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Veröffentlicht am 06.10.2021

Tragfähige Flügel aus Liebe, Toleranz und Vorurteilslosigkeit

Flug mit dem Wind
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Noch ist die Kashmir-Saga nicht zu Ende erzählt, doch weht über dem hier zu besprechenden vorletzten Band bereits der Hauch des Abschieds von den beiden Familien, die ich in den letzten Jahren begleiten ...

Noch ist die Kashmir-Saga nicht zu Ende erzählt, doch weht über dem hier zu besprechenden vorletzten Band bereits der Hauch des Abschieds von den beiden Familien, die ich in den letzten Jahren begleiten durfte – den Sandeeps aus Kashmir und den Sharmas aus dem indischen Shivapur – und deren Schicksal mich ungemein bewegt hat, mit denen ich geliebt, gelitten, getrauert, deren glückliche, aber auch schwere und dunkle Stunden, nicht selten voll abgrundtiefer Verzweiflung, ich geteilt habe. Schon bald werde ich sie ziehen lassen müssen, den alten Löwen Vikram mit den sprichwörtlichen neun Leben, von denen er die meisten schon verbraucht hat, seine Frau, die aus Irland stammende Ärztin und Traumatherapeutin mit indischen Wurzeln, Sameera, und ihren treuen Freund Raja, der am Ende dieser Geschichte ebenfalls nach Kashmir gezogen ist, den Vikram Bruder nennt und der sich oft genug als Fels in der Brandung, als Leuchtturm inmitten der tosenden Stürme erwiesen hat, die immer wieder nicht nur über die längst liebgewonnenen Protagonisten und ihre Familien, sondern auch über das märchenhaft schöne Tal im Himalaya, das als Spielball der Mächtigen viel zu viel Leid gesehen hat, hereinbrechen.
Leben bedeutet Veränderung, und es bedeutet auch, Abschied nehmen zu müssen, immer wieder aufs Neue und immer öfter, je länger man auf dieser Welt wandert. Man gewöhnt sich nie daran, immer lässt man einen Teil von sich zurück – doch diese Teile knüpfen ein Band der Erinnerung, das das Gestern mit dem Heute und dem Morgen verbindet, dessen leuchtende Spuren die Jahre überdauern, vielleicht sogar das eigene Erdenleben.
Vikram und die ihm Zugehörigen haben ein solches Band geknüpft, ein Band aus Stahl, um mich eines Buchtitels der Kashmir-Saga zu bedienen. Sie haben durch ihr segensreiches, altruistisches Tun, durch ihr Leben und ihren Einsatz für Frieden, Toleranz und Vorurteilslosigkeit riesige Fußstapfen hinterlassen, unübersehbare Spuren ausgestreut, weithin sichtbar, beileibe nicht von allen mit Wohlwollen betrachtet, sich Feinde geschaffen, die ihnen das Leben schwermachen, die vor nichts Bösem und Perfidem, geradezu Teuflischem zurückschrecken, wie wir auch in 'Flug mit dem Wind' erneut erfahren müssen.
Die beiden Autorinnen, grandiose Märchenspinnerinnen, Märchenweberinnen und Märchenerzählerinnen, wie ich nie müde werde zu betonen, haben ihren Helden nichts geschenkt, nichts erspart, sie immer wieder durch die Hölle gehen lassen, ihnen Narben an Leib und Seele zugefügt, die ihnen für den Rest ihres Lebens bleiben werden. Darüber zu lesen war oft kaum zu ertragen, verband aber den empathischen Leser noch stärker mit den Geschundenen, die das Gute verkörpern, das das Böse besiegt, oft nach langen Kämpfen und geradezu übermenschlicher Leidensfähigkeit - wiewohl auch sie Menschen mit Ecken und Kanten, und, wie man erfahren darf, auch mit Abgründen sind. Noch mal davongekommen, mag man denken, erleichtert, wenn wieder einmal eine Prüfung bestanden war, gleichzeitig aber der nächsten entgegenbangend.
Das ist in Band 6 nicht anders! Auch hier wartet allerlei Ungemach auf Vikram und Sameera, während Raja, dem viel zu oft Geprüften, dem Leiderfahrenen, eine Ruhepause gegönnt wird, wobei er selbstredend nicht nur einmal als Retter in der Not fungiert – eine Rolle, die ihm wie auf den Leib geschneidert ist, die er beherrscht wie kein anderer. An spannenden und überaus emotionalen Szenen steht 'Flug mit dem Wind' seinen Vorgängern in nichts nach! Schwerpunkte verlagern sich zwar – logischerweise, denn die Handlung entwickelt sich wie im Zeitraffer über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren -, Vikram, Sameera und Raja rücken ein wenig aus dem Fokus und machen der jüngeren Generation Platz, den Kindern, viele davon schwer traumatisiert, die im Dar-as-Salam, dem Haus des Friedens, aufwachsen durften, für die die Sandeeps Mutter und Vater sind und Raja als geliebter Onkel verehrt wird.
Aus kleinen Kindern werden große Kinder, und dann ist der Weg ins Erwachsenenleben nicht mehr weit. Eines nach dem anderen verlassen sie das Nest aus Liebe, Fürsorge und großer Menschlichkeit – und nun muss sich zeigen, wie tragfähig die Flügel sind, die ihnen in diesem Paradies mitten in Gewalt und Willkür und ständig lauernden Gefahren gewachsen sind! Ihre Schicksale sind so unterschiedlich, wie die Kinder selbst; die einen gleiten sanft, werden vom Wind getragen, finden ihr Glück – oder glauben, es gefunden zu haben, denn noch ist nicht aller Tage Abend -, die anderen haben Startschwierigkeiten, werden von Schicksalsschlägen heimgesucht, stolpern und fallen, bis sie doch noch, zögerlich zunächst, abheben und ihren Platz finden. Doch alle wissen, dass sie, was immer geschehen mag, aufgefangen werden, dass das Fundament, das ihnen ihre Pflegeeltern geschaffen haben, ein solides ist.
Die Geschichten der Kinder, gleichsam als kleine Porträts eingestreut, die Handlung verbindend, von einem Handlungsstrang zum nächsten weisend, sind wunderschön geschildert, berührend zu lesen – und sie schenken Hoffnung. Denn es braucht Menschen wie diese, denen ganz unverhofft ein neues Leben geschenkt wurde mit ihrem Einzug ins Dar-as-Salam, wo sie erleben durften, dass sie wichtig sind und ihr Leben von Bedeutung ist, dass man sich um sie und dass man für sie sorgt und dass gegenseitige Hilfe und Unterstützung selbstverständlich sind, die eine friedlichere Welt aufbauen können, die aus Krisengebieten wie Kashmir wieder machen könnten, was sie einst waren, Paradiese von gewaltiger Schönheit, in denen Muslime, Christen und Hindus ohne Hass miteinander leben. Man hat ihnen schließlich im Haus des Friedens vorgelebt, wie das geht!
Auf solche Gedanken kann man kommen während der Lektüre dieses mitreißenden, bildgewaltigen Romans, der mit spürbarer Freude, gar Leidenschaft geschrieben ist, mich ganz und gar in seinen Bann gezogen und geradezu verzaubert hat. Er ist, wie die gesamte Kashmir-Saga, nicht nur eine wunderbare Erzählung mit unvergesslichen Charakteren und ein berauschendes Epos, sondern ein einziges und einzigartiges Plädoyer für Freundschaft und für wahre, niemals wankende Menschlichkeit inmitten einer unheilen Welt. Möge seine Botschaft auf fruchtbaren Boden fallen!

Veröffentlicht am 04.10.2021

Der Junge, der überlebte

Harry Potter und der Stein der Weisen (Harry Potter 1)
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Schon kurz nach dem Erscheinen der Originalausgabe des ersten Bandes der Harry Potter Serie 1997 lernte ich den vernachlässigten Jungen mit den strubbeligen schwarzen Haaren, den grünen Augen und der eigentümlichen ...

Schon kurz nach dem Erscheinen der Originalausgabe des ersten Bandes der Harry Potter Serie 1997 lernte ich den vernachlässigten Jungen mit den strubbeligen schwarzen Haaren, den grünen Augen und der eigentümlichen Narbe auf der Stirn kennen, der zu seiner größten Überraschung erfährt, dass er ein Zauberer ist und auf einer speziellen Schule, eben jenem inzwischen weltweit bekannten Internat Hogwarts, ausgebildet werden soll. Auf Anhieb war mir klar, ein wunderbares, magisches, die Phantasie anregendes Buch in Händen zu halten, etwas, das es in dieser Form noch nie gab und das fortan der Kinder- und Jugendliteratur einen ganz neuen Weg weisen würde.
Heute, 24 Jahre später, erfreuen sich die Harry Potter Bände enormer, ungebrochener Beliebtheit, haben unwillige Jungleser zu begeisterten Leseratten gemacht, wurden verfilmt, waren und sind Gegenstand wissenschaftlicher Arbeiten – und haben nicht zuletzt ihre Autorin, die Britin Joanne K. Rowling, weltberühmt und zu einer der reichsten Frauen Großbritanniens gemacht.
Wieder und wieder habe ich mich an Harrys, Rons und Hermines Abenteuern erfreut, bin in ihrer reichen magischen Welt versunken und es ist kein Ende in Sicht! Bücher, die man immer wieder lesen kann, die Originale wie auch die zahlreiche Sekundärliteratur, die der Riesenerfolg des Zauberlehrlings, der am Ende, wie prophezeit, tatsächlich einer der größten und gefeiertsten Zauberer seiner Welt geworden ist, nach sich gezogen hat. Natürlich gab es auch Kritik, wie ich gelesen habe! So warnte etwa Josef Ratzinger als Papst Benedikt XVI davor, dass durch Harry Potter magischer Glaube und Okkultismus unter Jugendlichen verbreitet werden würde – völlig die Tatsache verkennend, dass es Märchen mit Zauberwesen schon zu allen Zeiten gegeben hat. Also am besten sagt man auch den Märchen, Produkte lebendigen Volksglaubens und -tradition, den Kampf an!
Aber sind die Harry Potter Werke denn Märchen? Ich finde es schwer, sie eindeutig einem Genre zuzuordnen. Gewiss gehören sie zur phantastischen Literatur, doch sind sie genauso Adoleszenz-, Abenteuer- und Detektivgeschichten; auch zu Internatsgeschichten kann man sie sicher zählen, denn der größte Teil der Handlung ist im Schulinternat Hogwarts angesiedelt, einer sehr komplexen und detailliert geschilderten Welt, wie die gesamte Zauberwelt mit festen Regeln, genauso wie man sie in der Parallelwelt, der der sogenannten Muggel, also Nicht-Zauberern, findet. Und darüberhinaus – welche Kinder- und Jugendbücher werden zu über 40% auch von Erwachsenen gelesen? All-age Romane also, wie man diese Art von Romanen inzwischen nennt.
Aber nun ein paar Gedanken zu dem Band, der die Harry Potter Erfolgsgeschichte einläutete! Die Entstehungsgeschichte dürfte längst Allgemeingut sein, und wurde in jedem Fall von der Autorin selbst in dem wundervollen, 2018 erschienenen Buch 'Harry Potter – Eine Geschichte voller Magie' (im englischen Original 'Harry Potter: A History of Magic“) hinreißend geschildert. Dem kleinen Jungen, dem der böse Lord Voldemort nichts anhaben konnte, als er zehn Jahre vor dem Beginn der Handlung in 'Harry Potter und der Stein der Weisen' (Originaltitel: 'Harry Potter and the Philosopher's Stone') loszog, um Harrys Eltern zu töten, der – zunächst ganz unverständlicherweise – von dem Leiter der Zauberschule, Albus Dumbledore, und Professor McGonagall zu seinen bornierten und geradezu bösartigen Verwandten gebracht wurde und für die nächsten 10 Jahre seines Lebens von ebendiesen Dursleys auf eine Weise erzogen wurde, die ein Kind für den Rest seines Daseins eigentlich schwer traumatisieren müsste, fliegen sofort alle Herzen zu. Man verfolgt mit Freude und Genugtuung, wie der Kleine an seinem von den Verwandten ignorierten Geburtstag von Hagrid, dem riesenhaften Wildhüter auf Hogwarts, vor den Dursleys gerettet – nicht ohne diesen eine saftige Lektion zu erteilen! - und über seine wahre Identität in Kenntnis gesetzt wird.
Ja – und dann kann das große Abenteuer beginnen! Harry kommt nicht mehr aus dem Staunen heraus: er fährt mit dem Hogwarts-Express (Abfahrt 9 dreiviertel, King's Cross Station) seinem neuen Leben entgegen, verwundert und gleichzeitig verlegen, weil jeder ihn zu kennen scheint; er wird Dinge erleben, von denen er nicht im Traum gedacht hätte, dass sie existieren, lernt bald schon – und dies ist vielleicht das Schönste von allem – und zum ersten Mal im Leben, echte Freunde kennen, die mit ihm durch Dick und Dünn gehen, auf die er sich blind verlassen kann, stellt fest, dass er in Hogwarts nicht nur das Zaubern lernt, sondern allerlei mehr, entdeckt, dass er ein Naturtalent im berühmten und von allen geliebten Mannschaftsspiel – auf Besen! - Quidditch ist und fühlt sich überhaupt unter all den jungen Hexen und Zauberern so wohl wie noch nie in seinem bisher so freudlosen, Leben.
Natürlich ist der Schulalltag in Hogwarts kein Zuckerschlecken! Es gibt Regeln, deren Einhaltung streng überwacht wird. Verstöße können den Ausschluss von Hogwarts bedeuten, also ist man am besten vorsichtig und hält sich an die Gesetze! Doch Harry ist aus so abenteuerlustigem, verwegenen Stoff gemacht, wie er neugierig ist. Und es dauert gar nicht lange, da entdeckt er, dass Böses vorgeht auf Hogwarts, dass Gefahr im Verzug ist von jemandem, wie sich herausstellt, dessen Name nicht genannt werden darf und der zwar durch den fehlgeschlagenen Mordversuch an Harry all seiner Kraft und Macht beraubt wurde, aber bereits Pläne schmiedet, wieder zur alten Größe zurückzufinden – und dabei ist ihm, der das personifizierte Böse darstellt, jedes Mittel recht! Buchstäblich, wie der in atemlose Spannung versetzte Leser miterleben muss. Der Stein der Weisen, der seinem Besitzer Unsterblichkeit verleiht, ist des bösen Wesens erklärtes Ziel. Und das müssen Harry und seine Freunde, die zu diesem Zeitpunkt allerdings den ungeliebten Professor Snape, Lehrer für Zaubertränke und erklärter Feind Harrys, im Verdacht haben, unbedingt verhindern – und geraten dabei in höchste Lebensgefahr....
Was für ein fulminanter Start der berühmten Reihe! Immer wieder denke ich das, auch nach erneutem Lesen und Wiederlesen. Wie reich an Phantasie ist doch diese außergewöhnliche Autorin! Und wie phantastisch sie schreiben kann! Da kommen keine Längen, kommt keine Langeweile auf, alles ist mit einer logischen Konsequenz erzählt, die ihresgleichen sucht. Sie malt zauberhafte Bilder einer ebenso zauberhaften Parallelwelt, die man rasch der echten Welt nicht nur vorzieht, sondern die ihr gar überlegen ist, von solcher Intensität und Exaktheit, dass ich abschließend nur feststellen kann, dass ohne ihre Bücher die Gedankenwelt der Kleinen, der Größeren und schließlich auch der ganz Großen um einiges ärmer wäre. Und Bücher, die bereits zwanzig Jahre nach ihrem Erscheinen Klassiker geworden sind, gibt es ja wohl nicht eben wie Sand am Meer, nicht wahr?

Veröffentlicht am 15.09.2021

Beeindruckendes Romanporträt einer Frau, die ihrer Zeit weit voraus war

Vor Frauen wird gewarnt
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Im Jahr 1951, vor nunmehr 70 Jahren, wurde Vicki Baums Roman „Vor Rehen wird gewarnt“ (im Englischen Original „Danger from Deer“, denn tatsächlich schrieb die Österreicherin, die mit ihrer Familie 1932 ...

Im Jahr 1951, vor nunmehr 70 Jahren, wurde Vicki Baums Roman „Vor Rehen wird gewarnt“ (im Englischen Original „Danger from Deer“, denn tatsächlich schrieb die Österreicherin, die mit ihrer Familie 1932 in die Vereinigten Staaten auswanderte, ab den Vierziger Jahren ihre Bücher nur noch auf Englisch) erstveröffentlicht. Heidi Rehn wandelte den Titel ab und nannte ihr Buch, das sich mit Vicki Baums Weg zum Erfolg zwischen den Jahren 1926 und 1931 beschäftigt, „Vor Frauen wird gewarnt“. Ein gar treffender Name für diesen Roman, denn die seinerzeit vielgelesene Autorin war eine ganz und gar ungewöhnliche Frau, in keiner Weise dem Frauenbild der damaligen Zeit entsprechend und somit durchaus eine Bedrohung für Männer - nicht nur in der Geschäftswelt -, für die Frauen ausschließlich die Rolle der treusorgenden Hausfrau und Mutter zu spielen hatten.
Selbstbewusst, unabhängig, zielstrebig machte sie sich 1926 auf den Weg aus der Provinzstadt Mannheim, in der ihr Mann Musikdirektor und erster Kapellmeister war, in die pulsierende Großstadt Berlin, dem Ruf des Verlagshauses Ullstein folgend, das ihr versprach, sie zur meistgelesenen Schriftstellerin ihrer Zeit aufzubauen. Die Sorge für die beiden noch sehr jungen Söhne überließ sie ihrem Mann Hans und zwei zuverlässigen Hausangestellten (skandalös für die meisten ihrer Zeitgenossen!) - um fortan eine geräumige Wohnung ganz für sich im Grunewald im 'Dachjuchhe' einer herrschaftlichen Villa zu bewohnen, frei, voller Neugierde und Lebenslust.
Gebannt verfolgt der Leser, aber wahrscheinlich eher die Leserin, Vickis erste Schritte sowohl im Ullsteinhaus als auch in ihrem neuen Leben in der Stadt, die in den wilden Zwanzigern ihre einzigartige Blütezeit erlebte, in der man sich amüsierte und genoss, was immer es zu genießen gab, die Nacht zum Tage machte, gerade so, als gäbe es kein morgen.
Hervorragend gelingt es der Autorin, diese Zeit auferstehen zu lassen, ihre besondere Atmosphäre einzufangen, dem Leser, beziehungsweise der Leserin, das Gefühl zu vermitteln, dabeizusein, mittendrin, in all dem Trubel, mit Vicki ins Berliner Nachtleben, auch das 'verruchte', einzutauchen, mit ihr zu tanzen bis zum Umfallen und einen Huch von der bedingungslosen Lebensfreude zu verspüren, die die Menschen damals, zwischen zwei verheerenden Weltkriegen, beseelte. Fast als würde man den kommenden Weltensturm ahnen, der Europa schon bald in Schutt und Asche legen würde....
Spannend zu lesen ist darüber hinaus die Entwicklung von Vicki Baums Karriere beim Ullstein-Verlag. Heidi Rehn gibt so interessante wie vielsagende Einblicke in die – männliche – Hierarchie des Verlages, die Art und Weise, wie solche Unternehmen arbeiten, wie Zeitungen gemacht, Autoren lanciert und auch wieder abgeschoben wurden, und wie es Vicki Baum mit Fleiß, Geschick und Können schaffte, sich in einer Männerwelt und trotz ihrer damals schon über 40 Lebensjahre – ein Fakt, den nicht nur Vicki selbst, sondern auch ihre Freundinnen, die sie unter den Kollegen rasch fand, immer wieder thematisierte, was ich ein wenig ermüdend fand – nicht nur zu behaupten, sondern auch durchzusetzen, auf ihre besondere Art!
Zudem werden wir Leserinnen Zeugen der Entstehung ihres damals für großes Aufsehen sorgenden Romans „Stud. Chem. Helene Willfüer“, in dem sie, ihrer Zeit weit voraus, Themen anschnitt, die, gelinde gesagt, heikel waren und für die die Zeit eigentlich noch nicht reif war. Entsprechend schwer taten sich die Verlagschefs auch mit der Veröffentlichung des Romans um eine, wie Vicki selbst, selbstbewusste junge Frau, die – hierin anders als Vicki – nicht nur einen Universitätsabschluss macht, sondern auch noch eine alleinerziehende Mutter ist. Dieses Buch, wie auch alle anderen Bücher der Schriftstellerin, wird nur wenige Jahre später der Bücherverbrennung der 'braunen Brut' zum Opfer fallen, genauso, wie die Autorin lange Jahre hierzulande bedauerlicherweise in Vergessenheit geraten wird.
Doch dies ist nicht Gegenstand von Heidi Rehns Romanbiographie, die an dem Punkt endet, da Vicki Baum ihren größten Triumph feiert: internationale Anerkennung mit dem beeindruckenden Buch „Menschen im Hotel“, zeitlos in seiner entlarvenden Studie der Menschen und ihrer Verhaltensmuster, das Vorlage war für den gleichnamigen berühmten Hollywoodfilm mit den damaligen Superstars Greta Garbo und den Barrymore-Brüdern. Dies nahm die österreichische Schriftstellerin jüdischer Herkunft zum Anlass, den nächsten Schritt in ihrer Karriere zu tun und mit ihrer Familie in die sie mit offenen Armen empfangenden USA auszuwandern – ein glücklicher Entschluss, denn er kam gerade zur rechten Zeit....
Überhaupt bestand, so wie ich den hier zu besprechenden Roman lese, Vicki Baums Leben aus vielen glücklichen Zufällen, wobei – Vicki überließ eigentlich wenig dem Zufall, das entsprach nicht ihrem Naturell! Sie wusste, was sie wollte, was sie konnte und wie die Ziele zu erreichen waren, die sie sich gesteckt hatte. Eine egozentrische Karrierefrau, so könnte man meinen. Doch gewährt Heidi Rehn immer wieder auch einen Blick auf die andere Seite der Vicki Baum, die sich zwar für einige Jahre von der Familie getrennt hatte, um sich selbst zu verwirklichen, wie man heute so schön sagt, doch waren Mann und Söhne ein wichtiger, vielleicht der wichtigste Teil ihres Lebens und sie nutzte jede Gelegenheit, Zeit mit der Familie zu verbringen. Von einer 'freien Beziehung' ist in dem Roman oft die Rede – sehr modern für die 20er Jahre und sicherlich auch heute noch ein Thema, an dem sich die Geister scheiden. Erstaunlicherweise aber funktionierte dieses Konzept anscheinend im Falle von Vicki und ihrem Mann. Nie verloren sie sich, immer standen sie einander zur Seite, bis zu Vickis Tod im Jahre 1960, wie man dem lesenswerten Nachwort entnehmen kann.
Offensichtlich sehr gründliche Recherchen hat die Autorin für ihren Roman rund um Vicki Baum gemacht, hierin kann ich dem Klappentext nur zustimmen. Aber - „Vor Frauen wird gewarnt“ ist in erster Linie ein Roman und als solcher immer subjektiv! Fiktion trifft Realität, vermischt sich mit ihr und kreiert etwas ganz Eigenes, ja, auch etwas Neues. Wie auch immer es in der realen Vicki Baum, eigentlich Hedwig Baum, geschiedene Prels, wiederverheiratete Lert, aussah, weiß nur sie selbst und allenfalls die enge Familie. Aber so, wie Heidi Rehn sie sieht und in ihrem Roman geschildert hat, könnte sie durchaus der Wahrheit sehr nahe gekommen sein. Von primärer Bedeutung ist das nicht, was zählt ist vielmehr, dass Rehn ihre Leserinnen die Bekanntschaft machen lässt mit einer so begabten wie disziplinierten und durchsetzungsfähigen, dabei aber auch an sich zweifelnden Frau, auf deren Werke unverdienterweise ein wenig abschätzig herabgeblickt wird, die einstmals von den Nationalsozialisten als 'Asphaltliteratur' verfemt wurden, und die sich selber einmal als 'erstklassige Schriftstellerin zweiter Güte' bezeichnet hat – vielleicht mit dieser ironischen Bemerkung ihe Verletztheit über das Belächeln, die Geringschätzung ihre Werke durch die Kritikerpäpste ihrer Zeit überspielend.
Für mich ist sie eine hervorragende Autorin von exzellent geschriebener Unterhaltungsliteratur (in keinem anderen Land wird, soweit mir bekannt ist, so geringschätzig herabgeblickt auf dieses Genre, in keinem anderen Land auch macht man ein solches Gewese um den Unterschied zwischen Belletristik und Literatur), an der sich der Großteil der heutigen Schreiberlinge, die nicht mal eine ordentliche deutsche Orthographie beherrschen, ein Beispiel nehmen sollte! Es lohnt sich allemal, Vicki Baums Romane zu lesen, auch und gerade heute – und Heidi Rehns mit, so will mir scheinen, Leidenschaft und Hingabe geschriebene Romanbiographie könnte durchaus ein Anstoß dazu sein!

Veröffentlicht am 14.09.2021

Auf Loretta und die Freunde ist Verlass

Ein Männlein liegt im Walde
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Kevin heißt das Männlein aus dem Buchtitel, ist Angies Lebensgefährte und Ernährer und liegt nun mausetot im Regen, erstochen! Neben ihm liegt noch jemand, Dennis, Besitzer eines Callcenters und mit Loretta ...

Kevin heißt das Männlein aus dem Buchtitel, ist Angies Lebensgefährte und Ernährer und liegt nun mausetot im Regen, erstochen! Neben ihm liegt noch jemand, Dennis, Besitzer eines Callcenters und mit Loretta Luchs verbandelt – bewusstlos! Kevin und Dennis also, Träger zweier vorurteilsbehafteter Vornamen. Nomen est Omen? Bei Kevin schon, so ist zu mutmaßen, während Dennis ein rundum netter und anständiger Kerl ist, der seine wilde Jugend erfolgreich hinter sich gelassen hat, wenn man mal absieht von seiner speziellen Art sich zu kleiden. Aber zu seinem Mungo Jerry Look steht er, seriös ist er in seinem Innern, flippig-abgefahren nach außen.
Ganz und gar nicht seriös aber ist die bereits erwähnte, stinkfaule Angie, Mutter der genauso stinkfaulen Miriam, die, wie sie meint, vor der ganz großen Karriere als Influencerin steht, in seliger Unkenntnis der Tatsache, dass für eine solche ohne Fleiß kein Blumentopf zu gewinnen ist. Und Miriam wiederum ist die Freundin, besser die von ihm so genannte 'Bitch' eines gewissen TocTocSeven, Möchtegern Gangsta-Rapper und erwiesenermaßen eine talentfreie Hohlbirne, wie Lorettas Freundin Diana ihn treffend einstuft. Kevin war der dauerbekifften, extrem arbeitsscheuen, selbsternannten Buddhistin Angie und ihrer nichtsnutzigen Tochter, die er zur Arbeit motivieren wollte, ein zunehmendes Ärgernis – und daher wurde ein perfider Plan geschmiedet, ihn über die Wupper zu wuchten, um mal frei im schlagfertigen Jargon zu bleiben, dessen sich die Geschichte befleißigt, was ihr sehr gut zu Gesicht steht. Ein Plan, der den arbeitsamen, gutmütigen Dennis involvierte, denn dem wurde Miriam als Tochter untergeschoben. Dennis und eben jene Angie, die auch damals schon ein egozentrischer Blutsauger war, der nichts anbrennen ließ, nämlich, hatten zu Hippiezeiten auf Ibiza eine Affäre, deren Resultat die Tagediebin Miriam ist. Sein soll! Angeblich!
Dass Dennis, erstmal völlig erschlagen von der vermeintlichen Tatsache, Vater zu sein, nur Mittel zum Zweck ist, der darauf gerichtet ist, Kevin zu beseitigen, merkt er allerdings erst, als die durchtriebene Angie gemeinsam mit der hirnfreien Tochter bei der Polizei zu Protokoll gibt, dass Dennis versucht hätte, sie zurückzugewinnen und ihm daher Kevin im Weg gewesen wäre. Ein Motiv, das die ermittelnde Polizei, genauer gesagt Kommissarin Küpper ('die Kobra'), als schwerwiegend genug ansieht, um den freundlichen Callcenter-Chef, der doch in Wirklichkeit nur seine Loretta und seine puscheligen Zwergseidenhühnchen liebt, in Untersuchungshaft zu nehmen.
Loretta ist am Boden zerstört, besinnt sich dann aber auf die beachtlichen detektivischen Qualitäten, über die sie verfügt, wie man im Laufe der Lektüre erfährt und von denen man sich auch selbst überzeugen kann. Und dann – wozu hat man denn Freunde, allzeit hilfsbereit, immer zur Stelle? Also mobilisiert sie Frank und Bärbel, Erwin und Doris – und ruft Okko aus dem hohen Norden, seines Zeichens versierter Anwalt und Ehemann ihrer besten Freundin Diana, herbei, um Dennis rechtlich zu vertreten und ihn so schnell wie möglich zu ihr zurückzubringen. Denn dass Dennis das Bauernopfer in einem dreist-bösartigen Komplott ist, ist sonnenklar! Jetzt gilt es, die garstige Angie und ihre Helfershelfer zu überführen, was nahezu aussichtslos erscheint, denn die Böse ist mit allen schmutzigen Wassern gewaschen....
Turbulent geht es zu in diesem Roman, der die Bezeichnung 'Krimödie' völlig zu Recht trägt. Ungewöhnlich ist freilich, dass der Täter beziehungsweise die Tätergruppe von Anfang an bekannt ist! Wenn man nun allerdings meint, dass der Geschichte damit ein Gutteil an Spannung genommen wird, irrt man sich gewaltig! Selbst diejenigen unter den Krimifreunden, die sich gerne selbst an der Entlarvung des Übeltäters beteiligen und herumrätseln wollen, werden auf ihre Kosten kommen, freilich anders, als sie es gewohnt sind. Hier geht es nämlich nicht um das Auffinden des Drahtziehers einer kriminellen Angelegenheit sondern um dessen Überführung – und das ist so spannend wie im höchsten Maße amüsant geschrieben und lässt darüberhinaus einen Blick werfen auf die mühselige und unflexibel anmutende Polizeiarbeit, wie auf das vorgeschriebene Prozedere nach dem Fund einer Leiche und der Einlassung von Zeugen. Der gute Leumund des Beschuldigten hat, so lese ich erstaunt, keinen Aussagewert, es zählen nur Fakten, in unserer 'Krimödie' also die Tatsache, dass der ohnmächtige Dennis blutbeschmiert und mit einem Messer in der Hand neben dem toten Kevin gefunden wurde und die darauf folgende Aussage der beiden gewissenlosen Frauen. Und wenn die Beweislage hieb- und stichfest ist, gibt es für die Polizei keinen Grund, weiter zu ermitteln, anderen möglichen Spuren nachzugehen!
Was also wäre aus Dennis geworden, wenn da nicht Loretta und die Freunde, allen voran der ehemalige Polizist Erwin, gewesen wären, denen ja gar nichts übrig bleibt, als auf eigene Faust den kotelettengeschmückten Hühnerliebhaber wieder zu einer reinen Weste und damit zur Freiheit zu verhelfen? Das tun sie mit Engagement, Schwung, Einfallsreichtum und lockeren Sprüchen, im feinsten Ruhrpottslang, sobald Karate-Frank seinen Mund aufmacht – und es ist aufs Höchste unterhaltsam zu lesen! Wortwitz pur! Und einfach herrliche Charaktere – von den sympathischen bis hin zu den Übelkrähen!
Es verwundert mich und ist mir darüberhinaus ein Rätsel, warum mir die Bücher der Autorin Lotte Minck bislang noch nicht untergekommen sind, zumal, wie ich während der Lektüre herausgefunden habe, es schließlich bereits eine beachtliche Reihe von 'Krimödien' um Loretta Luchs (aka 'Hornbrillen-Girl', wie man dem Covertext entnehmen kann) gibt und in denen, so ist anzunehmen, auch Dennis, Diana, Erwin und die übrigen Freunde eine Rolle spielen. Aber dieses Versäumnis kann und wird behoben werden, denn es lohnt sich allemal, die Begegnung mit einer derart sympathischen, witzigen, schlagfertigen, herrlich normalen und das Herz auf dem rechten Fleck habenden Bande nicht eine einmalige sein zu lassen, sondern im Gegenteil die Bekanntschaft zu intensivieren!

Veröffentlicht am 13.09.2021

Von Astrologen, Esoterikern und anderen Wirrköpfen

Der Himmel über Nordfriesland
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Regionalkrimis! Die einen lieben sie und vergessen nie, das ihnen unvermeidlich anhaften müssende 'Lokalkolorit' (so recht weiß ich nie, wie man das messen kann) zu preisen, die anderen verspotten sie ...

Regionalkrimis! Die einen lieben sie und vergessen nie, das ihnen unvermeidlich anhaften müssende 'Lokalkolorit' (so recht weiß ich nie, wie man das messen kann) zu preisen, die anderen verspotten sie als 'Cosy Crimes', also als im Grunde harmlose Kriminalgeschichten, ohne Spannung oder gar Action, in heimeliger Umgebung, in denen es Amateuren zufällt, die jeweiligen Fälle, auch eher harmloser, auf jeden Fall wenig spektakulärer Natur, zu lösen, wobei ihnen für gewöhnlich Freund Zufall, so unglaubwürdig, weil an den Haaren herbeigezogen, er auch ist, zu Hilfe eilt.
Den an dieser Stelle zu besprechenden, als Küstenkrimi apostrophierten Roman in diese so oberflächlich charakterisierte Kategorie pressen zu wollen, muss unweigerlich schiefgehen! Wir haben es hier mit einem handfesten Krimi zu tun, der zwar so, wie er angelegt ist, nirgendwo sonst spielen kann als an der Nordsee, dem aber gottseidank jegliche angestrengte Bemühung um das unbestimmbare, reichlich vage 'Lokalkolorit' abgeht, der entschieden nicht von harmlos-naiven Figuren bevölkert wird, in keiner Weise beschaulich ist, dessen Handlung eine so interessante wie höchst ungewöhnliche und gewiss kontroverse Thematik zugrunde liegt und mit einem komplizierten Fall aufwartet, dessen Aufklärung in den Händen von Profis, nämlich zwei Kriminalbeamten, liegt.
Und jene beiden Ermittler, Gustav Hilgersen und Waldemar Flottmann, letzterer ehemals Leiter der Bonner Mordkommission, aber, des erhofften ruhigeren Lebens wegen, zur Husumer Polizei gewechselt, sind Dreh- und Angelpunkt, oder treffender Herz und Seele auch dieses fünften Bandes einer Reihe, deren Protagonisten eben die beiden zuvor Erwähnten, 'Gustl' und 'Waldi', sind. Und in der Tat, ihr hintersinnig-spöttischer, liebevoll-frotzelnder verbaler Schlagabtausch ist das, was dem sich hier entfaltenden skurrilen Geschehen, das in einem Mord gipfeln wird, die Härte, die Beklemmung, die Düsternis nimmt, eine Balance schafft zu dem Ausnahmezustand, den ein Verbrechen, welcher Art auch immer, stets darstellt. Die beiden Kommissare sind einander zugetan, der eine kann sich auf den anderen verlassen, selbstverständlich, ohne dies besonders betonen zu müssen. 'Wie ein altes Ehepaar' sagt Flottmann so treffend an einer Stelle.
Gegensätzliche Charaktere sind sie freilich! Während Flottmann ein Skeptiker ist, ganz und gar dem Rationalen anhaftend, ein Pragmatiker, hält Hilgersen es durchaus für möglich, dass es Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, die mit dem Verstand nicht zu erklären sind, hat er ein Faible für paranormale Geschehnisse und ist auch für Astrologie durchaus empfänglich.
Genau darum dreht sich denn auch die Handlung unseres Küstenkrimis! Wir werden mit vermeintlich übernatürlichen Phänomenen konfrontiert, wie einem aus dem Nichts und über Nacht entstandenen, für Aufruhr sorgenden und auf großes Medieninteresse stoßenden Kornkreis, einen auf geheinmisvolle Weise geleerten Löschteich, mysteriösem Glockengeläut aus dem Meer, das eine alte Legende zu bestätigen scheint, Stimmen aus dem Nichts, das eine Gruppe junger Leute in einem Bunker aufnimmt, zu dem sie sich verbotenerweise Zutritt verschafft haben, treffen auf wenig seriöse, verantwortungslose Astrologinnen, die einer dafür empfänglichen Kundenschar weismachen wollen, dass ihr Schicksal in den Sternen liegt, dass nur diese ihnen den Weg durchs Leben weisen können, auf Esoteriker, Handleser, das Pendel rotieren lassende Fehlgeleitete, denen mehr als nur eine Latte am Zaun fehlt, und machen darüberhinaus auch die Bekanntschaft mit einem seriösen Wissenschaftler, der Flottmann – und somit auch uns Lesern – eine so verständliche wie faszinierende Einführung in die Astronomie gibt und gleichzeitig den Sinn und Unsinn der so konträren Schwesterdisziplin Astrologie entlarvt – die eine junge, seelisch angeknackste Frau in den Tod getrieben hat.
Und nun endlich bin ich in medias res angelangt! Da gibt es nämlich jemanden, der es auf Astrologinnen abgesehen hat, sie entführt, im Watt einbuddelt, das Gesicht wie zum Hohn dem sie angeblich leitenden Sternenhimmel zugewandt – womit man den Titel des Krimis deuten könnte - , und sie der Flut und dem sicheren Tod überlässt! Diesen Unbekannten gilt es zu finden und dingfest zu machen, bevor sein mörderischer Plan aufgeht, bevor er sein Ziel erreicht hat. Eine unmöglich scheinende Aufgabe, solange sowohl das Motiv als auch die Identität des Mörders im Dunkeln liegen.
Doch wer zweifelt daran, dass Hilgersen und Flottmann auf ihre bedächtige Art den wohl ungewöhnlichsten, vielleicht auch dramatischsten Fall ihrer bisherigen Zusammenarbeit in einem spannenden Finale aufklären werden? Da sie keine Superdetektive a la Sherlock Holmes sind, die von leuchtenden Geistesblitzen heimgesucht werden und die Verbrechen quasi im Vorübergehen mit der linken Hand lösen, darf ihnen ruhig gelegentlich der Zufall zu Hilfe kommen, in Gestalt etwa des genialen, wenn auch sehr speziellen Leon Gerber, der Dinge hören und spüren kann, die Normalsterbliche nicht wahrnehmen, oder eines falschen Zuges des Täters selbst, eines im wahrsten Sinne des Wortes brandgefährlichen, zum Äußersten entschlossenen Psychopathen.
Summa summarum: Ich habe hier einen wirklich guten, vielschichtigen, abwechslungsreichen Krimi gelesen! Es gibt nichts, was ich daran auszusetzen hätte, keinerlei Ungereimtheiten, nichts an den Haaren Herbeigezogenes – es stimmte einfach alles! Ein Ermittlerduo, das mir mit seinen oft ironischen Dialogen Freude gemacht hat, ein ungewöhnlicher, spannender Fall, auf einem Thema aufgebaut, das ich sowohl faszinierend (Astronomie) als auch verwunderlich (Astrologie, Esoterik) finde, Figuren, die nicht nur vernünftige, alltägliche Namen tragen, sondern überaus lebendig sind, fragwürdig, gefährlich, liebenswürdig, ein wenig spinnert oder gar völlig überkandidelt, aber alle glaubwürdig in den Rollen, die ihnen zugedacht sind. Ein von mir als insgesamt ruhig und unaufgeregt empfundener, aber dem zum Trotz in einem spannenden Finale gipfelnder Krimi ohne blutige Szenen, dafür aber zum Nachdenken anregend – und dies nicht nur über Sinn und Unsinn der Astrologie! Fürwahr, lieber Autor, eine solche Bücherserie muss man einfach weiterführen!