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Veröffentlicht am 05.05.2019

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Als Grace verschwand
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Kathryn Crofts 362-seitiger Thriller „Als Grace verschwand“ ist im April 2019 bei Rütten & Loening erschienen.
18 Jahre liegt es nun schon zurück, dass Simone Porters sechs Monate alte Tochter Helena entführt ...

Kathryn Crofts 362-seitiger Thriller „Als Grace verschwand“ ist im April 2019 bei Rütten & Loening erschienen.
18 Jahre liegt es nun schon zurück, dass Simone Porters sechs Monate alte Tochter Helena entführt wurde. Nun meldet sich Grace und gibt an, ebendieses Mädchen zu sein. Doch bevor Simone dieser Behauptung nachgehen kann, verschwindet auch Grace. Und eine Suche beginnt, die nicht nur Simone in Gefahr bringt …
Um es vorweg zu sagen: Dieser Roman beinhaltet alles, was ein guter Thriller braucht: einen vielversprechenden Plot, undurchsichtige Charaktere, unerwartete Wendungen und ein überraschendes Ende. Aber leider bleibt er in seiner Ausführung seltsam farblos.
Gleich zu Beginn, beim ersten Treffen mit ihrer vermeintlich verschwundenen Tochter, Helena, reagiert Simone eher emotionslos. Was man anfangs noch darauf zurückführen kann, dass die vom Schicksal gebeutelte Mutter sich distanziert, um nicht erneut von ihren Hoffnungen enttäuscht zu werden, zieht sich durch den gesamten Roman: Es werden zwar Gefühle beschrieben, aber so richtig glaubhaft kommen sie nicht rüber. Auch die Tatsache, dass das Geschehen in der ersten Person und im Präsens geschildert wird, was eigentlich eine Identifikation mit der Protagonistin unterstützen sollte, kann hier keine Abhilfe schaffen. Während des gesamten Lesens gelang es mir nicht, wirklich in die Geschichte einzutauchen.
Plätschert die Handlung in der ersten Hälfte des Buches eher so vor sich hin, ohne dass ein wirklicher Spannungsbogen aufgebaut wird, gestaltet sie sich in der zweiten spannender, indem andere Vermisstenfällt und einige Verdächtige präsentiert werden. Aber auch hier gelingt es der Autorin trotz guter Ansätze nicht, den Funken überspringen zu lassen, denn Leserinnen und Leser bleiben einfach auf Distanz zum Geschehen und zu den Personen, was nicht zuletzt wohl auch auf die eher unspektakuläre sprachliche Gestaltung zurückzuführen ist.
Das Ende birgt dann doch einige Überraschungen in sich, und der Fall – oder sollte man lieber von „den Fällen“ sprechen? – wird logisch nachvollziehbar und wenig vorhersehbar aufgelöst. Doch auch hier, finde ich, wird den Emotionen und dem Spannungsbogen wiederum zu wenig Platz eingeräumt. Das Ende eröffnet dann einen Ausblick auf eine friedliche(re) Zukunft.
Geschickt indes – und modern – sind die beiden Erzählstränge, in denen das Geschehen geschildert wird: Auf der einen Ebene verfolgen wir Leser/innen Simones Suche nach ihrer Tochter und Grace, unterbrochen wird diese immer wieder durch die Bekenntnisse eines der am Verbrechen Beteiligten. Und hier fragt man sich wirklich unentwegt, wessen Gedanken wohl wiedergegeben werden.
Die Zahl der Charaktere ist überschaubar, auch ist man als Leser bei der Entwicklung derselben vor Überraschungen nicht gefeit: Mehrmals entpuppen sich die Figuren nicht als diejenigen, die zu sein sie vorgeben.
Alles in allem handelt es sich bei „Als Grace verschwand“ um einen Thriller, der gute Ansätze in sich birgt, dessen Potenzial aber leider nicht ausgeschöpft werden konnte: Ein Buch, das die Leser/innen eher auf Distanz hält, in seiner Ausführung recht blass erscheint und mich dem entsprechend nicht in seinen Bann ziehen konnte. Die zweieinhalb von fünf Lesesternen, die ich dem Buch gebe, resultieren vor allem aus dem wirklich guten Plot und den Überraschungsmomenten – die Ausführung indes, wie schon mehrmals angegeben, enttäuscht eher.

Veröffentlicht am 28.04.2019

Wenn eine Kommissarin Urlaub macht …

Ostseemorde
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In dem Band „Ostseemorde“ von Eva Almstädt ermittelt Pia Korittki gleich in zwei Fällen. Dieser bei Bastei Lübbe im Februar 2018 erschienene 272 Seiten umfassende Sammelband enthält die beiden kurzen Krimis ...

In dem Band „Ostseemorde“ von Eva Almstädt ermittelt Pia Korittki gleich in zwei Fällen. Dieser bei Bastei Lübbe im Februar 2018 erschienene 272 Seiten umfassende Sammelband enthält die beiden kurzen Krimis „Eisige Wahrheit“ und „Dunkler Abgrund“, die zuvor als E-Books erschienen waren.
In „Eisige Wahrheit“ entdeckt Pia, die gerade mit Freund und Kind an der Ostsee Urlaub macht, beim Schlittenfahren den Leichnam eines jungen Mannes. Von da an ist es mit dem Urlaub natürlich vorbei, denn Pia wird um Mithilfe bei den Ermittlungen gebeten.
In „Dunkler Abgrund“ stößt Pia bei der Hochzeit ihrer Schwester im Mecklenburgischen unverhofft auf den Vermisstenfall eines Mannes, der sie tief in die Vergangenheit der DDR zurückführt.
Beide Krimis lassen sich unabhängig von der Pia Korittki-Reihe lesen, was allerdings, nicht zuletzt wohl auch der Kürze der Krimis geschuldet, gerade die Protagonistin erheblich „blasser“ erscheinen lässt, als es in den anderen Romanen der Reihe der Fall ist.
Trotz ihrer Kürze sind die Krimis logisch aufgebaut, enthalten einen mehr oder weniger durchgängigen Spannungsbogen und führen zu einer nachvollziehbaren Auflösung der Fälle.
Der erste Fall sorgt zudem durch unverhoffte Wendungen und ein wenig voraussehbares Ende für Spannung. Etwas unglaubwürdig erscheint mir allerdings, dass Pia von ihrem Kieler Kollegen inoffiziell um Unterstützung gebeten wird.
Der zweite Fall, der zurück in die DDR führt, enthält eindeutig mehr Potenzial, als Eva Almstädt hier ausschöpft: Zum einen geht es um Geheimnisse, die ein geschleiftes Dorf in sich birgt, zum anderen um die Folgen einer misslungenen Republikflucht. Zwar werden beide Fälle am Ende miteinander verwoben, jedoch fehlt es mir gerade bei der Schilderung des Vergangen einfach an Dramatik. Abgehakt – fertig … das Motto der früher Beteiligten, was sich allerdings im Nachhinein als unwahr herausstellt. Auch der Spannungsbogen innerhalb der aktuellen Ereignisse wird immer wieder durch „familiäre Querelen“ unterbrochen, was bei der Kürze der Erzählung dann doch eher stört als für Neugier zu sorgen. Außerdem kommt Pia in diesem Fall m.E. eher unsympathisch weg, da sie – entgegen ihrer sonstigen Art – von ihren Mitmenschen eine Zuverlässigkeit fordert, die sie selbst nicht erfüllt; ich jedenfalls war von ihrer Art hier enttäuscht.
Sprachlich sind beide Kurzkrimis schnörkellos und leicht zu lesen, sodass man sie, wie man bei der Kürze auch meinen sollte, wirklich in einem Rutsch durchlesen kann.
Alles in allem bietet dieses Buch zwei kurze, solide konstruierte und durchaus unterhaltsame Krimis, die allerdings mit den anderen Romanen Eva Almstädts nicht mithalten können, da es einfach an Nervenkitzel und Tiefgang fehlt. Als leichte Urlaubslektüre und Ergänzung zu den übrigen Teilen der Ostseereihe kann ich dieses Bändchen jedoch durchaus empfehlen.

Veröffentlicht am 26.04.2019

Ein poetisches Buch, das knallhart die Realität widerspiegelt.

Herr der Fliegen
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Bei „Herr der Fliegen“ handelt es sich um den ersten und erfolgreichsten Roman aus der Feder des späteren Literaturnobelpreisträgers William Golding (1911 bis 1993). Der Roman erschien erstmals 1954. Seither ...

Bei „Herr der Fliegen“ handelt es sich um den ersten und erfolgreichsten Roman aus der Feder des späteren Literaturnobelpreisträgers William Golding (1911 bis 1993). Der Roman erschien erstmals 1954. Seither wurde er immer wieder neu übersetzt und aufgelegt und zählt heute zu den Klassikern der Moderne.
Eine Gruppe sechs- bis zwölfjähriger englischer Schuljungen strandet nach einem Flugzeugabsturz auf einer unbewohnten Insel mitten im Pazifik. Was als romantische Robinsonade beginnt, entwickelt bald seine eigene Dynamik. Die Gruppe splittet sich auf. An der Spitze der einen Partei steht Ralph; er versucht, die menschliche Zivilisation aufrechtzuerhalten: Er lässt Hütten bauen, ein Signalfeuer entfachen, organisiert den Alltag und macht sich Gedanken um sein Äußers. Jack indes lässt das Zivilisierte bald hinter sich; er widmet sich allein der Jagd und findet Gefallen daran, sich durch „Kriegsbemalung“ in einen „Wilden“ zu verwandeln. Als die eigentlich dem Überleben dienende Schweinejagd dann ausartet, findet sie ihren Höhepunkt in einem Mord: Die Kinder haben Blut geleckt … und die Katastrophe ist unausweichlich.
Der Roman beginnt durchaus romantisch und ruhig: „Zwischen der Palmenterrasse und dem Uferrand schien sich die sanfte Kurve des Strandes als schmaler Streifen ins Grenzenlose dahinzuziehen …“ Die Kinder gehen daran, sich zu organisieren und so ihr Überleben zu sichern. Doch lässt die Feststellung, dass Intelligenz und Organisationstalent noch lange keine Führungspersönlichkeit machen, Schreckliches ahnen. Und tatsächlich: Die anfangs dahinplätschernde Handlung gewinnt nach und nach immer mehr an Dramatik und gipfelt schließlich in grenzenloser Brutalität: „Stecht das Tier! Macht es rot! Blut fließt rot!“ Dieser Ruf gilt schließlich nicht „nur“ den Tieren, sondern auch Ralph, der als einziger noch ein Stück Zivilisation in sich trägt. Allein der „deus ex machina“ in Form eines Marineoffiziers vermag es schließlich, den endgültigen Untergang der Gruppe abzuwenden.
Mehrere Elemente sorgen für Dramatik und führen Leserinnen und Lesern das ganze Desaster unverblümt vor Augen:
Der Roman spielt vor der Kulisse eines Atomkriegs. Doch kaum sind die Kinder dem Kriegsgeschehen der Erwachsenen entronnen, veranstalten sie ihren eigenen Krieg. Während Kinder im Allgemeinen als Symbol der Unschuld gelten, präsentieren sie sich hier als das Böse in persona. Auf der Insel finden die Kinder einen Garten Eden vor, doch sehr schnell haben sie nichts Besseres zu tun, als diesen möglichst schnell zu zerstören. Goldings Sprache ist durchweg sehr poetisch, was in einem markanten Gegensatz zum Geschehen steht.
Allein der Blick in die Geschichte und in die aktuellen Nachrichten zeigt: Wir alle sind diese Kinder; auch wir neigen immer wieder zur Gewalt, lassen uns von anderen nur allzu gern blenden und werden zu Mitläufern. Im Roman rettet der unverhofft eintreffende Offizier die Kinder vor dem endgültigen Ruin. Doch auf einen Messias werden wir im Hier und Jetzt wohl vergebens warten. Das Einzige, was uns bleibt: das Tier, das Wilde in uns zu zähmen. Und es gar nicht erst zur Katastrophe kommen zu lassen.
Insofern stellt Goldings „Herr der Fliegen“ ein lesenswertes, stets aktuelles Werk dar, das zurecht seinen Platz in der Weltliteratur innehat – und ein Werk, dem man sich nicht nur als Pflichtlektüre in der Schule widmen sollte, sondern das gerade uns im Jahre 2019 als Erwachsene sehr viel zu sagen hat.

Veröffentlicht am 22.04.2019

Das Geheimnis um den Wäschemann

Das Spätzle-Syndikat
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Zum zweiten Mal ermittelt das ungleiche Duo Elsa Dorn und Sven Schäfer in Franz Hafermeyers „Das Spätzle-Syndikat“. Dieser Schwaben- und Augsburgkrimi ist im Januar 2017 bei Bastei Lübbe erschienen und ...

Zum zweiten Mal ermittelt das ungleiche Duo Elsa Dorn und Sven Schäfer in Franz Hafermeyers „Das Spätzle-Syndikat“. Dieser Schwaben- und Augsburgkrimi ist im Januar 2017 bei Bastei Lübbe erschienen und umfasst 400 Seiten.
Elsa und Sven bilden ein ungleiches Duo: sie Kriminalkommissarin und bedacht darauf, sich an die Ermittlungsregeln zu halten, er ein Ex-Polizist und Privatdetektiv, der gerne einmal mit dem Kopf durch die Wand will und auf unkonventionelle Methoden zurückgreift.
Elsa ermittelt in ihrem aktuellen Fall: Der „Wäschemann“ versetzt die Augsburger Damenwelt in Unruhe und bemächtigt sich ihrer schönsten Dessous. Als dann auch noch ein Spitzen-BH als Mordwaffe dient, mischt sich Sven Schäfer ein. Gemeinsam machen sich die beiden auf die Suche nach dem Mörder und stoßen dabei auf Ungeheuerliches …
Obwohl es sich bei diesem Krimi um den zweiten Band einer Reihe handelt und ich den ersten Band nicht kannte, fiel es mir leicht, mich in den Roman hineinzufinden. Franz Hafermeyer gelingt es gekonnt, alle benötigten Informationen in den aktuellen Fall einzuflechten, sodass man als Leser/in von Anfang an das Gefühl hat, die Beteiligten gut zu kennen.
Anfangs hat es ein wenig gebraucht, bis ich von dem Geschehen gefesselt war, die Mordermittlungen an sich sind dann aber von so vielen unvorhersehbaren Wendungen begleitet, dass die Lektüre sich zu einem rasanten Lesevergnügen entwickelt, in dem man vor Überraschungen nicht gefeit ist. Am Ende wird der Fall logisch nachvollziehbar aufgeklärt und das fulminante Finale sorgt noch einmal für Nervenkitzel.
Nicht so viel anfangen konnte ich indes mit dem Ausflug in die Augsburger Swingerwelt, auch der Humor an diesen Stellen hat mir persönlich nicht so gut gefallen, weshalb ich mich stellenweise schon durch den Roman „quälen“ musste.
Wettgemacht wurde dieses jedoch durch die wirklich liebevolle Gestaltung der beiden Protagonist/innen: Gerade Sven Schäfer ist mir durch seine unkonventionelle, teils chaotische Art und seine immer etwas unangebrachten und teils „naiven“ Bemerkungen richtig ans Herz gewachsen. Aber auch Elsa ist aufgrund ihrer privaten und beruflichen Probleme eine Frau, die auf überspitzte Art und Weise dann doch wieder irgendwie „alltäglich“ erscheint und zur Identifikation einlädt; eine Frau, in der sich wohl jede Leserin auch ein Stückchen wiederfinden dürfte.
Wie es sich für einen Regionalkrimi gehört, erhalten Leserinnen und Leser beim Lesen gleichsam eine kostenlose Stadtführung durch die Fuggerstadt; sprachlich hätte mir allerdings noch ein bisschen mehr Lokalkolorit gut gefallen.
Das Cover zeigt einen Spitzen-BH, der auf einem Hirschgeweih über einem Teller Spätzle hängt, und mutet schon humoristisch an, passt also sehr gut zum Buch. Gegen Ende des Romans wird auch der Romantitel klar, wird Spätzle hier doch durchaus doppeldeutig interpretiert.
Insgesamt handelt es sich beim „Spätzle-Syndikat“ um einen humorvollen Krimi, der mich selbst nicht 100%-ig überzeugen konnte, den ich aber Freund/innen „komischer“ Krimis durchaus weiterempfehlen kann, ist Humor doch letztlich immer sehr vom persönlichen Geschmack abhängig. Von mir gibt es dreieinhalb von fünf Punkten.

Veröffentlicht am 21.04.2019

Familiengeheimnisse lauern im Dunkeln

Nordfinsternis
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Ricarda Oertels Küstenkrimi „Nordfinsternis“ ist im April 2019 bei Emons erschienen und umfasst 256 Seiten.
Miriam führt ein auf den ersten Blick perfektes Leben: Sie hat einen guten Job, ein Häuschen ...

Ricarda Oertels Küstenkrimi „Nordfinsternis“ ist im April 2019 bei Emons erschienen und umfasst 256 Seiten.
Miriam führt ein auf den ersten Blick perfektes Leben: Sie hat einen guten Job, ein Häuschen und dazu einen sie liebenden Ehemann. Doch mit der Geburt ihrer Tochter, Pia, beginnen Albträume und Panikattacke ihr Leben zu bestimmen. Als dann auch noch ihre Tante, Edith, stirbt, steht für sie fest: In ihrer Vergangenheit schlummern dunkle Geheimnisse, denen sie sich stellen muss. Also begibt sie sich auf die Suche …
Auch wenn das Buch vom Verlag als „Küstenkrimi“ deklariert ist, handelt es sich bei diesem eher um einen psychologischen Spannungsroman, was seiner Qualität allerdings keinen Abbruch tut.
Der Roman beginnt mit einer düsteren Reise in die Vergangenheit, die bei Leserinnen und Lesern gleich eine Menge Fragen und finstere Vorahnungen aufwirft: Was mag sich in diesem dunklen Kellerloch abgespielt haben? Wessen Erinnerungen begegnet man hier? Mit einem Sprung in die Gegenwart lernt man die Protagonistin und ihre Familie kennen, mit dem Tod der Tante schließlich wird offenbar, dass in den Tiefen dieser Familie bedrückende Geheimnisse lauern. Hier setzt dann auch der Spannungsbogen ein, der bis zum Schluss nicht abreißen will und die Lesenden immer wieder zum Grübeln bringt. Das Geschehen endet schließlich in einem dramatischen Finale, in dem die Familiengeschichte lückenlos aufgeklärt wird.
Der Roman ist fast durchweg im Präsens geschrieben, was die Leser/innen hautnah am Geschehen teilhaben lässt und somit ein ansprechendes Mittel der Dramaturgie darstellt. Die am Ende der meisten Kapitel sich befindenden kursiv gedruckten Passagen sind ebenfalls als Spannungselement zu nennen, fragt man sich doch immer wieder, wer hinter den dort geschilderten Gedanken steckt und welches Geheimnis es zu verbergen gilt. Gerade diese Elemente sind es, die beim Lesen immer wieder dazu zwingen, schon vorgefertigte Meinungen zu hinterfragen und „am Ball zu bleiben“, weil man dem Geheimnis einfach auf die Spur kommen möchte.
Ricarda Oertel zeichnet ihre Charaktere plastisch und vielschichtig. Beständig schwanken die Sympathien beim Lesen hin und her; letztlich stellen die Leser/innen fest: Man muss den Menschen in seiner Ganzheit, mit seiner Geschichte, betrachten, statt sich vom ersten Eindruck blenden zu lassen.
Sprache und Stil der Autorin sind bildhaft, eingängig und flüssig, an einigen Stellen fast schon poetisch zu lesen; durch die Figur von Christa Blotenberg, der Nachbarin, die in einem gut verständlichen norddeutschen Dialekt spricht, kommen auch regionale Aspekte zum Tragen, die ich im Roman ansonsten allerdings vermisst habe, sind sie mir persönlich bei Regionalkrimis doch wichtig.
Ein den Roman durchziehendes Thema ist Tod und Sterben: Insbesondere durch Bezüge zu Astrid Lindgrens Märchen „Sonnenau“ und das Schicksal von Miriams Vater werden Lesende immer wieder dazu angeregt, sich damit auseinanderzusetzen.
Alles in allem präsentiert Ricarda Oertel mit „Nordfinsternis“ einen wirklich fesselnden psychologischen Spannungsroman, der Leserinnen und Leser in seinen Bann zieht, und den ich allen Freund/innen spannungsgeladener Literatur bedenkenlos empfehlen kann. Nur einen Kriminalroman im klassischen Sinne und viel Küstenflair sollte man eben nicht erwarten.