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Veröffentlicht am 02.12.2023

Beeindruckender komplexer Roman!

Die sieben Monde des Maali Almeida
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Shehan Karunatilaka hat einen Roman geschrieben, der sehr intensiv, komplex ist und ein rasantes Abenteuer verspricht.
Maali, ein Kriegsfotograf, findet sich Anfang der 1990ger Jahre in Colombo im Zwischenreich ...

Shehan Karunatilaka hat einen Roman geschrieben, der sehr intensiv, komplex ist und ein rasantes Abenteuer verspricht.
Maali, ein Kriegsfotograf, findet sich Anfang der 1990ger Jahre in Colombo im Zwischenreich wieder, offensichtlich gestorben, ermordet. Er hat 7 Monde, d.h. Sieben Tage Zeit seinen Tod aufzuklären. Ebenso will er seine bedeutsame und versteckten Fotografien der lebenden Welt zeigen, um die Gräueltaten und die Mittäter vor aller Welt aufzudecken. Doch wie bewerkstelligen? Hierfür wird er alles aufs Spiel setzen. Maali ist ein Fotograf und auch ein Kartenspieler, auch ein heimlicher Homosexueller. Jetzt im Zwischenreich muss er sich erinnern, wer ihn ermordet hat.

Die Geschichte wechselt vom Zwischenreich zur Realität, Maalis persönlichen und im Kontext der politischen und religiösen seines Heimatlandes. In Rückblicken bekommt man Einblicke über die damalige komplexe politische Situation, der Gesellschaft, der Religion und dem Leben Maalis. Er ist ein Kriegsfotograf bzw ein Fixer, jemand, der Reporter und Journalisten aus aller Welt in einheimische Kriegsschauplätze führt, übersetzt und verbindende Gespräche mit dem Militär in die Wege leitet. Währenddessen schießt er Fotos, die hochbrisant sind, verkauft sie an Organisationen oder versteckt die brisanten.

Sri Lanka: Für mich eine fremde noch unbekannte Kultur und Gesellschaft. Kaum wusste ich etwas von dem Bürgerkrieg seit Mitte der 80ger in Sri Lanka, das ich als Ceylon erinnere, als Teelieferant, heutzutage als Urlaubsparadies. Sri Lanka war britisch besetzt und erhielt nach der Unabhängigkeit 1972 den jetzigen Namen („ehrenwerte Insel“). Man wird mit diesem Buch regelrecht, so wie Maali, in etwas hineingeworfen, das vorerst verwirrend ist und zu entdecken gilt, wie Politiker, Organisationen, Religionen, Bezeichnungen für Geister, damalige Gesellschaft mit deren Regeln und Moralvorstellungen. Die Bedeutungen muss man sich geduldig erschließen ebenso die Frage, wer die Guten sind und wer nicht. Hinten im Buch findet sich zur Erklärung ein Glossar für Namen und Abkürzungen und ein Stadtplanausschnitt von Colombo.

Der Einstieg ist dadurch nicht einfach. Eine neue fremde Welt eröffnet sich dem Leser.
Die Aufmerksamkeit wird voll gefordert, erschwerend kommt hinzu, dass Protagonist Maali Erinnerungslücken hat. Trotz meiner anfänglichen Leseschwierigkeiten wurde ich aber belohnt mit einer Erzählung, die von Seite zu Seite interessanter und spannender wird und rasant voranschreitet. Viele historische Informationen runden den Roman ab.

Das Buch bringt Spaß und macht nachdenklich. Den Abstand zu den damaligen Gräueltaten – die Sri Lankische Regierung soll sich hierfür nicht entschuldigt haben - und auch deren Deutlichmachung bekommt man durch den Blick von oben aus dem Zwischenreich. Hier findet der große Teil des Romans statt. Die 544 Seiten erzeugen eine vielschichtige Lektüre, von der man belohnt wird; anschaulich, informativ mit Humor und Menschlichkeit in Szene gesetzt! Shehan Karunatilaka hat diese ganze Komplexität mit großer Intensität bewältigt. Zwei Jahre lang hat er seinen Roman überarbeitet und gestrafft, bevor es den westlichen Lesern zugänglich gemacht wurde (wiki). Das Buch ist 2022 mit dem britischen Booker Prize ausgezeichnet.

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Veröffentlicht am 23.11.2023

Hochspannende Zeitgeschichte - ein Highlight!

Der Spion und der Verräter
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Ben Mcintyre erzählt die wahre Geschichte eines russischen Spions, der während des Kalten Krieges nach Großbritannien überläuft: KGB Oberst Oleg Gordijewski.

Oleg Gordijewski aus Moskau liebte klassische ...

Ben Mcintyre erzählt die wahre Geschichte eines russischen Spions, der während des Kalten Krieges nach Großbritannien überläuft: KGB Oberst Oleg Gordijewski.

Oleg Gordijewski aus Moskau liebte klassische Musik und Literatur. Durch seine Versetzung in die Botschaft nach Dänemark schon als ausgebildeter Spion, erlangte er Zugang zu der westlichen Kultur, die er in seiner Heimat so umfangreich nicht vorfand. Ein Ausgangspunkt des Zweifels am totalitären System in Russland.
Mcintyre schildert Jahrzehnte der Spionage bis hin zu Gordijewskis Enttarnung 1985. Das umfangreiche Buch erzählt die Geschichte des Kalten Krieges, schneidet u.a.den Bau der Berliner Mauer 1961 an, den Prager Frühling 1968, die Stationierung von Cruise Missiles Raketen in der BRD 1983 bis hin zur Perestroika.
Diese Zeitgeschichte ist anschaulich gemacht anhand des Protagonisten Gordijewski und den umfangreichen Recherchen zu ihm und dem geschichtlichen Hintergrund dieser Zeitspanne und wird ergänzt durch die eingebundenen Fotografien der Personen.

Den Leser erwartet eine unglaublich spannende Zeitreise. Die Ereignisse werden rückblickend aus Sicht des KGB sowie des britischen Geheimdienstes MI6 und des CIA geschildert.
Man bekommt umfangreiche Einblicke in Spionagetätigkeiten mit Ausdrücken wie: Köder, Hühnerfutter, Signalorte, tote Briefkästen...
Ein informatives Nachwort und eine Aufstellung der Decknamen und Aliasse am Ende des Buches runden diesen rasanten Thriller ab.
Nie langweilig, jede Seite informativ und spannend! Detailgetreue Zeitgeschichte gepaart mit Hochspannung – ein absolutes Lesevergnügen und Empfehlung - Ein Highlight!

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Veröffentlicht am 21.10.2023

Nichts ist, wie es scheint!

Diamantnächte
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Ein schönes Cover und ein ansprechender Titel – doch dies täuscht, nichts ist so, wie es scheint!
Hilde Rod-Larsen schreibt einen Roman über eine jetzt 48-Jährige, Agnete, die auf ihr Leben zurückblickt. ...

Ein schönes Cover und ein ansprechender Titel – doch dies täuscht, nichts ist so, wie es scheint!
Hilde Rod-Larsen schreibt einen Roman über eine jetzt 48-Jährige, Agnete, die auf ihr Leben zurückblickt. Erinnerungsfetzen versuchen ein Ganzes zu ergeben. Gerade mit ihrer Studentenzeit in London werden Schlüsselerlebnisse verbunden, die sie betrachtet. Sie versucht sich, ihren Dämonen zu stellen ohne sie zu bewerten, denn was geschehen ist, ist zu ihrem Leben geworden. Sie betrachtet die letzten Jahrzehnte und deckt nach und nach auf, was ihr widerfahren ist und was sie empfunden hat in ihrem damaligen sozialen Umfeld.
In sensibler Sprache, sehr gekonnt, mit ungewöhnlichen stilistischen Mitteln beschreibt Hilde Rod-Larsen diese Rückblenden in der Ich-Form, dann wechselnd im Sinne der Protagonistin in der 3. Form.
Hilde Rod- Larsen gibt einen wichtigen und berührenden Einblick in die Welt eines Missbrauchsopfers. Sie gibt auch Anregung, sich selbst zu fragen, wo jeder sich etwas vormacht, um sich zu fragen, wie es uns wirklich geht. Es geht um die Wahrnehmung durch die Psyche einer Frau, die gut etabliert in einem Wohlfahrtsstaat lebt. Sie kann sehr gut funktionieren, doch der Schein trügt. Nichts ist so wie es scheint.

Der Roman bietet angenehm kurze Abschnitte – bewusst die Erinnerungsfetzen, wie auch eine missbrauchte Frau sich erinnern könnte. Die eigene Geschichte dann in der 3. Person weiterzuführen brachte Agnete sicher neue Erkenntnisse und Ansichten. Stilistisch interessant und zwingt zur Konzentration. Das verlangt Geduld, empfand ich selbst das Buch als kaum spannend. Wenn ich als Leserin Psychologin wäre, würde ich diese Rückblicke und Geschehnisse sehr anregend empfinden, da das Berührende in der Entschlüsselung liegt. Es mutet an, dass sich Hilde Rod-Larsen stilistisch daran gehalten hat, wie Betroffene berichten: den Gefühlen fern, betrachtend, stückchenweise nur die Erinnerung.
Die Protagonistin ist nicht dazu gedacht, dass man sich mit ihr identifizieren kann.
Der Roman zeigt einen Lebensrückblick und hat mich allerdings, vor allem durch den Schluss, sprachlos zurückgelassen – auch dies vielleicht stilistisch gewollt.

In dem Kontext, dass der Ullstein Verlag jetzt in einem neuen Programmbereich „park x Ullstein“ Bücher veröffentlicht, die „gesellschaftliche Entwicklungen aufgreifen .. und über identifikatorische Themen schreiben“, bekomme ich Verständnis für das Anliegen dieses Romans.

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Veröffentlicht am 15.10.2023

Großartig und hochspannend erzählter deutscher Zeitabschnitt

Wie Sterben geht
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Zur Zeit des Kalten Krieges 1983 wird Nina Winter, Analystin, vom BND rekrutiert. Sie soll einen Spion in Moskau führen. Völlig unvorbereitet erwartet sie in eine harte Schulung zur Agentin bzw. Verbindungsführerin. ...

Zur Zeit des Kalten Krieges 1983 wird Nina Winter, Analystin, vom BND rekrutiert. Sie soll einen Spion in Moskau führen. Völlig unvorbereitet erwartet sie in eine harte Schulung zur Agentin bzw. Verbindungsführerin. Hart und gefährlich erfährt sie jegliche Tücken der Beschattung und Verteidigung. Geheime Briefkästen und lange raffinierte Fluchtwege gehören dazu. Sie wird sich in Moskau bewähren müssen. Dort bekämpft sie einen Todfeind und erfährt eine große Liebe.
Wieder wählt Andreas Pflüger für seine Hauptfigur eine taffe junge Frau, sportlich, intelligent. Großartig recherchiert ist die damalige politische Situation und Stimmung.
Oft habe ich selbst nachgeschlagen. Wie war das doch noch mit Helmut Kohls Schweigen oder dem Spion Guillaume, der Willy Brandt stürzte. Andreas Pflügers Einblicke in die internationalen Geheimdienste sind ungewöhnlich und entführen den Leser in ungeahnte Welten und Wahrheiten. Das allein wäre schon hochspannend. Die taffe Protagonistin Nina, jedem immer einen Schritt voraus, überaus intelligent, entführt in einen Wirbel von Ereignissen, die unglaublich überraschend und mit rasender Geschwindigkeit vonstatten gehen, sodass der Leser, wie Nina selbst, sogar Marathonläuferin, atemlos bleibt. Andreas Pflüger schreibt gekonnt mit ausgeklügeltem Humor, in seiner typischen Manier, die dem Leser volle Konzentration abverlangt. Man wird belohnt! Ich habe das Buch verschlungen. Es ist für mich mein Buch des Jahres, ein absoluter Hit!. Lediglich ein Glossar für die nochmalige Erklärung der üblichen Kürzel der dargestellten Abteilungen der jeweiligen Geheimdienste wäre von Nutzen gewesen. Ansonsten: Top! Ein deutsches Kapitel, das dank Andreas Pflüger noch einmal inszeniert und dadurch nicht vergessen wird. - Großartig!

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Veröffentlicht am 06.09.2023

Kann man vom Leben schreiben?

Eigentum
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Die vorgenommene Aufgabe sich mit einem anderen Leben auseinanderzusetzen, nämlich das der eigenen Mutter, ist Wolf Haas auf ungewöhnliche Weise angegangen.
Der Roman behandelt die letzten drei Tage im ...

Die vorgenommene Aufgabe sich mit einem anderen Leben auseinanderzusetzen, nämlich das der eigenen Mutter, ist Wolf Haas auf ungewöhnliche Weise angegangen.
Der Roman behandelt die letzten drei Tage im Leben der im Sterben liegenden 95 jährigen Mutter. Anfänglich ironisch distanziert doch humorvoll beschrieben aus der Sicht des Sohnes. Dazu die Berichte der Mutter und das Wiederentdecken der Umgebung, dort, wo der Sohn selbst aufgewachsen ist.

Kann man vom Leben schreiben? - ein schwieriges Unterfangen. Dieses 95jährige Leben birgt Umstände und Erfahrungen, die heute kaum noch nachvollziehbar sind, doch mit Staunen begreift man die Situation der vom Krieg und seinen Auswirkungen geprägten Frau. Eine sterbende, eine aussterbende Zeitzeugin! Was heute das eigene Selbstverständnis ausmacht, war nicht immer gegeben. Mit ihrem Leben dem Sohn nicht immer erträglich, so betrachtet er distanziert, ironisch teils unvoreingenommen doch auch genervt und lässt das Leben, das vergeht noch einmal Revue passieren: eine Erinnerung an die Mutter, eine Betrachtung und ein Abschiednehmen.

Aus den Erinnerungen, teils Mutter, teils Protagonist fließen die Gedanken, Erinnerungsfetzen werden ins Bewusstsein geholt, überprüft, angeschaut und weiterverfolgt. Es ergibt sich eine Zeitgeschichte, so kurios und unterhaltsam geprägt von Lebensabschnitten der Sterbenden und den Erinnerungen und Wahrnehmungen des Sohnes.
Mit 12 Jahren musste die Mutter Strümpfe ausbessern der jungen Männer, dort, wo sie arbeitete, das sogenannte Pflichtjahr eines jungen Mädchens (um sie auf die zukünftige Rolle als Hausfrau und Mutter vorzubereiten). Der Sohn stellt sich vor: „Dafür muss ich jetzt ihr Leben nachstricken. Aus einem inneren Zwang heraus. Bis zum Begräbnis bin ich fertig und dann bin ich es los, die Erinnerung und alles.“

Der Sohn betrachtet das Leben seiner Mutter und gibt ihr durch dieses Erzählung nicht nur ein Andenken, er beleuchtet ein Stück Zeitgeschichte, ungewöhnlich verpackt und dargestellt. Kaum noch begreifbar, wie es damals um das Überleben und den Wunsch nach Sicherheit ging, den Umständen von Politik und Wirtschaftslage ausgesetzt, die Geldentwertung mitzuerleben, die Inflation, mit dem Wunsch des Eigentums - Sparen, sparen, sparen. Durch die Wiederholungen der Mutter wird zunehmend deutlich, wie schwierig so ein Verhältnis werden kann, ständig sich einzulassen, ihr zuzuhören, zu reagieren, auch wenn die im Sterben liegende schon nicht mehr geistig in der Gegenwart verankert ist.
Nach ihrem Tod empfand ich die Geschichte zunehmend mühseliger. Dennoch ist die Geschichte sehr berührend, stellt sie ein Verhältnis von Sohn zu Mutter auf ungewöhnliche Weise dar. Stilistisch sehr gelungen und beeindruckend. Der Roman beschreibt lebendig und eindringlich das Leben.

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