Leider kein typischer Cody McFadyen-Thriller
Die Stille vor dem TodOh, wie lange haben Fans dieser Reihe auf „Die Stille vor dem Tod“ gewartet. Und wahrscheinlich ist jeder andere „Groupie“ auch so ausgerastet wie ich, als ich erfahren habe, dass es endlich den langersehnten ...
Oh, wie lange haben Fans dieser Reihe auf „Die Stille vor dem Tod“ gewartet. Und wahrscheinlich ist jeder andere „Groupie“ auch so ausgerastet wie ich, als ich erfahren habe, dass es endlich den langersehnten fünften Teil gibt. Den fünften Teil einer sehr gruseligen, unheimlich, mysteriösen, brutalen, aber interessanten und spannenden Welt mit einer ausgesprochen starken Protagonistin. Leider kam die Ernüchterung sehr schnell. Die Bewertungen auf Amazon und anderen Plattformen ließen schlimmes erahnen. Und jetzt – nachdem ich das Buch selbst gelesen habe – muss ich sagen: einige der Kritiken kann ich verstehen und nachvollziehen.
Der Einstieg des Buches war wirklich sehr gut und sehr rasant. Ich hatte eine lockere Hinführung erwartet, die Beschreibung des neuen Falls, das langsame Zusammenkommen aller Teammitglieder. Die alte Zusammenarbeit wieder aufleben lassen und bei den Lesern „Nostalgie“ erzeugen. Kurz hatte ich befürchtet, Probleme zu haben, schließlich ist das Lesen des letzten Teils schon eine Weile her (bei anderen Thriller-Reihen ist es bei mir oft der Fall, dass ich Protagonisten, Zusammenhänge und wichtige Plot Twists vergesse), doch Cody McFadyen hat gekonnt alte Ereignisse geschildert, wichtige Passagen aus den vorherigen Büchern wiederholt und nochmal erklärt, so dass es nicht mal unbedingt notwendig ist, die vier bereits erschienen Bände vorher zu lesen. Dazu kommt, dass die ersten Kapitel wahnsinnig spannend waren. Der Mord an einer Familie ist viel mehr als nur ein einfacher Mord. Der Fall zieht weite Kreise und deckt die Geschehnisse einer Verschwörung auf.
Smoky, die man meiner Meinung nach einfach gerne haben muss, so stark und taff wie sie ist, steht in diesem Buch sehr im Mittelpunkt. Der Fall dagegen leider weniger, so dass aus einem Krimi oder Thriller eher eine Abhandlung von Smokys Persönlichkeit und ihrem Umgang mit Verbrechen und Grauen wird. Auch wenn ich mir von einem McFadyen-Thriller etwas anderes gewünscht hätte, fand ich es doch gelungen. Smoky wirkte in den vorherigen Büchern immer so, als könnte ihr nichts und niemand etwas anhaben. Sie hat so viel schreckliches gesehen und erlebt und trotzdem hat sie immer alles weggesteckt. Diesmal ist es anders. Es wird viel Wert auf ihre Psyche, ihre Gesundheit und ihren Umgang mit sich selbst gelegt. Das typische Cody McFadyen-Gefühl ging dabei dann leider verloren. Ebenso wurden einige Abschnitte mit Zeitungsartikeln oder ähnlichem begonnen, die auf mich sehr langatmig wirkten und mir nach einer Weile die Leselust raubten. Gerne hätte ich die Geschehnisse rund um die Hauptprotagonistin, ihr Team und ihre Familie durch Smokys eigenes Erleben erfahren; nicht durch einen fremden Journalisten. Auch James erlebt in diesem Buch einiges an Grausamkeit. Schade fand ich natürlich – weil James mein Lieblingscharakter ist –, dass seine Geschichte neben Smokys unterging. Sein Schmerz und seine Qualen wurden zu schnell abgehandelt, obwohl viel Raum dafür gewesen wäre.
Bemängelt wurde auch oft unlogische und realitätsferne Ereignissen (zum Beispiel der Bau eines unterirdischen Hangars oder die doch eher mäßige "Auflösung" des Falls). Auch ich hatte oft den Gedanken „Wie soll das überhaupt gehen?“, aber das ist künstlerische und kreative Freiheit, die ich jedem Autor, auch Cody McFadyen, und jedem Buchgenre, auch Thrillern, zugestehe. Ich habe selten einen von vorne bis hinten logischen und realitätsnahen Thriller gelesen.
Gestört hat mich dagegen, dass ich nach 480 Seiten das Gefühl hatte, nichts erfahren zu haben. Viel zu viele Fragen wurden aufgeworfen, Fragen bezüglich der CIA, der Mörderstraße und und und. „Die Stille vor dem Tod“ wirkte für mich eher wie der Auftakt bzw. die Einführung zu einem anderen Buch. Auch das Verhör des Täters und das Ende lassen darauf schließen, dass der Fall im nächsten Werk des Autors weitergeführt wird. Bleibt zu hoffen, dass die vielen offenen Fragen dann endlich beantwortet werden.
Cody McFadyens Schreibstil hat mir – wie immer – sehr gut gefallen. Ich mag die Schilderungen von brutalen Szenen, von Horror, von Schreckmomenten. Er ist ein toller Autor, der sein Handwerk versteht und mit Sprache umgehen kann. Er schafft es, Tempo und Spannung zu erzeugen, seine Leser zu fesseln und bei ihnen Mitgefühl für seine Figuren hervorzurufen. Das hat man auch bei diesem Werk wieder gemerkt, auch wenn es einige langatmige Stellen gab.
Die Gestaltung des Buches finde ich sehr schön. Zum einen passt es sich sehr gut an seine Vorgänger an, zum anderen finde ich das Cover perfekt für einen Thriller.
Fazit
Trotz der vielen Kritik ist „Die Stille vor dem Tod“ ein gutes Buch, aber leider kein wirklicher McFadyen, was für viele Fans wohl das Hauptproblem darstellt. Die typischen Thriller-Momente haben hier leider gefehlt, aber ich fand den Einblick in Smokys Psyche und ihr Seelenleben nach den ersten vier Büchern doch sehr interessant. Trotz einiger genannten Schwächen hat mir das Buch doch ganz gut gefallen. Bombastisch wie die vier anderen Teile war es allerdings nicht; es kommt nicht an seine Vorgänger heran. Da hatte wohl nicht nur ich einfach mehr erwartet. Daher vergebe ich für den fünften Teil der Smoky Barrett Reihe 3,5 von 5 Sternen.