingesperrt, zieht von dort aber noch so manche Strippe, um den Menschen das Leben zur Hölle zu machen. Durch ständig wechselnde Zeitsprünge, aber auch durch Perspektivwechsel treibt der Autor die Spannung immer mehr auf die Spitze, so dass der Leser regelrecht an den Seiten klebt und konzentriert jeder möglichen Spur nachgeht, wobei auch einige Fallstricke mit dabei sind. Tom unter Amnesie leiden zu lassen, ist ein brillanter Schachzug, denn dadurch wird die Geschichte noch packender und jagt den Puls des Lesers bei der Lektüre in ungeahnte Höhen. Dem Leser bleibt nichts anderes übrig, als alle Puzzleteilen nach und nach zusammenzusetzen, um endlich ein Bild über den gesamten Umfang der Geschichte zu erfassen. Tom Babylon hat mit Psychologin Sita Johanns wieder alle Hände voll zu tun, die losen Fäden miteinander zu verknüpfen.
Die Charaktere sind lebendig und glaubwürdig in Szene gesetzt, mit ihren authentischen Eigenschaften können sie den Leser schnell überzeugen, der sich nur zu gern an ihre Fersen heftet. Tom Babylon markiert zwar nach außen den Starken und Unnahbaren, doch innerlich leidet er wie ein Hund, denn die Suche nach seiner Schwester hat ihn über die Jahre zermürbt. Mit dem Tod seines Vaters ereilt ihn ein weiterer Schicksalsschlag, der ihn aber nur umso mehr anstachelt, die Geschichte aufzuklären und endlich zur Ruhe zu kommen. Sita Johanns ist mittlerweile Toms engste Vertraute, die beiden ergänzen sich wunderbar in ihrem Job. Aber auch andere Protagonisten wie die Londoner Ärztin Jillian bringen einiges an Spannung in die Geschichte.
„Violas Versteck“ ist von Anfang bis Ende ein sehr unterhaltsamer Psychothriller, der vom ersten Moment an zu fesseln weiß. Eine gut konzipierte Story sowie eindrucksvolle Charaktere lassen die Lektüre zu einem echten Erlebnis werden, die zudem noch des Lesers Kopfkino entfacht. Absolute Leseempfehlung für alle, die atemlose Spannung lieben!

Veröffentlicht am 20.03.2022

In einem Tropfen Wasser befinden sich alle Geheimnisse der Ozeane. (Kahlil Gibran)

Gestrandet in Cornwall
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1813 Cornwall. Als Waise hat Laura Callaway Aufnahme in der Familie ihres Onkels Matthew gefunden und lebt mit ihnen zusammen in einem kleinen Fischerort an Cornwalls Küste, wo neben Schmuggel und Strandgut ...

1813 Cornwall. Als Waise hat Laura Callaway Aufnahme in der Familie ihres Onkels Matthew gefunden und lebt mit ihnen zusammen in einem kleinen Fischerort an Cornwalls Küste, wo neben Schmuggel und Strandgut sammeln der tägliche Fischfang das Leben der Menschen bestimmt. Bisher hat sich Laura noch nicht richtig eingelebt und flüchtet sich immer wieder an den Strand, wo sie Treibgut einsammelt, dessen Verkauf zum Unterhalt der Familie beitragen soll. Als eines Tages ein Schiff vor der Küste kentert, rettet Laura einen Verletzten und nimmt sich seiner Pflege an. Schon bald entspinnt sich zwischen Laura und dem geheimnisvollen Fremden namens Alexander eine vertraute Nähe, doch vieles, was Alexander ihr berichtet, stimmt nicht mit den Dingen überein, die Laura auffindet. Wird Laura das Geheimnis um Alexander lüften können?
Julie Klassen hat mit „Gestrandet in Cornwall“ einen unterhaltsamen historischen Roman vorgelegt, der den Leser ins 19. Jahrhundert zurückversetzt, um dort das Küstenleben Cornwalls zu erkunden und vor allem in die Geschichte von Alexander und Laura einzutauchen. Der flüssige, bildhafte und gefühlvolle Erzählstil lädt den Leser zur Zeitreise ein, um Laura nicht nur auf Schritt und Tritt folgen zu können, sondern auch ihre Gedanken- und Gefühlswelt kennenzulernen. Laura fühlt sich bei der Familie ihres Onkels zwar geduldet, aber nicht wirklich zugehörig, deshalb flüchtet sie sich in das Sammeln von Strandgut, um dann die eigentlichen Besitzer ausfindig zu machen, was ihr ein wenig Ablenkung von der familiären Situation beschert. Ihr größtes Fundstück ist allerdings der verletzte Alexander, der ihr immer mehr Rätsel aufgibt. Mit farbenfrohen Worten beschreibt Klassen die Landschaft Cornwalls sowie die dort lebenden Bewohner, die in Küstennähe vorbeiziehenden Schiffe sowie das angespülte Treibgut, dass die Menschen sammeln und für ihren Lebensunterhalt verkaufen, so dass der Leser dies alles gut vor dem inneren Auge sehen kann. Während die Autorin die politischen und gesellschaftlichen Verbindungen zwischen Cornwall und Frankreich aufzeigt, liefert sie dem Leser so allerhand historisches Hintergrundwissen direkt mit. Dabei erfährt dieser auch allerlei über die damals gängigen Bräuche und Traditionen der damaligen Zeit. Der christliche Aspekt spielt in dieser Geschichte ebenfalls eine Rolle, denn es geht um Zweifel und Verlustängste, um Schuld und Vergebung, vor allem aber um Gottvertrauen, dass einen durch dunkle Zeiten bringt.
Die Charaktere sind lebhaft in Szene gesetzt und können mit glaubwürdigen menschlichen Eigenschaften überzeugen. Der Leser heftet sich gern an ihre Fersen, um mit ihnen gemeinsam ein Abenteuer zu erleben. Laura musste in ihrem jungen Leben schon einiges durchleben, ihre Unsicherheit und Zweifel merkt man ihr an. Sie ist hilfsbereit und mitfühlend, dabei hartnäckig und ehrlich. Alexander Lucas ist ein Ehrenmann, doch umgibt ihn ein Geheimnis, das gelüftet werden will. Lauras Onkel Matthew ist ein liebenswürdiger, freundlicher Mann mit Herzensgüte, was auch auf Jago und Tante Susan zutrifft. Aber auch Eseld, Mrs. Chegwin und einige andere Protagonisten haben wichtige Rollen in dieser Geschichte inne.
Mit „Gestrandet in Cornwall“ hat Julie Klassen diesmal einen historischen Abenteuerroman vorgelegt, der auch eine Liebesgeschichte beinhaltet. Der gut recherchierte geschichtliche Hintergrund und die zwischenmenschlichen Beziehungen wurden spannend miteinander zu einer fesselnden Geschichte gestrickt und bieten historisch interessierten Lesern eine kurzweilige Unterhaltung. Verdiente Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 20.03.2022

Das Glück kann man im Kleinen finden

Die Engel von Berlin
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1931. Die Engländerin Martha liebt es, zu fotografieren. So kommt ihr das Angebot gerade recht, als Leiterin einer Pfadfindergruppe in Berlin einzuspringen, vor allem, da die dortige politische Lage Martha ...

1931. Die Engländerin Martha liebt es, zu fotografieren. So kommt ihr das Angebot gerade recht, als Leiterin einer Pfadfindergruppe in Berlin einzuspringen, vor allem, da die dortige politische Lage Martha neugierig macht. Die Nazis übernehmen immer mehr Macht und verändern mit ihren kruden Vorgaben das Leben der Deutschen. Voller Tatendrang macht sie sich von London auf den Weg nach Berlin, wo sie die deutsche Hausfrau Annegret kennenlernt, mit der sie die Kindergruppe im Grunewald betreuen soll. Die beiden Frauen verstehen sich auf Anhieb und schon bald verbindet sie ein Band der Freundschaft, wie es fester nicht sein kann. Während Martha ihren unabhängigen Lebensstil frönt, ist Annegret verheiratet und kann nicht glauben, dass ihr Ehemann sich den Nazis angeschlossen hat. Sie wohnen in einem Haus, wo auch einige jüdische Familien leben, deren Situation sich aufgrund der politischen Lage von Tag zu Tag verschlechtert. Nach dem Pfadfinderlager kehrt Martha nach London zurück, doch sie und Annegret halten weiterhin Kontakt. Als der Krieg ausbricht, ist Annegret mittendrin. Sie unterstützt ihre jüdischen Nachbarn, kümmert sich um deren Kinder und schafft einige von ihnen mit Marthas Hilfe sogar per Kindertransport nach England. Doch dann reißt die Verbindung zwischen Martha und Annegret ab…
Hanna Lucas alias Anja Saskia Beyer hat mit “Die Engel von Berlin“ einen sehr unterhaltsamen historischen Roman vorgelegt, der den Leser zurück in die dunkelste Zeit deutscher Geschichte katapultiert, um dort hautnah am Schicksal von Annegret und Martha teilzuhaben, aber auch mitzuerleben, wie grausam das Nazi-Regime damals gewütet hat. Der flüssige, bildgewaltige und gefühlvolle Erzählstil lässt den Leser in der Zeit zurückreisen, um abwechselnd an Annegrets und Marthas Seite zu stehen sowie ihre Gedanken- und Gefühlswelt kennenzulernen. Obwohl Martha und Annegret vom Charakter her völlig unterschiedlich sind, ergänzen sie sich auf wunderbare Weise. Beide müssen durch so manches tief, wobei vor allem Annegret aufgrund ihrer Hilfsbereitschaft so einiges erleiden muss. Die Autorin hat ihre Geschichte, die sich über den Zeitraum von 1931 bis 1945 erstreckt, plastisch mit dem nötigen recherchierten historischen Hintergrund versehen, so dass der Leser während der Lektüre nicht nur die Misshandlung der Juden durch die Nazis miterlebt, sondern auch die Demonstration von Frauen in der Rosenstraße, die Kindertransporte nach England oder die Deportation in ein Arbeitslager. Annegret muss die Hölle hautnah erleben, aber auch Martha bleibt in London nicht verschont, verliert durch die Bombenangriffe sogar ihren Vater. Bei all dem Grauen ist nicht nur die enge Freundschaft der beiden ein Lichtblick, sondern auch ihre Liebe zu dem jüdischen Mädchen Fanny, das erst im Pfadfinderlager in ihrer Obhut war und später ihr beider Leben bereichern sollte. Die Haupthandlung wurde von der Autorin in einen gegenwärtigen Rahmen eingepasst, den es aber nicht gebraucht hätte, da er zur Geschichte nichts beiträgt.
Die Charaktere sind liebevoll ausgestaltet und inszeniert, glaubwürdige menschliche Eigenschaften lassen sie dem Leser sofort ans Herz wachsen, der sie gern auf ihrem Weg begleitet. Annegret ist eine herzensgute Frau, die zu Beginn noch unsicher wird, doch während der Geschichte immer mehr über sich hinauswächst. Sie ist hilfsbereit, uneigennützig und tatkräftig. Martha ist quirlig, impulsiv, offen und selbstsicher. Hans ist ein sympathischer, ehrlicher Kerl, der an den Folgen des Krieges fast zerbricht. Friedrich hat seine guten Seiten, schließt sich aber den Nazis an und wirkt oft wie ein Hasenfuß. Auch die übrigen Protagonisten wie die Mandels oder Marthas Schwester Joan nehmen wichtige Rollen in dieser durchweg spannenden und berührenden Geschichte ein.
“Die Engel von Berlin“ ist eine wunderbare Geschichte über Mut, Hoffnung und Vertrauen. Der Mix aus Familiengeschichte, Freundschaft, Liebe, aber auch Krieg und Tod ist durchweg fesselnd und lässt den Leser durch eine Achterbahn der Gefühle sausen, während er an den Seiten klebt. Absolute Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 13.03.2022

Laß dich nicht davon abbringen, was du unbedingt tun willst. (Ella Fitzgerald)

Der Salon. Wunder einer neuen Zeit
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1956. Das kleine Dörfchen Hebertshausen in der Nähe von München ist das Zuhause von Leni Landmann und ihrer Mutter Käthe, die dort einen Friseursalon führt. Leni hat inzwischen ihre Lehre erfolgreich abgeschlossen ...

1956. Das kleine Dörfchen Hebertshausen in der Nähe von München ist das Zuhause von Leni Landmann und ihrer Mutter Käthe, die dort einen Friseursalon führt. Leni hat inzwischen ihre Lehre erfolgreich abgeschlossen und unterstützt ihre Mutter dabei, ihre Kundinnen zufrieden zu stellen und gleichzeitig Geld für das Studium ihres Bruders zu verdienen. Als Leni in der Zeitung ein Stellengesuch des Münchner Friseursalons Keller sieht, kann sie nicht widerstehen und bewirbt sich, denn sie hat schon immer davon geträumt. Lenis älterer Bruder Hans studiert in München Medizin, weil sein verstorbener Vater sich das so gewünscht hat. Hans würde aber viel lieber sein Geld mit Musik verdienen. Als Trompeter einer Band bringt er nachts so manchen Münchner Jazzclub zum Kochen, wobei er vor allem unter den amerikanischen Besatzern große Fans hat. Am Tag des Vorstellungsgesprächs im Münchner Friseursalon lernt Leni dort Hans‘ Freunde Karl, Schorsch und Frieda kennen, die sie sofort in ihre Gemeinschaft aufnehmen. Ihr Schicksal ist bald eng miteinander verknüpft…
Julia Fischer hat mit „Der Salon“ einen sehr unterhaltsamen Roman vorgelegt, der nicht nur mit historischen Details zu glänzen weiß, sondern auch mit einer vielschichtigen und tiefgründigen Geschichte aufwartet, die den Leser sofort in seinen Bann zieht. Der flüssige, farbenfrohe und gefühlvolle Erzählstil lädt den Leser zu einer Zeitreise in die späten 50er Jahre des vergangenen Jahrhunderts ein, wo er Marlene „Leni“ Landmann kennenlernt und sich sofort an ihre Fersen heftet, um ihr bei allem über die Schulter zu schauen. Die Autorin hat die damalige Zeit wunderbar eingefangen, was sich nicht nur in den bildhaften Beschreibungen von kleinen Dorffriseur oder dem elitären Münchner Salon Keller niederschlägt, sondern auch in Bezug auf die Friseurausbildung, den Traditionen einer Studentenverbindung oder das Leben der Medizinstudenten. Durch die vielseitigen Einblicke ist die Handlung durchweg spannend und abwechslungsreich, so dass der Leser durchweg das Gefühl hat, ein Teil der Gruppe um Leni zu sein. Vor allem aber die zwischenmenschlichen Beziehungen der Charaktere sind der Autorin wunderbar gelungen, die noch von den damaligen gesellschaftlichen Normen geprägt sind und die Zeit nach dem Krieg wiederspiegeln. Da wartet Käthe noch immer jeden Tag am Gartenzaun auf ihren Ehemann, der nie mehr heimkehren wird und arbeitet gemeinsam mit Leni für das Studium ihres Sohnes. Gleichzeitig erlebt man mit Hans, dass Kinder die Wünsche ihrer Eltern respektieren und erfüllen wollen, selbst wenn ihre eigene Lebensplanung eine ganz andere ist. Empathisch zeichnet Fischer ein sehr genaues Bild durch alle Gesellschaftsschichten, bringt deren Träume und Wünsche ans Tageslicht.
Die Charaktere sind liebevoll inszeniert, überzeugen mit menschlichen Ecken und Kanten und nehmen den Leser von der ersten Seite an in ihre Mitte, der mit ihnen leidet, hofft, fiebert und bangt. Leni ist eine aufgeweckte und lebensfrohe junge Frau, die mit viel Mut und Fleiß ihre Träume zum Leben erweckt. Sie ist innovativ, hilfsbereit, stark und wird im Verlauf immer selbstsicherer. Hans ist ein sensibler Mann, der seine eigenen Wünsche hintenan stellt, was ihn fast das Glück kostet. Schorsch ist zurückhaltend und feinfühlig, während Frieda burschikos und offen auftritt. Karl ist ein großmäuliger Herzensbrecher, Charlotte eine geschundene Ehefrau, die kämpft. Aber auch Kurt, Frederic und viele andere Protagonisten tragen ihren Teil zu einer rundum gelungenen Handlung bei.
„Der Salon“ ist von Anfang bis Ende ein Genuss der besonderen Art. Eingetaucht in die farbenfrohen 50er Jahre erlebt der Leser nicht nur Familiengeschichte, Historie und Liebesleid, sondern auch Hoffnungen und Träume der damaligen jungen Leute. Untermalt wird das Ganze mit einem unvergesslichen Soundtrack. Ella Fitzgerald auflegen und einfach lesen! Absolute Empfehlung!!!

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Veröffentlicht am 13.03.2022

"Nach dem Sieg verdienst du ihn, nach der Niederlage brauchst du ihn." (Napoleon Bonaparte)

Kaiserstuhl
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1962. Der Elsässer Paul Duringer soll für den französischen Sicherheitsdienst eine besondere Flasche Champagner aus dem Jahr 1937 beschaffen, die von den Nazis im Jahr 1944 gestohlen und in den Berchtesgadener ...

1962. Der Elsässer Paul Duringer soll für den französischen Sicherheitsdienst eine besondere Flasche Champagner aus dem Jahr 1937 beschaffen, die von den Nazis im Jahr 1944 gestohlen und in den Berchtesgadener Führungsbunker gebracht wurde. Diese Flasche soll beim Zusammentreffen zwischen dem französischen Präsidenten Charles de Gaulle und dem deutschen Kanzler Konrad Adenauer als Zeichen der Völkerverständigung und des Friedens übergeben werden. Die 40-jährige Freiburgerin Henny Köpfer ist Kriegswitwe und betreibt einen gutgehenden Weinhandel, zudem ist sie im Besitz dieser begehrten Champagnerflasche. Henny und Paul waren kurz nach dem Krieg ein Liebespaar, das am Kaiserstuhl zusammengelebt und sich des Kriegswiesenkindes Kaspar angenommen haben, sogar heiraten wollten. Doch dazu sollte es nicht kommen, die Wege der beiden trennten sich. Bei der Suche nach der Champagnerflasche steht Paul nach Jahren plötzlich wieder Henny gegenüber, sie haben noch eine persönliche Rechnung miteinander offen…
Brigitte Glaser hat mit „Kaiserstuhl“ einen unterhaltsamen historischen Roman vorgelegt, der nicht nur mit einer abwechslungsreichen Handlung, sondern auch mit einem akribisch recherchierten Hintergrund zu überzeugen weiß. Der flüssige und bildhafte Erzählstil lässt den Leser eine Zeitreise in die frühen 60er Jahre antreten, um die Begehrlichkeiten rund um eine Flasche Vossinger 1937er Jahrgangschampagner mitzuerleben. Besonders interessant gestaltet die Autorin die Besonderheit dieser Flasche und weshalb sie ausgerechnet eine Rolle bei der Unterzeichnung des Vertrages über die deutsch-französische Freundschaft spielen soll. Ebenso liegt das Augenmerk auf einer vergangenen deutsch-französischen Liebesgeschichte kurz nach dem Krieg, deren Wunden bei den beiden ehemals Verliebten noch nicht verheilt sind und endlich einer Klärung bedürfen. Henny und Paul, einst ein eng verbundenes Paar, stehen sich nun wie Fremde gegenüber. Er begehrt etwas, das sie besitzt und doch nicht hergeben will. Und auch die alten Ressentiments stehen zwischen ihnen. Während die Politik im Hintergrund nur eine Statistenrolle innehat, geht es vor allem um die Vergangenheit von Paul und Henny, zu der auch Ziehsohn Kasper gehört. Zusätzlich webt die Autorin mit anderen Champagnerjägern Extraspannung in die Handlung, so dass der Leser regelrecht an den Seiten klebt, um nur keinen Moment der Geschichte zu verpassen. Die farbenfrohen Beschreibungen bescheren zudem ein wunderbares Kopfkino, der Leser hat das Gefühl, leibhaftig bei allem dabei zu sein.
Die Charaktere sind gut ausgestaltet und gekonnt in Szene gesetzt. Sie besitzen authentische menschliche Züge, mit denen sie den Leser überzeugen können, der sich gern an ihre Fersen heftet, um ihr Schicksal mitzuverfolgen. Henny ist eine starke und mutige Frau, die in ihrem Leben genug erlebt hat. Sie wirkt kraftvoll, selbstsicher und lässt sich nicht die Butter vom Brot nehmen. Paul ist ein Mann mit Gewissen, der sich seiner Schwächen und seiner Schuld voll bewusst ist. Aber auch die anderen Protagonisten wie Kasper spielen wichtige Rollen in dieser vielschichtigen und tiefgründigen Geschichte.
„Kaiserstuhl“ ist ein gelungener Mix aus gesellschaftlicher und politischer Historie, Liebesgeschichte sowie einer schon fast kriminalistischen Suche nach einer geschichtsträchtigen Flasche Champagner, die das Leben von so manchem gehörig durcheinanderrüttelt. Verdiente Leseempfehlung für alle, die anspruchsvolle historische Romane lieben!