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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 06.07.2019

Dschungel

Dschungel
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„Wenn ein Mensch verschwindet, hinterlässt er ein Loch. So unendlich tief und dunkel, man kann hineinfallen und nie wieder auftauchen.“ (S. 327)
Der beste Freund unseres Erzählers ist so ein spurlos Verschwundener. ...

„Wenn ein Mensch verschwindet, hinterlässt er ein Loch. So unendlich tief und dunkel, man kann hineinfallen und nie wieder auftauchen.“ (S. 327)
Der beste Freund unseres Erzählers ist so ein spurlos Verschwundener. Zu einem Trip durch Asien aufgebrochen, hören weder seine Mutter noch sein bester Freund wochenlang auch nur ein Sterbenswörtchen von ihm. Als die Mutter völlig zu verzweifeln scheint, macht sich sein Freund aus Kindertagen auf ihn zu suchen. Widerwillig, überhaupt nicht abenteuerlustig, und bockig, weil der verrückte Felix ihn mal wieder zu etwas zwingt. Zu einer Reise ins ferne Asien, zu einer Reise in die gemeinsame Vergangenheit.

Dieser Roman kommt recht unscheinbar daher, und dann entwickelt er doch eine erzählerische Kraft und einen Sog, dem ich mich nur schwer entziehen konnte. Einerseits weil man natürlich unbedingt wissen will, wo Felix steckt. Andererseits erfährt man häppchenweise von der Kindheit und Jugend der zwei Jungs, sodass sich erst nach und nach die gesamte Geschichte entfaltet. Dem namenlosen Erzähler folgt man gerne auf seiner exotischen Odyssee, die nicht nur von der spannenden Suche, sondern eben auch von Land und Leuten lebt. Gerade die Beschreibungen der Natur fand ich sehr bildhaft, man wähnt sich sofort am heißen Sandstrand oder im schwülen Dschungel. Das Ende kommt dann nicht ganz so bildgewaltig und wuchtig daher wie der Spannungsbogen vorher vermuten ließ, trotzdem war dieser Roman für mich ein großes Vergnügen.

Veröffentlicht am 04.07.2019

Panah

Die Geschichte der schweigenden Frauen
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„Man kann sich niemals den Regeln von Green City beugen, wenn man im Herzen rebelliert.“
Sabine ist so eine Rebellin. Sie lebt mit anderen Frauen in der Panah, einem sicheren Refugium unter der Wüste vor ...

„Man kann sich niemals den Regeln von Green City beugen, wenn man im Herzen rebelliert.“
Sabine ist so eine Rebellin. Sie lebt mit anderen Frauen in der Panah, einem sicheren Refugium unter der Wüste vor Green City. So entgeht sie dem Schicksal aller Bürgerinnen der Stadt, die gleich mit mehreren Männern verheiratet werden, um möglichst viele Kinder in den Welt zu setzen.

Bina Shah zeigt in ihrer feministischen Dystopie ein düsteres Bild, in dem die Beziehung zwischen Mann und Frau auf das Nötigste reduziert wird: den Fortbestand der eigenen Art zu sichern. Staatlich organisiert, gefühllos und ohne den Frauen überhaupt einen eigenen Willen zuzugestehen. Die werden zwar in Watte gepackt, gehegt und gepflegt, aber natürlich nur, wenn sie sich dem System unterwerfen. Diese Situation birgt natürlich viel Konfliktpotential und Stoff zum Nachdenken. Die wenigsten Leser können sich wahrscheinlich mit den Frauen in der Brutmaschinerie identifizieren, sondern fühlen eher mit den Rebellen mit. Genau das fand ich dann viel zu einseitig dargestellt, gerade Einblicke in die „normale“ Welt von Green City hätten gewiss noch Potential gehabt. So erlebt man einfach zu wenig vom Alltag, wodurch die Botschaft der Autorin etwas untergeht. Auch ist mir die Entstehung dieser Gesellschaft nicht recht klar geworden, die Männer waren und sind die Tonangebenden. Warum das auch in den Zeiten vor Konflikten, Kriegen und Epidemien schon der Fall war, warum es keine Aufstände der Frauen gegen die gesellschaftlichen Entwicklungen gab, all das bleibt irgendwie im Dunkeln und zumindest für die westliche Welt doch etwas unlogisch. Nichtsdestotrotz hat mir Shahs Roman gut gefallen, denn er liefert nicht nur einige Denkanstöße, sondern kann mit glaubhaften Charakteren eine spannende und gleichzeitig düstere Geschichte erzählen. Den Stil der Autorin mochte ich sehr, sie entwirft sehr lebendige Bilder, die man sofort vor Augen hat, egal ob es sich dabei um den Unterschlupf der Rebellen oder einen ausgewachsenen Sandsturm handelt.
Unterm Strich also ein lesenswerter Roman mit kleinen Schwächen.

Veröffentlicht am 23.06.2019

Urlaubsgefühle mit einem Hauch von Spannung

Kretische Feindschaft
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Auf Kreta ist die Welt noch in Ordnung, und so hat Michalis von der Mordkommission in Chania nicht allzu viel zu tun, außer auf die Ankunft seiner Freundin Hannah zu warten. Doch noch während die im Flugzeug ...

Auf Kreta ist die Welt noch in Ordnung, und so hat Michalis von der Mordkommission in Chania nicht allzu viel zu tun, außer auf die Ankunft seiner Freundin Hannah zu warten. Doch noch während die im Flugzeug zwischen Berlin und Griechenland sitzt, wird der im Nachbarort vermisste Bürgermeister tot aufgefunden. Er ist mit seinem Auto von der Straße abgekommen, alles sieht nach einem tragischen Unfall aus. Doch Michalis stößt auf Ungereimtheiten.
„Kretische Feindschaft“ ist der erste Band mit dem kretischen Ermittler Michalis Charisteas. Der Krimi kann leider nicht unbedingt mit spannenden Ermittlungen, dafür aber mit der Atmosphäre punkten. Dem Autor gelingt es ganz hervorragend beim Leser Urlaubsgefühle zu wecken; man spürt seine Begeisterung für die Insel in jeder Beschreibung von Land, Leuten und heimischen Köstlichkeiten, die sich dann sofort auf den Leser überträgt. Man verzeiht ihm dafür auch schnell, wenn er übers Ziel hinausschießt und auf jeder Seite noch mehr Kreta unterbringen will als der Geschichte unbedingt gut tut. Der Schreibstil ist sehr angenehm und leicht zu lesen; einige Worte werden leider nahezu inflationär gebraucht (Frappé, graue Lederjacke usw.), sodass man irgendwann davon genervt ist, ansonsten fand ich die Geschichte aber wirklich schön zu lesen. Die Figuren sind etwas stereotyp und klischeehaft geraten, Michalis und Hannah sind aber ganz sympathisch und über Michalis griechische Großfamilie lässt sich auch mal lachen. Der Kriminalfall ist der große Schwachpunkt, denn der entwickelt sich weder spannend noch temporeich. Zwischenzeitlich hatte ich das Gefühl, dass dem Autor selbst noch nicht ganz klar war, wo er mit seinem Krimi denn nun hinmöchte und so irrt die Handlung etwas aber die zugegebenermaßen wunderschöne Insel. Im Endeffekt handelt es sich eher um einen schönen Landschaftsroman, dem man auch noch mit urlaubsbedingt ausgeschaltetem Kopf wunderbar folgen kann.

Veröffentlicht am 20.06.2019

Die Nickel Boys

Die Nickel Boys
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Einst wurden auf der Nickel Academy Jungen auf den rechten Weg gebracht, die von diesem abgekommen waren. Mit Ordnung, Disziplin und einer ordentlichen Schulbildung. Zumindest wird das den Außenstehenden ...

Einst wurden auf der Nickel Academy Jungen auf den rechten Weg gebracht, die von diesem abgekommen waren. Mit Ordnung, Disziplin und einer ordentlichen Schulbildung. Zumindest wird das den Außenstehenden vorgegaukelt. Tatsächlich haben es die Nickel Boys verdammt schwer, und so sind die ehemaligen „Schüler“ wie Elwood Curtis kaum verwundert als auf dem früheren Schulgelände ein Feld voll unbekannter und geschundener Leichen entdeckt wird.

Colson Whitehead hat sich von der leider nur zu realen Geschichte der Dozier School for Boys zu seinem neuesten Roman inspirieren lassen. Dieses Wissen hat man beim Lesen immer im Hinterkopf. Bei jeder Grausamkeit, jeder Ungerechtigkeit, jeder Misshandlung, v.a. natürlich sobald die Rede auf den „geheimen“ Friedhof kommt. Whitehead erzählt schonungslos vom Elend der Jungen, tut das aber auf erschreckende Art und Weise gleichgültig, in etwa so wie die Mitarbeiter der Schule ihren Schützlingen gegenüber standen. Dies betrifft Jugendliche weißer und schwarzer Hautfarbe, wobei sich der Rassismus v.a. dadurch äußert, dass die Quälerei im „schwarzen“ Trakt noch einen Hauch von fieser war. Mitleid hat man natürlich trotzdem mit allen, und wünscht jedem ein gutes Ende; das Herz des Lesers hängt natürlich besonders an Elwood, der unschuldig in der Academy landete. Selbst als Erwachsene und mit der Distanz der Jahre können die Ehemaligen die Zeit nicht einfach hinter sich lassen. Als Leser wird man davon erschüttert und schockiert, aufgerüttelt und aufgeweckt. Ein wirklich berührender Roman über ein trauriges Stück Geschichte.

Veröffentlicht am 16.06.2019

Ausbaufähig

SCHWEIGEPFLICHT
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Emelie Jansson ist der aufsteigende Stern in einer Wirtschaftskanzlei. Eigentlich könnte sie sich jetzt eine goldene Nase verdienen, doch dann wird in einem Ferienhaus eine Leiche aufgefunden. Der Mordverdächtige ...

Emelie Jansson ist der aufsteigende Stern in einer Wirtschaftskanzlei. Eigentlich könnte sie sich jetzt eine goldene Nase verdienen, doch dann wird in einem Ferienhaus eine Leiche aufgefunden. Der Mordverdächtige möchte ausgerechnet sie als Verteidigerin. Jetzt muss sie sich entscheiden, ob sie ihren Job für ihre Überzeugungen aufs Spiel setzen will.

Die Bücher von Jens Lapidus sind hochgelobt, und wieder einmal zeigt sich, dass das kein Garant dafür ist, dass sie mir gefallen. Man merkt der Geschichte natürlich an, dass der Autor vom Fach ist. Die Einblicke in die Anwaltswelt sind sehr realistisch, sowohl was Abläufe als auch was den betroffenen Menschenschlag angeht. Daran gewinnt die Handlung erheblich, die mir unterm Strich dann aber doch recht langatmig vorkam. Über 600 Seiten hätte sie auf jeden Fall nicht gebraucht. Natürlich gibt es spannende Verstrickungen, manches klärt sich erst nach langer Zeit auf und man versteht erst hinterher wie der Autor Ereignisse vorbereitet hat. Trotzdem bleibt am Ende das Gefühl, dass eine Raffung der Handlung nur gut getan hätte. Die Figuren konnten sich leider auch nicht so recht aus der breiten Masse abheben, und Masse ist auch das Stichwort, denn Lapidus stopft ziemlich viele Protagonisten in seine Story. Das erschwert nicht nur den Überblick, sondern geht natürlich auch zu Lasten der Figur selbst, die dann eben doch nicht so ausgefeilt wird wie man es als Leser haben möchte. Den Erzählstil fand ich bis auf eine Sache recht gut zu lesen. Der Autor verwendet mit Vorliebe immer mal wieder englische Ausdrücke, die gerne auf total hippe und coole Art eingestreut werden, und das nicht nur, wenn aus der Sicht der Heranwachsenden erzählt wird. Ich fands erstens ziemlich nervig und zweitens sehr konstruiert und bemüht, abgesehen davon hat mir der Schreibstil aber doch zugesagt.
Insgesamt konnte mich Schweigepflicht nicht wirklich überzeugen, auch wenn mir die Ansätze gut gefallen haben.