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Veröffentlicht am 05.04.2023

Poetisches Buch mit Mühe

Tochter einer leuchtenden Stadt
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Eine leuchtende Stadt ist dieses Smyrna (heute Izmir), in das uns Defne Suman entführt, ja einsaugt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist Smyrna eine kosmopolitische Stadt, in der viele Ethnien miteinander ...

Eine leuchtende Stadt ist dieses Smyrna (heute Izmir), in das uns Defne Suman entführt, ja einsaugt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist Smyrna eine kosmopolitische Stadt, in der viele Ethnien miteinander leben, Levanten, Türken, Griechen. Aus deren Reihen entspinnen sich Geschichten um Protagonist*innen, die am Ende zusammengeführt werden. Durch die blumige, poetische, seelenvolle Sprache der Autorin wurde ich beim Lesen nach Smyrna gebracht, in Straßen in denen es nach Moschus und Rosen riecht und die orangeglühende Sonne scheint. Und das ist auch die Stärke des Romans. Er ist sprachlich einfach ein wunderbarer Genuss.

Nach einem besonders sphärischen Einstieg, der mich ganz in die Welt des Orients holte, mit seinen Farben, Gerüchen und Ausstrahlungen, war ich hoffnungsvoll auf das Buch. Leider brauchte ich drei Anläufe, um das Buch überhaupt auslesen zu können. Immer wieder wurde ich durch die so eindrucksvolle Sprache animiert, es doch noch einmal zu versuchen. Neben der sprachlichen Expertise hat der Roman leider einige hemmende Tücken. Allen voran steht die Herausforderung, mit sehr vielen handelnden Personen konfrontiert zu sein, die auch durch die ungewohnt fremden Schriftbilder der Namen schwer zu handhaben sind. Auch das Personenverzeichnis am Ende, das ich oft benutzen musste, war bei der Unterscheidung und Konstellation der Personen wenig hilfreich. Ich habe dann begonnen, mir Notizen zu machen, was mir etwas half. Weiterhin werden im Text permanent die Zeitebenen gewechselt ohne dies kenntlich zu machen. Da ist eine Person tot und plötzlich wird wieder mit ihr gehandelt. Beides hat mich beim Lesen so verwirrt, dass ich von der eigentlichen Handlung nur das Wesentliche erfassen konnte. Der historische Kontext war mir auch neu, vieles setzte die Autorin voraus, was mich zwischendrin immer wieder googeln ließ. Alles in allem strengte mich das Lesen dieses Buches sehr an, nervte zeitweise, ließ mich kopfschüttelnd und mehr fragend als antwortend zurück.

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Veröffentlicht am 04.04.2023

Feinfühliger Coming-of-Age-Roman

Mein Sommer mit Anja
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Steffen Schroeder ist als Schauspieler bekannt, aber er beweist mit dem Buch „Mein Sommer mit Anja“ auch sein schriftstellerisches Talent. Drei Teenager, die unterschiedlicher nicht sein könnten, halten ...

Steffen Schroeder ist als Schauspieler bekannt, aber er beweist mit dem Buch „Mein Sommer mit Anja“ auch sein schriftstellerisches Talent. Drei Teenager, die unterschiedlicher nicht sein könnten, halten viel Potenzial für diese Story bereit. Konni, der Protagonist, aus dessen Erzählperspektive die Geschichte geschrieben ist, ist mit Holger befreundet. Holger ist gehandicapt, besonders liebenswert und rettet an so mancher Stelle die Story. Und sie beide treffen auf Anja, ein aus dem Heim geflohenes Mädchen. Erzählt wird der Sommer mit Anja, in dem Konni zwölf Jahre alt ist, mitten in den 80ern.
Steffen Schroeder erzählt ganz besonders feinfühlig und sensibel, wie sich Teenager annähern, welche Besonderheiten die 80er Jahre für das Erwachsenwerden boten. Unverblümte und ungehemmte reale Schilderungen vom damaligen Verständnis der Integration behinderter Menschen bereichern diesen Roman und machen ihn zu einer authentischen Sequenz aus dem Leben der Kinder der 80er Jahre. Der Schreibstil ist flüssig und fesselnd, die Worte glaubhaft.
Ich gebe eine klare Leseempfehlung.

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Veröffentlicht am 04.04.2023

Schwermütige Geschichte zwischen Schein und Sein

Melody
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Martin Suter zieht mich mit diesem Buch in den Bann, so dass ich nicht aufhören konnte zu folgen und zu blättern und zu rätseln und mitzuerleben.

Der Nationalrat Dr. Stotz stellt Tom Elmer als Verwalter ...

Martin Suter zieht mich mit diesem Buch in den Bann, so dass ich nicht aufhören konnte zu folgen und zu blättern und zu rätseln und mitzuerleben.

Der Nationalrat Dr. Stotz stellt Tom Elmer als Verwalter seines Nachlasses ein, denn Stotz‘ Leben neigt sich dem Ende. Bei ihm im Haus wohnend hantiert Tom mit Bergen von Papieren und Kisten, ist beauftragt zu schreddern oder für die Nachwelt zu sortieren. Stotz, dem Alkohol gut zugetan, erzählt Tom redselig eine tragische Liebesgeschichte. Seine Verlobte Melody sei drei Tage vor der Hochzeit verschwunden. Überwunden hat er diese Frau nie, das Haus vom Kult um diese Frau gezeichnet. Tom begibt sich auf die Suche. Es entspinnt sich eine Geschichte zwischen Schein und Sein, zwischen Wahrheit und Fiktion. Stotz’ Nichte Laura fragt „Sind Geschichten nicht immer erfunden? Spielt es eine Rolle, ob sie Wahrheit oder Fiktion sind?“ Tom antwortet „… Für Juristen ist Fiktion der natürliche Feind der Wahrheit.“ - „Bist du sicher?“ - „Nein.“

Die Charaktere wie bspw. der befreundete Schriftsteller Bruno oder die Nichte Laura sind glaubwürdig, authentisch und ungeschönt. Martin Suter zeichnet mit Sprache plastische Bilder, die schwermütige Stimmung in Stotz‘ Villa und das Bedürfnis, in die Szenerie einzutauchen. Situationen vor dem Kamin oder beim Dinner mit Haushälterin und Pflegerin saugen beim Lesen so ein, dass ich das Buch in einem Rutsch gelesen habe. Es wirkt nach, so wie jeder Suter nachwirkt.

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Veröffentlicht am 01.04.2023

Wie Krieg, Politik und Staatsgewalt ein Leben beeinflussen

Morgen und für immer
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„Morgen und für immer“ ist ein entscheidender Ausspruch, der in zwei bedeutsamen Situationen in diesem Buch geäußert wird. Es sind letzten Worte seines Großvaters, die dem Protagonisten Kajan lebensweisend ...

„Morgen und für immer“ ist ein entscheidender Ausspruch, der in zwei bedeutsamen Situationen in diesem Buch geäußert wird. Es sind letzten Worte seines Großvaters, die dem Protagonisten Kajan lebensweisend sein sollen und die er dann am Ende des Buches in Hoffnung auf eine neue Zeit wieder ausspricht. Was dazwischen passiert, ist wendungsreich, aufregend, bewegend, berührend, tragisch, zum Teil kaum zu ertragen und vor allem spannend zu lesen.

Das Buch verarbeitet einen Teil der albanischen Geschichte in Form der autobiographischen Lebensgeschichte von Kajan Dervishi. Dessen Eltern kämpfen im Zweiten Weltkrieg als Partisanen, während Kajan mit seinem Opa in den albanischen Bergen wohnt, wo ein deutscher Deserteur auftaucht. Er kommt bei ihnen unter und bringt Kajan das Klavierspielen bei. Später wird Kajan Pianist und Klavierlehrer in Tirana, wo er seine große Liebe Elisabeta kennenlernt. Eine ereignisreiche Odyssee in die DDR, nach Amerika und von dort zurück nach Albanien werden erzählt als Agententhriller, Leidensbiographie, Familien- und Liebesgeschichte sowie als historischer Roman. Die Grausamkeit des albanischen Regimes - insbesondere durch eine Person ausgelebt - bleiben auch nach dem Lesen im Kopf.

Durch den flüssigen Schreibstil, die plastische und authentische Schilderung der Ereignisse nimmt das Buch von der ersten Seite an mit und fesselt die lesende Person. Die Geschichte geht unter die Haut und bleibt im Kopf. Klare Leseempfehlung.

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Veröffentlicht am 12.03.2023

Von der Tragik des Übersehenwerdens

Unsichtbar
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„Und der Montag bricht an für einen Jungen, der keine Lust hat, in die Schule zu gehen. Er sieht aus dem Fenster und wünscht sich, es würde so viel schneien, dass er nicht hinausgehen kann, es würde so ...

„Und der Montag bricht an für einen Jungen, der keine Lust hat, in die Schule zu gehen. Er sieht aus dem Fenster und wünscht sich, es würde so viel schneien, dass er nicht hinausgehen kann, es würde so heftig regnen, als käme das Meer direkt bis vor die Tür, es wäre so kalt, dass sogar seine Ängste einfrieren… Aber vergeblich. Die Sonne scheint.“ Unaufgeregt, nüchtern und leise erzählt Eloy Moreno die Geschichte eines namenlosen Jungen, die als Gesamtwerk zu schreien scheint. Das Buch bewegt zutiefst und ist mehr als eine Story über Mobbingopfer. Es ist ein tragisches Zeugnis über den Schmerz betroffener Seelen und ein Plädoyer für mehr Courage, Hinsehen und Handeln gegen die Unsichtbarkeit.

Die Handlung des Buches ist zunächst schwierig zu fassen, puzzelt sich dann im Laufe der kurzweiligen Kapitel zusammen. Ein Junge hatte einen Unfall, gelangt in psychologische Behandlung. Dort fällt auf, er ist absolut überzeugt davon, unsichtbar zu sein wie ein Comicheld. Erzählt wird dann das kindliche Erleben in der Schule, offensichtlich vor dem Unfall. Der Junge sagt NEIN zum Abschreiben, wird zunehmend durch Mitschüler gedemütigt, so dass er sich fühlt als hätte er „einen Igel verschluckt“ oder „ein Elefant würde auf der Brust rumtrampeln“. Die Demütigungen sind so schmerzhaft, dass sie unaushaltbar scheinen. Um überleben, ertragen und verstehen zu können, was ihm geschieht, verschmelzen die Realität der Geschehnisse mit der Fantasiewelt der Comichelden und deren Superkräften. Unter Wasser atmen zu können oder Superpower in der Faust zu haben und eben unsichtbar zu sein. Täter sind die Monster, Helfende die Drachen und die Superkräfte. Diese sind so wirksam wie im Comic, während in der Realität nur die Schwester Luna und eine ehemals selbst zum Mobbingopfer gewordene Lehrerin Kraft geben. So wird deutlich, dass Täter nicht nur der Drahtzieher MM ist, sondern auch Duldung, Hinwegsehen, Übersehen eine lange Liste von Mittätern und Mitläufern produziert. Der Junge sammelt solch eine ganze Liste von Personen und Situationen, die er als Beleg nutzt, warum Unsichtbarkeit die einzige Erklärung für seine Erlebenswelt ist.

Das Buch hat einen flüssigen Schreibstil, kurze Kapitel und liest sich in einem Ritt durch. Durch den Wechsel der Erzählperspektive wird die Sicht der Realität und die der Überlebensstrategie Fantasie geschickt schriftstellerisch nebeneinander gestellt. Der kunstvoll neutrale und schnörkellose Stil trägt nicht wenig dazu bei, die verstörenden Schilderungen so in ein tragisches Licht zu stellen, dass mir beim Lesen ein fetter Kloß im Hals sitzt. Ich verstehe plötzlich selbst, dass Unsichtbarkeit erklärt, warum zu Hause „keiner merkt, dass in seinem Körper keine Freude mehr ist, dass in seinem Gesicht nur noch gezwungen gelächelt wird, dass seine Augen fast immer ins Leere blicken.“

Das Buch sollte zur Pflichtlektüre an Schulen werden, weil es den Perspektivwechsel für die Überseher, Wegseher, Hindurchseher ermöglicht. Es kann das Thema Mobbing und die verbreitete Strategie des Übergehens, die zur Unsichtbarkeit führt, thematisieren helfen. Ein verbreitetes Problem, das alle angeht und unbedingt ins Zentrum der Gesellschaft gehört.

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