Verstörend und Konventionen sprengend - ein echtes Meisterwerk
Die wunderbare KälteEine Stalkerin, die verkleidet ihren Opfern folgt – Die Maskenbildnerin Kai verfolgt Menschen bis zu ihrer Haustür, schreibt ihnen heimliche Nachrichten und lässt sie wie Puppen an ihren Fäden baumeln. ...
Eine Stalkerin, die verkleidet ihren Opfern folgt – Die Maskenbildnerin Kai verfolgt Menschen bis zu ihrer Haustür, schreibt ihnen heimliche Nachrichten und lässt sie wie Puppen an ihren Fäden baumeln. Sie scheint eine Außenseiterin zu sein und beobachtet das Leben der anderen aus der Ferne. Da wird sie auf zwei besondere Individuen aufmerksam. Als sie ihr Spiel mit den beiden spielen möchte, beginnt sich Kai selbst darin zu verlieren, bis Grenzen verwischen und ein psychedelischer Albtraum beginnt.
Direkt von Beginn an wird beim Lesen klar, dass dieses Buch etwas ganz anderes ist. Die Protagonistin ist eine Stalkerin und damit definitiv keine Sympathieträgerin. Der Schreibstil spiegelt ihre eigenen Gedanken wider, was mal poetisch, mal beinahe unangenehm wirkt. Der Kirschbuch Verlag übertreibt definitiv nicht mit der Beschreibung, dass dieses Buch Romankonventionen sprengt!
Der Fokus im Buch liegt definitiv auf der Protagonistin. Viele Nebencharaktere haben nicht einmal Namen, weil sie für Kai einfach uninteressant sind. Als Leser ist man immer wieder am überlegen, wieso andere Charaktere so handeln, wie sie es tun, weil man beinahe nichts über sie und ihre Motive erfährt. Da oft auch nicht ganz klar ist, ob Kai sich bestimmte Dinge nur ausgedacht hat für ihre persönliche Geschichte, weiß man nicht einmal, ob das was man über Nebencharaktere erfährt der Wahrheit entspricht. In anderen Büchern habe ich schon öfter kritisiert, dass Nebencharaktere nicht gut ausgearbeitet wurden, doch in diesem Buch sorgt genau das dafür, dass die Geschichte funktioniert.
Kai selbst ist ein teilweise unangenehmer Charakter. Ihre Gedanken zu lesen hat bei mir oft genug körperliches Unwohlsein ausgelöst. Sie hat nur geringe Empathiefähigkeit und oft genug verschwimmen bei ihr die Grenzen zwischen ihr selbst und anderen Menschen. Sie nutzt daher andere, um ihre eigene Geschichte zu schreiben, was oft genug mit extremen Überschreitungen von Grenzen einhergeht. Kais Handeln ist so oft unethisch und teilweise nicht nachvollziehbar und dies führt dazu, dass es manchmal schwer ist, weiter zu lesen. Und trotzdem hat dieses Buch einen extremen Sog auf mich ausgeübt. Es war schwer, mit dem Lesen aufzuhören, egal wie ich mich dabei gefühlt habe. Emotional hat mich dieser Text sehr mitgenommen und das, obwohl kaum Emotionen darin vorkommen.
Auch wenn handlungsmäßig viel geschieht, ist es manchmal schwer, dieser zu folgen, weil Kai selbst abschweift. Auch dies habe ich in anderen Büchern bereits kritisiert, aber hier funktioniert es auf eine seltsame Art und Weise. Alles was in diesem Text geschieht funktioniert, auch wenn es oft unkonventionell ist.
Sprachlich gesehen ist das Buch definitiv ein Meisterwerk. Mit rhetorischen Mitteln hat die Autorin nicht gegeizt und sie so verwendet, dass Kais Charakter nur durch die Art der Erzählung bereits klar wird.
Ein klein wenig unzufrieden war ich mit dem eher offenen Ende. Es wurden so viele Fragen offen gelassen und an vielen Stellen weiß man als Leser nicht, was genau nun passiert ist. Aber auch hier muss ich sagen, dass das Ende zum Text passt, egal wie sehr ich mir Antworten wünschen würde.
Dieser Roman sprengt so viele Konventionen und schafft es, einen Sog zu entwickeln, dem man schwer entkommen kann. Ich kann dieses Buch definitiv und uneingeschränkt weiterempfehlen!