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Veröffentlicht am 03.06.2021

Gelungene Geschichtsstunde

Deutsches Haus
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1963 in der noch jungen Bundesrepublik: Das ZDF geht auf Sendung, Kanzler Adenauer verläßt nach 14 Jahren das Amt, JFK wird ermordet und in Frankfurt beginnt der erste Auschwitz-Prozess.

Die Bundesbürger:innen ...

1963 in der noch jungen Bundesrepublik: Das ZDF geht auf Sendung, Kanzler Adenauer verläßt nach 14 Jahren das Amt, JFK wird ermordet und in Frankfurt beginnt der erste Auschwitz-Prozess.

Die Bundesbürger:innen haben es sich gemütlich gemacht in ihrer Republik und wollen von den Kriegsjahren nichts mehr wissen. Der Auschwitz-Prozess wird von großen Teilen der Bevölkerung abgelehnt, man solle die Vergangenheit doch endlich ruhen lassen. So denken auch die Eheleute Bruhns, deren Tochter Eva als Dolmetscherin für die Anklage arbeitet. Entsetzt verfolgt und übersetzt Eva im Gerichtssaal die Aussagen der Zeugen und kann nicht glauben, was sich zugetragen haben soll.

Annette Hess verwebt hier hervorragend das Einzelschicksal einer Familie mit der Deutschen Geschichte und liefert gleichzeitig ein Gesellschaftsbild der frühen 1960er Jahre. Durch die verschiedenen Akteure werden unterschiedliche Blickrichtungen auf die Geschichte möglich. Wer fühlt sich schuldig und wer nicht? Wer übernimmt Verantwortung und wer nicht? Auf interessante Weise werden diese Fragen an einzelnen Personen abgearbeitet, das macht das Buch sehr vielschichtig. Die Figur des David Miller gehört unbedingt dazu.

Durch frühe Andeutungen wird ein Spannungsbogen aufgebaut, denn irgendetwas wird hier verheimlicht und wartet auf eine Auflösung durch Eva.

Die Einblicke in die Verhandlung, die Zeugenaussagen und die Aussagen der Angeklagten hinterlassen oft eine Gänsehaut. Hess fängt die Stimmung im Saal und die allgemeine Lage im Land sehr gut ein. Gefallen hat mir auch, wie die Situation der Frau zur damaligen Zeit eingeflochten wird. Heute unvorstellbar, dass Evas Verlobter Jürgen das Recht auf seiner Seite hat, wenn er ihren Job bei der Staatsanwaltschaft kündigt.

Dies alles schreibt Hess in scheinbar leichter und anschaulicher Sprache, als würde man einen Film schauen. Damit hat sie bereits Erfahrungen gemacht, denn die TV-Serien "Weissensee" und "Ku'damm" hat sie als Drehbuchautorin zu verantworten. Der Titel "Deutsches Haus" bezieht sich auf die Gaststätte, die Evas Eltern führen, lädt aber auch zu vielen weiteren Assoziationen im Zusammenhang mit der Handlung ein.

Das Buch hat mich gefesselt und ich habe es sehr schnell durchgelesen. Dass die Auschwitz-Prozesse unter schwierigen Bedingungen durchgeführt wurden und viel Ablehnung erfahren haben, war mir bekannt, die Details waren aber neu für mich. Der historische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer ist eine Person, mit der ich mich noch weiter beschäftigen werde. Eine klare Leseempfehlung und vier sehr gute Sterne.



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Veröffentlicht am 01.06.2021

Das Traumpaar des Jazz Age

Tage mit Gatsby
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Für ihr Romandebüt ist Joséphine Nicolas tief die 1920er Jahre und in das Leben des amerikanischen Autors F. Scott Fitzgerald und seiner Frau Zelda eingetaucht.

Die Fitzgeralds führen als exzentrisches ...

Für ihr Romandebüt ist Joséphine Nicolas tief die 1920er Jahre und in das Leben des amerikanischen Autors F. Scott Fitzgerald und seiner Frau Zelda eingetaucht.

Die Fitzgeralds führen als exzentrisches Paar ein kostspieliges Leben in New York und flüchten schließlich 1924 an die französische Riviera, weil das Glamourleben nach dem Krieg dort günstiger ist. Hier will Francis Scott endlich den Roman schreiben, der ihm Weltruhm und genug Einkommen beschert, um keine Kurzgeschichten mehr schreiben zu müssen, die die Familie über Wasser halten. Das Schreiben gestaltet sich schwierig, ständig unterbrochen von Ehekrach, Alkohol und Eifersüchteleien. Als Zelda sich in einen anderen Mann verliebt, scheint die Ehe vor dem Aus zu stehen.

Für ein Jahr nehmen wir Teil an dem schillernden Leben des Künstlerehepaares, werden Zeugen ihrer Liebe, ihrer Zänkereien und ihres Leidens. Einzelne Rückblicke lassen die Charaktere deutlicher werden, z.B. Episoden aus Zeldas Kindheit und Jugend. Joséphine Nicolas beschreibt mit blumigen Adjektiven und in einer ausschweifenden, bildhaften Sprache dieses Leben einzig aus der Sicht von Zelda. Sie zeichnet mit ihren Sätzen intensive Szenen, die uns an den Cocktailempfängen und alkoholgeschwängerten Partys mit berühmten Personen dieser Zeit teilnehmen lassen. In diesem sich ständig wiederholenden Kreislauf stehen sich Zelda und Francis Scott genauso häufig bei wie gegenüber. Er als verunsicherter Autor, der auf die Inspiration durch seine Frau angewiesen ist und sie als unterdrücktes, unzufriedenes und verkanntes Talent, die Unabhängigkeit anstrebt, sich aber nicht durchsetzen kann. Im Roman wird deutlich, wie stark der Anteil Zeldas am Erfolg ihres Mannes war. Dieser bediente sich schamlos an ihren Ideen, ihrem Wesen und schrieb sogar aus ihrem Tagebuch ab. Insgesamt hat Fitzgerald stark aus eigenen Erlebnissen geschöpft und Menschen aus seinem Umfeld als Vorbilder für Charaktere in Gatsby benutzt. Das ist wirklich interessant zu lesen. Allein die Unsicherheit bei der Titelwahl zieht sich fast durch die gesamte Handlung.

Der Roman hat mich sehr gut unterhalten. Das trotz allen Glamours doch eintönige und von Geldsorgen geprägte Leben des Paares spiegelt sich in den sich ständig wiederholenden Alkoholexzessen, Partys, Streitereien und Liebesbekundungen wider. Das muss man als Leser:in aushalten. Gezeigt wird die Entstehungsgeschichte eines Weltromans, dessen Erfolg der Autor nicht mehr erlebt hat.

Eine klare Leseempfehlung und ein Muss für alle Gatsby-Fans. Es werden so viele Beispiele dafür herausgearbeitet, was aus dem Leben des Paares in den Text eingeflossen ist, dass man den Gatsby gleich im Anschluss noch mal lesen muss - mit anderen Augen und geschärftem Blick. Mehr kann sich ein:e Autor:in nicht wünschen. Ich vergebe vier Sterne.

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Veröffentlicht am 18.05.2021

Krimiauftakt aus Dänemark

Leichenblume
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Das Buch wurde so oft hoch gelobt und mir auch nachdrücklich von einer Freundin empfohlen, auf deren Urteil ich mich eigentlich blind verlassen kann. Leider hat mich diese Geschichte aber nicht gepackt.

Der ...

Das Buch wurde so oft hoch gelobt und mir auch nachdrücklich von einer Freundin empfohlen, auf deren Urteil ich mich eigentlich blind verlassen kann. Leider hat mich diese Geschichte aber nicht gepackt.

Der Investigativ-Journalistin Heloise Kaldan wurde fingiertes Material zugespielt, das ihren Stuhl in der Redaktion des Demokratisk Dagblad in Kopenhagen wackeln läßt. In dieses berufliche Chaos flattert ein kryptischer Brief, der von der bekannten Mörderin Anna Kiel stammt, die seit Jahren auf der Flucht ist. Unbestreitbar hat sie einen unbescholtenen jungen Anwalt in dessen Haus brutal erstochen. Was will Anna von Heloise? Gemeinsam mit Erik Schäfer, der damals die Ermittlungen leitete, versucht die Journalistin Licht in das Dunkel zu bringen.

Anne Mett Hancock schreibt flott und die Geschichte läßt sich gut lesen. Die Charakter sind interessant, hätten aber mehr Tiefe vertragen können. Die Kombination Investigativ-Journalistin und Kommissar hat Potential. Die Kapitel sind angenehm kurz und die Perspektive wechselt zwischen Heloise, Erik und Anna. Das bringt Schwung in den Erzählfluss und läßt zunächst viele Fragen aufkommen. Wie hängt was und wer mit wem zusammen? Leider war mir dann aber relativ schnell klar, was hinter Annas Geschichte steckt.

Der Serienauftakt kommt ohne größere Brutalität aus, aber für meinen Geschmack fehlt es deutlich an Spannung. Daher wäre die Bezeichnung Krimi passender gewesen. Leider konnte mich dieses Buch nicht komplett überzeugen und den Vergleich mit Adler-Olsen auf dem Klappentext finde ich gewagt.

Wer einen Thriller sucht, wird ihn hier nur bedingt finden. Wer jedoch einen ansprechenden, soliden Krimi mit sympathischen, ausbaufähigen Figuren lesen möchte, ist hier genau richtig. Ich kann leider nur drei Sterne vergeben und hoffe auf eine Steigerung im nächsten Teil.


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Veröffentlicht am 13.05.2021

Ein geborener Farbenschreiber

Der Junge, der das Universum verschlang
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Was für ein Buch! Vorab: Es lohnt sich an diesem etwas sperrigen Werk dranzubleiben und es bis zum Ende zu lesen!

Eli Bell ist 13 Jahr alt und wächst in den 80ern in denkbar ungünstigen sozialen Verhältnissen ...

Was für ein Buch! Vorab: Es lohnt sich an diesem etwas sperrigen Werk dranzubleiben und es bis zum Ende zu lesen!

Eli Bell ist 13 Jahr alt und wächst in den 80ern in denkbar ungünstigen sozialen Verhältnissen in einem Vorort von Brisbane, Australen, auf. Drogen, Alkohol und Gewalt sind an der Tagesordnung, aber Eli und sein stummer Bruder August versuchen dennoch, auf der guten Seite zu bleiben. Nicht einfach, wenn selbst die Eltern Drogendealer sind und der Babysitter ein berühmter Ausbrecherkönig und verurteilter Mörder. Als in Eli der Plan reift, diesen Sumpf hinter sich zu lassen und für sich und die Familie einen neuen Weg einzuschlagen, trifft ihn das Schicksal erbarmungslos. Der größte Drogenbaron der Gegend zerstört das kleine Glück der Bells. Aber der Junge, der an das gute Ende in allem glaubt und unbedingt Kriminalreporter werden will, gibt nicht auf und kämpft jahrelang für seine Träume.

Elis Schreibstil, in dem viel zu viele Gedanken Platz finden, wird im Buch kritisiert, denn er male Bilder, statt Nachrichten zu schreiben. "So habe ich schon immer geschrieben. [...] Verschiedene Blickwinkel. Die Kunst, einen Augenblick bis zur Unendlichkeit in die Länge zu ziehen. Details. Einzelheiten [...]" (S. 460). Und genauso schreibt auch Trent Dalton selbst. Die Geschichte von Eli ist unglaublich verzweigt, vielschichtig und verzahnt. Jetzt, wo ich das Buch durchgelesen haben, bekommen so viele Dinge, die vorher überflüssig und merkwürdig anmuteten, einen Sinn. Eigentlich müsste man das Buch gleich nochmal lesen.
Dalton schreibt konsequent aus der Sicht Elis, der zu Beginn der Handlung 13 Jahre alt ist und wir begleiten ihn durch sechs Jahre seines Lebens. Prall gefüllt mit Katastrophen, Liebe und Zuversicht. Eli hat eine unglaubliche Phantasie und die lebt er durch Worte aus. Daher springt die Handlung hin und her, macht Salti, Umwege und sie deutet voraus. Mir war nicht immer klar, was ist real und was spielt sich nur in Elis Kopf ab.
Ich bin nicht einfach in das Buch reingekommen und dann hatte ich auch einen Durchhänger und hab es erstmal für ein paar Tage zur Seite gelegt. Dann hat es mich aber richtig gepackt und ich konnte es nicht mehr zuklappen, bis es ausgelesen war.
Neben der besonderen Schreibweise sind die unglaublich ansprechenden und lebendigen Charaktere hervorzuheben. Allen voran Eli, in dessen Figur viel vom Autor selbst steckt. Slim, der Ausbrecherkönig, der stumme Gus, Stiefvater Lyle, Robert und Fran, die Eltern, alle haben Züge von realen Personen aus dem Umfeld des Autors. Slim Halliday aus Zelle D9 hat es übrigens tatsächlich gegeben. (Hier lohnt eine Internetrecherche.) Die vielen skurrilen Nebenfiguren beleben die Geschichte, sorgen aber auch für die schon erwähnte Weitschweifigkeit in der Schreibweise.

Das Buch ist nichts für zwischendurch, weil es so unglaublich viel zu entdecken gibt, auf inhaltlicher und sprachlicher Ebene. Das ist mitunter anstrengend, gelegentlich auch ermüdend und oftmals grausam, aber alles macht am Ende Sinn. Der Schluss war für mich so nicht vorhersehbar... obwohl im Nachhinein, wenn man alles genau betrachtet, eigentlich doch. Auf alle Fragen gibt es eine Antwort. Nur eine bleibt unbeantwortet: Warum wurde der Originaltitel nicht eins zu eins übersetzt? Wer das Buch gelesen hat, weiß, warum es nur "Junge verschlingt Universum" heißen kann und nicht anders.
Ich vergebe eine unbedingte Leseempfehlung für einen anspruchsvollen Text und viereinhalb Sterne.

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Veröffentlicht am 30.04.2021

Launige Familien- und Liebesgeschichte

Laudatio auf eine kaukasische Kuh
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Ein schräger Titel, der aber absolut zu dieses Buch von Angelika Jodl passt.

Olga, angehende Ärztin, wünscht sich nichts sehnlicher, als einen patenten kurzen Nachnamen, um ihren griechisch-georgischen ...

Ein schräger Titel, der aber absolut zu dieses Buch von Angelika Jodl passt.

Olga, angehende Ärztin, wünscht sich nichts sehnlicher, als einen patenten kurzen Nachnamen, um ihren griechisch-georgischen Wurzeln und der turbulenten Familie, vor allem der stetig unzufriedenen Mutter, zu entkommen. Ein Nachname mit nur einer Silbe steht für das Gegenteil von allem, was die Sippe aus dem Kaukasus und deren Traditionen verkörpern. Als der perfekte Felix in Olgas Leben tritt, scheint das Ziel in greifbarer Nähe. Wäre da nicht dieser aufdringliche Jack, der Olga buchstäblich auf den Fersen bleibt und für Verwirrung sorgt.
Noch bevor Olga ihren Felix in die Familie einführen kann, kommt eine Reise nach Tiflis dazwischen. Während die Mutter in der alten Heimat aufblüht, gerät Olgas Gefühlswelt immer mehr ins Wanken. Und dann steht da plötzlich eine wunderschöne Kuh auf der Straße.

Die Geschichte lebt vom Aufeinandertreffen der unterschiedlichen Kulturen. Hier die deutsche Gradlinigkeit, Steifheit und Zuverlässigkeit, dort die überbordende Lebensfreude, Gastfreundschaft und ein bisschen Chaos. Mittendrin Olga, die sich als Deutsche fühlt, aber beständig mit den überholten Traditionen der Familie konfrontiert wird. Besonders die Dialoge machen richtig Spaß. So prallen die traditionsbewußte Mutter und die praktische Oma auf die widerspenstige Olga. Der schockverliebte Jack und seine Angebetete liefern sich schlagfertige Wortgefechte; da wird sehr viel Situationskomik geboten. Aber auch ernstere Untertöne sind in den Gesprächen zwischen Deutschen und Georgiern zu finden, entlarven sie doch einerseits Überheblichkeit, andererseits eine recht patriarchalische Gesellschaft.

Durch die Geschichte erfährt man viel über die Zerrissenheit der entwurzelten Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten. Die Autorin beschreibt aber auch ganz liebevoll und mit einem Augenzwinkern die vielen traditionellen Eigenheiten der Pontosgriechen, sei es in München oder in Tiflis.

Das Buch hat großen Spaß gemacht, obwohl das Ende abzusehen war. Die Charaktere sind liebevoll gezeichnet und ich bin ihnen gerne durch die lebhafte und bunte Geschichte gefolgt, die die Lesenden durchgängig unterhält, zum Ende hin aber für mich etwas schwächer geworden ist.

Ich vergebe vier Sterne und eine Leseempfehlung für alle, die turbulente Liebes- und Familiengeschichten mögen und auch etwas über andere Länder, Sitten und Gebräuche erfahren möchten.

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