Epochenbild mit schöner Sprache
Die RheinreiseAnn Schlees Die Rheinreise ist ein stilles, feinsinniges Porträt einer Frau im Schatten gesellschaftlicher Konventionen – und zugleich eine poetische Momentaufnahme einer vergangenen Epoche.
Die Geschichte ...
Ann Schlees Die Rheinreise ist ein stilles, feinsinniges Porträt einer Frau im Schatten gesellschaftlicher Konventionen – und zugleich eine poetische Momentaufnahme einer vergangenen Epoche.
Die Geschichte spielt um die Jahrhundertwende: Charlotte, eine alleinstehende Frau mittleren Alters, reist mit der Familie ihres Bruders den Rhein entlang – von Koblenz nach Köln. Was auf den ersten Blick wie eine beschauliche Urlaubsreise wirkt, entpuppt sich bald als feinschichtiges Kammerspiel über Rollenbilder, Erinnerung und stille Sehnsüchte.
Der eigentliche Reiz des Romans liegt in seinem Ton. Schlee schreibt in einer ruhigen, eleganten Sprache, die mit altmodischem Charme besticht. Ihr Stil passt sich mühelos der Epoche an, in der die Handlung verankert ist – ohne aufgesetzt zu wirken. Die Sätze fließen poetisch, mit einer fast meditativen Ruhe, die es erlaubt, ganz in die Zeit einzutauchen. Zwischen Militärpräsenz, Flusslandschaften und Sommergeselligkeit entsteht eine Atmosphäre, die gleichermaßen idyllisch wie latent beklemmend ist.
Charlotte steht dabei im Zentrum als stille Beobachterin – und zugleich als Figur, an der die gesellschaftliche Position alleinstehender Frauen jener Zeit schmerzlich deutlich wird. Ihre Wahrnehmung wird immer wieder untergraben, ihre Bedürfnisse übergangen. Statt selbst zu genießen, wird sie zur stillen Begleiterin degradiert – zur Aufpasserin, Helferin, fast zur Dienstbotin innerhalb der Familie. Als Leser*in spürt man ihre Isolation und ihre Sehnsucht, insbesondere in der vagen Bekanntschaft zu Mr. Newman – einem englischen Mitreisenden, in dem Charlotte einen Mann aus ihrer Vergangenheit zu erkennen glaubt. Ob er tatsächlich mit ihr kommuniziert oder ob es sich um Projektionen handelt, bleibt bewusst vage – ein Spiegel ihrer inneren Leere und unerfüllten Wünsche.
Auch das Äußere des Buches verdient eine Erwähnung: Das wunderschöne, leinengebundene Cover mit geprägter Schrift unterstreicht die Wertigkeit dieses Werks – ein haptisches wie optisches Vergnügen, das zum Inhalt passt.
Fazit: Die Rheinreise ist ein leises, aber eindrucksvolles Buch. Es lebt von Zwischentönen, von feiner Beobachtung und von einer Sprache, die längst vergangen scheint – und gerade deshalb so wohltuend wirkt. Wer sich auf dieses entschleunigte Erzähltempo einlässt, wird mit einem tiefgründigen Leseerlebnis belohnt.