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Veröffentlicht am 11.06.2019

Interessant, aber keine leichte Lektüre

Die Lotosblüte
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Der südkoreanische Autor Hwang Sok-Yong schafft mit "Die Lotosblüte" einen Rundumschlag in der ostasiatischen Geschichte des 19. Jahrhunderts. Verdichtet am Schicksal der als 15-jährigen verkauften Chong ...

Der südkoreanische Autor Hwang Sok-Yong schafft mit "Die Lotosblüte" einen Rundumschlag in der ostasiatischen Geschichte des 19. Jahrhunderts. Verdichtet am Schicksal der als 15-jährigen verkauften Chong wird aus verschiedenen Städten und Ländern berichtet. Thematisiert wird das alltägliche Leben der Menschen in einer Zeit des Wandels, aber auch Menschenhandel und Politik werden angesprochen. Klar wird, dass es zwischen den verschiedene ostasiatischen Völkern Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede gibt. Interessant auch, dass hier schon die Globalisierung der Welt zu erkennen ist – einerseits in der Migration und Vermischung der verschiedenen asiatischen Bevölkerungsgruppen, die meist friedlich mit- oder nebeneinander leben, andererseits im wachsenden Einfluss westlicher Staaten in der Region.

Oft fiel es mir, die ich mich in der Geschichte Asien nicht gut auskenne, aber etwas schwer, das Beschriebene räumlich und zeitlich einzuordnen. So fehlt im/am Buch schon die grundlegende Information, dass die Handlung im 19. Jahrhundert spielt. Auch die Orte waren mir oft unbekannt oder mir war zumindest unklar, zu welchem Land/Herrschaftsgebiet sie in der Zeit gehörten. Im Glossar wird einiges, aber nicht alles erklärt. Meist konnte man der Handlung aber dennoch gut folgen, auch wenn manche Details vielleicht auf der Strecke blieben. Im letzten Viertel prasselt es dann aber nochmal mit historisch-politischen Umständen und japanischen Begriffen regelrecht auf den Leser ein. Das war etwas zu viel. Hier hätte ich fast die Lust verloren weiter zu lesen, wollte aber so kurz vor Ende nicht mehr aufgeben.

Sprachlich liest sich das Buch für mein mitteleuropäisches Empfinden oft etwas emotionslos bis hölzern. Die Personen werden zudem nur sehr oberflächlich charakterisiert. Das ist für mich ungewohnt und nicht ganz eingänglich, aber im Gänze doch akzeptabel – man liest hier immerhin ein Buch aus einer ganz anderen (Erzähl-)Kultur.

Man sollte Interesse und Offenheit mitbringen, dann kann man diesen fast 500 Seiten umfassenden Roman mit Gewinn lesen. Es handelt sich aber nicht um eingängliche, leichte Unterhaltungsliteratur.

Veröffentlicht am 27.05.2019

Verrückte, bitter-böse Familiengeschichte

Der Zopf meiner Großmutter
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Alina Bronskys neueste Geschichte "Der Zopf meiner Großmutter" spielt ein weiteres Mal unter russischen Kontingentflüchtlingen und wieder mal hat sie eine dominante Großmutterfigur geschaffen, die keinesfalls ...

Alina Bronskys neueste Geschichte "Der Zopf meiner Großmutter" spielt ein weiteres Mal unter russischen Kontingentflüchtlingen und wieder mal hat sie eine dominante Großmutterfigur geschaffen, die keinesfalls sympathisch ist, mir aber dennoch ans Herz wuchs. Max' Großmutter hat die kleine Familie fest im Griff, dominiert mit ihren Verrücktheiten den eigenen Ehemann und Enkel. Beide nehmen das recht lakonisch hin – auch nachdem der Großvater sich in eine andere Frau verliebt und das sowieso schon ungewöhnliche Familienleben auf den Kopf stellt.
Nach und nach entwickelt sich aus Vergangenheit und Gegenwart eine Familiengeschichte, in deren Vergleich die eigene Familie auf einmal ganz normal wirkt – egal wie verrückt sie sein mag. Anders erzählt, wäre diese ungewöhnliche Familiengeschichte wohl ganz schon dramatisch und entweder zu übertrieben oder aber langweilig. Alina Bronsky zeichnet die Figuren aber liebevoll, sodass sie mir alle ans Herz gewachsen sind. Im Zentrum dieser herrlich verrückten Geschichte steht die Großmutter, die das beste will, dabei aber ständig über das Ziel hinaus schießt. Man kann ihr nicht wirklich böse sein – auch die anderen Protagonisten sehen zwar ihre krankhafte Dominanz, schaffen es aber dennoch nicht, sich von ihr zu lösen und nehmen ihr ihre Art nicht wirklich übel.

Bevor die Geschichte und vor allem die Großmutter doch irgendwann anstrengend werden könnten, ist das verhältnismäßig schmale Buch auch schon beendet. Für mich war das genau das richtige Maß.
Der Witz in diesem Buch ist bitter-böse. Wenn man das mag und am besten noch einen kleinen Osteuropa-Faible hat, wird man hier prächtig unterhalten. Das Buch liest sich sprachlich locker und flüssig.

Veröffentlicht am 27.05.2019

Spannende Geschichte incl Kurzcharakterisierung Südafrikas

Die Mauer
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Das Buch spielt im Mikrokosmos einer eingezäunten und bewachten Wohnsiedlung in Südafrika. Die zwei Haupterzählungsstränge sind der Pechvogel Moses und das Einbrecherpaar Nozipho und Thembi - mit diesen ...

Das Buch spielt im Mikrokosmos einer eingezäunten und bewachten Wohnsiedlung in Südafrika. Die zwei Haupterzählungsstränge sind der Pechvogel Moses und das Einbrecherpaar Nozipho und Thembi - mit diesen drei Personen habe ich bis zum Ende mitgefiebert. Sie werden durch ein umfangreiches Nebenpersonal ergänzt, das den Schmelztiegel Südafrika repräsentiert. Die Verhältnisse bzw Konflikte zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen werden knapp - für mich im richtigen Maße für diese Erzählform - angerissen. Verbunden ist das mit einer Kriminalgeschichte, die kurz vor Ende allerdings etwas slapstickartig war.
Zwischendurch fiel es mir abseits der drei Hauptpersonen schwer, die anderen handelnden Personen auseinander zu halten.

Insgesamt aber spannend und aktuell.

Veröffentlicht am 27.05.2019

Dystopisch und aktuell

Die Mauer
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John Lanchester hat ein ruhiges, aber auch packendes Buch geschrieben. Anfangs ging es mir etwas zu langsam voran, aber das änderte sich, als ich mich an das Erzähltempo gewohnt hatte. Irgendwann haben ...

John Lanchester hat ein ruhiges, aber auch packendes Buch geschrieben. Anfangs ging es mir etwas zu langsam voran, aber das änderte sich, als ich mich an das Erzähltempo gewohnt hatte. Irgendwann haben mich Joseph, seine Persönlichkeit und das Leben in dieser dystopischen Welt gepackt und ich wollte nicht mehr mit dem Lesen aufhören. Viel Raum nimmt in der Erzählung der Wachdienst auf der Mauer ein, der sehr eindrücklich geschildert wird.
Als ich schon nicht mehr daran glaubte, erfuhr man doch noch etwas über den "Wandel", ohne dass der Autor sich hier im Detail verliert. John Lanchester greift hier die aktuellen Themen Klimawandel und Flucht auf. Natürlich kann man das Buch auch als Kommentar zum Brexit lesen - oder ganz unabhängig davon.
Für mich ein sehr aktuelles, spannendes Buch.

Veröffentlicht am 02.05.2019

Dystopischer Frauenmangel

Die Geschichte der schweigenden Frauen
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Bina Shah entwickelt in ihrem neuen Roman "Die Geschichte der schweigenden Frauen" eine interessante Szenarie in einem dystopischen fiktiven Staat: Durch einen Virus wurde die weibliche Bevölkerung extrem ...

Bina Shah entwickelt in ihrem neuen Roman "Die Geschichte der schweigenden Frauen" eine interessante Szenarie in einem dystopischen fiktiven Staat: Durch einen Virus wurde die weibliche Bevölkerung extrem ausgedünnt. Der Frauenmangel hat diverse Auswirkungen, die hier beschrieben werden. Ein interessantes Gedankenexperiment - man könnte doch denken, dass Frauen aus ihrer Sonderstellung nun Vorteile ziehen, aber dem ist nicht so: sie sind eher noch mehr von den Männern dominiert und unterdrückt. Ein paar Frauen widersetzen sich den gesellschaftlichen und politischen Erwartungen - ihre Geschichte wird hier erzählt.

[Spoiler] Schade dass der Aufstand der Frauen nicht gelingt. Anfangs wird die Geschichte von Frauen dominiert: sie stehen im Mittelpunkt der Geschichte und erzählen die Geschichte. Am Ende werden die entscheidenden Schritte aber doch von Männern durchgeführt. Ist das jetzt von der Autorin nicht konsequent umgesetzt worden oder ist das vielleicht doch eine zynische, pessimistische, (gerade für viele Teile Asiens) aber auch realistische Wendung? [/Spoiler]

Binah Shah ist eine pakistanische Autorin, die auf Englisch schreibt und veröffentlicht. Ich fand die deutsche Übersetzung sehr gut zu lesen. Für mich hatte das Buch keine Längen - manche Leser sind da aber anscheinend anderer Meinung. Die verschiedenen Erzählperspektiven machten das Buch für mich ziemlich abwechslungsreich.