Leise, aber intensiv
Die Wahrheit schmeckt nach MarzipanDarum geht‘s:
Die Welt der Schülerin Tally ist nicht mehr dieselbe seitdem sie ihren Vater unerwartet verloren hat. Sie lehnt sämtliche Hilfe von ihrer Mutter, die ebenfalls von der Situation überfordert ...
Darum geht‘s:
Die Welt der Schülerin Tally ist nicht mehr dieselbe seitdem sie ihren Vater unerwartet verloren hat. Sie lehnt sämtliche Hilfe von ihrer Mutter, die ebenfalls von der Situation überfordert ist, ab. Auch die Therapeutin, zu der sie die Mutter gedrängt hat, empfindet sie als Last. Was für eine doofe Idee, die Gefühle aufzuschreiben. Am liebsten würde Tally sich einfach nur einigeln und nichts mehr fühlen.
Als dann Frau Möller, eine alte Dame mit einem Papagei und einer Vorliebe für Marzipan, und der attraktive Timo in ihr Leben treten, spürt die 16-Jährige, dass in ihrem Herz neben all dem Schmerz doch noch ein bisschen Platz für andere Gefühle ist. Doch was für ein Pech, dass Timo ein Christ ist und sie mit religiösem Humbug so gar nichts am Hut hat.
So fand ich‘s:
Trauer ist ein sehr sensibles und persönliches Thema. Viele Menschen tun sich schwer, darüber zu sprechen. Und doch gehören Abschiede und Loslassen zu unserem Leben dazu. Die junge Tally in dieser Geschichte muss das leider sehr früh erleben und es überrascht nicht, dass der Tod des Vaters ihr erstmal den Boden unter den Füßen wegzieht.
Anni E. Lindner gelingt es, mit ihrer einfühlsamen Erzählweise den Leser an Tallys Trauer und Schmerz intensiv teilhaben zu lassen, ohne unnötig auf die Tränendrüsen zu drücken. Gerade der Beginn der Geschichte ist sehr bedrückend und ich hatte öfter einen Kloß im Hals. Aber man spürt schon in diesen ersten Kapiteln, wie wichtig es der Autorin ist, aufzuzeigen, dass das Leben trotz allem Schmerz hoffnungsvoll weiter gehen kann.
Die Geschichte wird sehr ruhig und unaufgeregt erzählt. Und für mich als hibbeligen Leser gab es die eine oder andere Länge zu überwinden. Aber gerade die behutsame Weise, mit der die Autorin ihre Botschaft übermittelt, ließ mich immer weiterlesen.
Die Figuren sind lebendig und realistisch gezeichnet. Auch der Plot ist direkt aus dem Leben gegriffen und kommt zu keinem Zeitpunkt lebensfremd rüber. Im Gegenteil – man kann sich gut vorstellen, dass die Protagonisten gleich hier nebenan wohnen.
Ich lese sehr gerne rasante Geschichten mit vielen Wendungen. Dieses Buch hat mir daher einiges an Ruhe und Innehalten abverlangt, was mir letztendlich gutgetan hat. Es ist also kein Buch, das man so zwischendurch schnell lesen sollte. Es lohnt sich, das Gelesene immer wieder auf sich wirken zu lassen.
Das empfohlene Lesealter wird mit „ab 14 Jahren“ angegeben, was meiner Meinung nach, gerechtfertigt ist. Ich könnte mir jedoch gut vorstellen, dass gerade mit den Jüngeren das Buch gemeinsam gelesen wird, so dass man sich über die Geschichte austauschen kann – gerade auch, weil es doch ein sehr sensibles Thema ist.
Anni E. Lindner erzählt eine wichtige Geschichte mit Hilfe ihrer eigenen Überzeugungen, aber stets ohne erhobenen Zeigefinger. Auch der religiöse Part wird dem Leser auf sachte Weise nähergebracht.
Es ist eine leise und intensive Geschichte, auf die man sich einlassen muss. Wenn man dazu bereit ist, bekommt man trotz schwierigem Thema eine Lektüre mit entschleunigender Wirkung.