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Veröffentlicht am 28.02.2019

Dieser Fall raubt mir noch den Verstand.

Die finnische Socke
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Bei „Die finnische Socke“ von Marie Anders handelt es sich um den zweiten Band der Krimiserie rund um das Ermittlerteam von Inspektor Quentin Neuner. Dieser Salzburg-Krimi ist im Oktober 2018 im österreichischen ...

Bei „Die finnische Socke“ von Marie Anders handelt es sich um den zweiten Band der Krimiserie rund um das Ermittlerteam von Inspektor Quentin Neuner. Dieser Salzburg-Krimi ist im Oktober 2018 im österreichischen Verlag Federfrei erschienen und umfasst 326 Seiten.
Auch wenn es sich hier um den zweiten Teil handelt, ist es Neueinsteiger/innen in die Reihe problemlos möglich, dem Geschehen zu folgen, denn der Fall ist in sich abgeschlossen, und Bezüge auf den ersten Teil gibt es keine.
Während eines internationalen Salzburger Ärztekongresses wird der Forscher und Mediziner Dr. Thomas Steinmetz ermordet aufgefunden. Das Mysteriöse: An seinem Fuß befindet sich eine selbstgestrickte Socke, seine Milz wurde durchbohrt und in seinem Nacken finden sich seltsame Hämatome. Während Quentin Neuner und sein Team noch ganz am Anfang der Ermittlungen stehen, geschieht schon der nächste Mord, der dem ersten fast aufs Haar gleicht. Für die Salzburger Kommissare beginnt eine Suche, die sie lange im Trüben fischen lässt. Verdächtige gibt es viele. Aber wo liegt das Motiv? Und vor allem: Wie passen sie zusammen?
Dieser Krimi kommt ganz und gar unblutig daher, in seinem Zentrum stehen eindeutig die Ermittlungsarbeiten. Nichtsdestotrotz ist es spannend, dieselben zu verfolgen, da man als Leser/in, ebenso wie die Ermittler/innen, größtenteils im Dunkeln tappt. Es gibt eine Menge Verdächtige, auch Motive kann man schnell ausmachen, aber alles in Vereinbarung zu kriegen … das steht auf einem anderen Blatt. So hat man beim Lesen eigentlich bis zum Ende das Vergnügen eines hirnzermarternden Rätselratens. Erschwert wird diese Arbeit dadurch, dass sämtliche Verdächtige ihre Geheimnisse mit sich herumtragen, die teils nur spärlich als solche entlarvt werden, weshalb man immer wieder auf neue Anhaltspunkte stößt, nur um diese alsbald wieder ad acta zu legen – genau wie das Ermittlerteam. Des Rätsels Lösung überrascht schließlich sehr und ist auch weitestgehend logisch nachvollziehbar.
Wie der Titel „Die finnische Socke“ nahelegt, spielen in diesem Roman viele Finn/innen eine Rolle, was wegen der eher ungewöhnlichen Namen anfangs ein bisschen irritieren mag, jedoch fällt es bald leicht(er), die einzelnen Charaktere zuzuordnen. Ansonsten sind die Charaktere durchweg sympathisch gezeichnet – einzige Ausnahme ist Neuners Exschwager, ein Journalist, an dem kein gutes Haar gelassen wird. Wenn man so will, kann man dieses auch als kleinen Seitenhieb gegen den Boulevardjournalismus sehen. Mir jedenfalls ging es beim Lesen so. Besonders ans Herz gewachsen sind mir während des Lesens, neben Quentin selbst, die anderen Teammitglieder, die humor- und liebevoll miteinander umgehen und auch für das eine oder andere Schmunzeln sorgen.
Anders‘ Sprache ist flüssig und flott zu lesen, ich selber habe ein wenig den österreichischen Einschlag vermisst, jedoch scheint er in Salzburg selbst nicht so verbreitet zu sein wie in anderen Regionen dieses Alpenstaates. Zu einem flotten Voranschreiten beim Lesen tragen zudem die recht kurzen Kapitel bei, die einem das Gefühl geben, schnell voranzukommen. Lediglich die Dialoge erschienen mir stellenweise ein wenig langatmig, da sie zum Teil etwas hölzern und zu ausführlich erscheinen. Allerdings mag es sein, dass dieses eben dem Österreichischen entspricht.
Gemeinsam mit Ermittlerteam und Autorin unternehmen die Leserinnen und Leser in diesem Roman einen schönen Stadtrundgang durch Salzburg, können die Atmosphäre aufsaugen und, falls sie diese Stadt schon einmal besucht haben, in Erinnerungen schwelgen. Dem Genre „Regionalkrimi“ wird dieses Werk also auch in dieser Hinsicht vollkommen gerecht.
Alles in allem ist Marie Anders mit diesem Krimi ein unterhaltsames, schönes und zum Mitraten einladendes Werk gelungen, bei dem man von den von mir oben genannten Kritikpunkten beruhigt absehen und sich auf einige kurzweilige Lesestunden freuen kann. Von mir gibt es daher eine bedenkenlose Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 27.02.2019

Im Sumpf des Verbrechens

Nacht über dem Bayou
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Bei James Lee Burkes „Nacht über dem Bayou“ handelt es sich um den neunten Band aus der 21 Bände umfassenden Reihe rund um den Ermittler Dave Robicheaux. Erstmals 1996 erschienen, hat der Bielefelder Pendragon-Verlag ...

Bei James Lee Burkes „Nacht über dem Bayou“ handelt es sich um den neunten Band aus der 21 Bände umfassenden Reihe rund um den Ermittler Dave Robicheaux. Erstmals 1996 erschienen, hat der Bielefelder Pendragon-Verlag diesen 464-seitigen Kriminalroman im Januar 2019 neu übersetzt herausgegeben. Weitere Krimis dieser Reihe sollen in den kommenden Jahren folgen.
Es fällt mir schwer, diesen komplexen Roman in wenigen Worten zusammenzufassen. Aaron Crown wurde seinerzeit wegen des Mordes an dem schwarzen Bürgerrechtler Ely Dixon zu 40 Jahren Haft verurteilt. Immer wieder beteuert er seine Unschuld und bittet schließlich Dave Robicheaux um Hilfe, die ihm jedoch verweigert wird. Als dann auch noch ein Fernsehteam sich des Falles annimmt und Ungereimtheiten zutage treten, entwickelt sich eine Spirale an Gewalt, die auch vor Dave nicht haltmacht.
Ich muss gestehen, dass der Roman mich doch sehr zwiegespalten zurücklässt.
Faszinierend ist auf jeden Fall Burkes bildgewaltige Sprache, die Leserinnen und Leser unmittelbar in die Sumpflandschaft Louisianas entführt. Auch seine Dialoge spiegeln treffend das Milieu wider, in dem das Geschehen verortet ist. Man hat so während des Lesens immer das Gefühl, unmittelbar dabei zu sein und saugt die düstere Atmosphäre in sich auf. Ich habe selten einen Roman gelesen, der atmosphärisch so dich gestaltet war. Was sprachlich fasziniert, frustriert allerdings inhaltlich, denn die Welt, die Burke schildert, ist eine düstere: Gewalt, Verbrechen und Korruption scheinen alles zu dominieren. Gerade in der zweiten Romanhälfte häufen sich Verbrechen der brutalen Art, die zwar selten unmittelbar geschildert werden, die aber nichtsdestotrotz nicht weniger bedrückend sind. Zartbesaitete Leser/innen könnten hier mitunter an ihre Grenzen stoßen. Mich selber hat weniger die Brutalität, als vielmehr die absolute Trost- bzw. Hoffnungslosigkeit ein wenig abgestoßen.
Der hier geschilderte Fall ist sehr komplex, dazu kommen rasche Szenenwechsel, was ein hohes Maß an Konzentration beim Lesen erfordert. Für ein entspannendes Nebenbeilesen eignet sich das Buch deshalb wohl eher weniger, und ich muss gestehen, dass es doch ziemlich lange brauchte, bis ich die verschiedenen Erzählstränge und Charaktere erfasst hatte. Trotzdem (oder gerade deshalb) ist das Ende logisch und nachvollziehbar, jedoch sehr überraschend.
Dave selber kommt wie ein typischer Antiheld daher: Selbst Vietnamveteran und trockener Alkoholiker, macht er immer wieder einen ruppigen Eindruck. Nur hier und da zeigt er sich menschlich, vor allem im Kreise seiner ihm Nahestehenden, und mit den Buchstaben des Gesetzes nimmt er es auch nicht so genau – wobei sein letztes Ziel jedoch immer Gerechtigkeit ist. Insofern passt er sehr gut in das Milieu, in dem er ermittelt. Dennoch dauerte es auch hier ziemlich lange, bis es mir gelang, seine Person wirklich zu verstehen, da Informationen über ihn im Roman erst recht spät gegeben werden. Wahrscheinlich wäre es sinnvoll, ältere Bände gelesen zu haben, bevor man zu den jüngeren greift.
Die Zahl der Charaktere in diesem Roman ist recht groß, trotzdem lassen sich die Hauptakteure schnell erfassen.
Auch sie sind plastisch gezeichnet und fügen sich somit gut in das Gesamtwerk ein.
Insgesamt war es vor allem die sprachliche Seite dieses Krimis, die mich persönlich sehr angesprochen hat, mit Inhalt und vor allem Weltbild habe ich allerdings sehr gehadert. Burke legt mit seiner Robicheaux-Reihe Bücher vor, die bestimmt berechtigterweise ihre große Anhängerschaft haben, die aber meinem persönlichen Geschmack wenig entsprechen. Dennoch gibt es von mir eine Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 26.02.2019

Mordermittlungen mit Urlaubsflair

Lago Mortale
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Der Piemont-Krimi „Lago Mortale“ von Giulia Conti bildet den Auftakt zu einer Krimireihe rund um den ehemaligen Polizeireporter und Halbitaliener Simon Strasser. Er erscheint im März 2019 im Atlantik-Verlag ...

Der Piemont-Krimi „Lago Mortale“ von Giulia Conti bildet den Auftakt zu einer Krimireihe rund um den ehemaligen Polizeireporter und Halbitaliener Simon Strasser. Er erscheint im März 2019 im Atlantik-Verlag und umfasst 286 Seiten.
Flirrende Augusthitze am Lago d’Orta. Auf dessen Luxusyacht entdeckt Simon Strasser die Leiche eines Fabrikantensohns. Während die Polizei noch im Dunklen tappt und mehr und mehr von einem Unfall ausgeht, macht sich der ehemalige Polizeireporter auf eigene Faust an die Ermittlungen – und stößt dabei auf eine Reihe von Familiengeheimnissen.
Von Anfang an werden Leserinnen und Leser unmittelbar ins sommerliche Piemont mit seinem Ambiente hineingezogen. Mit dem Auffinden der Leiche beginnt der Krimi auch gleich spannend, dann allerdings plätschert die Handlung erst einmal vor sich hin, bis sich in der zweiten Romanhälfte immer mehr Hinweise auf einen möglichen Mord und sein Motiv ergeben. Schließlich gelingt es Strasser, in einem dramatischen Finale den Mörder zu entlarven.
Der Krimi besticht weniger durch seine Spannung, kommt unblutig und unspektakulär daher, reizt jedoch mit seiner realistischen Darstellung der italienischen Lebensweise und der Landschaft des Piemonts. Hieran wird jeder Italienfan seine wahre Freude haben: Man unternimmt eine kulinarische Reise durch das Land, die teils fast unberührten Landschaften und die Orte rund um den Lago d’Orta werden sehr ansprechend und realistisch beschrieben, sodass man beim Lesen das Gefühl hat, vor Ort zu sein. Ergänzt wird diese „Reise“ durch einige Informationen über den See im Nachwort der Autorin.
Gut in dieses Ambiente passt auch Contis Sprache, die von italienischen Wendungen und Sätzen durchsetzt ist. Ansonsten pflegt die Autorin einen beschreibenden, flott zu lesenden Sprachstil. Die Kapitel sind kurz, sodass man beim Lesen gut vorankommt.
Die überschaubaren Charaktere sind wirklichkeitsgetreu und plastisch beschrieben, dabei aber durchaus vielschichtig, sodass man nicht zuletzt bei der Auflösung des Falls auch überrascht wird. Innere Monologe laden zudem zu einer Identifikation mit dem Protagonisten, Simon Strasser, ein. Besonders gut hat mir neben diesem Reporter die Polizistin, Carla Moretti, gefallen, die durch ihre ruhige Art hervorsticht.
Das Cover ist sehr ansprechend, passt mit der Abbildung einer italienischen Kleinstadt am Wasser zur Szenerie und erinnert, genau wie die Schilderung des italienischen Augusts, an Urlaub.
Insgesamt handelt es sich bei diesem Krimidebüt um ein Buch, das sich „in einem Rutsch“ lesen lässt, Leserinnen und Leser in den italienischen Sommer entführt und somit – gerade auch wegen seiner Unblutigkeit – eine unterhaltsame, gefällig spannende Urlaubslektüre darstellt. Alles in allem ein angenehmes Lesevergnügen für zwischendurch.

Veröffentlicht am 24.02.2019

Ich will ihnen etwas Gutes tun.

Sein Gelübde
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Sabine Giesens 400-seitiger Thriller „Sein Gelübde“ ist im Oktober 2018 bei edition oberkassel erschienen.
In diesem Thriller wird das Schicksal zweier Ehepaare nacherzählt, die nicht nur durch Verwandtschaft, ...

Sabine Giesens 400-seitiger Thriller „Sein Gelübde“ ist im Oktober 2018 bei edition oberkassel erschienen.
In diesem Thriller wird das Schicksal zweier Ehepaare nacherzählt, die nicht nur durch Verwandtschaft, sondern auch durch eine Mordserie, die von den Siebzigern an die Eifel erfasst, miteinander verbunden sind: Eine/r von ihnen hat vor Jahren ein Gelübde abgelegt, in dem es darum geht, leidende Menschen von ihren Qualen zu erlösen.
Einen großen Teil dieses Thrillers nehmen Charakterstudien ein, die durchaus bewegend und auch bedrückend zu lesen sind. Intensiviert wird dieser Eindruck dadurch, dass der Roman zum großen Teil aus zwei Perspektiven erzählt wird: Neben der eigentlichen Handlung wird immer wieder zu den Gedanken des Mörders übergeblendet, die kursiv gedruckt sind. Ermittlungsarbeiten werden kaum dargestellt, was aber auch nicht vonnöten ist, da im Zentrum der Täter und seine Motivation stehen.
Insgesamt herrscht in diesem Werk eine düstere Stimmung vor, beginnende mit der trostlosen Jugend der Protagonisten, die sich nur scheinbar aus der Tristesse ihres Lebens befreien können. Zwar schaffen sie es, ihre Lebensträume zu verwirklichen, doch geschieht dieses mit einem bitteren Beigeschmack, denn so wirklich glücklich wird niemand.
Die erste Hälfte des Buches ist eindrucksvoll zu lesen, auch wenn mir schnell klar war, um wen es sich bei dem Mörder handelt. Es ist interessant, den Werdegang desselben zu verfolgen, jedoch driftet in der zweiten Hälfte die Handlung ins Absurde ab: Das eigentliche Mordmotiv wandert einfach zu sehr in den Hintergrund, und ein Zufall löst den anderen ab, was letztlich einfach zu viel des Guten ist und alles unglaubwürdig erscheinen lässt. Das Ende des Thrillers wiederum ist sehr überraschend und gibt Grund zur Hoffnung auf eine bessere Zukunft.
Die Zahl der Charaktere ist überschaubar, alle Figuren sind detailliert geschildert, sodass eine Identifikation mit denselben leichtfällt. Besonders interessant ist, dass man beim Lesen dieselben in chronologischer Reihenfolge durch ihr ganzes Leben hindurch begleitet: von den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts bis in die Gegenwart – eine Reise, die nicht nur das Leben der Charaktere, sondern auch gesellschaftliche Veränderungen widerspielt. Über weite Strecken des Erzählten leidet man beim Lesen mit den Protagonisten mit, mir ging es vor allem bei Susanne so, obgleich mich ihre Naivität ein wenig gestört hat.
Giesens Sprache ist leicht und flüssig zu lesen, die Kapitel sind kurz, sodass man beim Lesen flott vorankommt. Die Romanhandlung ist in der Eifel verortet, allerdings hat es mir beim Lesen an Lokalkolorit gefehlt, worauf ich bei Regionalkrimis und –thrillern großen Wert lege. Im Prinzip wäre der Handlungsort beliebig austauschbar.
Der Klappentext weckt meines Erachtens bei den Leser/innen falsche Erwartungen: Dort ist davon die Rede, dass „eine Mordserie die Menschen in Angst“ versetze, allerdings ist von Angst und Schrecken während des Lesens weit und breit nichts zu spüren, die Morde finden praktisch in einem luftleeren Raum statt, niemand scheint von ihnen wirklich Notiz zu nehmen.
Alles in allem handelt es sich bei „Sein Gelübde“ um einen Thriller, der es an Spannung missen lässt, der aber flüssig und teils sehr interessant zu lesen ist. Der Plot ist außergewöhnlich, jedoch hätte man mehr daraus machen können, vor allem was die Spannung, das Lokalkolorit und die Absurdität in der zweiten Hälfte betrifft.

Veröffentlicht am 05.02.2019

Hunger nach Normalität – vor dem Hintergrund grausamer Verbrechen

Der Hunger der Lebenden (Friederike Matthée ermittelt 2)
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Bei Beate Sauers historischem Kriminalroman „Der Hunger der Lebenden“ handelt es sich um den zweiten Fall für die junge Polizeibeamtin Friederike Matthée, die in den Nachkriegsjahren in und um Köln herum ...

Bei Beate Sauers historischem Kriminalroman „Der Hunger der Lebenden“ handelt es sich um den zweiten Fall für die junge Polizeibeamtin Friederike Matthée, die in den Nachkriegsjahren in und um Köln herum ermittelt. Das Buch ist im Januar 2019 bei ullstein erschienen und umfasst 432 Seiten.
Der von Hitze und Dürre geprägte Sommer des Jahres 1947 in Köln – Friederike Matthée, Mitglied der Weiblichen Polizei, wird zu einem Leichenfundort im Bergischen Land gerufen. Das Opfer: eine ehemalige Kollegin. Doch viel zu schnell scheint der Fall gelöst, was sie zu eigenen Ermittlungen veranlasst. Zeitgleich werden unweit die Leichname dreier vermisster britischer Soldaten gefunden. Um diesen Fall zu untersuchen, kehrt Richard Davies nach Deutschland zurück. Als die beiden sich bei den Recherchen gegenseitig unterstützen, kristallisiert sich ein Zusammenhang zwischen den Fällen heraus. Doch nicht nur beruflich, auch privat stellt die gemeinsame Arbeit die Polizisten vor große Herausforderungen.
Um es vorweg zu sagen: Obwohl es sich hier um den zweiten Band einer Reihe handelt, kann man dem Geschehen mühelos folgen, ohne den ersten zu kennen. Der Fall ist in sich abgeschlossen, und die Autorin hat alle dem Verständnis dienlichen Informationen in die Erzählung integriert.
Insgesamt besticht dieser Krimi weniger durch seine Spannung als vielmehr durch seine Darstellung der Nachkriegsjahre: Die Menschen sind „ausgehungert“, sie sehnen sich nach Normalität. Entsprechend ist auch der Titel des Buches zu verstehen: Auf der einen Seiten herrscht wegen der knappen Lebensmittelzuteilungen wirklicher physischer Hunger, auf der anderen Seite auch der psychische. Ein Teil dieser Normalität ist bestimmt auch durch die Vergangenheitsbewältigung, die in diesem Buch eine große Rolle spielt, wenn bspw. Friederike nicht weiß, wie sie mit den grausamen Vergehen ihres Bruders umzugehen hat. Gut fügt sich in dieses Zeitpanorama auch die zarte Liebesgeschichte zwischen Friederike und Richard ein, die eine/n tief in diese Zeit eintauchen lässt und zeigt, wie schwierig sich eine (Wieder-)Annäherung zwischen den ehemaligen Gegnern gestaltete.
Obwohl es sich bei diesem Roman um einen Krimi handelt und die Leser/innen auch gleich von Anfang an mit dem Fall konfrontiert werden, kommt wirkliche Spannung beim Lesen erst im letzten Drittel auf, wenn der Fall sich allmählich als immer komplexer erweist, sich Zusammenhänge herausstellen, von denen vorher niemand etwas geahnt hat, und die Ermittler/innen verschiedenen irrigen Annahmen folgen. Gegen Ende jedoch wird der Kriminalfall glaubwürdig und nachvollziehbar gelöst, wobei das Finale mannigfaltigen Stoff zum Nachdenken bietet, wie sehr der Nationalsozialismus mit seinen Folgen doch unser Verhältnis zu anderen geprägt hat und wie man auch heute noch mit vergangener Schuld umgehen könnte.
Sauers Sprache ist angenehm und flüssig zu lesen, besonders in beschreibenden Passagen auch plastisch, was ein Eintauchen in die Welt der Protagonisten erleichtert und das Lesen zu einem Vergnügen werden lässt.
Ebenso realitätsnah sind die recht zahlreichen Charaktere gezeichnet. Besonders Friederikes teilweise Unsicherheit und ihre Zerrissenheit zwischen Loyalität zu ihrem Bruder und dem Wunsch nach Wiedergutmachung kommen authentisch zum Ausdruck. An der Figur Richard Davies kann man leicht nachvollziehen, wie schwer es für die Opfer des Dritten Reiches gewesen sein muss, den ehemaligen Widersachern vorbehaltlos zu begegnen.
Am Ende des Buches befindet sich ein Personenverzeichnis, das die Orientierung beim Lesen erleichtert. Selbiges gilt für die sich in der inneren hinteren Buchklappe befindenden Karte vom Großraum Köln bzw. dem Bergischen Land. Auch das Nachwort ist lesenswert, enthält es doch neben einer Danksagung zahlreiche Informationen über historische Begebenheiten, die Recherche der Autorin sowie Literaturangaben.
Das Cover des Buches ist sehr ansprechend, es zeigt Nachkriegskinder vor den Trümmern einer zerbombten Großstadt, der Himmel ist grau. Gemeinsam mit der schönen, farblich auf das Bild abgestimmten Schrift und dem Inhalt bildet das Layout so ein harmonisches Ganzes.
Insgesamt handelt es sich bei „Der Hunger der Lebenden“ um einen Kriminalroman, der ein eindrucksvolles Panorama der Nachkriegszeit bietet, die Lesenden in die damalige Welt entführt und mannigfaltigen Stoff zum Nachdenken bietet.
Sehr herzlich möchte ich dem Ullstein-Verlag für die Zurverfügungstellung dieses Rezensionsexemplars danken.