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Veröffentlicht am 07.09.2021

Multiperspektivität statt Nationenstreit

Karl IV.
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Mit seinem Buch „Karl IV. – Der Europäische Kaiser“ hat der bedeutende französische Mittelalter-Historiker Pierre Monnet ein wissenschaftsgeschichtliches Buch über eine eher dunkle mittelalterliche Epoche ...

Mit seinem Buch „Karl IV. – Der Europäische Kaiser“ hat der bedeutende französische Mittelalter-Historiker Pierre Monnet ein wissenschaftsgeschichtliches Buch über eine eher dunkle mittelalterliche Epoche vorgelegt, das mehr ist als eine Biographie.
Wer aber war denn Karl IV.? Wozu sollte man sich überhaupt noch mit ihm beschäftigen?

Bezeichnenderweise ist Karl IV. an deutschen Schulen nur noch durch die „Goldene Bulle“ berühmt-berüchtigt, den Namen verbindet man bestenfalls mit dem anderen Karl, dem „Großen“ - ganz im Gegensatz zu Tschechien übrigens, wo er bis heute nicht nur wegen seiner vielen Denkmale in und um Prag lebendig ist.
Von seinen Zeitgenossen und vielen Historikern der folgenden Jahrhunderte wurde er durchaus kritisch gesehen, gar bespöttelt, war er doch eher ein grüblerischer, frömmelnder Mensch, alles andere als die im MA so beliebten Schlachtenkönige und Turnierritter - wie noch sein Vater - und als „Pfaffenkönig“, also papsthörig, als geizig und allzu oft in Geldnöten verschrien!
Aus verschiedenen aktuelleren oder auch nationalen Blickwinkeln betrachtet, kann man heute aber über diesen schöngeistigen, diplomatischen und vorausschauenden Friedensherrscher nur staunen - so war er nicht nur ein König, der, wie sonst keiner, fünf Sprachen in Wort und Schrift(!) beherrschte, der als einziger eine Autobiografie, einen Maßstab für zukünftige Herrscher, hinterließ, „Vater“ der Tschechen genannt wurde, die erste Uni, die „Goldene Stadt“ erbaute und „goldene Handelsrouten“ schuf, und gleichzeitig ein weitgestrecktes und äußerst komplexes „Kaiserreich“ in einer Art verwaltete und vermehrte („Mehrer des Reiches“, ja, stellenweise ist klar, mit ihm hätte das „Spiel um Throne“ ganz anders ausgesehen), die bis ins 19. Jahrhundert wirkte und Deutschland entscheidend prägte, z.B. hinsichtlich des heutigen Föderalismus oder auch eines veränderten Europabegriffs.

Der Autor vermag am Beispiel Karls gut zu zeigen, dass unsere heutigen nationalstaatlichen Vorstellungen und Ideen mit früheren Zeiten unvereinbar sind. (Karl IV. lässt sich keiner Nation zuordnen: er war deutscher König wie König von Böhmen, König von Italien, König von Burgund, Kaiser des „Heilig-Römischen Reiches“, Vorsteher des Hauses Luxemburg usw., sein Handeln war immer im Blick auf viele verschiedene Völker und Kulturen ausgerichtet.)

Monnet schafft hohe Aktualität, indem er aufzeigt, wie wichtig genau diese pluralistische Sichtweise in historische Zeiten für uns ist.
In Zeiten, in denen populistische Strömungen allzu gerne Rückbesinnung und bewusste Instrumentalisierung und Vereinnahmung nationaler Geschichtserzählung nutzen, um zu entzweien, ist eine immer kritische, vor allem aber vielseitige und multinationale Betrachtungsweise der Geschichtsschreibung zwingend und wird hier im dritten Teil des Buches „Überdauern“, in der Analyse der national unterschiedlichen Betrachtungen dieses Herrschers und der Beurteilung seiner Wirkung durch die Jahrhunderte, vorbildhaft umgesetzt.

Durch die nichtchronologische Erzählweise ergeben sich einige Wiederholungen im Text, und zu den vielen Beschreibungen von diversen Gemälden, Skulpturen u.a. Denkmälern wären mir weitere oder auch farbige Abbildungen lieber gewesen. Außerdem äußert sich der Autor nur kurz zur Frage der Judenverfolgung, was ich mir ebenfalls anders gewünscht hätte. Das ist allerdings die einzige Kritik, die ich an diesem Buch habe.

Fazit: Eine klare Leseempfehlung für geschichtlich-politisch Interessierte.

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Veröffentlicht am 02.07.2021

Der Holocaust ist noch lange nicht zu Ende erzählt

Die Kinder von Teheran
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Wer sind die Kinder von Teheran? Warum waren sie auf der Flucht? Der Begriff der „Teheran children“ ist für uns noch relativ unbekannt und wird von der in Israel geborenen US-Literatur-Professorin Mikhal ...

Wer sind die Kinder von Teheran? Warum waren sie auf der Flucht? Der Begriff der „Teheran children“ ist für uns noch relativ unbekannt und wird von der in Israel geborenen US-Literatur-Professorin Mikhal Dekel, Tochter eines solchen „Teheran child“, aus dem Vergessen hervorgeholt.

Damit wird der Aspekt der Judenverfolgung, der auch aus der Flucht von über 1 Million polnischer Juden durch den Osten und Nahen Osten bestand, erweitert und verbindet sich in interessanter Weise mit unseren aktuellen Problemen der weltweiten Fluchtbewegungen.

Flucht bedeutet, aus Verzweiflung alles Vertraute und jede staatliche Sicherheit hinter sich zu lassen - das ist heute so und war es auch früher. Bezeichnenderweise wusste die Autorin selbst vor ihrer Recherche nicht, was die Flucht des Vaters für ihn und seine Herkunftsfamilie bedeutet hatte, da er, wie so viele Holocaust-Opfer, sich über die Vergangenheit lieber ausschwieg. Und im Verlauf des Buches begegnet uns und den Kindern alles, was man sich dazu denken kann: Vertreibung, Deportation, Kälte, Hunger, Krankheit, Prostitution, Zerstörung und Verlust der Familie/Vorfahren.

Trotzdem muss kein Leser Respekt davor haben dieses Buch zu lesen. Es ist weder negativ geschrieben noch besonders schwer zu lesen - im Gegenteil! Es hat eine für ein Sachbuch sehr schöne Sprache und erzählt die Geschichte ausgesprochen flüssig und fesselnd. Natürlich gibt es auch berührende und unschöne Momente, aber der Autorin gelingt der besondere Kunstgriff, eigentlich zwei Geschichten zu erzählen: die Flucht ihres Vaters, aber auch ihren eigenen Versuch, diese Reise und ihre Auswirkungen nachzuvollziehen, tw. auch vor Ort, und über alles, was ihr dort begegnet, kann sie sehr spannend und nachvollziehbar reflektieren. Das macht die Lektüre sehr besonders und das Buch nahezu zu einem Pageturner.

Ich schätze sehr, dass sie nicht alleine auf die Erforschung des väterlichen Einzelschicksals abstellt, sondern in Herausarbeitung des gemeinsamen und des allgemeingültigen dieser Schicksale dem Leser einen multiperspektivischen Blick auf das Geschichtsgeschehen ermöglicht und damit auch Lehren für uns heute möglich macht.

So ist einer ihrer Hauptpunkte, dass die national begrenzte und tw. verfälschende Erinnerungskultur in einzelnen Staaten das Lernen aus der Geschichte erschweren. Dieses, oder auch schlicht weshalb die Gründung Israels für die Juden derart bedeutungsvoll war, ist mir noch nie so deutlich geworden wie in diesem Buch! Oder auch, dass es ständig erzwungene Identitätswechsel für die Flüchtenden gab (von Polen zu rechtlosen Juden zu Israelis/Zionisten) und was das für sie, bis hin zu ihren späteren Familien und Kindern, bedeutete.

Man kann in diesem Buch in einer besonderen Weise erleben, wie die große Geschichte in die kleine des Einzelnen eingreift und welche Auswirkungen das auf den Menschen wie auf das Weltgefüge hat.

Durch diese Vielschichtigkeit und die intensiven, offen dargelegten Reflektionen der Autorin ist es ein sehr gelungenes Buch.



Fazit: Von mir 4,5 Sterne, ein definitiv lesenswertes Buch! Ich denke, dass auch Menschen, die sonst keine historischen Sachbücher lesen, mit diesem Buch gut zurecht kommen werden und viel daraus mitnehmen können, durchaus auch für die aktuellen Konflikte.

Den kleinen Abzug gibt es, weil ich am Ende doch ein wenig enttäuscht war, dass die Verdrängung der Palästinenser mit der Staatsgründung Israels nicht wirklich erzählt wird. Das widerspricht etwas der sonstigen Haltung der Autorin, allerdings kann ich die besondere Loyalität jüdischer Menschen zum Staate Israel nach der Lektüre auch besser verstehen.

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Veröffentlicht am 29.04.2020

Die Ermittlerin diesmal auch privat!

In eigener Sache
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Hier geht es um den chronologisch 3.Band der Reihe „Karens Jobs“ mit der sympathischen amerikanischen Nachrichtenagentin Karen Mulladon, den man aber auch unabhängig von den anderen Bänden lesen kann.

Der ...

Hier geht es um den chronologisch 3.Band der Reihe „Karens Jobs“ mit der sympathischen amerikanischen Nachrichtenagentin Karen Mulladon, den man aber auch unabhängig von den anderen Bänden lesen kann.

Der Autor ist Prof.Erich H. Franke, seines Zeichens Dozent im Bereich Elektro-und Informationstechnik, Amateurfunker und Kenner militärischer Kommunikations-& Flugnavigationssysteme – und das merkt man seinen Kriminalromanen auch an. Es braucht aber niemand Angst haben, dass es zu kompliziert wird, denn er schafft es immer gut, die technisch-wissenschaftlichen Zusammenhänge für den Laien so zu erklären, dass er es problemlos versteht.

Diesmal geht es um einen Anschlag auf Karens Onkel, der als alter Mann in Deutschland lebt, in seiner Vergangenheit aber möglicherweise in den internationalen Waffen-und Drogenhandel verwickelt war. Es gibt Bezüge bis in höchste politische Kreise und entsprechend werden den ermittelnden Protagonisten (-Karen arbeitet hier wieder zusammen mit bekanntem Personal-) jede Menge Knüppel zwischen die Beine geworfen, noch schlimmer, sie können sich gegenseitig nicht mehr trauen. Karin muss sich nicht nur in der eigenen Familiengeschichte auf Spurensuche begeben, sondern auch im unmittelbaren beruflichen Umfeld.

Um es vorwegzunehmen: ich habe die beiden Vorgängerbände gelesen und finde diesen Roman mit Abstand den besten! Dieser Krimi ist komplexer, persönlicher, glaubhafter, wartet mit einem möglichen Maulwurf in den eigenen Reihen auf und bietet einen tollen Schluss inklusive einer wirklichen Überraschung. Sogar eine kleine Lovestory ist inklusive.

Dass man Karen hier nicht nur in ihrer Familie in Alaska erlebt, sondern auch endlich mal als Privatperson und Frau, macht sich gut (-ganz besonders mochte ich z.B.auch die Schlittschuhszene-), es berührt genau den wichtigsten Punkt meiner Kritik an den Vorgängern.

Die Geschichte lebt von Dialogen, allerdings ist hier kein Wort zuviel, „blumige Ausschmückung“ scheint nicht die Art des Autors zu sein. Hier gelingt es ihm aber wunderbar das harte Kerngeschäft mit mehr persönlichem Anstrich seiner Protagonisten zu verbinden. Neben Karin hat er übrigens noch eine zweite taffe Protagonistin geschaffen (Hannah Petersen), was eindeutig positiv für sein Frauenbild anzurechnen ist.

Was ich dabei als eher zart besaitete Krimi-Leserin sehr angenehm finde, ist, dass die Geschichte, trotz Verwicklung in hochkriminelle Machenschaften, ohne Gewalt-Orgien auskommt. Dennoch darf man stellenweise den Atem anhalten und immer wieder mal mit der Protagonistin mitzittern. Ich fand das Buch einfach durchgängig spannend bis zum Schluss!

Was einem als bravem Bürger mitunter seltsam erscheint, wie Drogen – und illegaler Waffenhandel eigentlich überhaupt vonstatten gehen können, wird hier schlüssig und glaubwürdig erzählt, und man bekommt eine Vorstellung davon, dass auch dazu z.B. weitreichende Geschäftsverbindungen und ein logistischer Aufwand nötig sind, wie im legalen Geschäftsleben auch.

Ich habe zwei minimale Kritiken die angesichts des gelungenen Endes aber zu vernachlässigen sind: Ich finde jetzt nicht unbedingt, dass ein korrupter Staatsangestellter mit einer rührseeligen Ursachenstory entschuldigt werden muss.... und dann gab es da eine Sache, die am Ende nicht mehr auftaucht, das hat mich gewundert. (Aber bei so viel spannender Unterhaltung wirklich vernachlässigbar!)

​Fazit: Dies ist ein unterhaltsamer Krimi für alle die, die technischen und wissenschaftlichen Aspekten nicht abgeneigt sind, aber weder CozyCrime noch den „kettenrauchenden und Whiskytrinkenden männlichen Kommissar brauchen, dafür vlt immer schon mal wissen wollten, wie Drogen-&Waffelhandel und die Politik zusammenhängen. „… früher gegen die Russen und heute eben gegen die Taliban“.

Ich empfehle die Karen-Reihe gerne weiter, sie wird bestimmt noch mehr Fans finden.

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Veröffentlicht am 28.04.2020

Gute Ernährung schlecht vermittelt!

How Not to Diet
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Das neueste Buch des US-amerikanischen Allgemein-& Ernährungsmediziners Dr. Michael Greger, „How not to diet“, trägt den Untertitel „Gesund abnehmen und dauerhaft schlank bleiben dank neuester wissenschaftlich ...

Das neueste Buch des US-amerikanischen Allgemein-& Ernährungsmediziners Dr. Michael Greger, „How not to diet“, trägt den Untertitel „Gesund abnehmen und dauerhaft schlank bleiben dank neuester wissenschaftlich bewiesener Erkenntnisse“, was Thema und Inhalt des Buches gut beschreibt - Ziel des Autors war es das „erste faktenbasierte Diätbuch“ zu schreiben. Im folgenden werde ich versuchen, darzulegen, warum ihm das leider nicht gelungen ist.

Der Mann ist auf einer Mission. Er unterhält im Internet eine nicht-kommerzielle Seite (nutricionfacts.org), die ich als ehemalige Ernährungsberaterin schon länger kenne, und hat in einem Vorgängerbuch („How not to die“) nachvollziehbar erläutert, wie die moderne westliche Ernährung und die Industrieproduktion von Lebensmitteln uns schadet, während natürliche, vollwertige und pflanzliche Nahrungsmittel uns sogar heilen können. Er war Sachverständiger im Kongress wie bei einem Prozess gegen die Lebensmittelindustrie und ist selbst erklärter Veganer und Tierschützer.
Seine, meines Erachtens überhaupt nicht zu kritisierende Mission ist - ich zitiere Wikipedia-: „…eine pflanzenbasierte, vollwertige Ernährung einem breiten Publikum mithilfe wissenschaftlicher Untersuchungen näher zu bringen“.
Ein interessantes Thema, alleine schon, weil die vegane Ernährung hier in Deutschland immer noch sehr umstritten und mit Vorurteilen behaftet ist - wie spektakulär wäre es, wenn sie auch zum Abnehmen besonders gut geeignet wäre, und dazu noch gesund!?

Deshalb zunächst zu dem, was ich am Buch wirklich gut fand: der Leser bekommt hier eine gute Zusammenstellung der neueren wissenschaftlichen Erkenntnisse, unter Einbezug von für Gesundheit wie Abnehmen wichtigen Bereichen wie der Chronobiologie, unserer Darm-Gesundheit oder der wichtigen Rolle von Insulin oder viszeralem Fett in unseren Körpern.
Zu Recht betont Dr.Greger den Schaden industrieller Kost, die Macht von Lebensmittelkonzernen und Werbung.
Seine Philosophie, dass unsere chronischen Erkrankungen mithilfe von vollwertiger Ernährung größtenteils vermeidbar oder sogar heilbar sind, hat sich in den letzten Jahren, auch aus anderen Quellen, zunehmend bestätigt.

Er beschreibt dazu zwölf gesunde Lebensmittel, die wir jeden Tag zu uns nehmen sollten und gibt in diesem Buch zusätzlich noch eine Reihe kleinerer „Tipps und Tricks“, die das Abnehmen fördern können. Er verweist zudem auf eine kostenlose App, die er zur Durchführung seiner Ernährungsweise entwickelt hat. Und nicht zuletzt müsste man sein Buch jedem empfehlen, der eine Magenbypass-Operation überlegt - was er hier beschreibt, ist nicht immer appetitlich, entspricht aber absolut meinen eigenen Erfahrungen in der Betreuung einer Selbsthilfegruppe Übergewichtiger.

Dr. Greger hat sein Buch über 752 Seiten in vier große Teile geteilt, und mit etlichen Studien als Beleg seiner Behauptungen versehen. Positiv ist anzumerken, dass tatsächlich alle erwähnten Quellen per QR-Code nachvollzogen werden können, sofern man sich die Zeit nimmt und englische Studien lesen kann.
Er formuliert forsch und größtenteils humorvoll, in relativ einfacher Sprache – man muss keine Angst haben, einen völlig trockenen wissenschaftlichen Lesestoff zu bekommen.

Insgesamt erschien mir das Buch aber unstrukturierter als zum Beispiel „How not to die“, und trotz Stichwortverzeichnis und Inhaltsangabe fand ich es schwierig bestimmte Stellen wiederzufinden. Das mag aber auch der Tatsache geschuldet sein, dass ich ein Manuskript, nicht das fertige Buch, zu lesen hatte.

Die grau unterlegten Kästen „Gedankenfutter“ sind grundsätzlich eine gute Idee, die der Strukturierung helfen, ich hätte sie mir aber durchgängig öfter als „praktische Anweisung zur Umsetzung“ gewünscht, z.T. gibt es darin Anwendungstipps, zum Teil aber auch nur wieder weitere Studien.

Nun aber zu meiner Meinung und damit meiner eigentlichen Kritik:
Allein der schiere Umfang an Studien erschlägt den Leser. Die m.E. zu hohe Anzahl an Studien, im immer gleichen Schema von „zunächst behauptet“, dann „verworfen“, dann erst „zum eigentlichen kommend“, dargeboten, ermüdet mit der Zeit beim Lesen und führt auch zu (zu)vielen Wiederholungen. Leider führt viel Quantität nicht automatisch zu mehr Qualität.

So muss ich auch bemängeln, dass der Autor mit seinen Behauptungen und im Umgang mit den Studien nicht immer wissenschaftlich genug verfährt, zumindest nicht für ein sogenanntes „faktenbasiertes Buch“.
Ein ganz einfaches Beispiel: dass er zu Übertreibungen neigt, sieht man, wenn man auf Seite 21 z.B. zunächst von „71 % übergewichtiger Amerikaner“ liest, diese im Verlauf des Buches aber anscheinend ständig anwachsen und bei Seite 217 dann „90 % der US Bürger sind zu dick“ behauptet wird. Oder: Obwohl dem Leser der Unterschied zwischen Studien, die nur die Korrelation eines Ergebnisses beachten, nicht aber die Kausalität, erklärt wird, benutzt er selbst gerne einfache Bevölkerungsstudien oder Studien mit einer sehr geringen Probandenzahl, die ebenfalls lediglich Korrelationen belegen.

Dem Marketing geschuldet ist wahrscheinlich die Tatsache, dass Dr. Greger wenig von „veganer Ernährung“ spricht, sondern immer nur von „pflanzlicher“, obwohl es klar darauf hinausläuft, weshalb als 13. Zutat zu seiner Ernährungsweise auch die Vitamin-B12-Supplimentierung gehört (s.App). Kritisieren muss ich an dieser Stelle leider, dass er dadurch keine gute Anleitung für eine gesunde vegane Ernährung bietet, denn dazu gehört mehr als Vitamin B12 zu sich zu nehmen. Umgekehrt wird erstaunlicherweise der inzwischen auch bei Fleischessern mitunter vorliegende Vitamin-B12-Mangel an keiner Stelle erwähnt, obwohl der doch mit der von ihm so kritisierten industriellen Fleischproduktion zu tun hat. So angenehm es ist, dass er Fleisch oder Fisch nicht ausdrücklich verbietet, so sehr hatte ich doch irgendwann den Eindruck eine „Mogelpackung“ zu lesen.

Solcher Art „kleinerer Mängel“ gibt es dann leider doch öfter – zum Beispiel erklärt er weder ausreichend die fatale Rolle von Wurst oder den weit verbreiteten Milchprodukten, noch nachvollziehbar die Rolle guter Fette für fettlösliche Vitamine oder das richtige Trinken bei vermehrter Ballaststoffzufuhr. Er fordert, sage und schreibe, 100 g Ballaststoffe täglich als ideale Aufnahmemenge, erklärt aber nicht wirklich, warum genau diese Zahl für die Gesundheit oder zum Abnehmen entscheidend sein soll. (Zur Erklärung: nur wenige Menschen erreichen die bisher geforderten 30 g pro Tag).
Seine Argumente zu einer äußerst geringen Fettzufuhr (nur 7-10 %) beziehen sich hauptsächlich auf Studien zur (veralteten)Atkins-Diät und auf die, in den USA besonders stark verbreiteten, gesättigten Fette.
Das ist nur e i n Beispiel dafür, dass das Buch viel zu sehr an amerikanische Verhältnisse angelehnt ist, und überzeugt nicht in Gänze, ebensowenig seine Auslassungen zu „Nudeln“ und „Vollkorn“ oder die Frage, warum er nicht auch Unterschiede in Getreidearten, Anbau, Verarbeitung und Zubereitung von Lebensmitteln zum Thema macht. Eine gute vollwertige Ernährung hat viel damit zu tun, wie Dinge produziert und zubereitet werden. Dieser Aspekt kommt mir absolut zu kurz und führt zum Beispiel bei der Freisprache von konventionellem Anbau oder weißen Nudeln auch zu falschen Schlüssen.

Insgesamt fehlt es an praktischen Tipps zur Umsetzung der Ernährungsweise im Alltag, die Gewichtung von theoretischen Studien und praktischer Umsetzung ist einfach zu unausgeglichen.

Das Schlimmste ist aus meiner Sicht aber, dass ich bis zu den letzten 15 Seiten lesen musste, um richtig zu erkennen, dass mir hier nichts anderes als die „gute alte kalorienreduzierte Diät“(plus Sport) als Mittel zum Abnehmen angeboten wird, mit der alltagspraktischen Erschwernis, dass ich dazu eben im Grunde vegan essen soll, und - für mich ein absolutes no-go - dabei die pauschale Grenzwertangabe von 1200 kcal für Frauen und 1500 für Männer bekomme.
Das ist nicht neu, sondern eher veraltet. Außerdem völlig unverständlich, weil Dr. Greger sehr wohl von dem sich verlangsamenden Stoffwechsel bei kalorienarmen Diäten weiß, und noch dazu dabei von einer lebenslang beizubehaltenden Ernährungsform spricht!

Klar, im Nachhinein hätte man es schon ahnen können, als er, mit ebenso mir zu geringen Erklärungen, einen BMI von 20-22 als einzig gesunden und anzustrebenden fordert (,was dann praktischerweise ja auch gleich die Anzahl der Übergewichtigen per Definition nach oben schraubt), oder in seinen Tipps „zweimal täglich wiegen“ als „Abnehmbooster“ empfiehlt. Ein weiteres verhängnisvolles „nogo“, dass meiner Erfahrung nach nur zur Verbreitung von Essstörungen beiträgt.

Auch Tipps wie „Apfelessigtrinken“, überhaupt „Essig über alle Mahlzeiten“ oder die Forderung „4 Stunden in der Nacht in erhöhter Beinlage zu schlafen“ (konkret: einen Ziegelstein unter den Bettpfosten zu legen), „lila Gerstenkörner“ mit Linsen zum Frühstück u.v.m. ist entweder längst überholt oder wirkt, gelinde gesagt, befremdlich. Diese Aussagen machen die tendenziell richtigen Botschaften des Buches letztendlich zunichte.

Was ich außerdem persönlich nicht mochte, war die wirklich häufige Erwähnung, dass „Fettleibige“ sich ohnehin immer und nur „in die eigene Tasche lügen“ und immer zuviel essen, wenn man sie nicht streng kontrolliert - auch das entspricht absolut nicht meiner Erfahrung (es gibt viele Gründe für Übergewicht ) - aber selbst wenn, ist es ja wohl alleine didaktisch sehr ungeschickt die Zielgruppe des Buches mit diesen ständigen Aussagen zu verprellen. Es ist das alte Spiel: nimmt der „Fettleibige“ mit einer Diät nicht ab, muss er wohl geschummelt haben, und da wohl kaum jmd. mit 1200 kcal lebenslang zurecht kommt, kann man ihm bei Misserfolg auch immer die Schuld zuschieben - über die Schuldgefühle dicker Menschen schreiben Psychologen inzwischen auch Bücher.

Fazit: Alles in allem schafft dieses Buch -leider- für mich, trotz guter Ansätze, keine drei Sterne, weil es ausdrücklich nicht geeignet ist, der „breiten Masse“ eine pflanzenbasierte gesunde Ernährung nahe zu bringen.

Es ist kein gutes Diätbuch, es trifft pauschale Aussagen, die weder individuelle Bedürfnisse noch mögliche Unverträglichkeiten oder weitverbreitete Krankheitenberücksichtigt, es erklärt nicht alle Zusammenhänge gleich gut.
Die Aussagen des Autors könnten zur weiteren Diskriminierung dickerer Menschen beitragen, ebenso wie zur Förderung von Essstörungen und falschen Idealbildern.

Es ist einfach nicht praktikabel genug und enthält für Laien zuviele Möglichkeiten zur Falschinterpretation. Es berücksichtigt die Lebenswirklichkeit der Mehrzahl der Menschen oder Familien und auch berufsbedingte Erfordernisse in unserer Gesellschaft nicht ausreichend.

Ich habe die Absicht von Dr.Greger, endlich wissenschaftlich zu belegen, dass auch vegane Ernährung gesund praktiziert werden kann, sogar für manche Krankheiten förderlich wäre, sehr begrüßt, aber leider bleibe ich enttäuscht zurück.
Ich kann das Buch guten Gewissens nicht weiter empfehlen, in jedem Fall bedarf es des kritischen und genauen Lesens, langen Atems und, m.E. am besten einer gewissen Vorbildung.
Wenn schon, kann man Laien wohl eher zum Vorgängerbuch „How not to die“ raten, was ich allerdings nie so gründlich gelesen habe. Es bleibt zu hoffen, dass man mit einer hauptsächlich pflanzenbasierten, vollwertig gesunden Ernährung, wie er es in seinem ersten Buch beschreibt, wahrscheinlich auch abnehmen kann, ohne Kalorien zu zählen.

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Veröffentlicht am 15.10.2018

Geschichte des 20.Jh. im Spiegel der letzten Zeitzeugen

Zerrissene Leben
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Konrad Jarausch hat mit "Zerrissene Leben" ein eher ungewöhnliches Geschichtsbuch gegen das Vergessen vorgelegt, das die Schnittstellen "normaler" Menschen mit der "großen Geschichte" beschreibt, und so ...

Konrad Jarausch hat mit "Zerrissene Leben" ein eher ungewöhnliches Geschichtsbuch gegen das Vergessen vorgelegt, das die Schnittstellen "normaler" Menschen mit der "großen Geschichte" beschreibt, und so etwas wie eine "kollektive Biografie" der in der Weimarer Zeit Geborenen liefert.

Der Aufbau des Buches ist chronologisch, wobei der Autor eine Erklärung über seine Herangehensweise und Intention voranstellt. Die Erzählung wird fortlaufend von den Originalzitaten aus den Zeitzeugenberichten untermauert, es gibt einen umfangreichen Anhang mit der Kurzbiografie von 65 Zeitzeugen.

Die Sprache von Jarausch ist dabei an die Zielgruppe all derer angepasst, die sich für Geschichte interessieren und, vielleicht mangels Biografien in der eigenen Familie, Lust auf Zeitzeugenberichte haben. Er kann sehr verständlich und gut lesbar formulieren, durch die ständig eingestreuten Zitate ist das Buch lebendig, und das "trockene", oft ernste Thema dennoch locker zu lesen.

Die Kernfrage des Autors ist: "Wie haben die ganz normalen Deutschen das 20.Jh. "erlebt", "erlitten" und vor allem auch "verarbeitet"?" Entspricht die offizielle deutsche Erinnerungskultur der der Zeitzeugen, sind Alle Opfer, oder gibt es doch Unterschiede, die in der Erinnerung nicht verwischt werden dürfen?

Die Herangehensweise und die Absichten des Autors gefallen mir gut, er wird nicht müde zu betonen, dass so eine "kollektive Biografie" immer auf subjektiv-selektiven, tendenziösen, rechtfertigenden, und möglicherweise durch die Erinnerung verzerrten Berichten beruht, die aber durch die Vielfalt der ausgewählten Zeitzeugen und die hohe Menge an Berichten auf ihren Wahrheitsgehalt abgeglichen und in spürbar kritischer Distanz wiedergegeben wurden.

Deutlicher Schwerpunkt des Jahrhunderts ist dabei die Nazizeit, weil sie bis heute Auswirkung auf unsere Gesellschaft hat und die befragten Zeitzeugen in besonderer Weise geprägt hat. Jarausch berücksichtigt dabei auch den wichtigen Unterschied in der Entwicklung der beiden deutschen Staaten, und beschreibt streckenweise die gesellschaftsspezifisch unterschiedlichen Erfahrungen von Frauen und Männern separat, vor allem im Krieg. Es gelingt ihm dabei gut, einen stimmigen Gesamtbericht über den Verlauf des Jahrhunderts zu geben, und die "große Geschichte" auf das herunterzubrechen, was normale Menschen darin erleben. Und das auch einem Laien gut vorstellbar zu machen.

Ein bisschen enttäuscht hat mich kaum neue Aspekte kennengelernt zu haben. Das mag aber der Tatsache geschuldet sein, dass ich mich schon mehrfach mit dem Jahrhundert beschäftigt habe, und auch noch Gelegenheit hatte, selbst mit Zeitzeugen zu kommunizieren.
Auch ist das Buch so bemüht, eine breite Palette an Zeitzeugen zu befragen (Opfer, Täter, Mitläufer, Prominente wie einfache Arbeiter etc.), dass es mir schwer fiel, mich mit einzelnen Personen derart zu identifizieren, dass ich emotional besonders berührt wurde. Das mag allein an der schieren Vielzahl der Protagonisten, die in ständigem Wechsel zitiert werden, liegen, so dass man kaum eine Gesamtsicht über einzelne Lebensverläufe bekommt. Zumindest musste ich immer wieder zum Personenregister blättern, um keine Lebensberichte durcheinander zu werfen.
Vielleicht wäre über das Herausheben von typischen Verläufen (1Täter, 1Opfer, 1Mitläufer genauer) ein leichterer Zugang für den Leser und auch eine vertiefte Sicht der jeweiligen Biografien möglich gewesen.

Für mich blieb es ein wenig zu sehr bei der "Übersicht", ich hätte mir eine vertiefte Darstellung und Kommentierung von Einzelschicksalen gewünscht.

Dennoch kann das Buch vielleicht Menschen erreichen, die sich sonst mit historischen Büchern schwertun. Es ist keine Sekunde langweilig darin zu lesen, und es gibt Laien einen guten Eindruck dieses wichtigen Jahrhunderts.
Zu einer guten kritischen Erinnerungskultur in der Gegenwart ist es in jedem Fall ein guter, wichtiger Beitrag!