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Veröffentlicht am 18.10.2019

Historischer Schwedenkrimi - Hier wird im Dreck gewühlt

1793
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Ein Schwedenkrimi: Eine verstümmelte Leiche in Stockholm und zwei Ermittler, die selbst ein schweres Schicksalspäckchen zu tragen haben. Das scheint man schon zur Genüge zu kennen, wenn die Geschichte ...

Ein Schwedenkrimi: Eine verstümmelte Leiche in Stockholm und zwei Ermittler, die selbst ein schweres Schicksalspäckchen zu tragen haben. Das scheint man schon zur Genüge zu kennen, wenn die Geschichte nicht 1793 spielen würde.
„1793“ so heißt auch der mit dem Schwedischen Krimipreis für das beste Spannungsdebüt ausgezeichnete historische Kriminalroman von Niklas Natt och Dag. Der 1979 geborene Autor stammt aus der ältesten Adelsfamilie Schwedens. Der Bezug zur schwedischen Geschichte liegt ihm also quasi im Blut.

Im Fatburen-See in Södermalm wird eine stark verstümmelte Leiche entdeckt. Herausgefischt von Stadthäscher Jean Michael Cardell, einem einarmigen Kriegsveteran. Ihm zur Seite stellt sich bald der Jurist Cecil Winge, vom Präsidenten der Polizeikammer mit besonderen Freiheiten ausgestattet. Allerdings ist der fortschrittlich denkende Winge nicht überall beliebt. Gemeinsam müssen sie unter Zeitdruck den Mörder finden.

Der Roman ist in vier Teile gegliedert: Im 1. Teil „Herbst 1793“ wird die Leiche entdeckt und die Ermittlungen beginnen. Dann folgt im 2. Teil der „Sommer 1793“ und der Leser erfährt aus der Perspektive einer anderen Person, was vor dem Mord geschah. Im 3. Teil „Frühling 1793“ wird erneut die Perspektive gewechselt und der Beginn der Geschichte erzählt, bevor im letzten Teil „Winter 1793“ die Fäden zusammenlaufen und der Fall gelöst wird.
Dieser Kunstgriff des versetzten Zeitablaufs verleiht der Geschichte ungemein viel Spannung.
Dem Roman liegt arbeitsintensive Quellenrecherche zugrunde, das merkt man dem Text auf jeder Seite an. Er strotzt vor Details aus dem historischen Alltag und der politischen Geschichte Schwedens. Der Autor nimmt dabei kein Blatt vor den Mund und beschreibt schonungslos weiter, wo andere verschämt ausblenden. Der Leser trifft auf Gewalt, Blut und Exkremente auf Schritt und Tritt. Gerade das macht aber auch einen großen Teil der Faszination dieses Romans aus.

Die Beweggründe, die zur Tat geführt haben, waren letztlich für mich etwas enttäuschend. Da hätte ich mir nach dem Spannungsaufbau etwas Spektakuläreres erhofft.
Dennoch hat der Autor den Schwedischen Krimipreis absolut verdient.
Das Buch wirkt noch lange nach. Für alle hartgesottenen Krimifans ein Muss.

Veröffentlicht am 18.10.2019

Hochspannung aus Dänemark

Der Kastanienmann
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Ein wirklich gut gemachter Thriller aus Dänemark wartet mit interessantem Personal auf: Eine Kommissarin, die die Abteilung wechseln möchte und ein Verbindungsoffizier von Europol, der gerade von Den Haag ...

Ein wirklich gut gemachter Thriller aus Dänemark wartet mit interessantem Personal auf: Eine Kommissarin, die die Abteilung wechseln möchte und ein Verbindungsoffizier von Europol, der gerade von Den Haag nach Kopenhagen zurückgeschickt wurde. Auch er möchte eigentlich lieber woanders sein. Die Zweckgemeinschaft wird mit einem grausigen Mord konfrontiert und stutzt über den titelgebenden Kastanienmann, der bei der Leiche entdeckt wird. Dieses Kastanienmännchen ist offenbar das Verbindungsstück zu einem älteren Entführungsfall, der bereits als abgeschlossen gilt. Der Täter wurde überführt und sitzt hinter Schloss und Riegel. Doch der Mord ist erst der Anfang und zum Ende hin überschlagen sich die Ereignisse.

Den Leser erwarten 600 Seiten Hochspannung mit vielen Wendungen, die die Geschichte am laufen halten und immer wieder für Überraschungen sorgen. Manches ist jedoch auch vorhersehbar und anderes offenbar fester Bestandteil im Thriller-Baukasten. Z.B. muss wieder einmal ein Außenseiter gegen nervende, besserwisserische Kollegen und einen sturen Chef anrennen. Die Protagonisten bleiben etwas blass. Dennoch haben Thulin und Hess ohne Frage das Potential für eine Fortsetzung. Das Ende spricht für sich ...

Gestolpert bin ich über den Namen eines Polizisten: Martin Ricks. Da hatte ich immer Martin Riggs bzw. Mel Gibson vor Augen.

Vier Sterne für die Wendungen, mit denen ich nicht gerechnet hatte und das Ende.

Veröffentlicht am 16.08.2024

Von Valencia nach München

Blutorangen
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Warum gibt es ein Foto, auf dem Maites Vater, der unnahbare Spanier Francisco, eine deutsche Wehrmachtsuniform trägt? Unverhofft wird die Erasmus-Studentin in München mit der Geschichte ihrer Familie in ...

Warum gibt es ein Foto, auf dem Maites Vater, der unnahbare Spanier Francisco, eine deutsche Wehrmachtsuniform trägt? Unverhofft wird die Erasmus-Studentin in München mit der Geschichte ihrer Familie in Valencia und der ihres Landes unter Franco konfrontiert. Über ihren neuen Freund Carlos, der ebenfalls spanische Wurzeln hat, lernt sie dessen Großvater Antonio kennen, der ihr von seiner Flucht aus Spanien erzählt. Aber erst nach fast 15 Jahren erfährt Maite die ganze Wahrheit.

Wusstet Ihr, dass es eine Kultur der Zitrusgrafik gab? In Salzgitter gibt es gar ein Museum, das sich den Orangenpapieren widmet. Die Orangen spielen im Debütroman von Verena Boos eine wichtige Rolle. Das Hauptanbaugebiet in Spanien liegt rund um Valencia und von dort gelangen die Früchte auf den Großmarkt in München. In beiden Orten spielt ein Großteil der Handlung. Nicht nur der Handel mit Orangen verbindet die beiden Länder in diesem Roman, sondern auch die Diktatoren Franco und Hitler. Das deutsche Flugzeuggeschwader "Legion Condor" unterstützt Franco 1937, dieser revanchiert sich 1941 im Krieg gegen die Sowjetunion mit der "Blauen Division". Dieses dunkle Kapitel der Geschichte wird beispielhaft anhand der Familien von Antonio und Francisco auf eindringliche Weise dargestellt.

Ich habe ein bisschen gebraucht, um in die Geschichte hineinzufinden. Einerseits liegt das am Schreibstil der Autorin, den ich als spröde, knapp, schnörkellos und ein wenig sperrig empfinde, andererseits am Aufbau der Handlung. Gemeinsam mit Maite decken wir langsam, Schicht für Schicht, die Geschichte hinter den beiden Männern auf. Wir bewegen uns zwischen drei Zeitblöcken (1939-42, 1990 und 2004) und vielen Namen und es dauert, bis man sich gedanklich sortiert hat.

Insgesamt kann ich das Buch sehr empfehlen, es ist eindringlich und aufrüttelnd geschrieben, voller interessanter und gut recherchierter Informationen. Die Figuren und ihre Gefühle sind lebendig geschildert, in all ihrer Unsicherheit, Angst und Trauer.

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Veröffentlicht am 16.08.2024

Freundinnen

Es wird Zeit
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Judith, Zahnarztgattin und Mutter dreier erwachsener Kinder, fällt rückwärts in das Grab von Wilma und Herbert Kallensee und löscht ein ewiges Licht. So verläuft das zufällige Wiedersehen mit ihrer einst ...

Judith, Zahnarztgattin und Mutter dreier erwachsener Kinder, fällt rückwärts in das Grab von Wilma und Herbert Kallensee und löscht ein ewiges Licht. So verläuft das zufällige Wiedersehen mit ihrer einst besten Freundin Anne - nach 20 Jahren Sendepause. Insgesamt kommt es gerade ziemlich dicke für Judith: Der 50. Geburtstag ist nicht mehr weit, ihre Mutter ist verstorben, das Elternhaus will verkauft werden, die Jungs sind ausgezogen, der Gatte schnarcht und dann taucht Anne wieder auf und ist krank.

Mein erster Roman von Ildikó von Kürthy, der mich überrascht hat. Ich habe ihn gerne gelesen bzw. in großen Teilen auch gehört. Gelesen von der Autorin und von Nina Petri, die die traurigen Stellen interpretieren musste, weil von Kürthy "schon bei der Winnetou-Melodie weinen muss". Kenn ich! - Sehr sympathisch!

Es geht um das Älterwerden und den Umgang damit, es geht um Krankheit, Tod, Vertrauen, Liebe und vor allem um Freundschaft. Wenn Judith über ihr Leben, ihr Aussehen, ihr Gewicht etc. jammert, dann natürlich auf hohem Niveau, allerdings ist das wirklich amüsant zu lesen und wer ungefähr in Judiths Alter ist, könnte sich öfter ertappt fühlen. Klar gibt es auch Slapstick-Einlagen oder klamaukige Szenen, aber es hält sich die Waage mit dem Ernst, der in diesem Buch zu finden ist. Es gibt ziemlich viele Zufälle, einiges ist vorhersehbar, aber das hat mich (in diesem Fall) nicht gestört, weil die Geschichte und seine Figuren sympathisch sind. Judith ist schon eine anstrengende Protagonistin, aber ich bin gerne an ihrer Seite geblieben. Mein Lieblingscharakter ist der völlig überdrehte Erdal, der als klischeehafter Wirbelwind durch die Seiten fegt. Mein neues Lieblingswort übrigens: Maulwurfstextilien. Da hab ich laut gelacht: Unterwäsche, die keinesfalls ans Tageslicht gelangen darf. "Man würde sie mit einem Spaten erschlagen." (S. 140)

Also, wer einen flott geschriebenen Roman sucht, der gut unterhält, ein ernstes Thema in humorige Watte packt und einen am Ende doch eine Träne abringt, sollte hier zugreifen. Wer den Humor der Autorin nicht mag, sollte es lassen.

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Veröffentlicht am 31.07.2024

Eine Erbschaft mit Folgen

Das Erbe
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Mona, die in Berlin als Bauzeichnerin arbeitet, ist eigentlich mit ihrem Leben ganz zufrieden, wenn nicht die ewigen Querelen mit ihrer Familie in München wären. Unverhofft wird sie Alleinerbin ihrer Großtante, ...

Mona, die in Berlin als Bauzeichnerin arbeitet, ist eigentlich mit ihrem Leben ganz zufrieden, wenn nicht die ewigen Querelen mit ihrer Familie in München wären. Unverhofft wird sie Alleinerbin ihrer Großtante, die eigentlich von Monas Mutter beerbt werden sollten. Nun gehen die Streitereien erst richtig los. Allerdings hat Mona wesentlich mehr geerbt, als es zunächst den Anschein hat und die Probleme mit ihrer Mutter sind nur die geringsten.

Wieder ein Roman, der ewig auf meinem SUB lag und den ich dann ganz schnell gelesen habe. Ein leichter Schmöker, genau richtig für die Sommerferien. Hier findet sich eine spannende und interessante Geschichte über eine Erbschaft, die ihre Wurzeln in der NS-Zeit hat und deswegen moralisch höchst fragwürdig ist. Es geht um Zwangsverkauf, gutgläubigen Erwerb und Rückerstattung.

Mehr als ein Ferienbuch darf man jedoch nicht erwarten, die Charaktere sind sehr klischeehaft und wer gut ist, ist richtig gut und wer böse ist, der … naja. Auch weiß man schnell, was das große Geheimnis der Geschichte ist. Aber wenn man weiß, auf was man sich einläßt, kann man diese, sich aus verschiedenen Perspektiven und Zeiträumen langsam zusammensetzende Geschichte wirklich gut lesen.

Am Ende findet sich als Anhang eine Zeittafel zur Judenverfolgung und Anmerkungen zur Rückerstattung von Vermögen.

Was mich besonders gereizt hat, diesen Roman zu lesen, war zu erfahren, wie die Autorin letztlich das moralische Dilemma der Erbin lösen wird.

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