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Veröffentlicht am 04.06.2021

Dieser Tag ein Leben

Ferien auf Saltkrokan
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Astrid Lindgren, die laut DIE ZEIT „berühmteste Kinderbuchautorin der Welt“, engagierte Schutzpatronin aller Kinder und in ihrem eigenen Land ehrfürchtig als „das kulturelle Herz Schwedens“ angesehen, ...

Astrid Lindgren, die laut DIE ZEIT „berühmteste Kinderbuchautorin der Welt“, engagierte Schutzpatronin aller Kinder und in ihrem eigenen Land ehrfürchtig als „das kulturelle Herz Schwedens“ angesehen, schrieb ihre Kinderbücher nach eigener Aussage für das Kind in ihr, schrieb sie so, wie sie sich ein Buch wünschte, wenn sie selbst noch ein Kind wäre – und trifft damit mitten in die Herzen ihrer jungen Leser! Sie hat die Erinnerungen und Gefühle aus ihrer eigenen glücklichen Kindheit, von Geborgenheit und Freiheit geprägt, bewahrt und durch ihre Erzählungen wiedergegeben. Ihre Romane, vor allem die, so ist zu mutmaßen, haben unser Bild von Schweden entscheidend geprägt, nämlich Sommeridylle mit roten Holzhäusern am Wasser.
Und genau dieses Bild finden wir in dem hier zu besprechenden, im Jahre 1964 erschienenen Roman, von dem die 'Süddeutsche Zeitung' meint, dass er ohne Handlung auskäme, dass er einfach nur Sommergefühle auf einer Insel beschreibe, die zum Fischen, Baden, Umherstreifen und Träumen einlädt, von Freundschaft mit Menschen und Tieren erzählt. Keine Handlung also, wenigstens nicht so, wie man das aus den allermeisten anderen Kinderbüchern, inklusive der übrigen Werke der schwedischen Schriftstellerin gewohnt ist – aber was für ein ganz bezauberndes Buch wir hier in die Hand gelegt bekommen haben! Ein Buch, das tröstet, obwohl es zum Trösten gar nicht gedacht ist, ein zutiefst menschliches Buch, eines, bei dem gleichzeitig geweint und gelacht werden darf, bei dem alle Regungen dicht beieinander liegen und zugelassen werden dürfen, das eben nicht nur eine Idylle heraufbeschwört sondern auch kleines und größeres Unheil einbrechen lässt, mit dem man sich auseinandersetzen muss. Dafür ist Tapferkeit gefragt – das weiß Astrid Lindgren genauso wie Malin, die große Schwester des kleinen Pelle, der untröstlich ist über den Verlust seines geliebten Kaninchens Jocke. Wie schon Michel aus Lönneberga und vielen anderen unvergesslichen Figuren der Schriftstellerin klar war, spürt auch Pelle, dass man stark wird, wenn man muss, dass man an den Hürden, die man manchmal zu überwinden gezwungen ist, wächst.
Malin und Pelle sind das älteste und das jüngste Kind des verwitweten, von den Schwierigkeiten des Alltags häufig überforderten und nicht allzu praktischen Schriftstellers Melcher Melcherson aus Stockholm, der sich nichts sehnlicher wünscht, als seinen Kindern, zu denen noch Johann und Niklas gehören, ein guter Vater zu sein und ihnen eine Kindheit zu ermöglichen, die sie auch als Erwachsene nie vergessen sollen. 'Jeder Tag ein Leben' ist sein Motto – und wacker arbeitet er an dessen Umsetzung. Doch fühlt er sich oft unzulänglich, zweifelt an sich, hält sich ob der vielen Pannen, die unvermeidlicher Bestandteil seines Lebens sind, gar für einen schlechten Vater – was seine Kinder, die ihn ebenso lieben, wie er sie, vehement zurückweisen. Und diese Szenen, die sich wiederholen, sind sehr berührend zu lesen! Doch Melcher kann auch Tobsuchtsanfälle bekommen, die aber eher komisch wirken und sich nie gegen andere Menschen, schon gar nicht gegen seine Kinder, sondern immer nur gegen sich selbst richten. Dann muss die hübsche Malin, die nach dem frühen Tod ihrer Mutter nicht nur deren Stelle bei ihren Brüdern eingenommen hat sondern sich genauso auch um ihren Vater kümmert, die Wogen glätten – zur Freude der eigentlichen Hauptperson der Geschichte ohne Handlung, der kleinen Tjorven, die mit ihren Eltern, den Kaufleuten Grankvist, und den Schwestern Teddy und Freddy auf der fiktiven Insel Saltkrokan im Schärengebiet vor Stockholm lebt, auf der die Familie Melchersen – unbesehen! - das baufällige, aber sofort heißgeliebte 'Schreinerhaus' für einen unvergesslichen Sommer gemietet hat. Tjorven ist gut Freund mit allen Bewohnern der kleinen Insel, sie kennt jedermann und jedermann mag sie und hat ein freundliches Wort für sie, wenn sie mit ihrem riesigen Bernhardiner Bootsmann umherstreift. Mit Melcher ist sie sofort gut Freund, obwohl sie ihn mir ihrer ehrlichen und praktischen Art schon auch zur Verzweiflung bringen kann.
Der Sommer ist lang, doch er vergeht wie im Fluge mit allerhand kleinen und großen Abenteuern, mit Seeräuberspielen, Angeln, Bootstouren – und für Malins Brüder mit der Beaufsichtigung ihrer Schwester! Jeder junge Mann, der sich der hübschen 19jährigen nähert, wird sofort vergrault, aus Angst, ihre Malin könne heiraten und sie verlassen! Doch wenn dann plötzlich der Traumprinz aus einem Boot steigt, sind auch die wachsamsten Brüder machtlos.... Genauso wie Melcher, als dieser erfährt, dass das geliebte 'Schreinerhaus', sein Synonym für die perfekte Kindheit für seine Sprösslinge, verkauft werden soll, ja dass der Verkauf schon so gut wie abgeschlossen ist. Doch da gibt es zum Glück noch den empfindsamen Pelle mit den überdimensionalen Antennen, seinen Jüngsten, und dessen findige Freundin Tjorven, die am Ende dafür sorgen, dass alles so kommt, wie es sein muss, auf dass das Paradies erhalten bleibe für viele, viele Sommer mehr! Und für Generationen von Kindern, die auch als Erwachsene gerne an 'ihre' Zeit auf Saltkrokan zurückdenken – sofern es ihnen gelungen ist, ihr inneres Kind am Leben zu erhalten!

Veröffentlicht am 31.05.2021

Doppelleben

Das fremde Gesicht
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Obwohl die im vergangenen Jahr verstorbene amerikanische Erfolgsautorin Mary Higgins Clark, auch mit dem ehrenvollen Titel „Queen of Suspense“ bedacht, mit beinahe jedem ihrer weit über dreißig eleganten ...

Obwohl die im vergangenen Jahr verstorbene amerikanische Erfolgsautorin Mary Higgins Clark, auch mit dem ehrenvollen Titel „Queen of Suspense“ bedacht, mit beinahe jedem ihrer weit über dreißig eleganten psychologischen Thrillern regelmäßig auf der New York Times – Bestsellerliste auftauchte, finden sich die meisten ihrer Kritiker ausgerechnet in ihrem Heimatland. Sie bescheinigen ihr beharrlich nicht nur langweilige und stereotype Protagonisten, vorhersehbare Plots, die den einen zu simpel, den anderen zu komplex und verwirrend sind, und Oberflächlichkeit, sondern auch noch eine zu flache, zu einfach konstruierte Sprache, allenfalls Leser nicht älter als 14 ansprechend, allerdings angefüllt mit zu vielen komplizierten und zu langen Sätzen, die darüberhinaus auch noch voller Adjektive, Adverbien und unnötiger Passivkonstruktionen seien – alles Dinge, die unbedingt zu vermeiden seien, wie die zahlreichen 'Creative Writing Teachers' dozieren!
Nun ja, der Prophet im eigenen Lande... kann man da nur sagen – und zum Beispiel hinüberschauen nach Frankreich, wo Mary Higgins Clarks Spannungsromane einen überwältigenden Zuspruch haben, was auch für Deutschland gilt, beziehungsweise in Mary Higgins Hoch-Zeit, also in den 80er und 90er Jahren galt.
„I'll be Seeing You“ (deutscher Titel „Das fremde Gesicht“) erschien 1993, also während der so erfolgreichen Schaffensperiode der gebürtigen New Yorkerin mit den irischen Wurzeln, die sie nicht müde wurde zu betonen, und vereint all jene Ingredienzien, die ihr Erfolgsrezept ausmachten: eine attraktive Protagonistin, die, zugegeben, immer einem bestimmten Typus zugehörig ist (schön, gebildet, erfolgreich, aus der gehobenen weißen Mittelschicht kommend, katholisch-irischer beziehungsweise katholisch-italienischer Abstammung), eine klug ausgedachte Handlung vor sorgfältig recherchiertem Hintergrund (soviel zur 'Oberflächlichkeit'!), Spannung von der ersten Seite an, mindestens zwei Handlungsstränge, die sich immer mehr annähern und oft sehr raffiniert zusammengeführt werden. Und – bei Mary Higgins Clark muss man einfach auf das Unerwartete vorbereitet sein! Niemand beherrscht das Hakenschlagen so wie sie, niemand auch legt so gekonnt falsche Fährten – selbstverständlich abgesehen von ihrer englischen Schriftstellerkollegin Agatha Christie, der 'Lady of Crime'.
Und so lässt sie ihre Geschichte, die hier besprochen werden soll, auch gleich mit einem Paukenschlag beginnen: die diesmal ersonnene Protagonistin, Meghan Collins, im Journalismus tätig, den sie einer Karriere als Juristin vorgezogen hat, befindet sich im Einsatz in der Notaufnahme einer New Yorker Klinik, als das sterbende Opfer eines Raubüberfalls hereingeschoben wird. Bei einem Blick auf die junge Frau sieht sie – ihr eigenes Gesicht! Und das lässt sie fortan nicht mehr los, wird umso verstörender, als sie wenig später ein Fax erhält, das suggeriert, dass eigentlich sie, Meghan, das Opfer hätte sein sollen....
Reporter sind neugierig, wie man weiß – und so nimmt es nicht wunder, dass Meghan Nachforschungen anstellt, die der Beginn von Enthüllungen sind, von denen sie es vorgezogen hätte, dass sie im Dunkeln geblieben wären, denn sie führen zu der Erkenntnis, dass ihr bei einem Brückenunglück ums Leben gekommener Vater ein Doppelleben geführt hatte.
Als sei das noch nicht belastend genug, tauchen plötzlich Zweifel an dem Unfalltod des Vaters, dessen Leiche nie gefunden wurde, auf, zumal sein Auto ausgerechnet vor dem Haus einer Embryologin gesehen wurde, die ermordet wurde, kurz nachdem Meghan sie bei den Dreharbeiten zu einer Reportage über künstliche Befruchtung kennengelernt hatte, zu der sie in die Manning-Klinik abgeordnet worden war....
Das ist der Stoff, aus dem die 'Queen of Suspense' ihren Roman gewebt hat und mit dem sie ihre Leser in Atem hält. Buchstäblich, denn ein unerwartetes Ereignis folgt auf das andere, jedes ihrer kurzen Kapitel – ein weiteres Markenzeichen der Autorin – endet so, dass man gar nicht anders kann, als weiterzulesen. Man hat eine Ahnung, wohin das alles führen, worauf es hinauslaufen mag, aber sicher kann man sich nicht sein, denn schon das nächste Kapitel kann die gerade gezogenen Schlüsse null und nichtig machen.
Gewiss ist allerdings, dass die hübsche Protagonistin, einmal mehr eine kraftvolle, starke Persönlichkeit, in immer größere Gefahr gerät. Denn da gibt es einen gewissen Bernie Heffermann, der Protagonist aus der Parallelhandlung, ein unterbelichteter, doch psychisch stark geschädigter Mann (verwirrte Geister wie ihn lässt Higgins Clark immer wieder gerne in ihren Thrillern auftauchen), der eine fatale Obsession für Meghan hegt, die ihn jeden ihrer Schritte verfolgen lässt und an dessen Gedanken der Leser direkt teilhat, womit er der fast bis zum Ende ahnungslosen Protagonistin immer mehrere Schritte voraus ist.
Nicht komplex genug sollten Higgins Clarks Handlungen sein? Gerade das Gegenteil, möchte man meinen, denn da ist ja noch die Reportage über die Manning-Klinik, die geradezu unaussprechliche, ethisch auf keinen Fall vertretbare Praktiken ans Tageslicht bringt, die jemand unter allen Umständen verborgen halten möchte. Jemand, bei dem letztlich alle Stränge in einem fulminanten Finale zusammenlaufen werden....
Summa summarum: „I'll be seeing you“ ist unzweifelhaft einer der stärksten, vielschichtigsten, ausgefeiltesten und spannendsten Romane, die Mary Higgins Clark in ihrer mehr als 40 Jahre währenden Schriftstellerkarriere auf den Markt gebracht hat – und das ganz ohne die heute so beliebten ausgeweiteten und brutalen Grausamkeitsszenen! Atemlose Spannung, prickelnden Nervenkitzel, das hat sie immer wieder bewiesen, kann man, ist man denn des Schreibens mächtig, viel effektiver auch auf ganz andere Weise erzeugen!

Veröffentlicht am 31.05.2021

Enttäuschendes Spätwerk einer großartigen Schriftstellerin

So schweige denn still
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Als „Königin der Spannung“ wurde sie einst von der New York Times bezeichnet – und Cosmopolitan fügte hinzu, dass man „ihre Bücher bis zum Schluss nicht aus der Hand legen kann“! Dem pflichte ich bei, ...

Als „Königin der Spannung“ wurde sie einst von der New York Times bezeichnet – und Cosmopolitan fügte hinzu, dass man „ihre Bücher bis zum Schluss nicht aus der Hand legen kann“! Dem pflichte ich bei, bin ich doch eine begeisterte Mary Higgins Clark – Leserin, seitdem sie mit“ „Where are the children?“ ( deutsch: „Wintersturm“ ) und „A Stranger is Watching“ ( deutsch: „Die Gnadenfrist“ ) Ende der 70er Jahre ihre Karriere als Autorin psychologischer Thriller, deren Kombination aus Spannung, Eleganz und Intelligenz unübertrefflich war, begann.

Mit Preisen überhäuft wurde die Amerikanerin, Inhaberin zahlreicher Ehrendoktortitel und Namensgeberin des Mary Higgins Clark – Award. Und all diese Ehrungen waren hochverdient, denn die „Queen of Suspense verstand ihr Handwerk einfach wie keine zweite. Ihre subtilen Thriller mit den fein ausgearbeiteten Charakteren, der jeweils kontinuierlich die Spannung bis zur oft überraschenden Auflösung steigernden Handlung waren immer dazu angetan, genau die Art von Gänsehaut zu erzeugen, die bei Romanen dieses Genres einfach dazugehört und die am Schluss keine Fragen offen ließen.

Und so war ich gespannt auf das neueste Werk der 1927 geborenen Autorin, das vor wenigen Wochen in der Originalsprache erstveröffentlicht wurde! Gewiss, ihre Kriminalromane haben seit einigen Jahren nicht mehr ganz die Qualität von einst, wirken über weite Strecken ein wenig mühsam konstruiert, doch waren sie immer noch typische Mary Higgins Clark – Geschichten, die Handschrift der Autorin war nie zu verleugnen.

Ganz anders „Kiss the Girls and Make them Cry“(inzwischen auf Deutsch unter dem Titel „So schweig denn still“ erschienen), mit dem die Autorin wacker auf die „Me Too“ - Welle aufspringt! Nun, immer schon hat Higgins Clark, eine eifrige und akribische Zeitungsleserin, immer auf der Höhe der Zeit, ihre Handlungen auf Geschehnissen aller Art, die sie den aktuellen Nachrichten entnommen hat, aufgebaut – und daraus etwas ganz Eigenes gemacht! Ein weiteres Kennzeichen ihrer Art zu schreiben ist der rote Faden, der sich durch die gesamte Handlung hindurchzog und sämtliche Stränge stets aufs Gekonnteste miteinander verband. Die Themen selber, in die sie sich vertiefte, die sie minutiös recherchierte, bevor sie ihre Geschichten darum aufbaute, waren mal mehr, mal weniger interessant – doch stets hervorragend in Krimis umgesetzt.

Nicht so in ihrem neuesten, ungewohnt umfangreichen Psychothriller, den ich am liebsten nach spätestens der Hälfte der Lektüre zugeklappt hätte! Er ist weder spannend noch interessant, die Eleganz, die das Werk der Schriftstellerin immer ausgezeichnet hat, fehlt ihm gänzlich. Er verliert sich in unnötigen, komplizierten und verwinkelten Einzelheiten, die hier geradezu zelebriert werden und nichts zu der Handlung selbst beitragen – außer Verwirrung zu stiften und dazu zu verleiten, die Konzentration abschweifen zu lassen.

Was noch schwerer wiegt, ist die auffällige Flachheit der Charaktere, die Mary Higgins Clark diesmal auftreten lässt! Gewiss, auch in vorliegendem Krimi ist die Protagonistin, eine investigative Journalistin, eine der bei ihr typischen starken und unabhängigen Frauen der gehobenen Mittelschicht, vorzugsweise aus den New England – Staaten stammend. Aber diese junge Dame, Gina Kane mit Namen, ist, ganz ungewohnt bei der New Yorker Schriftstellerin mit irischen Wurzeln, niemand, mit dem man sich wirklich anfreunden kann und den man tatsächlich kennenlernt.
Und genau das ist das zweite Hauptmanko des hier zu besprechenden Romans: keine der handelnden Personen lernt man eigentlich kennen, keine kann man richtig einschätzen, alle bleiben seltsam oberflächlich und gesichtslos, dabei gleichzeitig so herzlich unsympathisch, so verdorben, egoistisch und, ja, richtig böse, fähig zu den übelsten Machenschaften, dass man sich mit Schaudern abwenden möchte.

Konnte man die Bösewichte in den früheren Romanen noch als schillernde Figuren bezeichnen, deren Beweggründe für ihre Taten sehr variabel und vielfältig waren, die sogar aus, freilich falsch verstandenen, idealistischen Motiven heraus mordeten oder schlicht völlig verrückt waren hinter ihren glatten, verbindlichen, oft sympathischen Fassaden, so sind die zahlreichen Übeltäter in diesem Roman schlicht und einfach beklagenswert gesichts- und facettenlose, dazu noch komplett gewissenlose Langeweiler, deren Motive Gier und Geld sind, nicht einmal Macht, sondern allein der Profit. Und dass verhindert werden muss, dass die sexuellen Belästigungen junger Mitarbeiterinnen von Seiten des in dieser Hinsicht nicht zu zügelnden Star-Nachrichtensprechers der Geschichte, umschwärmt im ganzen Lande, an die Öffentlichkeit gelangen, hat allein mit Geld, Geld, Geld zu tun, nur sehr am Rande damit, dass der Ruf des Nachrichtensenders gewahrt bleibt!

Mag ja sein, dass die nimmermüde Autorin damit – erneut, denn das kennt man von ihr! - dem Zeitgeist Rechnung tragen und die Oberflächlichkeit, das Verschwinden von Tiefe, von Idealen, von Moral anprangern wollte, doch weicht die Art, wie sie das tut, so stark von ihrem gewohnten Stil ab, dass man sich allen Ernstes fragen könnte, wer ihr da beratend zur Seite gestanden haben mag, gar wem sie das Schreiben ihres neuesten Werkes überlassen hat.
Eine Antwort darauf zu finden ist ein müßiges Unterfangen, und es scheint mir vernünftig zu sein, „Kiss the Girls and Make them Cry“ möglichst rasch zu vergessen und die unvermindert geschätzte Autorin als die glanzvolle Kriminalschriftstellerin im Gedächtnis zu bewahren, die sie vier Jahrzehnte lang unbestreitbar war – eine Ausnahmeerscheinung auf dem amerikanischen Krimi- und Thrillermarkt, der längst unüberschaubar und immer niveau- und substanzloser geworden ist!

Veröffentlicht am 10.11.2020

Tragödien und Bewährungsproben

Ein Lied in der Nacht
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„Kashmir ist die eine Wunde, die sich nie zu schließen scheint“ resümiert der Journalist und habilitierte Orientalist Navid Kermani 2007 nach einer Reise in das himmlische Tal im Himalaya, „dessen“, und ...

„Kashmir ist die eine Wunde, die sich nie zu schließen scheint“ resümiert der Journalist und habilitierte Orientalist Navid Kermani 2007 nach einer Reise in das himmlische Tal im Himalaya, „dessen“, und auch hier zitiere ich Kermani, „Gletscher, Seen und Wiesen leider nicht nur die Dichter und Reisenden verzückten“, steht es doch seit dem 14. Jahrhundert unter fremden Herrschern, die es eroberten, ausbeuteten und gern auch verschacherten.
Wie wahr das ist, erfährt der Leser der auf sieben Bände angelegten Kashmir-Saga, dessen fünfter hier zu besprechen ist, vom ersten Band an. Denn da begegnen uns gleich zwei Extreme: da ist die paradiesische Idylle, die der ehemalige Elitesoldat Vikram Sandeep, dessen Ruf nicht nur durch das unruhige Tal am Dach der Welt wie Donnerhall klingt, mit seinem Dar-as-Salam, dem Haus des Friedens, Heimat für eine Gruppe von Waisenkindern, geschaffen hat, für die er und seine Frau, die Traumatherapeutin Sameera, an Eltern statt verantwortlich sind. Sehr bald aber wird der Leser gewahr, dass diese Idylle nur vordergründig ist, denn die Protagonisten bewegen sich fortwährend auf einem Pulverfass, vor dem Hintergrund von Gewalt, Korruption, Mord und Unmenschlichkeit, die traurige Realität sind in dem geschundenen Kashmir, Land zwischen den Mächten und Spielball der Mächtigen, mit der Vikram, der alte, nur scheinbar gebändigte Löwe, sowie sein Freund Raja aus Pune in Indien, den er Bruder nennt, und beider Familien immer wieder auf so unliebsame wie auch lebensgefährliche Art und Weise konfrontiert werden.
In jedem einzelnen der Bände treffen wir auf böse Buben, oft Politiker oder solche, die in staatlichen Ämtern eine wichtige Position einnehmen, die sie scham- und gewissenlos zu ihrem eigenen Vorteil oder zur Verfolgung und Beseitigung ihnen unliebsamer Personen nutzen. Man bekommt schnell den Eindruck, dass, Kashmir und Indien – und, verfolgt man denn das Weltgeschehen aufmerksam, natürlich nicht nur diese beiden Länder, die Schauplatz der Romane aus der Feder der Autorinnen Simone Dorra und Ingrid Zellner sind – von besagten Typen nur so wimmeln, dass man niemandem wirklich trauen und schon gar nicht auf Gerechtigkeit bauen kann; denn entweder gelten Gesetze, die die Menschenrechte und ihre unterschiedlichen Aspekte schützen, nur in ganz bestimmten Gebieten oder sie sind so vage abgefasst, dass sie Auslegungssache sind und man, ist man denn gezwungen, sich auf eines dieser Gesetze zu berufen, schon großes Glück haben muss wie auch einen langen Atem, gepaart mit guten Beziehungen zu solchen Personen, die über einen gewissen Einfluss verfügen, um seine Rechte gewahrt zu wissen.
Das in Kashmir nicht eigentlich vorhandene Gesetz gegen Kindesmissbrauch – und hier komme ich nun explizit zu dem fünften Band, „Ein Lied in der Nacht“, ist so ein himmelschreiendes Beispiel! Da kommt einem schon der Verdacht, dass die da oben, die anscheinend nicht zu trennen sind von denen, die sich des Kindesmissbrauchs schuldig gemacht haben, schon vorsorglich sicherstellen, dass gewissen verachtenswerten Neigungen ungestraft nachgegangen werden darf! Sollte sich jemand daran stören, wird er bedroht oder gleich beseitigt!
Moussa, Pflegesohn der Sandeeps und selbst traumatisiertes Missbrauchsopfer, bringt das ins Rollen, was im Mittelpunkt des vorliegenden Bandes steht: er erkennt durch Zufall einen seiner Peiniger, einen ambitionierten Politiker, und sowohl Vikram als auch Raja Sharma, der den Jungen liebt, als sei er der eigene Sohn, geben ihm das Versprechen, den Vergewaltiger zur Verantwortung zu ziehen, was der Beginn so spannender und temporeicher wie gefährlicher und emotional aufrührender Ermittlungen ist, von denen der erfahrene Kämpfer Vikram nur zu gut weiß, dass sie mit äußerster Vorsicht angegangen werden müssen, um nicht den Zorn und die Rache der mächtigen Schuldigen auf sich selbst und damit die Bewohner des Dar-as-Salam, seine Familie, zu ziehen.
Darüber hinaus entwickeln sich die Nachforschungen unerwarteterweise zu der schwersten Bewährungsprobe bisher für die tiefe Freundschaft zwischen dem alten Elitesoldaten und dem leiderprobten Raja, der 25 Jahre seines Lebens unschuldig im Gefängnis verbracht hatte, einer Freundschaft, wie sie schöner nicht sein, wie sie anrührender und herzerwärmender nicht beschrieben werden kann als von den Autorinnen, zwei wahrlich begnadeten Geschichtenerzählerinnen! Eine Freundschaft für die Ewigkeit? Nichts ist ewig – und daran erinnern uns Simone Dorra und Ingrid Zellner auch im vorliegenden Band immer wieder aufs Neue. Sie fabulieren Tragödien, die gerade dann in das Leben der Protagonisten hereinbrechen, wenn diese rundum glücklich sind, sich in relativer Sicherheit mitten in einer unsicheren Welt wähnen, stellen vor schier unüberwindbare Herausforderungen, breiten ein Tal der Tränen vor ihnen und gleichzeitig den erschütterten Lesern aus, durch die sie ihre liebenswerten Charaktere jedoch mit sicherer Hand leiten, aus denen sie sie mit Narben und Brüchen, aber dennoch mit dem Mut und dem Willen zum Weiterleben wieder hervortreten lassen, dünnhäutiger, gewiss, aber durch eigenes Leid noch menschlicher, gütiger, achtsamer, dankbarer für all das Gute, das ihnen vom Leben zum Geschenk gemacht wurde.
Von Band zu Band lernt der Leser die Hauptfiguren besser kennen, entdeckt er bislang nicht augenfällig gewesene Facetten, mit denen die Autorinnen sie ausgestattet haben, erschrickt darüber, wie das immer geschehen kann, wenn man tiefer hineinblickt in einen Menschen, lässt dieser es denn zu und ist man gewillt, sich auch mit den verborgenen Schattenseiten eines bis dahin verehrten Helden auseinanderzusetzen. Und Auseinandersetzung ist immer auch eine Annäherung, lässt die Möglichkeit des Verstehens und damit der Vergebung offen, die für mich eine der wesentlichen Botschaften in diesem mich außerordentlich bewegenden Roman ist, in dem ich rein gar nichts vermisse, was ich mir – in Kenntnis der Vorgängerbände – von ihm versprochen habe und in dem die beiden Autorinnen einmal mehr ihr Füllhorn an erzählerischen Fähigkeiten, am Schaffen emotional bewegendster Momente und nervenzerreißender Spannung über die Leser ausgießen. Das ist perfekte Unterhaltung, ganz gewiss nicht weniger als das!

Veröffentlicht am 18.10.2020

Wie der furchtsame Arthur die Feenwelt rettete

Potilla
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Die Feenkönigin Potilla ist eine sehr streitbare kleine Person, so ganz anders, als man sich Feen vorstellt, nicht zart und verletzlich sondern viel mehr machtvoll, sie kann zickig, launisch und richtig ...

Die Feenkönigin Potilla ist eine sehr streitbare kleine Person, so ganz anders, als man sich Feen vorstellt, nicht zart und verletzlich sondern viel mehr machtvoll, sie kann zickig, launisch und richtig wütend werden! Das bekommt der schüchterne Arthur, der noch nicht gelernt hat, für sich einzustehen, zu spüren, als er eben jene Potilla im Wald in einer alten Socke findet und mit nach Hause nimmt. Zuhause – das ist im Moment allerdings das Heim seiner Tante und seines Onkels, bei denen er die Ferien verbringen muss. Das hasst er aus tiefstem Herzen, denn leider gehören zu den Verwandten auch noch die beiden ungeliebten Zwillingsbrüder Benno und Bruno, richtige Rüpel, die ihm mit ihren ständigen Schikanen das Leben schwer machen.
Doch zum Glück gibt es das mutige Nachbarsmädchen mit den langen roten Haaren, Esther, in das Arthur heimlich verliebt ist und mit dem er so viel Zeit wie möglich verbringt!
Aber zurück zu der tyrannischen Fee! Was macht sie, dazu noch bewusstlos, in einer alten, stinkigen Socke? Das erfährt der ängstliche Arthur recht bald, denn er nimmt sie, wie gesagt, mit nach Hause, wo sie langsam wieder zu sich kommt und dem erstaunten Jungen eine geradezu ungeheuerliche Geschichte erzählt: es gibt da nämlich einen Unhold, der den Feenhügel, ihre Heimstatt draußen im Wald, überfallen und sie und ihr Volk vertrieben hat. Dieser Bösewicht hat das nicht zum ersten Mal getan, weiß also genau, wie man sich Zutritt zum Reich der Feen verschafft – indem man sie nämlich ihrer roten Mützen beraubt! Warum aber macht er das, fragt sich Arthur, und die Fee klärt ihn über die wundersamen Eigenschaften auf, die so ein Feenhügel besitzt. Zum Beispiel kann man darin seine Jugend wiedererlangen, was genau die Absicht des garstigen Mannes ist.
Durch den Eindringling aber sind die nun mützenlosen Feen nicht nur ihrer Heimat beraubt, sondern werden auch sterben müssen, genauso wie der Wald und alle seine Bewohner! Das muss um jeden Preis verhindert werden, die Folgen wären in vielerlei Hinsicht verhehrend! Früh klingt hier schon an, was heute auf keiner politischen Agenda fehlen darf: Schutz und Bewahrung unseres Lebensraumes und seiner Flora und Fauna!
Ein Glück, dass Potilla ausgerechnet auf ein Kind wie Arthur gestoßen ist, wie sich schnell herausstellt. Der Junge hat zwar keinen Schneid, aber den hat seine Freundin Esther reichlich – und aus deren roten Haaren stellt die findige Potilla nun flugs Mützchen her, die es ihr ermöglichen, zurück in den Feenhügel zu gelangen und den Eindringling zu verjagen! Ganz klar, dass Esther nicht davon abzuhalten ist, Potilla zu begleiten – und da er vor ihr nicht als der Feigling und Zauderer dastehen möchte, der er leider nun mal ist, muss Arthur notgedrungen auch mit! Wenn da nur nicht die dreisten Zwillinge wären, die extrem interessiert sind an Potilla, die Arthur auf seinem Arm umherträgt, ihnen vorgaukelnd, dass so ein Püppchen gerade der letzte Schrei sei und dass jeder in der Stadt mittlerweile damit herumliefe ( pfiffig ist Arthur also schon! ). Doch so recht trauen die ungebärdigen Brüder der Sache nicht und schleichen der kleinen Prozession, die sich des Nachts zum Feenhügel aufmacht, hinterher – was für sie freilich fatale Folgen haben wird, denn Potilla, die in ihnen einen gefährlichen „Doppling“ sieht, lässt sie flugs zu Gummibärchengröße schrumpfen, bequem in ein kleines Schächtelchen passend, das Arthur in seiner Hosentasche verschwinden lässt.
Ja, und nun kann dem Abenteuer eigentlich nichts mehr im Wege stehen, im Laufe dessen Arthur über sich selbst hinauswächst, seine Angst besiegt und lernt, dass es sich lohnt, für seine Freunde einzustehen, selbst wenn diese ein wenig seltsam sind. Schließlich wird er, ausgerechnet er, den alle hänseln und nicht für voll nehmen, zum Retter des Feenvolkes – denn dass es genau darauf hinauslaufen würde, weiß der junge Leser natürlich, zumal dann, wenn er mit Cornelia Funkes Kinderbüchern ein wenig vertraut ist, in denen eigentlich immer das Gute über das Böse siegen darf, in dieser Hinsicht treu der Märchentradition folgend.
Und dieses frühe Kinderbuch der Autorin, 1992 erstveröffentlicht, lange also vor ihren großen Erfolgen, mit denen sie sich auch international etablieren konnte, dazu noch mit ihren eigenen anschaulichen Illustrationen versehen, hat alles, was wir aus ihren späteren Büchern kennen, ist voller Magie, sprühender Einfälle und Humor, wundersamer Ereignisse und viel, viel Herz. Ein kleines Meisterwerk der Erzählkunst, denn auch Funkes Sprache hat noch nie etwas zu wünschen übriggelassen, ist kraftvoll und zart gleichzeitig, voller Poesie und Wärme. Kinderherz, was willst du mehr?
Interessant ist auch, dass Funke ausgerechnet einen Jungen zum Retter der Feenwelt macht, denn eigentlich steht so etwas traditionell doch nur Mädchen zu, nicht wahr? Aber die Autorin hält sich auch in Bezug auf ihre Protagonisten nicht an Klischeevorstellungen, genauso wenig, wie sie ihre Potilla nicht als das gewohnte zarte, flatternde Wesen darstellt sondern es mit schillernden Facetten ausstattet, mit denen die energische kleine Chefin ihres Volkes immer wieder überrascht.
Nein, Mainstream-Bücher schreibt die von der Buchillustratorin zur Buchschreiberin aufgestiegene – was ein großes Glück für die Kinder- und Jugendbuchwelt ist! - Autorin gewiss nicht. Mutig weicht sie von den eingetretenen Pfaden ab, und der Erfolg gibt ihr Recht!
Fazit: „Potilla“ ist ganz entschieden eines der Bücher, die in keiner guten Büchersammlung für Kinder fehlen sollten!