Profilbild von EmiliaAna

EmiliaAna

Lesejury Star
offline

EmiliaAna ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit EmiliaAna über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 08.07.2020

Einmal mehr wider das Vergessen

Die Lilienbraut
0

Hin und wieder begegnet auch dem anspruchsvollsten Leser ein Buch, das ihn von der ersten Seite an gefangennimmt, das ihn mitreißt und gleichsam Teil der Geschichte werden lässt, zutiefst berührt, und ...

Hin und wieder begegnet auch dem anspruchsvollsten Leser ein Buch, das ihn von der ersten Seite an gefangennimmt, das ihn mitreißt und gleichsam Teil der Geschichte werden lässt, zutiefst berührt, und ihn noch lange, nachdem er den Roman zugeklappt hat, begleiten wird. Die hier zu besprechende Geschichte ist ein solcher Roman, ein Glücksfall, regt er doch ebenso zum Nachdenken an wie er Emotionen weckt, die sich zwischen Empörung, Entsetzen und Fassungslosigkeit, Traurigkeit, Mitgefühl und Mittleiden und immer wieder auch Hoffnung und zu guter letzt reiner Freude bewegen, bedient also ein ganzes Spektrum von Gefühlen.
Denn sie kann den Leser nicht kalt und unbeteiligt lassen, diese Geschichte, die die Autorin auf zwei Zeitebenen spielen lässt, die ein hervorragend gemeisterter Balanceakt zwischen Vergangenheit und Gegenwart ist, deren Verknüpfung ihr, wie nicht anders zu erwarten, kennt man ihre Bücher denn, auf das Befriedigendste gelungen ist. Sie erzählt von einer großen Liebe, einer, die nicht sein darf, nicht damals und nicht heute, und an der die Protagonistin Nellie trotz aller Zerrissenheit und geplagt von Selbstzweifeln unbeirrbar festhält. Er erzählt von außerordentlicher Zivilcourage, von Mut und Entbehrungen in einer Zeit, die keiner von uns je ( wieder ) erleben möchte, schildert sehr authentisch die Schrecken eines so unsinnigen wie verbrecherischen Krieges, der, wie alle Kriege dieser Welt, Millionen unschuldiger Menschenleben kostete und weder aus den Geschichtsbüchern noch aus dem Gedächtnis der Nachgeborenen wie aus dem kollektiven Gedächtnis der Nation, von der dieser Krieg ausging, und dem der gesamten Menschheit ausgelöscht werden darf.
Wider das Vergessen schreibt Teresa Simon an, unermüdlich und unerschrocken, hier wie auch in ihren bereits zuvor veröffentlichen Romanen, mahnend, erinnernd, warnend, in Angst angesichts der gefährlichen Strömungen innerhalb der heutigen Gesellschaft, die berechtigten Anlass zur Sorge geben, erinnern sie doch fatal an die Geschehnisse, die vor beinahe neunzig Jahren ihren Lauf nahmen und ungebremst in einem Weltensturm endeten. Und sie tut dies keineswegs mit erhobenem Zeigefinger, gibt uns vielmehr Einblick in das Schicksal einer Handvoll fiktiver Personen, lässt die zunehmend bedrückende und beängstigende Atmosphäre der fünf letzten Kriegsjahre durch ihre intensive Art des Erzählens für den aufmerksamen und einfühlsamen Leser unmittelbar erfahrbar werden.
Doch der Roman hat noch viel mehr zu bieten, beschäftigt er sich doch keineswegs ausschließlich mit einer düsteren Zeit, die für Nellie auf ihrer Zeitebene kein glückliches Ende bereithalten konnte. Denn auf der zweiten Zeitebene, die im Hier und Heute angesiedelt ist, kommt die so dringend notwendige Leichtigkeit zum Tragen, das Gegengewicht! Licht und Schatten – beides ist untrennbar miteinander verbunden. Im Köln der Jetztzeit begegnet der Leser nämlich Liv, einer jungen Holländerin, die eine testamentarische Verfügung in die Heimatstadt ihrer Großmutter Nellie verschlagen hat und die sich hier ihren Traum erfüllt – die Eröffnung einer exklusiven kleinen Parfümerie. Liv ist ganz Kind ihrer Zeit, von dem früheren Leben und Schicksal ihrer Großmutter, das sich in ebendiesem Köln erfüllte, ahnt sie nichts, es ist ihr zunächst auch nicht sonderlich wichtig. Sie lebt ganz in der Gegenwart, Wurzeln besaßen nie eine Wichtigkeit für sie – darin so vielen jungen Menschen heutzutage nicht unähnlich. Durch eine Reihe von Begegnungen und fürs erste unerklärlichen Begebenheiten jedoch wird Liv aufmerksam, erkennt, dass kein blinder Zufall sie in die Stadt geführt hat, in der ihr Vater geboren wurde, wird immer neugieriger auf ihre Wurzeln und ganz allmählich erkennt sie deren Bedeutung nicht nur für sich selbst, sondern für uns alle. Wurzeln prägen uns, ob wir das nun wollen oder nicht, sie geben Sicherheit und Halt, sind Heimat und weisen uns unsren Platz im Leben zu. Wie kann Zukunft gelingen, wenn man sich seiner Wurzeln nicht bewusst ist?
Auch dies klingt immer wieder aus Teresa Simons Roman nicht nur heraus, sondern ist gewissermaßen die Melodie, die ihn durchzieht. Wurzeln verbinden die zweite Erzählebene mit der ersten, so wie es die Düfte tun, die hier wie dort über der Handlung schweben. Beide Frauen, die mutige und so stark empfindende Nellie der Kriegsjahre und ihre Enkelin, die eher unbeschwerte, aber, je näher sie dem Geheimnis der Großmutter kommt, je stärker sie erkennt, wer sie ist, an Tiefe und Format zusehends gewinnende Liv im zweiten Jahrtausend, sind mit einer besonders feinen Nase gesegnet, haben einen ebenso feinen Sinn für Düfte, deren Zusammensetzungen, Eigenschaften und Kreationen, zugeschnitten auf ihre jeweilige Trägerin...
Und so gibt es immer wieder Parallelen, Berührungspunkte zwischen den beiden Handlungsebenen – bis schließlich eine feste Brücke erbaut ist zwischen Damals und Heute, die verbindet und versöhnt, weil sie verstehen und Dinge, die damals unverzeihbar schienen, ein einem neuen Licht sehen lässt.
Summa summarum: Teresa Simons „Lilienbraut“, dessen Titel sich im Übrigen während des Lesens ganz von alleine erklärt, ist eine unbedingt lohnenswerte Lektüre! Nicht nur erzählt sie eine Geschichte, die berührt, die geradezu unter die Haut geht, erschafft dabei außer den beiden Protagonistinnen Nellie und Liv noch eine ganze Reihe weiterer unvergesslicher Charaktere in den schillerndsten Facetten, sondern ist darüber hinaus auch noch richtig gut, ich möchte fast sagen makellos, geschrieben. Auch als kritische Leserin kann ich kein Fehl daran finden, nichts auch, was der Logik oder Spannung entbehren würde. Zudem befriedigt mich die Art und Weise der Autorin zutiefst, über den weiteren Lebensweg der beiden Handlungsträgerinnen gerade so viel anzudeuten, dass jeder Leser ihn für sich weiterdenken kann – folgerichtig, wenn er denn auch auf die kleinsten Nuancen der Geschichte geachtet hat - ,ohne sich in wilde Spekulationen ergehen zu müssen. Auch hier hat die Autorin genau das rechte Maß gefunden!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 05.07.2020

Als das Volk sich gegen den Staat erhob

Der Tag X
0

Vor dem Hintergrund der dramatischen Ereignisse, in der noch jungen DDR, die am Tag X, dem 17. Juni 1953 in einem Aufstand weiter Teile der Bevölkerung kulminierten, lässt uns Titus Müller in seinem Roman ...

Vor dem Hintergrund der dramatischen Ereignisse, in der noch jungen DDR, die am Tag X, dem 17. Juni 1953 in einem Aufstand weiter Teile der Bevölkerung kulminierten, lässt uns Titus Müller in seinem Roman teilhaben an den Schicksalen einer Handvoll Menschen, deren Leben dadurch nachhaltig beeinflusst wurde. Er tut dies auf eine Weise, die den Leser in atemlose Spannung versetzt, die mitreißt, die aber auch verstört und bedrängt, die jedoch gleichzeitig tiefe Einsichten in eine Zeit vermittelt, die, so möchte man sich am Ende dankbar sagen, der Vergangenheit angehört! Unserer Vergangenheit, mit der ein weiteres unrühmliches Kapitel in die Geschichtsbücher geschrieben wird.
Der Autor versteht es grandios, geschichtliche Fakten, Informationen zur damaligen politischen Lage im Ostblock als auch im Westen mit einer Romanhandlung zu verknüpfen, die den Leser lange nicht loslassen wird. Er zeigt Schritt für Schritt, fast analytisch, und immer nachvollziehbar, die Gründe auf, die zur Erhebung des Volkes führten.
Noch jung ist sie, die Deutsche Demokratische Republik, der Zweite Weltkrieg mit all seinen Gräueln ist vor gar nicht langer Zeit zu Ende gegangen. Die Menschen könnten aufatmen, in Freiheit weiterleben... Ja, im Westen des geteilten Deutschlands begann tatsächlich eine neue, eine bessere Zeit, die Entbehrungen der Kriegsjahre sind vorüber. Nicht so im sowjetisch besetzten Deutschland! Mangel, Repressalien, Schikane, Bespitzelung sind an der Tagesordnung. Vorsichtig müssen sie sein mit dem was sie sagen und tun, die Werktätigen, Angst ist ihr ständiger Begleiter. Allenthalben herrscht Unsicherheit. Das Volk wird immer unzufriedener....
In der geteilten Stadt Berlin lernen wir Nelly kennen, eine junge Frau, deren Vater kurz nach dem Krieg in einer Nacht-und-Nebel-Aktion zusammen mit anderen Wissenschaftlern in die UdSSR deportiert wurde. Ein einschneidendes Erlebnis, das Nelly geprägt hat. Sie ist aufmüpfig. Sie unterwirft sich dem sozialistischen System nicht, sie lässt sich ihre Überzeugungen nicht nehmen... Dafür nimmt sie erhebliche Nachteile in Kauf! Dann ist da Wolf, ein junger Uhrmacher, der sich in Nelly verliebt. Er ist Kind des Systems, kann Nellys Handlungen nicht verstehen. Doch - auch er kann über sich hinauswachsen.... Doch noch ein weiterer Mann interessiert sich für Nelly: der schillernde, rätselhafte Ilya, ein junger Russe, der im Dienste Moskaus steht. Welche Verbindung besteht zwischen den beiden? Um diese drei Hauptakteure bewegen sich eine Reihe weiterer Charaktere: Eine adlige alte Russin, die es in den Zwanziger Jahren nach Berlin verschlagen hat. Lotte, eine alleinerziehende Mutter dreier Söhne aus Halle, deren Mann sich in den Westen abgesetzt hat und die unversehens in den Strudel um den Tag X hineingezogen wird. Ihr Vetter, ein junger Doktorand an der Universität Halle und dessen unzufriedene Frau.. Die beiden geraten unfreiwillig in die Demonstrationen der Aufständischen Und schließlich ein Hauptfeldwebel, mit dem die einsame Lotte eine Beziehung eingehen möchte.... Noch einige Nebenfiguren gesellen sich hinzu, die ein für die damalige Zeit repräsentatives Kaleidoskop bilden.
Mit "Der Tag X", spannend wie ein Kriminalroman mit Elementen aus Spionageroman, aus Drama und Tragödie, ist Titus Müller ein wahres Meisterwerk gelungen, das auch sprachlich eine Ausnahmestellung einnimmt. Eine Empfehlung für jeden, der Wert legt auf guten Stil und differenzierte Ausdrucksweise - und natürlich für alle, die ein wichtiges Stück Zeitgeschichte verstehen lernen wollen!

Veröffentlicht am 21.06.2020

Dem Wohle der Kreatur verpflichtet

Das geheime Leben der Kühe
0

Als die Engländerin Rosamund Young ihr Büchlein mit dem an den Peter Wohlleben – Bestseller erinnernden, aber ganz und gar nichts mit jenem zu tun habenden Titel „The Secret Life of Cows“ ( deutsch: „Das ...

Als die Engländerin Rosamund Young ihr Büchlein mit dem an den Peter Wohlleben – Bestseller erinnernden, aber ganz und gar nichts mit jenem zu tun habenden Titel „The Secret Life of Cows“ ( deutsch: „Das geheime Leben der Kühe“ ) 2003 in einem kleinen Landwirtschaftsverlag erstmals veröffentlichte, blieb es weitgehend unbeachtet – um erst einige Jahre später mit umwerfendem Erfolg neu aufgelegt zu werden! Aber dazu kam es erst, nachdem die Sammlung kleiner, mehr oder minder zusammenhängender Geschichten, gleichsam Anekdoten, in denen die Autorin, ihre Erlebnisse mit den unzähligen Kühen zusammenfasst, die sie auf der Kite's Nest Farm in den Cotswolds, mitten im grünen Herzen Englands, Gelegenheit hatte zu beobachten, in den Tagebüchern des Schriftstellers Alan Bennett in den höchsten Tönen gelobt worden war! Plötzlich war die Engländerin, die sich selbst ganz unprätentiös und selbstkritisch keineswegs als Schriftstellerin sieht, sondern nur auf ihrer Musterfarm für artgerechte Tierhaltung in ihrem Element ist – und dies, nebenbei gesagt, bereits seit allerfrühester Kindheit -, in aller Munde!
Da muss man sich schon neugierig fragen, was so besonders ist an diesem schmalen Buch, das einen solchen Erfolg rechtfertigt, das vom Spiegel zum Tierbuch des Jahres 2018 gekürt wurde und von ihm in einem Artikel aus demselben Jahr folgendermaßen beschrieben wurde: „ Es ist ein friedliches, unspektakuläres Buch. Eines, das seine Leser für die Zeit der Lektüre ohne viel Aufhebens in eine bessere Welt mitzunehmen vermag“. In der Tat! Genau diese Gefühle kamen auch mir beim Lesen. Und wenn der Guardian schreibt „niemand, der dieses Buch gelesen hat, wird Kühe so sehen, wie zuvor“, so ist auch dieser Aussage zuzustimmen!
Eindringlich macht Rosamund Young mit ihren Geschichten klar, dass Kühe nicht einfach nur eine Ware sind, sondern vielmehr Individuen mit ganz eigenem Charakter, die miteinander kommunizieren, Beziehungen, ja regelrechte Freundschaften eingehen, die sich liebevoll um ihren Nachwuchs kümmern – lässt man sie denn! -, ihn erziehen, die, wie wir Menschen auch, ihre Launen haben, ihre Vorlieben und Abneigungen. Kurz gesagt, sie sind Persönlichkeiten, die mit Respekt und Achtsamkeit zu behandeln sind!
Kite's Nest Farm ist ein Begriff in der ökologischen Landwirtschaft Englands, ein vorbildlicher Betrieb, der in den Fünfzigern von den Eltern der heutigen Besitzer, Rosamund Young und ihrem Bruder Richard, sorgfältig aufgebaut wurde, die sich bereits damals, als diese Art von Landwirtschaft noch kaum bekannt war, vor allem dem Tierwohl verpflichtet fühlten und niemals intensive Tierhaltung betrieben haben, die die Ausbeutung von Nutztieren kategorisch ablehnten. Die ihnen anbefohlenen Tiere – denn so sehen sie sie -, vor allem Kühe, aber auch Schafe, Schweine und Hühner, die auch ihre Auftritte haben in Youngs Buch, dürfen sich auf dem weitläufigen Terrain der Farm frei bewegen, dürfen sich ihre Nahrung ( und wer da meint, Kühe wären keine Feinschmecker, der wird bald eines besseren belehrt! ) ebenso aussuchen wie ihre Schlafplätze, und die Kälber dürfen so lange bei ihren Müttern bleiben, wie sie mögen.
Aber Rosamund Youngs Buch ist nicht nur ein Plädoyer für artgerechte Tierhaltung in England, was im Übrigen niemals anklagend, niemals mit erhobenem Zeigefinger vorgetragen wird, sondern es ist viel mehr! Es ist eine herzerwärmende Lektüre, denn aus jeder Zeile spürt man die Liebe Youngs zu all den Kuh-Persönlichkeiten auf Kite's Nest, die samt und sonders Namen tragen, sie als einzigartig kennzeichnend, und an die sie sich mit untrüglichem Gedächtnis auch nach vielen Jahren erinnert. Es ist, um es auf den Punkt zu bringen, die Summe eines Lebens mit Tieren, der Verantwortung für sie und ihr Wohlergehen, die geradezu eine Verpflichtung ist, hat eine Laune der Evolution den Menschen doch in eine Position erhoben, für das Wohl und Wehe der ihm anbefohlenen Geschöpfe Sorge zu tragen und Leid von ihnen abzuwenden. Dass sie, Rosamund, diesen Auftrag ernst nimmt, ganz selbstverständlich, ist die Quintessenz ihrer Anekdotensammlung, der allzu kritische Stimmen einen ausgeprägten Anthropomorphismus vorwerfen, ebenso wie das Aussparen der Tatsache, dass Kite's Nest als wirtschaftlicher Betrieb vorwiegend vom Verkauf des Fleisches der geliebten, gehegten Rinder lebt, dass also deren Lebensspanne begrenzt ist. Nun, das muss man so stehen lassen – wobei ich keinesfalls glaube, dass die Autorin irgendetwas beschönigen wollte, indem sie das, was offensichtlich ist, nicht thematisierte. Ihr Anliegen war ganz sicher nicht, das Leben der Kühe von der Geburt bis zu ihrem Tod zu beschreiben, sondern vielmehr Ausschnitte zu zeigen, Dinge niederzuschreiben, die ihr im Gedächtnis geblieben sind – und damit ihre Leser zu erfreuen und ihnen gleichzeitig vielleicht eine andere Sichtweise zu ermöglichen auf alle Tiere und ihre geliebten Kühe im besonderen. Auf dass die Welt eine bessere werde!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 21.06.2020

Lektion für Eltern

Ein Schweinebär im Schlafanzug
0

„Schweinebär“ nennen seine Eltern den kleinen Sascha – und sind verständlicherweise ungehalten darüber, dass es ihm einfach nicht gelingen will, manierlich zu essen. Schließlich ist er beinahe sieben Jahre ...

„Schweinebär“ nennen seine Eltern den kleinen Sascha – und sind verständlicherweise ungehalten darüber, dass es ihm einfach nicht gelingen will, manierlich zu essen. Schließlich ist er beinahe sieben Jahre alt, und da kann man doch wohl erwarten, dass er nicht bei jeder Mahlzeit sowohl seinen Platz bekleckert, sondern auch sich selbst, oder? Das denken die Eltern und das denkt auch Jule, Saschas große Schwester, die es allerdings ein wenig ungerecht findet, dass Sascha wegen seiner unorthodoxen Essmanieren immer so angepflaumt wird. Überhaupt sieht sie die Schweinereien, die ihr Bruder da anrichtet, viel milder, denn sie mag ihn, findet ihn lustig und liebenswürdig. Aber wie denkt Sascha über die ewigen Ermahnungen seiner Eltern? Was macht das mit ihm, wenn er immerzu spüren muss, dass er, so wie er ist, nicht akzeptiert wird?
Nun, eines schönen Sonntags bekommt Jule ihre Antwort, denn als Papa des Morgens einem seltsamen Geräusch nachgeht, das aus dem Zimmer seines Sohnes kommt, findet er an dessen Stelle – einen Schweinebär! Ein klassischer Fall von Self- fulfilling Prophecy, möchte man sofort denken. Sascha wurde folgerichtig zu dem, was er in den Augen seiner Eltern sowieso war – eine seltsame Mischung aus Bär und Schwein, im blau-weiß gestreiften Schlafanzug! Die Eltern sind fassungslos und machen sich Vorwürfe wegen der Verwandlung des Kleinen, während Jule, aus deren Blickwinkel die Geschichte im Übrigen auch erzählt wird, eher amüsiert ist, dabei aber sehr mitfühlend, und schnell die Zügel übernimmt und versucht, den veränderten Bedürfnissen des verwandelten Bruders gerecht zu werden. Sie denkt praktisch, denn bei der Menge, die der sehr hungrige Schweinebär-Sascha vertilgt und den Geräuschen, die danach zu hören sind, muss er ganz sicher bald mal einem dringenden Bedürfnis nachgehen....
Ja, aber wie ist es anzustellen, dass dies nicht an Ort und Stelle, also in der elterlichen Wohnung geschieht? Sie beschließt, was zuerst mal naheliegend erscheint, mit dem Bruder nach draußen zu gehen, was aber wohl doch keine so gute Idee ist, denn man soll ihn schließlich keinesfalls sehen. Wenn Hausmeister Hartenstein von seiner Anwesenheit Wind bekäme – und das auch im wahrsten Sinn des Wortes, denn Sascha beginnt sehr unfein riechende Duftwolken auszustoßen -, gibt es Ärger! Aber der missmutige Mann erfährt es natürlich doch, denkt, Jules Familie würde einen Hund verborgen halten, was er im Mietshaus strengstens untersagt hat und macht gehörig Stress....
So beginnt ein erheiterndes Versteckspiel, in dessen Verlauf Saschas Eltern lernen und endlich auch begreifen, dass die Schweinereien ihres Knaben am Esstisch ein Klacks sind im Vergleich zu dem, was der Schweinebär in ihrer Wohnung anrichtet – und was sie mit erstaunlicher Gelassenheit, und endlich einmal voll hinter ihrem Sohn stehend, der im Moment ein grunzendes Phantasietier mit stürmischer Verdauung ist, hinnehmen. Und als Sascha, der Schweinebär, zu guter letzt auch noch ausbüxt und von der tatkräftigen Jule in einer Baugrube gefunden wird, wo er sich nach Herzenslust im Dreck suhlt, sind die Eltern so froh, ihn wiederzuhaben, dass die verwüstete und zum Himmel stinkende Wohnung überhaupt nicht mehr ins Gewicht fällt!
Ja, Vater und Mutter haben ihre Lektion gelernt, sind nach all der Aufregung nun sogar bereit, den verwandelten Sohn nicht mehr länger zu verstecken sondern sich ganz offen und vor aller Welt zu ihm zu bekennen! Und genau das hat denn auch der Schweinebär gebraucht, um wieder zu Sascha werden zu können – der von nun an so unsauber essen darf, wie er möchte oder wie er es nicht anders kann. Schweinebär übrigens nennen ihn seine Eltern niemals wieder....
Wie wichtig es ist, so angenommen zu werden, wie man nun einmal ist, vor allem, wenn man noch ein Kind ist und gar nicht verstehen kann, warum die Erwachsenen an einem herummäkeln, weil man eben so ist, wie man ist und es auch beim besten Willen nicht ändern kann, scheint mir die Botschaft dieses erheiternden, gleichzeitig aber auch nachdenklich stimmenden Buches des Autors Andreas Langer zu sein. Und diese Botschaft kommt an, weil sie so nett in eine parabelhafte Geschichte verpackt wurde, die zwar mit einer Reihe von Verwicklungen aufwartet und in der ein gehöriges Durcheinander herrscht – vom „Schweinebären“ verursacht! -, die aber sehr verständlich und anschaulich geschrieben wurde. Gerade weil der Autor sie von einem zehnjährigen Mädchen erzählen lässt, dessen Sprache sehr authentisch wirkt! Sie sieht ihren Bruder und die Schwierigkeiten, die die Erwachsenen, sprich die Eltern, mit ihm haben, mit anderen Augen, viel entspannter nämlich, akzeptiert Saschas Eigenarten ganz selbstverständlich, so wie Kinder das nun einmal tun, bevor sie ( zum Glück nicht alle! ) von der Gesellschaft und ihren Normvorstellungen verbogen werden. Wollte Herr Langer das vermitteln, so ist es ihm gut gelungen – und es bleibt zu hoffen, dass das Buch auch von recht vielen Erwachsenen gelesen wird, gemeinsam mit ihren Kindern oder als Vorlesende.
Die gleichen Erwachsenen aber mögen ein wenig Anstoß nehmen an der Ausführlichkeit, mit der vor allem die Verdauung des Schweinebären und deren Endresultat thematisiert werden. Das war mir denn doch ein wenig zu viel des Guten und es verlor mit jeder Wiederholung an Lustigkeit. Das aber ist der Blick des Erwachsenen denn Kinder empfinden das ganz anders wie ich erleben durfte – und amüsieren sich köstlich! Und für Kinder ist der Roman schließlich geschrieben – so wie auch die Illustrationen auf Kinder wirken sollen und nicht auf kritische Erwachsene, denen sie eher zu unproportioniert, zu steif und einförmig erscheinen mögen. Also lassen wir hier die Kinder sprechen oder diejenigen unter uns Erwachsenen, die im Herzen Kind geblieben sind, ganz so wie Erich Kästner, der Meister der Kinderliteratur und geistiger Vater unvergesslicher Klassiker dieses Genres sich das von den erwachsenen Lesern seiner Kinderbücher wünschte – und der selber zeitlebens Kind geblieben war!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 21.06.2020

Lilly und Nikolas auf den Spuren der Wikinger

Abenteuer im Land der Wikinger - Lilly und Nikolas unterwegs zwischen Schleswig, Kiel und Flensburg
0

Wer die Reiseführer für Kinder und Jugendliche aus dem Verlag Biber & Butzemann, der sich auf regionale Abenteuer und Feriengeschichten vor allem für ein junges Publikum spezialisiert hat, kennt, weiß, ...

Wer die Reiseführer für Kinder und Jugendliche aus dem Verlag Biber & Butzemann, der sich auf regionale Abenteuer und Feriengeschichten vor allem für ein junges Publikum spezialisiert hat, kennt, weiß, dass sie nicht nur sehr liebevoll gestaltet und mit hübschen Illustrationen versehen sind, sondern vor allem auf unterhaltsame Weise Sehens- und Erlebenswertes in den unterschiedlichsten Gegenden Deutschlands vorstellen und das ganze mit zum Teil sehr ausführlichen Hintergrundinformationen würzen, die so recht Lust darauf machen, mehr davon zu lesen. Als besonders erfreulich empfinde ich es, dass die vorgestellten Reiseziele eben vorwiegend in heimischen Gefilden angesiedelt sind, die so viel zu bieten haben, dass man sich beim Lesen unwillkürlich fragt, warum man im Urlaub unbedingt danach trachtet, in möglichst weite Fernen zu schweifen. Schönere, erlebnisreichere, von den sehr engagierten Eltern liebevollst geplante Urlaube als die, die die in bereits zahlreichen Ferienabenteuern zuvor aufgetretenen Protagonisten Lilly und Nikolas innerhalb Deutschlands erleben, kann man sich kaum vorstellen!

Auch in „Abenteuer im Land der Wikinger“ begegnet der Leser den neugierigen Geschwistern wieder – Kinder, wie sie sich Eltern nur wünschen können! Nie nörgeln sie herum, nie klagen sie über Langeweile, stets sind sie bereit, die Vorschläge ihrer Eltern anzunehmen, selbst wenn sie mehrere Tage hintereinander mit ihnen Museen besichtigen sollen, an denen sie weniger interessiert sind als Vater und Mutter. Sie wissen, dass sie dennoch stets auf ihre Kosten kommen, denn zwischendurch gibt es immer wieder die eine oder andere kleine Überraschung, ganz auf ihre Vorlieben zugeschnitten, die denn auch die Highlights der jeweiligen Reisen sind!

Die neueste Feriengeschichte um Lilly und Nikolas stellt die beiden zunächst einmal vor ein Rätsel: im Gegensatz zu den sonstigen Reisen wissen sie diesmal nicht, welches Ziel sich die Eltern ausgedacht haben, das sollen sie anhand von vielen kleinen Hinweisen, die ihr Vater mit offensichtlichem Genuss für sie ausgedacht hat, selber herausfinden. Für die beiden klugen Kinder stellt das keine Schwierigkeit dar und sehr bald schlussfolgern sie, dass es ins Wikingerland geht! Aber nicht, wie sie zunächst vermuten, nach Skandinavien oder gar nach Island, sondern hoch in den Norden Deutschlands, in die Gegend zwischen Flensburg, Schleswig und Kiel. Wikingerland? Das assoziiert man landläufig nicht gerade mit Deutschland – und doch gab es eine florierende Wikingersiedlung nahe Schleswig, nämlich Haithabu. Fasziniert lassen sich die Kinder ein auf die Geschichte des kriegerischen Volkes, das allerdings noch ganz andere Seiten hatte, können gar nicht genug bekommen von der Sagenwelt, die so starken Einfluss hatte auf das Leben der rauflustigen, immens neugierigen, wissensdurstigen und als Händler und Kaufleute ebenso erfolgreichen Wikinger.

Wenn letztere selbstredend die Hauptrolle im vorliegenden Buch spielen und immer wieder auf sie zurückgekommen wird, so bietet die Geschichte doch noch unendlich viel mehr! Interessante Ziele werden angesteuert – ob es nun das Ostsee-Info-Center in Eckernförde ist, der Besuch im Freizeitpark Tolk oder der im Tierpark Gettorf, die Fahrt nach Schloss Gottorf, in dessen Landesmuseum echte Moorleichen zu sehen sind, oder diejenige zum Schloss Glücksburg an der dänischen Grenze, einem der bedeutendsten und schönsten Renaissance-Schlösser Nordeuropas, die Besichtigung des Danewerk, des größten archäologischen Denkmals im Norden des europäischen Kontinents oder der Abstecher zur die Kinder stark beeindruckenden Eichhörnchenschutzstation Eckernförde, um nur eine kleine Auswahl der vielen Orte zu erwähnen, die alle auf ihre Weise Glanzlichter dieser an besonderen Erlebnissen reichen Ferienreise sind – wobei der eigentliche, der wirklich unvergessliche Höhepunkt erst ganz zuletzt kommt...

Und wieder auch gibt es ein Rätsel aufzulösen, wie im Zuge der meisten Abenteuer, die die Geschwister erleben und über das an dieser Stelle nicht viel verraten werden soll – außer, dass es dabei um einen geheimnisvollen Jungen geht, der Nikolas immer wieder begegnet, und um Träume, in denen die Geschwister sich unabhängig voneinander plötzlich in der Wikingerzeit wiederfinden. Dass beide Vorfälle miteinander zu tun haben, ergibt sich im Laufe der Geschichte wie von selbst...

Fazit: ein typischer Biber & Butzemann Reiseführer für die junge Generation ( aber nicht nur für diese! ), in eine unterhaltsame Geschichte verpackt – und ganz gewiss Lust machend, wie alle seine Vorgänger auch, auf den Spuren von Nikolas und seiner Schwester zu wandeln! Und wenn dann die Reiseroute noch obendrein so perfekt und abwechslungsreich ausgearbeitet wurde, wie das die beiden Autorinnen die Eltern des Geschwisterpaares haben tun lassen, stellen die Reisevorbereitungen keine große Herausforderung mehr dar! Eigentlich kann man sofort loslegen – mit „Abenteuer im Land der Wikinger“ in der Tasche selbstverständlich!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere