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Eight_butterflies

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 04.08.2024

Feinfühlige Erzählung von einer temporären Schicksalsgemeinschaft

Taumeln
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Sina Scherzant erzählt von einer kleinen Gemeinschaft von Menschen. Sie haben sich nach dem Verschwinden von Luisas Schwester Hannah zusammengefunden, um regelmäßig - auch noch zwei Jahr nach dem Verschwinden ...

Sina Scherzant erzählt von einer kleinen Gemeinschaft von Menschen. Sie haben sich nach dem Verschwinden von Luisas Schwester Hannah zusammengefunden, um regelmäßig - auch noch zwei Jahr nach dem Verschwinden der schönen Hannah - im Wald nach dem Verbleib der Vermissten zu suchen. Sie eint die Hoffnung auf ein Zeichen von Hannah, die Sehnsucht nach einer Lösung für die eingezwängte Trauer durch den Verlust und sie unterscheiden sich in ihren Motiven und Lebenslagen.

Die Autorin kann die einzelnen Figuren und deren persönliche Tiefe gut in den Äther der Geschichte bringen. Ganz feinfühlig, behutsam und wie sprachliches Pulver erhält jede handelnde Person eine Bühne, wird jede Zwischenmenschlichkeit authentisch platziert und kann mich beim Lesen jede Schwingung emotional betroffen machen. Das Buch lebt in einer ganz eigenen Geschwindigkeit. Obwohl der Plot keine reißerischen Wendungen hat und die Story plätschert, muss ich immer weiter lesen und bin gefangen in den Sphären dieser Menschen, die jeder auf der Suche nach etwas anderem sind.

Das Buch hat keinen besseren Titel als „Taumeln“. Jeder einzelne dargestellte Charakter taumelt auf seine Weise ebenso wie Luisa und ihre Eltern im Mäander des Lebens. Poetisch, tiefgehend, fesselnd.

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Veröffentlicht am 29.07.2024

Persönlichkeitsstudie einer verunsicherten Mutter

Kleine Monster
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Luca soll in der Schule unsittlich zu einem Mädchen geworden sein. Die Eltern, Pia und Jakob, reagieren unterschiedlich. Während Jakob zuversichtlich und voller Vertrauen in die Situation geht, struggelt ...

Luca soll in der Schule unsittlich zu einem Mädchen geworden sein. Die Eltern, Pia und Jakob, reagieren unterschiedlich. Während Jakob zuversichtlich und voller Vertrauen in die Situation geht, struggelt Pia. Sie versucht auf ihre Weise, die Szene aufzulösen. Und dann beginnt ihre Vergangenheit mit der Gegenwart zu verschwimmen. Ihre Adoptivschwester Romi findet sich in der Geschichte wieder. In Romis Gegenwart war einst deren gemeinsame Schwester Linda ertrunken.

Beim Lesen ergibt sich die Innenwelt einer Mutter, welche hochgradig geprägt ist von ihrer eigenen Kindheit und Ursprungsfamilie. Die Macht des Schweigens in der Vergangenheit lässt Pia bis heute misstrauisch sein, das Verhalten von Luca stets argwöhnisch hinterfragen und in ihrer eigenen Unsicherheit gefangen mäandrieren. Pia lebt nach modernen Erziehungsmethoden wie bspw. einer Tendenz zur unisexuellen Erziehung, bemüht sich den Sohn gefühls- und bedürfnisbetont zu begleiten. Luca reagiert mit Schweigen und zeigt sich zuweilen als kleines Monster, so wie Romi.

Die Geschichte um Pia, ihren Mann Jakob und den Sohn Luca wird zunehmend verwoben mit Rückblicken in die Herkunftsfamilie von Pia, in der über die wichtigen Dinge nicht gesprochen wurde, in der das Wesentliche ungesagt blieb. Die eigenen Eltern arbeiteten viel mit Verboten, welche wiederum auch unausgesprochen blieben. Man tat eben vieles nicht. Pia resümiert über ihre eigene Familie: „Die Strenge, die Regeln sind nichts anderes als der Ausdruck ihrer Liebe zu uns.“ Diese Verzerrungen fressen sich bis ins Heute, in dem Pia auch als Erwachsene differenziert zurück- und ihre Eltern anblickt. „Vielleicht ist nicht alles schwarz oder weiß. Es ist Zeit, in den Schattierungen zu leben.“

Der Roman kommt nah an einen Psychothriller, dessen Aussagen zwischen den Zeilen stehen. Kunstvoll wird eine Spannung aufgebaut, ob und wie Pia mit ihrem Sohn in einen Frieden oder ein großes Drama steuert. Am Ende verweben sich Pias Vergangenheit und ihre Gegenwart in ein schmerzhaft zu lesendes Ende.

Ich habe das Buch in einem Ritt gelesen und würde es immer wieder tun.

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Veröffentlicht am 25.07.2024

Genese einer Kindstötung

Dann schlaf auch du
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Zwei Kinder sterben, so beginnt das Buch. Diese unfassbare Tat wird eindringlich plastisch erzählt. Die bohrende Frage bleibt: Wie konnte das passieren? Das Buch baut diese Story auf.

Geschildert wird ...

Zwei Kinder sterben, so beginnt das Buch. Diese unfassbare Tat wird eindringlich plastisch erzählt. Die bohrende Frage bleibt: Wie konnte das passieren? Das Buch baut diese Story auf.

Geschildert wird eine in Paris lebende Familie mit zwei kleinen Kindern, Adam und Mila. Die Eltern sind schwer beschäftigt, leben für ihre Arbeit und geben ihren wichtigsten Schatz, die Kinder, an eine Nanny, Louise, weiter. Diese scheint besonders perfekt, hält neben der Kinderbetreuung auch den Haushalt in Schuss. Ein Glücksfall für Eltern. Ein Freibrief rund um die Uhr zu arbeiten und nicht genau hinzusehen.

Im Fortgang der Geschichte spielt die Autorin Perspektiven der Vergangenheit, Beteiligter und insbesondere von Louise ein. Ihre Einsamkeit, die heimliche Not in ihrem Privatleben und die verstörende Fixierung darauf, die perfekte Nanny für Adam und Mila zu sein, bewegen.

Der Schreibstil ist flüssig, prägnante Worte und unverblümte Sprache bringen das Geschriebene schnell auf den Punkt, so dass es mitten ins Mark trifft. Beim Lesen will ich das Buch schütteln und mich bewahren vor der geschilderten Entwicklung. Unaufhaltsam steuert die Story auf das Unfassbare zu.

Dieses Buch ist ein Thriller für die Empathie, ein unaufhaltsames Psychogramm und insgesamt eine lesenswerte Lektüre.

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Veröffentlicht am 22.07.2024

Literatur als Therapie

Die schönste Version
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Jella und Yannick, Yannick und Jella. Die große Liebe. Und sie kippt. Jella erfährt Gewalt durch Yannick und fragt sich, wie es weitergehen kann und wie es dazu kommen konnte.

Jella hat nie gelernt, auf ...

Jella und Yannick, Yannick und Jella. Die große Liebe. Und sie kippt. Jella erfährt Gewalt durch Yannick und fragt sich, wie es weitergehen kann und wie es dazu kommen konnte.

Jella hat nie gelernt, auf sich selbst zu achten. Sexualität erlebte sie aus männlicher Sicht, gebar sich als Objekt, um zu gefallen. Ihre Begegnungen mit Jungs und Männern blendeten ihre Bedürfnisse aus, weil sie selbst nie den Anspruch hatte, das Gegenüber könnte auch ihre Bedürfnisse im Blick haben. Erste sexuelle Begegnungen waren schmerzhaft, schienen eher einvernehmlich und beruhten doch nicht auf Gegenseitigkeit. Und Jella fand „Es war ein guter Schmerz.“ Körperlichkeit wurde zum Kalkül, stark sexualisiertes Auftreten und Wahrnehmen waren die Folge. Mit Yannick wurde Sex orgiastischer, extrem vulgär und die innere Verbindung zu diesem Kerl schien ungekannt. Jella benimmt sich hörig, macht sich klein um ihm zu gefallen und gibt sich ihm hin. Geilheit, Trieb, Befriedigung und Liebe landen in einem Topf. Ein neuer Sinn tut sich auf, der dem anderen die Muse zu sein. Daraus erschöpft sich ein Glücksgefühl, das die eigene Würde ausblendet und trotzdem von Verlustängsten geprägt ist. Jellas Bedürfnisse und Emotionen gibt es höchstens im Background und doch brechen sie sich ab und zu Bahn. Yannick straft sie mal mit Achtung und mal mit Nichtachtung, sendet Double Binds und antwortet auch mit körperlichen Übergriffen. Glück und Unglück, Schwarz und Weiß, Liebe und Angst wechseln dann so schnell, dass ein Außenstehender sofort die Toxizität erkennt. Und Yannick sagt „Du bringst die schlechteste Version meiner selbst aus mir hervor, Jella.“

Ich kann den Plot so gut nachvollziehen. Das Buch kann wie eine Therapie sein. Mit versiertem Blick gelingt es der Autorin, die Facetten der Entwicklung der Protagonistin zu Yannicks Jella darzustellen. Sie arbeitet mit zwei Zeitebenen aus Sicht von Jella, zum einen der Gegenwart nachdem Yannick sie gewürgt hat und zum anderen den Rückblicken in ihr Leben, die eine Empathie für die Genese des Problems ermöglichen. Die direkte und unverblümte Sprache der Autorin ist drastisch und mag verstörend wirken, sie ermöglicht jedoch auf diese Weise auch eine Annäherung an das verstörende Phänomen häuslicher Gewalt. Die schriftstellerischen Mittel verstärken die Aussage des Buches.

Insgesamt ist dieses Buch für mich eines, dessen Zeit längst gekommen war. Lesenswert.

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Veröffentlicht am 12.07.2024

Hervorragend erzählte Familiengeschichte mit italienischem Flair

Das erste Licht des Sommers
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Daniela Raimondi erzählt eine Familiengeschichte im italienischen Stellata. Beginnend 1947 bis ins Jahr 2015 werden einzelne Episoden dargestellt, jeweils den Jahreszahlen zugeordnet. Auch wenn ich viel ...

Daniela Raimondi erzählt eine Familiengeschichte im italienischen Stellata. Beginnend 1947 bis ins Jahr 2015 werden einzelne Episoden dargestellt, jeweils den Jahreszahlen zugeordnet. Auch wenn ich viel vom Vorgängerbuch „An den Ufern von Stellata“ gehört habe, habe ich es nicht gelesen und konnte die Story dieses Buches trotzdem voll erfassen.

Die handelnden Personen bewegen sich um die Familie Casadio, im Zentrum die Figur der Norma. Verarbeitet wird die Jugendliebe zu Elia und deren tiefe Wurzeln in alle Zeiten ihres Lebens. Ebenso zentral ist die Beziehung von Norma zu ihrer Tochter, mit allen Stärken, mit allen Fehlern, mit aller ungeschönten Sicht. Es geht auch um Freundschaft, Liebe und Lieblosigkeit, Verlust, aktuelles Zeitgeschehen, Verlegung des Lebens in ein anderes Land und dann doch wieder den Sieg des Bezuges zur Heimat. Was in ein Leben passt, hat auch in dieser Familie Platz. Aufbereitet wird dies in zwei unterschiedlichen Zeitebenen, die chronologisch in der Vergangenheit erzählte Ebene und die finale Ebene der Gegenwart, in der Normas Tochter ihre todkranke Mutter versorgt und mit dem Abstand des Lebens betrachtet.

Das Buch liest sich sehr flüssig. Das Lesen erschwert hat mir der fehlende Überblick über die vielen relevanten Personen. Ich habe irgendwann angefangen, mir etwas dazu aufzuschreiben und zu visualisieren. Vielleicht ist eine passende Graphik etwas für die nächste Ausgabe.

Die szenischen Beschreibungen haben etwas von Ferrante, einfach fesselnd und atmosphärisch. Die Sprache der Autorin, der Stil und der Plot zogen mich ganz schnell in den Strudel des Buches und ich versank bis zur letzten Seite. An einem Wochenende gelesen, magisch.

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