Meisterwerk der Erzählkunst und Geschwisterstudien
Grimms MordeTanja Kinkel hat ein Buch geschrieben in dem man jede Zeile aufsaugt und eintaucht in längst vergangene Zeiten. Eigentlich bin ich ja jemand der immer und überall lesen kann, ob unterwegs auf dem Weg zur ...
Tanja Kinkel hat ein Buch geschrieben in dem man jede Zeile aufsaugt und eintaucht in längst vergangene Zeiten. Eigentlich bin ich ja jemand der immer und überall lesen kann, ob unterwegs auf dem Weg zur Arbeit, ob beim Arzt im Wartezimmer, beim Frisör oder auch abends auf der Couch bzw. im Lieblingssessel. Bei diesem Buch klappte dies aber irgendwie nicht, dieses Buch verlangt von seinen Lesern Aufmerksamkeit und vollkommene Bereitschaft sich auf die Story einzulassen, so brauchte ich gefühlt viel länger für dieses Buch, als ich eigentlich für knapp 500 Seiten „normalerweise“ brauche. Dies bitte nicht als Kritik verstehen, dieses Buch ist schlicht und ergreifend kein „Strandbuch“ was man einfach mal so runter liest und einen gut unterhält, dieses Buch ist ein Kunstwerkt was vor allen Dingen durch seine Sprache und seinen Aufbau besticht.
Bereits das Cover fällt auf, es kommt elegant und schlicht daher, als besonders schön empfinde ich die Goldprägung und die Gestaltung in den Cremetönen gepaart mit dem Blutrot, was sehr zum Buch passt.
Der Klappentext gibt auch bei diesem Buch wieder einen sehr tiefen Einblick in das Geschehen, manchmal ist weniger einfach mehr. Aber bei diesem Buch steht eigentlich nicht so sehr die Story im Vordergrund, sondern vor allen Dingen die vier Protagonisten und die sehr außergewöhnliche Sprache. Die meisten Leser kennen die Gebrüder Grimm aus ihren Kindheitstagen, viele sind mit Grimms Märchen aufgewachsen. Jacob und Wilhelm Grimm erweckt Tanja Kinkel zum Leben und lässt uns hinter die Fassade der Märchen blicken, wer sind die Männer, die diese Märchen zusammengetragen und veröffentlicht haben. Vielleicht mag der eine oder die andere noch etwas über die Brüder Grimm wissen, den allerwenigsten dürfte aber die jahrelange Bekanntschaft mit den Schwestern Jenny und Annette von Droste-Hülshoff bekannt sein. Es ist höchst interessant wie Tanja Kinkel diese beiden Geschwisterpaare agieren lässt. Sie entwirft ein Geflecht aus Zuneigung, Abhängigkeiten, Liebe und Hass. Neben diesen vier herausragenden Figuren gibt es nur wenige Nebenfiguren. Die Figur die mir am nächsten im ganzen Roman war, ist Lotte Grimm, die jüngere Schwester von Jacob und Wilhelm. Sie versucht die ganze Zeit ihren Bruder Wilhelm eine Ehe schmackhaft zu machen, was in der einen oder anderen Szene bei mir zu einem Schmunzeln führte.
Der Mordfall ist der rote Faden, an dem sich der Roman entfaltet. Ebenso im Mittelpunkt stehen aber auch die Vorkommnisse in Bökendorf, die vor allen Dingen das Leben der Annette von Droste-Hülsfoff prägen sollte. Dieses Geheimnis lüftet die Autorin meisterlich, sodass immer mehr Details ans Licht kommen, die dem Leser eine Ahnung geben was vorgefallen sein könnte.
Wie bereits gesagt ist der Roman sprachlich etwas ganz Besonderes. Tanja Kinkel hat diesen Roman in der Sprache der Zeit verfasst in der dieser Roman spielt. Die Aufmerksamkeit, die von den Lesern verlangt und auch erwartet wird, wird belohnt mit einem bunten Potpourri der Möglichkeiten unserer Sprache. Sätze die wir heute niemals so in unseren Unterhaltungen einfließen lassen würden, finden wir in diesem Roman, ebenso längst vergessene Worte und Redewendungen. Vieles wird nur angedeutet und muss aus den Zeilen herausgelesen werden, manches bleibt unterschwellig und tritt nicht ans Tageslicht. Ein wahres Kunstwerk welches man Seite für Seite genießen kann.
Dabei beschränkt sich die Autorin nicht auf eine Perspektive, sondern wählt sowohl die grimmsche Version, als auch die der Schwestern Droste-Hülshoff.
Erläuternd ist dann vor allen Dingen das Nachwort, ergänzend die Bibliographie, die den runden Abschluss zu diesem Roman bilden.
Ich kann diesen Roman nur allen Leserinnen und Lesern von historischen Romanen ans Herz legen, die die Bereitschaft haben sich ganz auf einen Roman mit einer für uns erst einmal ungewöhnlichen Sprache einzulassen.
Eine volle Kauf- und Leseempfehlung von mir. Eines der Bücher, die man in diesem Herbst gelesen haben sollte.
Ich bedanke mich bei Tanja Kinkel für diesen außergewöhnlichen Roman und ihre Bereitschaft bei diesem Special dabei zu sein. Ebenso gilt mein Dank der Verlagsgruppe Droemer – Knaur in Person meiner Betreuerin Patricia Keßler für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars.