Profilbild von EmmaWinter

EmmaWinter

Lesejury Star
offline

EmmaWinter ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit EmmaWinter über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 02.07.2022

Klimt im Spazierstock

Waldinneres
0

Das kleine Gemälde "Waldinneres" von Gustav Klimt gilt seit Ende des Krieges als Raubkunst und ist verschollen. 2009 taucht es in einem Bankschließfach in Zürich wieder auf. Der Barbesitzer Gottfried kann ...

Das kleine Gemälde "Waldinneres" von Gustav Klimt gilt seit Ende des Krieges als Raubkunst und ist verschollen. 2009 taucht es in einem Bankschließfach in Zürich wieder auf. Der Barbesitzer Gottfried kann sich nicht erklären, wie das Bild in den Besitz seines Vaters Hermann gekommen ist, der sich vor Jahrzehnten erhängt hat. Hatte die schwere Depression des Vaters mit dem Gemälde zu tun?

Der Roman beginnt in der Gegenwart mit einem am Boden liegenden Maler und rollte die Geschichte des Klimt-Bildes dann von hinten auf. Es gibt viele Zeitsprünge und Perspektivwechsel, die verwirren könnten; da ich das Buch aber an zwei Tagen durchgelesen habe, habe ich gut durch die Geschichte hindurchgefunden. Die Handlung ist wirklich faszinierend, allerdings klingt sie spannungsgeladener, als sie ist. Das Geschehen wird ruhig erzählt und die Fluchtgeschichte spielt auch nur eine kleine Rolle, der größte Teil der Handlung findet in der Gegenwart statt und was das Geheimnis und das Bild mit den Beteiligten und den Nachkommen gemacht haben.

Gottfrieds Café-Bar ist das Herzstück, hier gehen alle Charaktere ein und aus. Ein Zufluchtsort für den ehemaligen Weltenbummler und seine Freunde. Ich hätte mir noch ein bisschen mehr Tiefe bei den Figuren gewünscht, sie sind mir nicht so nahe gekommen und das Ende war dann etwas "überfrachtet". Dennoch hat mich das Buch gut unterhalten und ich habe es wirklich gerne gelesen. Der Titel des Bildes, das es übrigens wirklich gibt, ist gleichzeitig ein Schnittpunkt in der Fluchtgeschichte, denn im Inneren des Waldes verschwindet nicht nur das Bild.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 30.06.2022

Frauenschicksal in Jaipur

Die Hennakünstlerin
0

Lakshmi hat das Unmögliche getan, sie hat ihren Ehemann verlassen und damit Schande über ihre Familie gebracht. Allein und mittellos schlägt sie sich von ihrem Dorf bis nach Jaipur durch. Aufgrund ihrer ...

Lakshmi hat das Unmögliche getan, sie hat ihren Ehemann verlassen und damit Schande über ihre Familie gebracht. Allein und mittellos schlägt sie sich von ihrem Dorf bis nach Jaipur durch. Aufgrund ihrer Kenntnisse über Heilkräuter und Hennakunst, gelingt es ihr, aus bescheidenen Anfängen einen florierenden Ein-Frau-Betrieb aufzubauen. Ihre Einnahmen ermöglichen es ihr sogar, den Bau eines eigenen Hauses in Auftrag zu geben und sich damit ihren Lebenstraum zu erfüllen. Kurz vor ihrem Einzug erscheint jedoch ihre 13 Jahre jüngere Schwester, von dessen Existenz sie bisher nichts wußte. Und Radha ist nicht allein gekommen, sie wird von Lakshmis Ehemann begleitet, vor dem diese vor langer Zeit geflohen war. Damit - man kann es sich denken - verläuft der Lebensplan der Hennakünstlerin in ganz andere Bahnen, als bisher geplant.

Die Autorin beschreibt das Leben der Frauen im Indien der 1950er Jahre sehr anschaulich, dabei beschränkt sie sich nicht nur auf die höheren Klassen, sondern bezieht auch die armen und ärmsten Frauen mit ein. Das hat mir gut gefallen. Die Männer spielen ihre Rollen eher im Hintergrund, obwohl sie in fast allen Belangen das Sagen haben. Dennoch kann man erkennen, wie geschickt einige Frauen die Fäden ziehen. Die Themen Gewalt gegen Frauen, Unterdrückung, Zwangsverheiratung und Abhängigkeit werden hier deutlich angesprochen. Die Protagonistin zeigt, dass es auch andere Wege geben kann. Allerdings muss ich leider sagen, dass mich das Buch nicht packen konnte. Es war in den USA ein riesiger Erfolg, aber ich war weder von der Geschichte fasziniert, noch vom Sprachstil. Auch war mir die Protagonistin Lakshmi nicht sympathisch, die sich ständig (unnötig) mit Selbstvorwürfen überschüttet. Die Geschichte erstreckt sich über 14 Monate und setzt mit der Reise der jungen Radha ein. Die Fluchtgeschichte ihrer älteren Schwester, die mich sehr interessiert hätte, wird nur in kurzen Rückblicken erzählt.

Vielleicht tue ich dem Buch Unrecht, es kommt ja auch oft darauf an, was man gerade vorher gelesen hat und ich habe bisher auch keine weitere "indische" Literatur gelesen. Wer eine vorhersehbare Emanzipationsgeschichte lesen möchte und in die farbenprächtige Welt Indiens eintauchen möchte, ist hier genau richtig.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 25.06.2022

Jeder hat sein Päckchen zu tragen

Der Distelfink
0

Theo Decker hat ein ziemlich großes Päckchen zu tragen. Er verliert seine Mutter, die der Mittelpunkt seines Lebens war, seine Trauer ist unvorstellbar. Sein Vater ist verschwunden, die Großeltern wollen ...

Theo Decker hat ein ziemlich großes Päckchen zu tragen. Er verliert seine Mutter, die der Mittelpunkt seines Lebens war, seine Trauer ist unvorstellbar. Sein Vater ist verschwunden, die Großeltern wollen ihn nicht ... Sein Trost ist "Der Distelfink", ein kleines Bild, das durch einen schrecklichen Zufall in seinen Besitz gelangt und ihn begleiten wird, bis er sich selbst und sein Schicksal annehmen kann.

Was für eine Geschichte. Donna Tartt breitet das Leben des kleinen Theo (als die Handlung beginnt, ist er dreizehn Jahre alt) aus, wie einen nicht enden wollenden Faltplan. Mit unglaublicher Detailgenauigkeit beschreibt sie die äußeren und inneren Eindrücke, die Theo zu schaffen machen. Seine Lebensfreude, immer wenn er Pippa trifft, seine tief verzweifelten und depressiven Gedanken über den Sinn des Lebens. Das tut manchmal richtig weh. Jede Station, die Theo auf seinem Weg anläuft, wird mit so viel Hingabe beschrieben, dass man sie jedes Mal ungern wieder verläßt, um sich mit Theo wieder auf den Weg zu machen. Die wunderbaren Charakter und Schauplätze konnte ich mir alle so bildhaft vorstellen, wie in einem Film. Die Einbindung des Distelfink-Bildes, die Todesumstände des Künstlers und der Mutter von Theo, das war schon eine grandiose Verflechtung.

Mich hat die Geschichte wahnsinnig gefesselt. Die Entwicklung, die Theo durchmacht, sein Abrutschen in die eine und dann noch in die andere Richtung, sind so tragisch und doch auch nachvollziehbar.

Die Jugendgeschichte hat mir jedoch besser gefallen, als der zweite Teil der Handlung und der letzte Abschnitt, der in den Niederlanden spielt, war mir etwas zu wirr und philosophisch. Leider ging mir Boris auch zunehmend auf die Nerven. Dennoch ist das Buch - trotz der 1.024 Seiten - eine echte Leseempfehlung.

Mich hat es ein wenig an Gottfried Kellers "Der grüne Heinrich" erinnert.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 11.06.2022

Feuer und Wasser

Heimkehren
0

Nur durch ein paar Steine sind sie von einander getrennt und doch leben sie völlig unterschiedliche Leben: Effia, die einen englischen Offizier heiratet und in der Festung Cape Coast lebt und ihre Halbschwester ...

Nur durch ein paar Steine sind sie von einander getrennt und doch leben sie völlig unterschiedliche Leben: Effia, die einen englischen Offizier heiratet und in der Festung Cape Coast lebt und ihre Halbschwester Esi, die im Festungskerker sitzt und als Sklavin verkauft wird. Mit diesen beiden afrikanischen Frauen beginnt die Familiengeschichte, die sich über sechs Generationen zieht und die Entwicklung der beiden Familienteile nachzeichnet.

Die Autorin hat mit ihrem Debüt eine faszinierende, grausame und doch wunderbar zu lesende Geschichte geschrieben. Dabei wird abwechselnd über die Familienzweige geschrieben, immer steht eine Person der nächsten Generation im Fokus. Obwohl es jeweils nur kleine Abschnitt im Leben dieser Charaktere sind, ist der Roman absolut rund und es blättert sich eine vielschichtige Familiensaga heraus, in der die Sklaverei und ihre Folgen im Zentrum stehen. Dabei geht es in Afrika nicht weniger schrecklich zu, als in Nordamerika.

Das Kapitel über "H", der in den Kohleminen schuften muss, ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Die Willkür, mit der Menschen verhaftet und bestraft wurden, das erinnert alles auf schreckliche Art und Weise an aktuelle Diskussionen über das Verhalten gegenüber Schwarzen in den USA. Die Autorin sagte selbst in einem Interview, dass die Folgen der Sklaverei noch lange nicht überwunden seien.

Ein lesenswerter Roman, der vor allem durch die parallele Erzählweise beeindruckt und diverse Aspekte der Sklaverei auf beiden Kontinenten schonungslos darstellt.

Der Familienstammbaum an Ende des Buches ist aber wegen der vielen Namen und Generationen unverzichtbar. Ich habe mir eine Kopie gezogen und darauf Notizen gemacht, das hat sehr geholfen, den Überblick zu behalten.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 11.06.2022

Was geschah mit Marie?

Kaltherz
0

Der zweite Thriller von Henry Faber orientiert sich an seinem erfolgreichen Debüt: Ein Kriminalfall, suspekte Figuren und ein Ermittlercharakter mit Ecken und Kanten, zahlreiche Wendungen und am Ende ist ...

Der zweite Thriller von Henry Faber orientiert sich an seinem erfolgreichen Debüt: Ein Kriminalfall, suspekte Figuren und ein Ermittlercharakter mit Ecken und Kanten, zahlreiche Wendungen und am Ende ist doch alles anders als gedacht.

Die toughe, schlagfertige und unangepasste Kim Lansky hat sich aus einem Münchener Ghetto bis zur Polizei hochgearbeitet. Bei ihren Kollegen ist sie wenig beliebt und landet schließlich - ihr letzte Chance - in der Vermisstenabteilung. Dort übernimmt sie den Fall eines aus dem Auto der Mutter entführten fünfjährigen Mädchens. Die Eltern wollen keine öffentliche Fahndung und es gibt keine Lösegeldforderung. Kim vergräbt sich in den Fall - mit ungeahnten Folgen.

Wie sein Vorgänger, besticht dieser eher unblutige Thriller durch eine schlau konstruierte Handlung und die dynamische Erzählweise. Aus der Perspektive von drei Personen wird die Handlung erzählt: Lansky und den Eltern von Marie. Statt einer Tätersicht wie in "Ausweglos", gibt es dieses Mal als Bonus die Opferperspektive. Kim ist als Charakter ausgefeilter als der Hamburger Kollege Blom aus "Ausweglos", das hat mir gut gefallen. Die unterschiedlichen Ich-Perspektiven sorgen für Spannung und Abwechslung im Lesefluss.

"Kaltherz" ist durchweg fesselnd und treibt mit immer neuen Erkenntnissen und Wendungen auf ein unerwartetes Ende zu. Auch für das zweite Buch von Henry Faber gilt: Ein prima Thriller, den ich nicht weglegen konnte und der mich gut unterhalten hat.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere