Profilbild von EmmaWinter

EmmaWinter

Lesejury Star
offline

EmmaWinter ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit EmmaWinter über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 03.12.2021

Wenn die Vergangenheit dich einholt

Nachttod
0

Die Polizistin Hanna Duncker tritt ihren Dienst auf Öland an. An ihrem ersten Tag wird Joel, der Sohn ihrer früheren besten Freundin erstochen aufgefunden; Hanna bleibt daher keine Zeit, um sich richtig ...

Die Polizistin Hanna Duncker tritt ihren Dienst auf Öland an. An ihrem ersten Tag wird Joel, der Sohn ihrer früheren besten Freundin erstochen aufgefunden; Hanna bleibt daher keine Zeit, um sich richtig im Team einzuleben. Allerdings kennt sie die Gegend bestens: Vor 16 Jahren floh sie Hals über Kopf, als ihr Vater wegen eines Verbrechens verurteilt wurde, das die ganze Gegend schockiert hatte. Jetzt ist Hanna zurück und für viele bleibt sie die Tochter eines Mörders. Wird sie ihrerseits den Mörder von Joel finden?

Die Geschichte wird in zwei Zeitsträngen erzählt. Einerseits begleiten wir Joel durch seinen letzten Tag bis zu seinem Tod, andererseits verfolgen wir die Handlung aus Hannas Sicht, die mit ihrer Ankunft auf Öland und dem Auffinden der Leiche einsetzt. Am Ende laufen die beiden Stränge zusammen.

Der Krimi hat mich nicht wirklich gepackt, ich habe ziemlich lange dafür gebraucht. (Immer ein eher schlechtes Zeichen.) Er kam für mich sehr behäbig daher, Spannung ist für mich nicht aufgekommen. Zunächst konnte ich auch gar nicht verstehen, warum Hanna nach Öland zurückkommt und sich dann wundert, warum alle die Tochter eines Mörders in ihr sehen. Damit musste sie durchaus rechnen, zumal ihr neuer Chef der Ermittler von damals war. Dass ihr die alte Sache ständig wieder vor die Füße fällt und sie sich darüber beklagt, war eher unglaubwürdig. An der Protagonistin muss noch etwas "gefeilt" werden. Ihren Kollegen Erik mochte ich ganz gern, der war als Figur realer.

Insgesamt ein gut geschriebener Krimi, dem etwas weniger Seiten und etwas mehr Spannung sicher gut getan hätten. Am Ende bleiben Fragen offen, die im zweiten Band (oder erst im dritten?) hoffentlich geklärt werden. Es ist noch Luft nach oben in dieser schwedischen Krimi-Reihe, daher dreieinhalb Sterne.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 22.11.2021

Tod in der Wüste

Denen man vergibt
0

Richard und Dally, zwei schwerreiche Männer, habe eine alte Berbersiedlung, ein sogenanntes Ksar, in Marokko gekauft und aufwändig renoviert. Dort findet jährlich eine ausschweifende Party mit Gästen aus ...

Richard und Dally, zwei schwerreiche Männer, habe eine alte Berbersiedlung, ein sogenanntes Ksar, in Marokko gekauft und aufwändig renoviert. Dort findet jährlich eine ausschweifende Party mit Gästen aus aller Welt statt. Auch das britische Ehepaar Henninger wird dort erwartet. Auf der Fahrt durch die staubige Landschaft überfahren David und Jo einen Einheimischen. Er stirbt. Als die Briten in Ksar Azna ankommen, ist die Party bereits in vollem Gange. Zwischen Champagner, Koks und unbeschwerten Menschen stehen sie als Aussenseiter. Als dann noch Verwandte den Leichnam des Jungen abholen wollen, treffen Welten aufeinander.

Der Roman erinnert in seiner Darstellung der Partygesellschaft mit all ihrer unglaublichen Verschwendung mitten in der Wüste an die Partys in "Der große Gatsby". Würden nicht immer mal wieder Schlüsselwörter fallen (z.B. Piepser, GPS-Gerät oder Italo-Pop), würde man die Geschehnisse nicht zeitlich einordnen können. Ich hatte tatsächlich immer wieder die Zeit der 20er und 30er Jahre vor Augen.

Die Geschichte wird einerseits aus der Sicht der Henningers und ihrer Gastgeber geschildert und ein zweiter Erzählstrang beleuchtet andererseits das Leben des Opfers Driss, bis sie sich nachts auf der Straße begegnen. Dabei wird deutlich, wie unterschiedlich die Kulturen sind, die hier aufeinanderprallen. Wie denken die Einheimischen über die Europäer und Amerikaner, die sich so unglaublich aufführen? Nackt durch die Gegend laufen, Unmengen von Alkohol trinken und Affären beginnen. Wie überlegen fühlen sich die Marokkaner gegenüber den rücksichtslosen Ungläubigen und bewundern sie doch. Und wie überlegen fühlen sich die Europäer mit ihrem Geld und ihrer Macht? Dabei wird gerade durch die Gedanken des "Managers" Hamid, des Vertrauten von Dally und Richard, klar, wie wenig sicher die Ungläubigen eigentlich sein sollten. Der Charakter des Hamid zeigt deutlich die Zerrissenheit zwischen Handeln und Denken der Einheimischen.

Lawrence Osborne beschreibt die Atmosphäre der Wüste, seiner Bewohner*innen und der alten Siedlung ebenso präzise, wie die ausgelassene Party mit alle ihrem Luxus und Überfluss. Wie in einem Film sieht man die Kulisse und die Figuren vor sich, dennoch hatte der Roman für mich Längen. Von den Charakteren kann ich keinen als sympathisch bezeichnen, am ehesten hat mir Jo gefallen, die am wenigsten versucht hat, sich zu verstellen.

Die Themen Vergeltung und Vergebung, aber besonders der dargestellte Kontrast der beiden Kulturen lassen einen noch lange über die Geschichte nachdenken. Dreieinhalb Sterne für diesen Roman, der für mich erst ab ca. der Hälfte interessant wurde.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 22.11.2021

Durch Zeiten und Geschichten

Wolkenkuckucksland
0

Der neue Roman von Pulitzer-Preisträger Anthony Doerr ist eine Hommage an die Werke der Antike, an Bibliotheken und Bücher, die Natur, an unsere Welt - großartig!

1453 wird das christliche Konstantinopel ...

Der neue Roman von Pulitzer-Preisträger Anthony Doerr ist eine Hommage an die Werke der Antike, an Bibliotheken und Bücher, die Natur, an unsere Welt - großartig!

1453 wird das christliche Konstantinopel belagert und nach fast 1000 Jahren werden die starken Mauern erstmals fallen. Hinter diesen Mauern lebt die kleine Waise Anna, die als Stickerin arbeitet. Draußen vor der Mauer muss Omier die Osmanen bei der Eroberung der Stadt unterstützen.

2020 kann Seymour die Zerstörung der Umwelt nicht mehr ertragen und will ein Bauunternehmen in Idaho schädigen, indem er in der benachbarten Bibliothek eine Bombe platziert.

In einer fernen Zukunft ist Konstance in einem Raumschiff unterwegs, um gemeinsam mit ihren Eltern und anderen Passagieren, einen neuen Planeten zu besiedeln.

Diese Schicksale sind durch einen antiken Roman verbunden, in welchem der (Anti-)Held auf der Suche nach der Stadt in den Wolken ist.

Wow, was für ein Buch. So viele Geschichten, so viele Charaktere und so eine unglaublich breit gefächerte Handlung.

Der Roman ist komplex angelegt, da nicht nur die drei Erzählstränge abwechselnd aufgegriffen werden, sondern diese auch noch durch Einschübe aus dem antiken Roman gegliedert werden. Zudem gibt es noch Zeitsprünge innerhalb der einzelnen Erzähltstränge, die Abschnitte werden nicht chronologisch erzählt.

Was zunächst etwas verwirrt, entfaltet bald eine unglaubliche Sogwirkung, denn Doerrs Charaktere sind so tief, besonders und glaubwürdig gezeichnet, dass man ihnen und ihren Geschichten einfach folgen muss. Wir können bis in das Innerste der Figuren schauen. Der dichte, atmosphärische Schreibstil und die Detailfreunde des Autors lassen das mittelalterliche Konstantinopel ebenso vor dem geistigen Auge lebendig werden, wie die Zustände im Raumschiff.

Die antike Mythologie, ihre Romane und Helden spielen als Unterbau eine wichtige Rolle im Roman. Es gibt viele Anspielungen, die das Lesevergnügen noch steigern. So heißt z.B. die künstliche Intelligenz im Raumschiff Sybil, nach der antiken Seherin/Prophetin Sibylle. Daneben werden Umweltzerstörung und globale Technologie thematisiert.

Im Mittelpunkt stehen aber die jungen Protagonisten in den verschiedenen Jahrhunderten, die alle an einem Wendepunkt in ihrem Leben stehen.

Das Buch ist wahrlich umwerfend konstruiert und geschrieben, ein Leckerbissen für Literaturfans. Man sollte aber gerade zu Beginn nicht der Versucherung erliegen, immer nur kleine Häppchen zu lesen, da sich dies wegen der kurzen Kapitel anbietet. Lieber für den Einstieg etwas Zeit nehmen und sich mit allen Erzählsträngen vertraut machen, dann kann man das Buch kaum noch aus der Hand legen.

Eine absolute Leseempfehlung und fünf Sterne für Wolkenkuckucksland in seinem wunderschönen Cover.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 04.11.2021

Die Hoffnung auf ein besseres Leben

Wenn ich wiederkomme
0

"Manchmal geht es nicht anders [...]." (S. 80)

Daniela hat ihre Familie in Rumänien heimlich verlassen, um in Mailand als Altenpflegerin zu arbeiten. Mit dem Geld will sie ihren beiden Kindern, Angelica ...

"Manchmal geht es nicht anders [...]." (S. 80)

Daniela hat ihre Familie in Rumänien heimlich verlassen, um in Mailand als Altenpflegerin zu arbeiten. Mit dem Geld will sie ihren beiden Kindern, Angelica und Manuel, eine gute Schulbildung ermöglichen. Zurück bleiben die Kinder in der Obhut des arbeitslosen Vaters und der Großeltern. Nur sporadisch kommt die Mutter wieder zurück, verpasst das Leben der Kinder, die sich im Stich gelassen fühlen. Nichts entwickelt sich so wie erhofft und Daniela sieht sich in einer Situation gefangen, der sie nicht entkommen kann. Erst als Manuel einen Unfall hat, läßt sie alles stehen und liegen und fährt zurück in ihr kleines Dorf. Aber wird sie bleiben?

Die Geschichte wird aus drei Perspektiven geschildert. Manuel, Daniela und Angelica erzählen jeweils aus ihrer Sicht, was die Situation mit ihnen macht und wie sie versuchen, diese zu bewältigen. Die Stimmen der Kinder umklammern dabei die Erzählung der Mutter, die im mittleren Teil über ihre Zeit in Italien berichtet. Erst in diesem Teil wird klar, wie hart die Arbeit ist und was sie mit Daniela macht, wie sehr sie ihre Kinder vermisst und warum sie doch nicht nach Hause fährt.

Über allem schwebt eine Sprachlosigkeit, die durch Danielas Abreise ohne Abschied eingeleitet wird. Die fehlende Kommunikation sorgt dafür, dass letztlich keiner glücklich aus dieser Situation herausgeht.

Balzano hat einen angenehmen Schreibstil, den man gut lesen kann. Er gibt den drei Ich-Erzähler*innen jeweils eine eigene Stimme: Manuels Abschnitt liest sich wie ein Jugendroman. Seine Gefühle wie Unsicherheit, Angst, Liebe etc. werden glaubhaft durch die "Jugendsprache" transportiert. Daniela erzählt ruhiger, aber auch zerrissen und erschöpft. Angelicas Teil ist eher kühl und abgeklärt.

Marco Balzano hat für seinen Roman viel Recherchearbeit betrieben, die er in seinem Nachwort erläutert. Das Problem des Pflegenotstandes und der massenhaften Migration von Müttern aus Osteuropa als "billige" Arbeitskräfte im Pflegebereich wird am Einzelschicksal von Daniela herausgearbeitet. Erschreckenderweise gibt es für den Burnout, an dem ehemalige Pflegekräfte häufig erkranken, unter osteuropäischen Psychiatern bereits einen eigenen Begriff: Italienkrankheit. Es leiden jedoch nicht nur die Frauen an der immensen Belastung durch die Betreuungsarbeit, sondern auch die zurückbleibenden Familien, vor allem die Kinder durch die Abwesenheit der Mutter. Sie müssen ohne die engste Bezugsperson auskommen. Es gibt nur Opfer in dieser Konstellation.

Der Roman wirft viele Fragen auf und regt zum Nachdenken über die Situation dieser Familien und die hoch aktuelle Problematik an. Eine Lösung ist nicht absehbar, angesichts der voranschreitenden Überalterung der westlichen Gesellschaft und des sich ausweitenden Pflegenotstandes. Ein wichtiges Buch, das von mir vier Sterne erhält.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 31.10.2021

Elend in einem georgischen Internat

Das Birnenfeld
0

Der Klappentext liest sich wie ein Jugendbuch, in dem junge Mädchen rebellieren und die Verhältnisse in einem Internat in Georgien zum Guten wandeln. Das habe ich aus dem Buch aber so nur in Teilen herausgelesen. ...

Der Klappentext liest sich wie ein Jugendbuch, in dem junge Mädchen rebellieren und die Verhältnisse in einem Internat in Georgien zum Guten wandeln. Das habe ich aus dem Buch aber so nur in Teilen herausgelesen. Was wesentlich vordergründiger ist, ist das dargestellte Elend, die Armut und die unzureichende Versorgung der Kinder.

Lela ist bereits 18 Jahre und nimmt in dem Internat, in dem sie aufwuchs, einen kleinen Job als Parkplatzbewacherin an. Daneben unterstützt sie die überforderten Lehrkräfte bei der Betreuung der Internatskinder. Offiziell ist das baufällige Gebäude ein Internat für geistig behinderte Kinder, doch tatsächlich ist es ein Sammelbecken für all die Kinder, die sonst keinen Platz finden. Teilweise von ihren Eltern verlassen, abgegeben und vergessen. Als sich ein amerikanisches Ehepaar ankündigt, könnte sich für ein Kind die Lage entschieden ändern.

Die Handlung wird aus der Sicht von Lela erzählt. Dabei hat man das Gefühl, dass man in ihrem Tagebuch liest, denn es handelt sich um viele Einzelszenen. Der Alltag im Internat wird durch diese Einblicke verdeutlicht und die sehr unterschiedlichen Kinder werden durch die geschilderten Einzelschicksale dargestellt. Dabei werden einige besonders außergewöhnliche Kinder sozusagen en bloc in einem Rückblick vorgestellt. Immer wieder wird Missbrauch thematisiert, dem die Internatskinder ausgesetzt sind, durch Lehrkräfte, andere Kinder oder Außenstehende aus der Siedlung. Das titelgebende Birnenfeld spielt in diesem Zusammenhang auch eine Rolle. Die "kleinen, krüppeligen" Birnbäume stehen zudem für die Kinder, die nicht aus dem Internat entkommen können und in dem schlammigen Boden des Birnenfeldes festgehalten werden. So sind auch die Früchte dieser Bäume ungenießbar: "Wenn sie taugen würden, wären sie längst weg!" (S.148)

Lela ist zwar ein patenter Hauptcharakter, aber man kommt ihr nicht wirklich nahe. Insgesamt tauchen sehr viele Personen in diesem Roman auf, die aufgrund der georgischen Namen durchweg (zumindest für mich) für Verwirrung sorgen. Es gibt viele interessante kleine Szenen, zum Beispiel das Telefonieren bei den Leuten im Wohnblock oder die Hochzeitsfeiern im Internat. Auch das Titelbild wird durch eine kleine Geschichte erläutert. Allerdings überwiegt der Eindruck von Szenen, die das Elend der Kinder darstellen, auch wenn Lela recht leidenschaftslos, ja nahezu nüchtern über diese Dinge berichtet.

Insgesamt konnte mich der Roman leider nicht überzeugen. Es fehlt für mich eine durchgängigere und tiefergehendere Handlung und ein emphatischerer Schreibstil, der dem Thema angemessener gewesen wäre. Auch bereitet der Klappentext nicht auf den Inhalt (Gewalt, Missbrauch etc.) vor. Daher vergebe ich dreieinhalb Sterne.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere